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Will i m ttilä. Sie mich an, Abiturient aus der Ober tertia, also in Ihren Augen geistiges Wickel kind mit dem Lutschbeutel. Weiter hats nicht gereicht; hatte auch meine Lehrer wahrhaftig genug geärgert, und wir schie den ohne Abschiedstränen zu beiderseitiger Zufriedenheit. „Was aus Ihnen Wohl noch mal in der Welt wird, Vogel," Pflegte unser guter Dr. Warmfritz zu sagen. „In Ihrem Kopf steckt nichts als Mumpitz und Hahnenjokel." Er würde sich Wundern, der gute Mann, wenn er noch lebte und mich jetzt sehen könnw. Und mit dem Gehalt würde ich, beiläufig gesagt, auch nicht mit ihm tauschen." Mitten zwischen solchen Reden machte Vogel den neuen Angestellten der Firma Blohm und Winkler mit dein Personal be kannt. Die Arbeiter in den blauen Blusen und Arbeitsschürzen zogen grinsend die Mütze, sobald dec Prokurist an sie heran trat. Für jeden hatte er einen munteren Scherz, ein spaßiges Wort, (Fortsetzung folgt.) Der Grosckcn. Eine wahre Geschichte. Lwn F. R n o » - N e f u ß. /^^7ben im äußersten Norden dec kaiser- liche'n Haupt- und Residenzstadt, östlich dec langgedehnten Müller- s straße, am Fuße der Rehberge, wo Füchse, Wölfe und anderes Gesindel ziveibeiniges zumal, sich gute Nacht sagen, lag der Betriebsbahnhof 8 der Gro ßen Berliner Straßenbahn in nächtlicher Ruhe. Bis in die späte Nacht erdröhnt es dort von Arbeit, Treiben, Betriebsamkeit; in aller Herrgottsfrühe beginnt der rastlose Be trieb von neuem: da muß er tief und ganz versunken schlafen, um den langen, ange spannten Werktag auf dem Posten zu sein. Pfeiler au Pfeiler zieht sich die Umfas sungsmauer hin; die Fenster des Bahnhofs gebäudes sind in Dunkel gehüllt; die Wa- ^-nschuppen liegen still und verlassen da. Aber blank und hell blitzen im Widerschein der dämmernden Sommernacht die Schie nen auf, die durch das nun verschlossene Tor neben der Pforte in den Bahnhof füh ren. Sie werden mehr befahren, als die Streckengeleise selbst im dichten Verkehr der inneren Stadt, und glänzen blank und schmuck, wie ja auch den Menschen Fleiß und Arbeit stark und froh machen und er halten. Rast'ich, so röst'ich. Der Bahnhof schläft, und wer jetzt über den breiten gepflasterten Hof vor dem Wagenschuppen schritte, würde erschrecken vor dem Widerhall seiner Tritte, so still liegt der Bahnhof da. Wohlverdiente Ruhe nach einem langen, tätigen Werktage! So tief versunken liegt wohl der Gaul des Sand- fahrers, der aus den Rehbergen bergauf, bergab von früh bis spät den schwerbelade nen Karren zieht, um den Bremssand her- beizuschafftn, dessen die Straßenbahnfah rer wie das liebe Leben bedürfen, oder dec Kutscher selber, dessen Tagewerk, so alt und grau er im Dienst geworden ist, ihm die Jüngsten nicht nachmachen. Aber solange noch Leben in Mensch und Tier ist: so tief ist ihnen kein Schlaf gegeben- (es sei der letzte dann), daß nicht das Herz unermüd lich schlüge und der leise Hauch ihres Atems die Brust in langen Zügen auf und ab be wegte. Und sieh, wenn du um das Bahnhofsge bäude herumgehst, eingetreten durch die schmale Pforte, die unverschlossen war, hin ter einem vergitterten Fenster schimmert lebendiges Licht, und Var dem Tisch am Schalter, der nach- dem Schafsnerraum führt, sitzt der alte Kassenschaffner Dalwig! Längst ist der letzte Wagen auf den Hof gefahren und dec letzte Schaffner, nachdem er die Tageseinnahme nebst dem Fahczetts! am Schalter abgeliefert hat, nach Hause ge eilt. Der Kassenschaffner sitzt und rechnet auf. Er zählt die Tageseinnahme in bar nach — was nebenher abgefallen ist, war in die „Notstandsbüchse" gewandert—; errech net die Summen der Fahrzettel aus, die er nach „Linien" geordnet in die „Begleit scheine" eingetragen hat; er vergleicht seine Ziffern mit denen der Fahrzettel; er tut dasselbe zum zweitenmal: „Hol's der Kuk- kuck, es stimmt nicht! Nur zehn Pfennig fehlen — fehlen, natürlich! aus Einbuße läuft's ja immer hinaus! Die hüten sich einen Groschen zu viel zu geben! basta! — — Aber nein! So wars noch immer, wenn er den Fehlbetrag aus Eigenem bei gesteuert hatte. Dann wars ein Additions fehler gewesen, und das Nechnungsbureau hat ihm sein Geld auf „Differenzzettel" zu rückgezahlt. Wie's ihn gewurmt hat! Nein! — Er rechnet zum drittenmal. „Wer da?" Er schrickt auf. Klopft es nicht am Schalter? Er greift nach dem Re volver, der neben dec Kassette liegt. Hätte nicht vor kurzem der Kollege auf Bahnhof 12 sein Leben lassen müssen, wenn nicht der Vorsteher im letzten Augenblick, durch Schuß und Lärm geweckt, hinzugekommen wäre? „Wer da?" schreit er, schon herzhafter, als er nur feine Stimme hört. „Gut Freund," antwortet es draußen. „Du?" sagt er mit einem Seufzer der Erleichterung, schiebt den Schalter hoch und reicht den im Dunkeln Stehenden die Hand hinaus. „Komm her um; ich schließe auf!" „Du Rauhhaar?" fragt er verwundert den Kopf schüttelnd, als der Schaffner, ein großer, stattlicher, trotz seiner 65 Jahre noch rüstiger Alter ins Zimmer trat, „setz dich! was willst du noch? Ich denke, du bist längst bei Muttern?" Der Alte legt ein Zehnpfennigstück auf den Tisch. „Ich hab mich versehen vorhin, beim Abrechnen," sagt er einfach, „da ließ mirs keine Ruh', und ich bin von Hause gleich wieder umgekehrt!" „Eine halbe Stunde hin, eine halbe Stunde zurück, und mitten in der Nacht über die Nehberge! Kein Wagen fährt mehr!" „Du solltest nicht lange rechnen," sagte der Alte einfach. Es klang fast grimmig aber wie Grimm, hinter dem im Herzen Liebe und Achtung sitzt, als der Kassenschassner einwarf: „Um eines Groschens willen führst du deine alten Knochen und einen leeren Magen nach zwölfstündigem Dienst die dreizehnte spa zieren? Was sollen die Jungen dazu sa gen?" „Dasselbe tun," sagte der Alte einfach. „Die werden sich hüten!" brummte Dal wig. .' „Sei doch still," entgegnete Rauhaar; es sollle ungeduldig klingen, „sie wißen nur nicht, welche Umstände es bei der Aufrech nung macht. Und alle sind auch nicht so " „'Wer, zum Beispiel?" fragte der Kassen schaffner über die Schulter hinweg; erschloß Geld und Papiere in den Kassenschrank. Eben, es war vier Uhr, fuhr der erste Wa gen vom Hof. „Wer? zum Kuckuck!" wie derholte er seine Frage, als der andere nicht gleich antwortete, und rüstete zum Fort gehen. „Bachmann!" sagte Rauhaar. „Haha!" lachte der Kassenschaffner und schmunzelte dazu, „dein Eidam! Der, ja," fuhr er ernster werdend fort, „der ginge tausend Meilen für dich und — Liese. Dat muß dir der Neid lassen," sagte er dann, „du hast dir nicht den Schlechtesten ausgc- sucht." „Ich nicht, Lisbeth!" warf der Alte e:n, froh, von anderin reden zu können. „Weil sie die Tochter ihres Vaters ist!" sagte Dalwig. Sie gingen Arm in Arm hinaus- Der K.eäakteur unä seine Leser. Aon O. v. B. er Redakteur Sch. des in Tislis er scheinenden „Kopekenblnttes" war gc- richtsseitig in eine Strafe von 100 Rubel oder einen Monat Arrest genommen worden, weil er in seinem Blatte einen Artikel veröffentlicht hatte, der den Re gierungsstellen nicht genehm war. Sch. aber, ein armer Schlucker, schrieb in der nächsten Nummer an seine Leser: Liebs Freunde! ich soll Euch täglich die Wahrheit sagen, ich soll Euch täglich aufklären und zu Eurer Orientierung beitragen, aber das leidet die Regierung nicht immer. Jetzt soll ich 100 Rubel Strafe zahlen oder einen Monat in den Arrest wandern, wenn ich nicht zahlen kann. Ich bin aber ein armer Schlucker und 100 Rubel sind für mich ein kleines Vermögen, wollt Ihr nicht, daß ich „sitzen" soll, so seid so freundlich und sammelt unter Bekannten, damit ich die Strafe bezahlen kann." Schon am nächsten Tage hatte Sch. das Geld zusammen und führte es ordnungs gemäß ab. Aber das Gericht gab sich nicht zufrieden, sondern leitete gegen Sch. wegen unerlaubten Sammelns ein Verfahren e'.n, das zu einer Verurteilung zu 200 Rubel Geldstrafe oder zwei Monaten Haft führte. Der Redakteur wandte sich wieder an seine Leser, diesmal aber unter Beobachtung der Konsequenzen des analogen Falles. Er schrieb in Form einer Lokalnotiz: Der Redakteur Sch. eines hiesigen Blattes war zu 100 Rubel Geldstrafe verurteilt worden; da seine Leser so freundlich waren, für ihn zu zahlen, deswegen winde er vom Gericht wegen unerlaubter Sammlung zu 200 Rubel Geldstrafe verurteilt vder zwei Monate Arrest. Da der Redakteur sich nicht ein zweites Mal an seine Leser wenden darf, wird ihm wohl bei seiner Mittellosigkeit nichts anderes übrig bleiben, als ins „Kitt chen" zu wandern. Diese Lokalnvtiz hatte natürlich den Erfolg, daß auch die zweite Geldstrafe bereits, am nächstfolgenden Tage bezahlt war. Sch. konnte also weiter getrost sein „Kopekenblatt" redigieren und dec Staat hatte seine 300 Rubel.