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WchM für WM Sonnabend, den rö. Juni 1915. Beilage zu Nr. 7s Betrachtung Mr den 4. Sonntag nach Trinitatis Markus 6, 35—38 Ta nun der Tag säst dahin war, Iraltn seine Jünger zu ihm und spräche«: Es ist wüste hier und der Tag ist nun dahin. Latz sie von di,, daß sie hingchen umher in die Dörser und Märkte, und kausen sich Brot; denn sie haben nichts zu essen. Jeiutz aber antwoitete und sprach zu ihnen - Geb: ihr ihnen zu essen. Und sie sprachen zu ihm: Sollen wir denn hingehen und zweihundert Pfennig wert Broi kausen und ihnen zu essen geben? Er aber sprach zu ihnen: Wie weie Bro-e habt ihr? Geher hin und sehet. Und da sie es erkundet harten, sprachen sie: Jüns und zwei Mche. Nicht umsonst hoben sie damals zwölf Körbe voll Brocken auf; es darf von den göttlichen Gaben nichts zu Grunde gehe« — Wieviel ist wohl im Lauf der Zeiten schon über diese Erzählungen geredet worden! Wie viele haben Trost aus ihr geschöpft und noch immer ist manches Körbchen voll übrig. Wir wollen heute auch ein Bröcklein sammeln und uns daran als an einer Gabe Gottes erquicken. — Dre Jünger mahnen den Herrn; ob seines eitrigen Lehrens hat er anscheinend vergessen, daß der Tag fast dahin ist. d?ß sie in einer Wüste sind, daß sie nichts zu essen haben. sie von dir, daß sie Brot kaufen", so lautet dis sorgsam-' Mahnung der weislicken Jünger; vielleicht haben sie schon stundenlang immer auf eine Gelegenheit geachtet, den Heiland zu unterbrechen und ihm ihre Weisheit vorzulegen. Sie haben sich durch 'hr Rechnen wohl um manchen Segen ge bracht, den ne bei mehr kindlichem Sinn hätten empfangen können. Daß sie an die äußeren Bedürfnisse des Volkes denken und auch dafür sorgen wollen, ist keine Sünde, aber daß sie dadurch aus dem kindlichen Vertrauen zu ihrem mächtigen Herrn herausfallen und sich gleichsam über ihn stellen, das ist Sünde Die unglaubliche Vernunft will ja so gern dem Glauben und der göttlichen Fürsorge vorlaufen, wie Jsrwl in dcr Wüste wider Gott murrete und Speise und Trank forderte, der ihnen doch aus dem Felsen Wasser hervorrief und die Wachteln vom Meere zuführte und sie mit dem Manna deS Himmels erquickte. Mit ihrem das Irdische berechnenden Sinn konnten die Jünger weder Brot schaffen, noch auch die inneren Bedürf nisse der hirtenlosen, irrenden Schafe befriedigen. JesuS aber berechnet veides; er sorgt für das Große und Ewige und ebenso gewissenhaft für das Kleine und Leibliche, frei lich in anderer Ordnung als unser törichter Sinn es ofr für richtig hält. In seinem Gebet lehrt er uns zuerst bitten: Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe! Und so hat er hier in der Wüste diese drei Bitten ausgelegt, ehe er in tatsächlicher Weise die vierte, ums täg liche Brot, behandelt Wir sollen also die irdischen und die himmlischen Dinge in einer Weise ordnen, daß nicht der Bauch unser Gott wird, sondern daß die Herrlichkeit des Herrn unsern Geist, «eele und Leid erquicken kann. Wenn einst alles vollendet ist, dann wird Leibliches und Geistliches in eins zusammen kommen und für keines von beiden mehr zu sorgen sein Ueben wir uns jetzt, in kindlichem Sinn auf den zu schauen, der uns Gcistesgaben gibt und auch die leiblichen Bedürfnisse berücksichtigt. Durch die Lupe. (Ein Stückchen Zeitgeschichte in Versen ) Kaum ein Staat ist noch vorhanden — wo sich Eng- londs Diplomaten — in verfehltem Liebeswerben — nicht bisher blamieren laten, — nicht mit Drohen, nickt mit Kosen — kommt der Brite mehr zum Ziel, — selbst der beste Freund von früher — sah inzwischen schon zuviel — sich auf dieser Welt ereignen, — was man vorher nicht ge glaubt — und was manchem wohl für immer — schon den Uebermut geraubt. — Auf dem Balkan zwar noch immer — hofft man was berauszuholen, — die Gesandten dort verreißen — täglich ein paar Stiefelsohlen, — mit den allerletzten Mitteln — feilscht und schachert dort John Bull, — aber die Erfolge bleiben — nach wie vor so gut Esst Kartoffeln! wie null. — Einmal wird die Weltgeschichte -- deshalb nunmehr endlich sehn, — daß das Britenvolk genötigt, — für sich selber ein zustehn, — daß cs nicht wie sonst noch immer — andre Völker ködern kann, — sich für Englands Interessen — aufzuopfern Mann für Mann. — Selbst die einst so treuen Freunde — Frankreich, Rußland sind ver stimmt, — weil die Truppenlief'rung Englands — keinen rechten Fortgang nimmt, — nur Italien, dessen Ehre — gar zu tief im Schlamme steckt, — sieht man noch vor England kriechen, — dem es fromm die Stiefel leckt. — Wenn dereinst beim Friedenschlusse — alle sich die Hände reichen, — stehen England und Italien — abseits mit dem Kainszeichen, — Frankreich selbst und Rußland werden - sich für alle Zeiten schämen, — daß sie einst gezwungen waren — diese Hilfe anzunehmen. Aus Stadt und Land Mitteilungen aus dem Lejcckcrlß für diese Rubrik nehnem wir lederzeit dankbar entgegen. — Aeierkiche Kröffnnng des Landtages. Die feier liche Eröffnung des außerordentlichen Landtages fand am Mittwoch vormittags 10 Uhr im SitzungSsaale der Ersten Kammer statt. Zugegen waren sämtliche Mitglieder der Ersten Kammer, die bürgerlichen Abgeordneten der Zweiten Kammer und der sozialdemokratische Vizepräsident Fräß- dorf Die fünf Staatsminister nahmen die P ätze des Präsidiums ein Der Vorsitzende im Staatsministerium, Kultusminister Dr. Beck, angetan mit dem grünen Bande der Rautenkrone, hielt die Eröffnungsrede, in der er unter anderem ausführte: Zum zweiten Male, seit uns der ge. waltige Kampf um Sein oder Nichtsein aufgedrungen, hat der König die Stände zu einer außerordentlichen Tagung einberufen Seine Majestät kaffen Ihren Beratungen Er- folg und Segen wünschen Ereignisschwere Zetten liegen hinter uns. Die Zahl unserer Gegner hat sich durch den beispiellosen Treubruch eines ehemaligen Verbündeten er höht Unerschüttert aber steht unser Heer im Kampfe um die höchsten Güter. Für die dem Könige anläßlich seines 50 Geburtstages dargcbrachte Svende für das Rote Kreuz lassen Seine Majestät herzlichen Dank aussprechen. Er würde es auch freudig begrüßen, wenn der Stiftung „Heimat» dank" sich die Teilnahme und Opferwilligkeit aller Kreise zuwenden wollte Gleichwohl kann die unbegrenzte Dankes schuld an die Mitkämpfer niemals ganz abgetragen werden. Umsogrößer ist die Verpflichtung jedes Einzelnen, jedes mögliche Opfer darzubringen. Der unvergleichlichen Helden taten unserer Krieger kann nur mit der größten Bewunde rung gedacht werden (Bravo) Unser ganz-s Volk grüßt seine Helden in unauslöschlicher Dankbarkeit, gedenkt aber auch in tiefer Wehmut der ruhmvoll Gefallenen und steht ihren Angehörigen opferwillig zur Seite Es erfleht vom Herrn der Heerscharen aus blutiger Saat eine gesegnete Ernte deutscher Macht und Herrlichkeit, bereit zu jedem Opfer, bis ein ehrenvoller Frieden erstritten ist. (Beifall ) Wir in der Heimat wollen doppelt unsere Pflicht erfüllen und in solchem Vorsatz zur Aufnahme der Arbeiten deS Landtages uns vereinen. Der Minister wandte sich dann den dem Landtage unterbreiteten Vorlagen zu und schloß mit den Worten: Mözen auch Ihre diesmaligen Beratungen und Beschlüße unserem teueren Vaterlande zum Segen dienen! Im Allerhöchsten Auftrage Seiner Majestät des Königs erkläre ich den außerordentlichen Landtag der Mo narchie für eröffnet! Hierauf brachte der Präsident der Ersten Kammer Graf Vitzthum von Eckstädt ein freudig ausgenommen«« dreimaliges Hoch auf den König aus. — Dem Landtage ist ein königliches Dekret Nr 10 zuge- gangcn, eine auf Grund von Z 88 der Verfassungsurkunde rlasiene Verordnung über den Einfluß des Kriegszustandes auf Streitigkeiten wegen Geldforderungen dcs öffentlichen Rechts bezüglich Kriegsbeteiligter Oesterreich-Ungarns betr. - Ans dem Landtag. Dresden, 24. Juni (W S L) Am Ministertifche Staatsminister Graf Vitzthum von Eckstädt, Justizminister Dr. Nagel und Kriegsminister Wils dorf. — Auf der Tagesordnung stehen der Gesetzentwurf über die Hinausschiebung der Neuwahlen für die Zweite Kammer und der Antrag Castan und Genossen (Soz), für die Wähler zur Zweiten Kammer das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für alle über 20 Jahre alten, in Sachsen wohnhaften Reichsangehörigen unter An wendung der Verhältniswahl einzuführen und die Wabl an einem Sonntag vorzunehmen — Vor Eintritt in die Tagesordnung widmete Präsident Dr. Vogel dem am 14 Mai verstorbenen Vorstand des Königlichen Steno graphischen Landesamtes Oberregierungsrat Professor Dr. Clemens einen ehrenden Nachruf. — Staatsminister Graf Vitzthum von Eckstädt begründete darauf die Regierungs vorlage Er hoffe, daß die mit dem Entwürfe verfolgten Ziele die Billigung des ganzen Landes und insbesondere auch der Wählerschaft finden würden Nur allgemeine pol^ tische und sachliche Gründe seien für die Ein bringung der Vorlage maßgebend gewesen, zu der sich die Regierung nicht leichten Herzens entschloßen habe. — Abgeordnetr Fleißner (Soz) begründet den Antrag Castan auf Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts. Er betont, daß die Forderung nach diesem Wahlrecht angesichts der Entwickelung der Verhältnisse ebenso selbstverständlich sei, wie die Pflicht, dieses Wahlrecht zu gewähren Redner geht dann die ein zelnen Punkte des Antrages durch und betont u a, daß feine Partei hier keinen Unterschied hinsichtlich der Steuer leistung, Bildung usw anerkennen könne Zum Schluß bittet Redner, den Antrag der 2 Deputation zu überweisen. — Abgeordneter Hettner (natl) stimmt namens seiner politischen Freunde der Regierungsvorlage zu, drückt aber den Wunsch aus, daß die Frage der Nodwendtgkeit, ein« An der Adria Originalroman von H. A. Revel. fff (Nachdruck verboten.) „Redensarten! Nichts als Redensarten!' fuhr Frau GömneS unversöhnlich empor, deren sich eine unerklärliche Abneigung gegen jene Frau bemächtigt hatte, die ihr ihren Sohn entrissen. In einer Anwandlung plötzlicher Weich heit und tiefsten Schmerzes umschlang sie ihren Ältesten. »Jetzt bleibst nur du mir noch! Jetzt habe ich niemand «ehr als dich." „Mutter! Mutter! Du sollst so nicht reden!" rief Joseph leise vorwurfsvoll und streichelte zärtlich das weiße Haar der Erregten. Eben als Franziska und Wera im Begriff standen, Mutter und Sohn allein zu lassen, betrat nach einem energischen Klopfen an der Tür der alte Justizrat und Berater des verstorbenen Konsuls, Dr. Gohrenstedt, das Limmer. Grob war seine Überraschung, als er — nach Begrüßung der Damen — den ältesten Sohn seiner ver ehrten Freundin an deren Seite sah. „Na, da bin ich ja wohl überflüssig", meinte er launig, Joseph seine Hand reichend. „Und wir können für heute wohl unsere Karten- Partie an den Nagel hängen?" „Ach Gott — Justizrat — verzeihen Sie! Aber ich habe wirklich auf den Mittwoch total vergessen. Ich hätte Ihnen doch abtelephonieren können —" „Gut, dab Sie es nicht getan haben. Denn sonst hätte ich nicht die Freude gehabt, Ihren Sohn begrüben SU können. Bleiben Sie länger hier, Herr von Wehns- vorf?" . „Vielleicht drei Tage. DaS hängt ganz davon ab, wie rasch ich mein Geschäftliches hier erledige." „Du — und Geschäftliches? Hier? Wohl für deine Firma?" fragte Frau Sömnes hochverwundert. „ . »Nein — in eigener Firma. Und zwar — Geschäft liches mit dir, mein Muttel. Aber davon nicht heute. DaS hat rieft " , «Mit mir?" Frau GömneS war ganz fassungslos und blickte Joseph ängstlich an. „Na, na, hab' nur nicht gleich wieder Angst, Mathilde", scherzte der Sohn in bester Laune. „Das wird bestimmt etwas sein, was dich freuen wird." Er umarmte sie zärtlich. Und fast kindlich bittend, sich au ihn schmiegend, sagte die alte Dame: „Laß mich nicht zu lange warten. Nein?" Der Justizrat ergriff die Hand seiner verehrten Freundin und zog sie an die Lippen. „Ich lasse Sie allein! Heute stören nur die Freunde. Nicht wahr?" wandte er sich an Franziska, die ihn erst jetzt der Russin vorstellte. Gemeinsam betraten sie das hohe Vestibül. Kaum hatte sich die Türe hinter ihnen geschlossen, als Franziska den Justizrat beiseite zog und fragte: „Herr Justizrat, ist es wahr? Das Kind von Onkel SömneS aus erster Ehe ist tot?" Der Justizrat wurde verwirrt. „Jawohl, es starb bald nach seiner Geburt." Franziska richtete sich stolz empor. „Warum sagen Sie mir die Unwahrheit? Onkel Sömnes hat mir, ehe er starb, alles erzählt. Daß das Mädchen Sora, seine Tochter, von gewissen Rospoli adop tiert worden war, daß diese Rospoli ihn mit Erpresser briefen und Betteleien stets behelligt hatten, bis Sie nach Italien reisten und ihnen eine Summe Geldes gaben, da mit sie Onkel Sömnes in Ruhe lieben " „Also — Sie wissen von Sora Rospoli?" sagte der Justizrat ganz faffungslos. „Gewiß. Alles. Auch daß Sora im ersten römischen Pensionat, Vittore Emmanuele, auferzogen wird " „War. Sie war dort. Vor fünf Jahren ist sie daraus entflohen." „Was sagen Sie? Ent flohen? Wohin denn?" Der Justizrat zuckte die Achseln. „Das Abenteurer blut der Mutter ließ sich nicht unterdrücken. Was nützt die beste Erziehung, wenn man eine solche Frau zur Mutter gehabt hat? Wohin entflohen? Da fragen Sie mich zu viel. Ich weiß nur, daß sie eine Schatulle der Vor steherin, in der sich verschiedene Papiere anderer Pensio näre und 4000 Lire befunden haben, mitgenommen hat." „Grober Gott! Eine Diebin?" „Gott fei Dank, daß daS der arme SömneS nicht mehr erlebt hat! Ein gut Teil seiner Harmlosigkeit, seiner Heiterkeit hatte er ohnedies wegen dieses einen Kindes und der Sorgen, die es ihm bereitet, eingebüßt." „Deshalb also!" murmelte Franziska in trüben Sinnen. — „Sora hatte ihn immer und immer wieder an sein erstes Weib erinnert, so daß er seiner zweiten Ehe hatte niemals so recht froh werden können. Waren es nicht die traurigen Nachrichten über Sora, so waren es die Betteleien und Unverschämtheiten dieser Rospolis —" „Und wußten auch die nichts von dem Verbleib Soras?" „Die Rospoli sind gleichfalls verschwunden. Als ich vor drei Jahren gelegentlich des allgemeinen Juristentages in Rom gewesen war, batte ich.mich nach diesen Rospolis erkundigt. Aber sie waren nicht mehr vufzufinden. Weiß Gott, wohin und nach welchen Machenschaften sie aus Rom weggezogen sind! Ich habe trotzdem regelmäßig dem römischen Advokaten Dr. Aldieri das Ouartalsgeld für Sora aus der Summe, die Sömnes für die Erziehung seiner Tochter mir eingehändigt hat, zugeschickt, mit der Bitte, es so lange zu behalten, bis Sora entweder wieder auftauchen würde, oder es mir zurückzusenden, sobald Sora ihr 21. Jahr erreicht hat. Das war im Jahre 1910. Aldieri hat mir auch das Geld zurückgesandt, und ich habe es auf meinem Namen indessen auf der Dresdner Bank deponiert." „Vielleicht ist sie tvt?" „Wollte Gott. Das wäre das Beste. Denn etwas Gutes wäre doch kaum je aus ihr geworden." „Tante Mathilde weiß aber nichts davon?" „Nein. Kein Gedanke. Und sie darf es auch nicht erfahren. Vielleicht später einmal. Aber nicht setzt. Wozu? Wozu ihr trübe Gedanken bereiten und sie mit Sorgen quälen, die wir ihr dann doch nicht nehmen können?" „Nein, nein. Sie haben recht. Ein Glück, daß ich vorhin Wera nicht nach Sora Rospoli gefragt habe. Es lag mir auf der Zunge, als ich sie derart in der römischen Gesellschaft versiert fand." (Fortsetzung folgt.)