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vve > > i m viiä. ^vi/r2^>L^v^L^ü^2^o<>L<>2^r>Lv^2^L^L<>2^LOd „ 8 icionie Ein Fraucnfchicksal. Roman von W. Harb. ———^ <Fo > ts rtzu n g). s klingelte, aber niemaird erschien. Als er zum drittenmale die Klingel in Bewegung setzte, daß sie durch das gaiize Haus hallte, wurde draußen ein leichter Schritt hörbar, und gleich darauf trat eiu Mädchen ins Zimmer mit wirrem dunklem Haar und einfachem Hausanzug. „Das ist meine Tochter Sidouie," er klärte Ullrich. Johannes wußte nicht, wie er sich zu der erwachsenen Cousine stellen sollte und machte eine Verbeugung, die viel zu zeremoniell ausfiel. „Lina ist ausgegangen," sagte Sidouie, einen Schritt vortretend und den jungen Mann halb scheu, halb neugierig musternd. „Auch die alte Haune ist schon fort." „Sorg sür deinen Vetter, daß er auf sein Zimmer kommt und zu Essen kriegt. Das ist hier nämlich dein Vetter Johannes Speerfeld, du weißt schon." Sidonie streckte dem Vetter die Hand ent gegen und sah ihn lachend an, daß ihre schönen Zähne sichtbar wurden. „Komm!" sagte sie dann, das verwandt schaftliche du wie etwas Selbstverständliches gebrauchend, und schritt dem jungen Mann voraus aus dem Zimmer. Draußen flog sie die dunkle knarrende Treppe so Pfeilge schwind in die Höhe, daß Johannes kaum so flink zu folgen vermochte. In einer Bodenkammer, die Halbwegs bewohnbar eingerichtet war, machte sie Halt und drehte sich um. „So sieht also der neue Herr Vetter aus." Johannes lachte verlegen und sagte nichts darauf. „Du willst bei uns wohnen und Jahre lang hierbleiben?" „ v^a. „Willst ein Kaufmann werden?" „Ja." Sie klatschte in die Hände. „Freut dich das?" fragte er. „Das sollte mich nicht freuen? Es ist zu schrecklich einsam und langweilig hier in dem alten Hause. Nur die Ratten und Mäuse amüsieren sich hier. Jetzt werde ich einen Freund und Kameraden haben. Nicht wahr, wir werden doch Freundschaft mit- einander halten? Und außerdem — ich bir^sp schrecklich unwissend. Du mußt mich -diel Schönes lehren, alles, was du weißt, hörst du?" „So weit es meine Zeit erlaubt," ant wortete Johannes. „Zeit werden wir schon haben. Vater sagt, ich soll Kontoristin werden oder Kas siererin. Ich lerne Buchführung und tippe auf der Schreibmaschine. Du, das ist gräß lich." Johannes sprach an diesem Abend we nig, war müde und aß ein paar Bissen. Als er am Abend allein in seinem unfreund lichen Zimmer war, überkam ihn das Be wußtsein seiner Lage mit doppelter Heftig keit Er warf sich angekleidet auf sein La ger und stöhnte. Wie grausam war das un erbittliche Schicksal mit ihm umgegangen! Vor wenigen Monaien noch hing ihm der H.mmel voller Geigen, als sein guter Vater noch lebte. Mit den bescheidenen Mitteln, die jener ihm gewähren konnte, und unter Zuhilfenahme von Privatunterricht war ihm das Studium ermöglicht. Nicht eine tolle Zeit genußgierigen Jugendübermutes und akademischer Ungebundenheit hatte er sich erträumt, sondern ein Schwelgen des Geistes, ein Schöpfen aus dem ewig frisch sprudelnden Quell antiker Schönheit und Größe. Hellas und Rom! Sein Vater hatte ihn gelehrt, in diesen beiden Worten den Inbegriff alles erstrebenswerten Men schenwissens zu sehen. Bisher hatte er nur genippt an dem Kelche, den ihm die Hoch schule als vollen Trank kredenzen sollte, nur einen flüchtigen Blick getan in die blen dende Helle der klassischen Welt. Nun war mit einem Male der schöne Traum zerronnen und verflogen, und die nüchterne harte Wirklichkeit starrte ihn an wie ein höhnisches Zerrbild. Sein Trach ten sollte fortan jener Welt gehören, in der das Geld einzig die Rolle spielt, in der sich alles dreht um Gewinn und Verlust, Einkauf und Verkauf, Soll und haben. Daheim saß seine Mutter, deren Augen trübe geworden waren vom vielen Weinen, mit den fünf unerzogenen und unversorgten Geschwistern. War es nicht ein großes Glück, daß Onkel Andreas sich seiner ange nommen hatte in einer Zeit, da die hartbe- trofsene Familie nicht aus noch ein wußte? Gott sei Dank, er ist untergebracht! seufzten vielleicht jetzt die Lippen der blassen Frau, während sie versuchen wollte, mit ihren klei nen Ersparnissen und ihrer Hände Arbeit ihre Familie durchzubringen. In bescheidener Weise hatte sie es ge- wagt, den Bruder um die Mittel anzugehen, die Johannes zum Studium gebrauchte. Aber.Andreas Ullrich hatte in verständnis loser Kälte zurückgeschrieben, daß er dasür keinen Heller übrig habe. Er werde dem Jungen eine gute Stelle besorgen, und sie möge ihn bestimmen, wenn sie nicht sein Wohlwollen und seine Hilfe ganz verscher zen wollte, aus seine wohlgemeinten Rat- schlage einzugehen. Johannes habe die Pflicht, mit Rücksicht aus die Lage der Sei nen anzunehmen, was sich ihm biete, um sich so bald wie möglich sein Brot zu ver dienen. Als Johannes mit blutendem Herzen den Entschluß faßte, dem Onkel zu willfahren, hatte er gemeint, der Kamps sei in der Hauptsache zu Ende gekämpst, und er werde um der Mutter willen Kraft genug haben, seine heißen Wünsche einzudämmen und sich mit seinem neuen Beruf aussöhnen. Darin sollte er sich schwer getäuscht haben. Jetzt, in der Stille der Nacht, bäumte sich sein ganzes Selbst gegen die aufgezwungene Laufbahn empor, und nur seine große Mü digkeit und das Schlafbedürfnis seiner jun gen Jahre verhalfen ihm endlich zu einem festen Schlummer, aus dem er jedoch schon früh wieder erwachte. Sidonie saß ihm am Kaffeetisch gegen über und strich ihm ein Brötchen. Es fiel ihm auf, daß sie viel sorgfältiger gekleidet war, als am vergangenen Abend. „Der Vater schläft noch," sagte sie, „seit- dem er kein Geschäft mehr hat, gewöhnte er sich das lange Schlafen an. Wann mußt du bei Blohm und Winkler sein?" Johannes nannte die Stunde und sah nach der Uhr. Nach Beendigung des Früh stückes blickte er die Base aufmerksam an, bis diese unter seinen Blicken errötete. „Was siehst du an mir Besonderes?" fragte sie. „Es ist merkwürdig," äußerte er, „wir sind doch so nahe Verwandte, und kannten uns bisher fast gar nicht. Ich erinnere mich deiner nur ganz dunkel aus der Zeit, da du noch ein sehr kleines Mädchen warst." „Ich habe die Entfremdung unserer Fa milie immer bedauert. Zu gern hätte ich die kle neu Cousinen und den Herrn Vet ter näher kennen gelernt, aber Vater sprach nicht einmal gern von euch, und wenn er davon sprach, nicht auf die liebenswürdigste Weise," fügte sie offen hinzu. Johannes schwieg. „Uebrigeus sind wir eigentlich gar nicht nahe verwandt," fuhr das Mädchen fort, „du vergißt Wohl, daß ich nicht Vaters rechte Tochter bin. Meine Mutter heiratete ihn als Witwe, und ich war schon auf der Welt. Auch heiße ich ja gar nicht Sidonie Ullrich, sondern Sidonie Feddersen." „Das ist wahr; ich dachte nicht daran. Aber das soll unsere verwandtschaftlichen Gefühle nicht beeinträchtigen. Was war dein rechter Vater?" „Bankbeamter," antwortete Sidonie. Also auch ein Zahlenmensch, dachte Jo hannes. So plauderten sie weiter, bis sie ihn da ran mahnte, daß er gehen müsse. Sie Wik kelte ihm ein großes Butterbrot ein und steckte es ihm in die Tasche. „Du mußt schon erlauben, daß ich dich ein wenig bemuttere. Irgend jemand mußt du in der fremden Stadt haben, der sich um dich kümmert. Ich glaube, Vater wird nicht viel Zeit sür dich übrig haben. Ich sehe ihn fast nur am Mittag und Abend; spät nach Tisch geht er dann regelmäßig in seinen Klub. Den Schluß des Tages, wenn du frei bist, haben wir also sür uns allein. Da kannst du mir vorlesen oder erzählen, oder wir vertreiben uns die Zeit anders. Wenn ich dir nicht zu dumm bin," setzte sie ernst haft hinzu. Johannes drückte ihr warm die Hand. „Ich danke dir, Sidonie," sprach er herz lich. „Nun werde ich mich heimischer süh- len." Allein schritt er hinaus in das Gewühl der großen Handelsstadt, in der schon längst alles zu Leben und Tätigkeit erwacht war. Der Weg, den er zu gehen hatte, war ihm genau bezeichnet. Er sübrte in das Herz des Geschäftsviertels, an Packhäusern. Kräh nen und Ausladeplätzen vorüber. Manch mal, wenn er Uber eine Brücke ging, rauschte die dunkle Flut eines engen Kanals zu sei nen Füßen, und vollbeladene Schiffe beweg, ten sich langsam an den schwarz verräucher- ten Hinterfronten der Häuser entlang. Ja Hannes Speerfeld schaute auf diese neue Welt nicht mit dem Interesse desjenigen, der hier seinen Wirkungskreis finden soll. Er war mit seinen Gedanken abwesend. Der Weg wurde ihm unendlich schwer. Alle seine Kameraden von der Schule gin gen einen so ganz anderen. Sie durften sämtlich ihrer Neigung folgen. Die meisten waren lustige oder fleißige Brüder Studios, je nachdem. Einer war ins Ausland ge gangen und ein anderer wollte Offizier wer den. Nur er war aus seiner Bahn heraus geworfen, von einer unbarmherzigen Welle irgendwohin an einen öden Strand qeschleu« dert. Ein Gefühl unsäglicher Bitterkeit wallte in ihm auf; er kam sich vor wie ein Ausgestoßener.