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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190502191
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19050219
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19050219
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-19
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1905
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Arre Vaacht««-! 2m „vücherttsch" gelange« nnr Original-Besprechungen zum Abdruck. Ss werde« «ur Bücher zur Besprechung ver geben, welch« auf der Redatttoa etngegangen find. Die Rrdattis» behält stch vor, an» der Sahl der ein gesandten Bücher solche r« kritischer Würdigung auszugeben, welche sich zur Besprechung im „Leipziger Tageblatt" eignen. Sine Rücksendung «nverlaugt eingeretchter Bücher erfolgt in keine« Salle. Vie 6rSfin vs« Montignoro alr vicbtettn. Bon Paul Zschorlich. In dem bislang unbekannten (vielleicht u«1 ko« gegründeten) „Deutschen Lolksverlag" in Leipzig- Schkeuditz ist ein Bändchen Lyrik erschienen, für das die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen, die jetzige Gräfin von Montignoso, mit ihrem Skünen eintritt. Diese Novität im Buchhandel ist in mehrfacher Hin sicht interessant. Einmal interessieren sich viele Kreise für die Verfasserin, jene Frau, die von den einett ebenso leidenschaftlich verteidigt, wie sie von den anderen ener gisch getadelt wird. Eines scheint die Gräfin vor so mancher Dichterin voraus zu haben: sie erlebt das Leben, sie lernt seine Wonne und seine Schmerzen gründ lich kennen, läht sich von Emotionen leiten, setzt (so lange nicht stärkere Mächte sie daran hindern) ihre Willenskraft, ihre Lebenslust und ihre streitbare Person- lichkeit für ihr« Lebensauffassung, ein, was in ihren Kreisen ungewöhnlich ist, und gleicht somit einem in Aufruhr befindlichen Vulkan, in dem die Leidenschaften rebellieren. Ein psychologischer Grund zu lyrischer Pro duktton liegt also durchaus vor. Gerade von den Frauen, die ihre Seele in Versen austönen, die ihr innerstes Seh nen in die kalte Wett hinausreimen, haben wir prächtige Proben von Lyrik empfangen. Ich erinnere nur an die Alberta von Putkarner, an Clara Müller, Marie Stona, Else Galen-Guba, an die mehr oder minder ge lungenen Versuche der Marie Madeleine und der Brenschen. So fruchtbar aber der Boden auch scheinen inag, auf dem wir die lyrischen Halme aufschietzen zu sehen meinen, so wenig ergiebig und dankbar erweist er sich bei näherer» Zusehen. Es ist Oedland. Fades Gras und trister Ginster wachsen auf ihm. Da ist kein farbenfrohes Blühen und Prangen, kein leuchtendes Schwellen, kein drängendes Gedeihen. Und über die Flur schreitet der Flurschütz mit wich tiger Geberde. Hermann von Alt-Dame- row schrieb auf 9 Seiten eine nichtssagende Einleitung. Er versichert uns in nwnotoner Rede, datz die Persön lichkeit der ehemaligen Kronprinzessin mit der Persön lichkeit der Dichterin gar nichts zu tun habe, beschreibt uns langatmig das Land, auf dem die blaublüttge Lyrik ins Kraut geschossen, und hausiert mit grapholo gischen Gutachten wie mit Ansichtspostkarten. Er meint, die Dichterin spreche am besten für sich selbst durch ihre Gedichte, und kann sich doch nicht enthalten Satz an Satz zu flicken, um den Leser schon vor der Lektüre der Verse rn die gewünschte seelische Disposition zu bringen. Wer die Kronprinzessin von Sachsen war, das steht freilich auf einem anderen Blatte, diese Geschichte hat sich die Residenz nur allzu laut und allzu ausführlich erzählt. Die Krone hat nichts mit dem Blunienkvanz gemein, den sich eine entzückte Frau schwärmerisch um die Schläfe flicht. Aber die Persönlichkeit der Gräfin Montignoso. die Erlebnisse des Menschen , die sich an diesen Namen knüpfen, die haben mit der lyrischen Eigenart allerdings recht erheblich zu tun. Lyrik ist persönliches Schaffen. Rein persönliches. Nur wer erlebt, geberdet sich lyrisch. Und sei's, daß die Phantasie (die holde), die Wirklichkeit (die arme) ersetzen muß. Aber nicht jeder und nicht jede, die lyrisch werden, schaffen aus dem Innern. Man kann viel erlebt und wenig gedichtet haben. Es gibt Menschen, die es vor ziehen, Gedichte, Novellen und Romane zu erleben anstatt sie zu dichten. Man kann auch wenig erlebt und viel gedichtet haben. E Piersons Verlag erteilt bereit willig Auskunft. Die Pierson-Lyrik ist ein weites Feld. Man kann schließlich viel erlebt und viel gedichtet haben. Alle Großen im Reiche der Dichtkunst erheben sich als Zeugen. Man kann aber auch ein Lebenskünstler und ein Versepfuscher sein. Es ist nicht notwendig, daß seelisches, geistiges und sinnliches Vermögen .Hand in Hand gehen mit dem produktiven. Man kann Ronrane erleben und doch unfähig sein, sie zu schreiben. Man kann lyrisch empfinden und dennoch nicht die Gabe be sitzen dieses Empfinden in Worte zu kleiden. Sie, die Gräfin Montignoso. kann es ganz und gar nicht. Ein Graphologe hat über die Schriftzüge der hoch geborenen Frau das Gutachten abgegeben: „Ein tiefer, ringender Charakter, der wohl das Beste und Rechte will, manchmal übermäßig stark empfindet, aber sich nicht für Falschheit und Hinterlist, sowie allerlei Ränke her gibt." Eine solche Handschrift muß allem Volke gezeigt ioerden, dachte der Verleger. Die Frau Gräfin setzte sich also hin und schrieb eine Anzahl Gedichte fein säuberlich auf glattes Papier (damit die Schrift auch schön herauskommt!). Nun wandern sie in unzähligen Exemplaren ins Volk als getreue Faksimiles. Man hat diesen Charakter schriftlich fixiert vor sich auf dem Tische liegen, wenn anders man zu dem klugen Graphologen Vertrauen haben will. Gleich das erste Gedicht ist ty- pisch für alle fünfzehn. Ich setze es also hierher: Der erste Frost ist über s Land gezogen, Welk ist das Blatt, das gestern grün noch war, Die lieben Vöglein all sind fortgeflogen, Einsam steht nun der Wald, — bis übers Jahr! Der erste Schmerz ist mir ins Herz gezogen, Leid' finde ich, wo gestern Glück noch war, Mit ihm ist Lebensfreud' und Lust mit fortgeflogen, Einsam steh' ich nun da, — bis über's Jahr. Mit dir, Natur, will ich nun schlafen gehen, Will träumen, wie ich glücklich mit ihm war, Wenn alle Wiesen dann voll Blumen stehen, Hab' ich ihn wieder, — dann für immerdar. Die Verse sind nicht übel. Aber sie sind auch nicht neu. DaS haben wir in allen Tonarten schon gehört. Dann kommt ein Liebeslied, dann eins, das von der großen Sehnsucht handelt, und eins, das von tränen reichem Abschied singt, dann wieder ein Liebeslied und dann noch eins. Aber diese Klänge sind matt und ohne Glanz. Wer Leidenschaft und Inbrunst erwartet, sieht sich getäuscht. Es ist eine brave, züchtige, sanfte und die Grenzen bräutlicher Zärtlichkeit nicht überschreitende Melodie, die da so innig wie boruhigend klingt. Ein« Melodie von Frmrz Abt. Mehr nicht. Ein stilles Träumen, ein rnelancholisches Nachdenken spricht aus dieser Lyrik. Sie ist ganz und gar nicht revolutionär, weiß nichts von fieberndem Verlangen, von sinnlichen Freuden und erotischen Entgleisungen. Sie ist ehrbar, hausbacken, anständig und legitim durch und durch. Ein dünner Nebelschleier von Melancholie breitet sich über die paar Bekenntnisse. Acht an der Zahl. Eine Quelle, di« nicht sprudelt, sondern tropft, em Ferer, das nicht züngelt, sondern verlöschend erglüht: Ein winziges Verlangen, ein Minimum an Tiefe. Aber hinterdrein wälzt sich eine schwere Masse. Aus ihr ringen sich Hymnen los. „Gedichte aus dem Volke an und über die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen" — so sind sie überschrieben. Die Verehrer der Gräfin Montignoso dicksten viel intensiver, viel überschwäng licher, kräftiger, leidenschaftlicher als die Gräfin selbst. Sie bauschen jedes Gefühlchen ins Unermessene, Riesen- starke. Sie fahren ganze Ladungen von Mitleid an und opfern Hekatomben von Herzblut und Erbarmen. Sie tun im Eifer aber des Guten zu viel. Sie verraten, daß sie einer Tendenz dienen. Da ist ein Gedicht, das aus dem Volke kommt, mit der Ueberschrift „Die Mutter". Es könnte die textliche Unterlage zu jenem nerven peinigenden Bild im „Simplicissimus" bieten, in welchem die arme hohe Frau Einlaß heischend vor dem Schlosse im Schnee umherstapft. Ja, eins wendet sich an König Friedrich August ganz direkt. Der Autor ver sichert, das ganze Sachsenvolk wünsche die Rückkehr der ehemaligen Kronprinzessin. Der optimistische Volks- anwalt meint am Ende seiner Verse: Sie wird daheim dir wiederbringen Dein inniges Familienglück! Das sind also die Stimmen aus dem Volke. Tas ist das Gebet der Rkasse. Merkst du was, deutscher Michel? Einem -Orpheus ist es gelungen, durch die Schönheit seines Gesanges Felsen zu erweichen. Auch Verse machen — Stimmung. Zumal, wenn sie im Faksimile herumge- rficht werden und von der Gräfin Montignoso eigenhän- dig geschrieben sind. Ob du was merkst, frage ich? Ich reihe die Verse der hochgeborenen Frau Gräfin ein in die Rubrik: politische Lyrik. Freilich: von der Art eines Arndt, eines Freiligrath, eines Herwegh und eines Heine unterscheiden sie sich nicht unerheblich. Aber bitte nicht zu vergessen: wir leben in der Bülow- schen Aera. Ta kann wohl eine politische Lyrik nicht an ders ausschauen als sentimental und liebenswürdig Politische Lyrik. Meinetwegen auch: lyrische Politik. Der politische Faktor ist hier wie dort ausschlag gebend. Und nun frage ich dich zum dritten Male: Merkst du was? Gesammelte Werke. Gscthc» sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe." 19. Band. Wilhelm Meisters Wanderjahre. 1. Teil. Mit Einleitung und An merkungen von Wilhelm Creizenach. Ver lag der I. T. Tottaschcn Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart. Ueber die vortreffliche Ausstattung der vorliegenden Ju biläumsausgabe von Goethes sämtlichen Werken ist bereits früher berichtet worden. Der soeben erschienene 19. Band enthält den ersten Teil von Wilhelm Meisters Wanderjahren. Ausgezeichnet orientiert Wilhelm Creizenachs Vorrede den Leser über die Entstehung deS Werkes, die in das Jahr 1798 zurückdatiert. Von besonderem Interesse ist auch die Dar legung der Verhältnisse, unter denen dieser Bildungsroman geschrieben wurde, welche Aufnahme er bei Freunden und Gegnern fand und welcher Art seine Imitationen (z. B. die gleichnamige, fünf Bände umfassende Erzählung des Pfarrers Pustkuchen in Lieme bei Lemgo) waren. Creizenach weist auch in ausführlichster Weise auf die mehrfache Redaktton der Wandefiahre durch Goethe und auf die Wandlung des Lebens ideals hin, wie sie sich in diesem zweiten Teile des Romans darstellt. x § Lu-wig Leuerbach» sämtliche Werke. Neu herausgegeben von Wilhelm Botin und Fried rich Jod l. II. und IV. Band. Philosophische Kritiken und Grundsätze. Erläuterungen und Ergänzungen zum Wesen des Christentums. Verlag von Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart. Subskriptionspreis: je Band 4, gebunden k. In Nürnberg geht nian daran, Ludwig Feuerbach, dessen Philo sophie, weit entfernt antiquiert zu sein, gerade jetzt den forschenden Geist aufs Neue beschäftigt, ein lange verdientes Denkmal zu setzen. Für das große und tiefgehende Interesse, das man dem Vielver kannten — etwas spät — entgegenbringt, spricht die Tatsache, daß gleichzeitig von zweien seiner begeistertsten Schüler eine Gesamt ausgabe veranstaltet wird und daß sie von einem so angesehenen Verlag dem Publikum dargeboten wird. — Die in zwei Bänden vereinigten Schriften sind für das Verständnis der inneren Entwicklung Feuerbachs ungemein bedeutungsvoll. Sie ent hüllen Len Werdeprozeß, der Feuerbach aus einem über zeugten Vorkämpfer Hegels im Laufe eines knappen Dezenniums zum ersten und schärfsten Kritiker des Systems gemacht, ihn vom Panlogismus zum Naturalismus und Anthropoloqismus geführt hat. — Das Werk, dem Feuerbach seine Weltberühmtheit verdankt, ist bekanntlich sein „Wesen des Christentums", das in diesen Blättern bereits einer Würdigung unterzogen wurde. Zu seinem näheren Verständnis sind seine „Erläuterungen" im VII. Bande unumgäng lich, zumal sie den Einwendungen der Kritik eingehend und s chlag- fertig begegnen. Dieser Band gliedert sich in vier Grupven- Bei der ersten steht der Autor seiner vorgeschrittenen Zeitgenossenschaft am nächsten, mit der er einen Gegensatz zwischen Religion und Philosophie festhält, in den drei übrigen vertritt er seinen eigenen, dieses Verhältnis in ganz anderer Weste fastenden Standpunkt, der jedoch mit dem vorher innegehabten die entschiedene Abwehr des „modernen" Christentums, als eine- den inzwischen erworbenen Ein sichten widersprechenden „Willkürgebildes", gemeinsam hat. — Wir wiederholen: Mag man zu Feuerbachs philosophischer Ueberzeugung stehen wie man will, auch ablehnend — und manches findet ja Len Widerspruch direkt heraus —, gerade die moderne philosophische Strömung kann nicht umhin, sich mit seinem Standpunkt von neuem auseinandrrzusetzen. 8cb. Fritz Reuterr sämtliche Werke. Mit Vorwort und biographisch-literarischer Würdi gung von Otto Weltzien. Verlag der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart und Leipzig. 959 S. (Preis: geb. 4 ^l.) Mit der Veranstaltung dieser sehr billigen, aber gleichwohl guten Reuter-Ausgabe hat sich die Verlagshandlung ent schieden ein Verdienst erworben. Viele, die den humorvollen Schilderer plattdeutscher Art und Sitte bisher nur aus Vorträgen und daher bruchstückweise kannten, werden mit Freuden die Gelegenheit benutzen, für wenig Geld eine voll ständige Ausgabe seiner Werke zu erwerben. Der Text ist aut und sorgsam ausgestellt und ein etwa 1500 Worte um fassendes Glofsa wird den des Dialekt- Unkundigen da- Ver ständnis wesentlich erleichtern. Besonder» imponiert hat mir. daß die biographisch« Einleitung von Otto Weltzien platt deutsch geschrieben lst. Eine echte Reuter-Biographie muß in des Dichters eigener Mundart geschrieben sein, in der Sprache, in der er selbst dachte und schrieb. Deshalb kann ich auch die von Reuters ursprünglichem Verleger selbst an gekündigt« hochdeutsche Reuter-Ausgabe nur als einen Not behelf anieben, erwarte aber mit um so größerer Spannung die gleichfalls von der Deutschen Verlaasanstalt anaekündigte plattdeutsche Reuter-Biographie Paul Warnckes. Die Aus stattung der vorliegenden Gefamtaus^iLe ist ansprechend, der Druck klar und sauber. vr. x. kurülL Auswahl au» Maxim Gsrklr Schriften. Herausgegeben von A u g u st S ch o l z. „Bücher der Weisheit und Schönheit". Herausgegeben von Jeannot Emil Freiherr von Grottfuß. Druck und Verlag von Greiner L Pfeiffer in Stutt gart. Preis: Einzelbände L 2L0 -K-, die Serie von 12 Bänden 24 X. Gerade jetzt, da die Augen der ganzen gebildeten Welt auf Gorki gerichtet sind, dürfte die vorliegende Auswahl aus seinen Erzählungen mrt verdoppeltem Interesse ausgenommen werden. In einer kurzen Einleitung zeichnet der Herausgeber mit knappen, aber sicheren Strichen ein Bild der Eigenart des „Entdeckens des Äarfüßlertums". des „Dichters der Stromer und Vagabunden", der in den Kreisen jener aus der Gesell- chaft Ausgestoßenen die starken Persönlichkeiten sieht, die er onst in Rußland nirgends findet, und der die Gestalten dieser n Lumpen gehüllten, heimatlosen Nebermenschen mit einem gewissen romantischen Nimbus umgibt. Die in dem Bande enthaltene, zwölf Nummern umfassende Auswahl aus Gorkis Schriften ist mit großem Geschick getroffen und gewährt ein gutes Bild der verschiedenen Seiten von des Dichters Schaffen. Die Erzählungen „Tschelkasch", „Temeljan Piljaj", „In der Steppe", „Der Cham und sein Sohn" sind ganz vom Geist wilder Romantik erfüllt, in den „Sechsundzwanzig und eine" und „Aus Langeweile zeigt sich Gorki Maupassant ebenbürtig, in dem „Liede vom Falken" und im „Sturmvogel" offenbaren sich der ganze himmelstürmende Idealismus und der kampfesfrohe revolutionäre Ungestüm des Dichters, die Skizze „Von dem Schriftsteller, der zu hoch hinaus wollte", liefert einen Beweis von der liebenswürdigen Selbstironie, deren Gorki unter Umständen fähig ist. i>aul Lelixsr. Romane. Die neuen Römer. Roman aus der römischen Wildnis. Von Richard Voß. Verlag von Heinrich Minden in Dresden und Leipzig. 502 S. Inmitten des historischen ewigen Kampfes zwischen Ouiri- nal und Vatikan spielt sich eine niedliche Liebesgeschichte ab. Fürst Romanelli, sechzehn Jahre alt. soll als letzter seines stolzen Stammes den roten Kardinalshut tragen, der seiner Mütter Seelenheil verbürgt, und zieht es vor, den eigenen Seelenfrieden bei Sylvia, des freisinnigen Grafen della Rocca Töchterlein, auf liebenswürdigere Art zu finden. Denn auf dem verfallenen Laurentinerschloß, das er mit der Fürstin nebst einigen Eulen bewohnen muß, rndes auch das herrliche römische Palais verfällt, hat er von Pater Modestus einige Dinge gelernt, die nicht gerade in der Bibel stehen, aber eine freigefügte Religion bedeuten, deren Inbegriff Welt und Menschheit sind. Pater Modestus selbst ist die interessanteste Figur des Buches. Vom Asketen ward er zum Schönheits priester, der seine Todsünde als Eremit in den Albanerbergen büßt, ein halber Gelehrter kehrt er in die Klosterzelle zurück und wird — beinahe ein Apostat — als Sozialreformer auf freiem Feld schließlich von denselben Bauern erschlagen, die sein Evangelium oer Arbeit gröblich mißverstanden. . . . Und Graf oella Rocca, der Staatsmann modernster Fassung, der seine im Parlament verfochtenen Ideen auch im eigenen Hause respektiert wissen will, Graf della Rocca, der Italien die Zivilehe geschenkt bat, die Kirche befehdet, wo er nur kann, und sich endlich dennoch darein finden muß, daß sein Kind sich einem allerdings bekehrten Ultramontanen vermählt, sodann ein alter Römerbischof von bewußter Farblosigkeit, Turturella, des Paters mißhandelte Tochter, der das Meer die Erlösung bringt, die starre Fürstin und ein fideler Räuberhauptmann, — sie alle schließen sich neben Modestus ein wenig konventio nell zwar, aber gleichwohl überaus wirksam in ein Milieu, das m seinem trüben Niedergang — wir stehen in der Cam pagna — dem deutschen Leser die unentbehrliche Romantik nicht vorenthalten wird. Die Stimmung, die Voß um seine ersten kurzen italienischen Skizzen wob, trägt auch die „Neuen Römer" wieder. Voß erzählt von dem trägen, entnervten Volke mit seinen fiebernden Bauern und verhungerten Bettel- mönchen, die alle zusammen keinen Finger rühren, um Romas einst üppige Kornkammer zu neuem Leben zu zwingen, bis sie zuletzt wirklich in Sümpfen ersticken: Voß erzählt von ihnen weder besser noch schlechter, als er sonst jemals getan, er packt, fesselt im Augenblick, ergreift sogar und wartet dann zufrieden, bislwir ihn wieder vergessen haben. Immerhin ist er ein Erzähler von Geschmack, dem auch der Humor nicht fehlt, — eine der besten Stellen m seinem letzten Roman ist lene, da der exkommunizierte Pater den Banditen bei Nacht und Nebel eine Messe lesen muß, bis die Kerle schließlich ein donnerndes „Evviva" auf alle Heiligen ausbringen — ein Erzähler, der nur manchmal den Effekt eifriger sucht als er dürste, aber doch die Gabe besitzt, uns, einige Stunden geist reicher Anregung aus dem Vollen zu schenken. Tnrl I'r. Xorvalc. Henriette von England. Ein Roman von Friedrich von Hindersin. Verlag von C. G. Naumann in Leipzig. Die nicht allzu bekannte Geschichte Henriettens von Eng- land, die freilich schon der gute alte Dumas mit so geräusch voller Rührung vorzutragen wußte, ward Friedrich von Hinderstin zum bequemsten aller historischen Hintergründe, von dem sich der vierzehnte Ludwig inmitten seines typischen Hofstaates so konventionell als möglich abhebt. Man könnte nicht behaupten, der mäßig begabte Autor habe die Erzählung von „mackarao", der die Pflichten einer Schwägerin und Maitresse S. M. des Königs von Frankreich wenig Kon flikte bargen, etwa aus lüsternem Sensationsbedürsms aus gegriffen: mit seinen strengen Sittlichkeitsglossen dürfte cs ihm wohl durchaus ernst sein. Aber wozu nur das Ganze? Der giftmischende Abbee Ferrier ward uns längst vorgestellt, von dem perversen Philipp von Orleans und seinem un appetitlichen Kreise wissen wir mehr, als für seinen Nach ruhm gut ist, der Zug von Größe, der Ludwig trotz aller Schwächen, ja Laster, immer noch anhastet, ist nicht erfaßt und die Figur der Henriette selbst ist fast ganz verzeichnet. Sie tut nichts, das sie müßte, sie erwärmt nicht, wir bedauern nicht: sie läßt kühl wie das Buch selbst, das auch stilistisch trotz der Glätte nirgends die Konvention verleugnet. Lari I'r. Xovalc. Mama Leichtsinn. Roman von Victor von Reisner. Verlag für moderne Literatur in Berlin. Es ist eine wohl vielen fremde und eigenartige Welt, die ich in Victor von Reisners neuem Roman „Mama Leicht- inn" auftut. Jedenfalls ein durchaus lesenswertes Buch, lott geschrieben und mit größter Anschaulichkeit die Verhält nisse und Sitten von Land und Leuten in Kroatien schildernd. Ein starkes und unwiderstehliches Lebensverlangen spricht aus dem Ganzen, alles ist hier echt und ungeschminkt und doch durchweht ein warmer, wahrhaft dichterischer Hauch die Er zählung, die in formaler Anlage wie Ausführung gleich treff lich ist. Victor von Reisner ist nicht allem Dichter, er »st auch ein rücksichtlos strenger Beurteiler der Zeit und aller ihr eigentümlichen Erscheinungen und gerade hierin scheint unS em nicht zu unterschätzendes Hauptmoment für die Be- urteüung seiner neuen Arbeit zu liegen. x g Vie Schwester. Roman von Alfred Hen n ig. Verlag von Seitz und Schauer in München. Man gestatte mir eine kurze Charakteristik der Figuren dieses Buches: Branca Torelli, Gattin des deutschen Malers Rüttening, spricht in Gedankenstrichen und stirbt im ersten Kapitel durch Gift; Maria Torelli, Schwester der vorigen, bat ttn seingeschnittenes Oval, das sie in den Fluten des Lido begräbt; Johanna Rüttening, sitzt mit Vorliebe auf dem Balkon in Venedig, wird Krankenschwester und stirbt durch Gift. (Gift der Borgia. Letztes Kapitel.) Professor Heinrich Rüttening, deutscher Maler, spielt mtt Tuberosen vierter Dimension, stirbt durch Gift. (Zweites Kapitel.) Eva, Dienerin und Vertraute Johannas, erzählt Geschichten, wie ein Arzt kam (Stirbt wie oben.) Paolo Janelli, auch Schurke genannt, verzerrt die Züge, mischt Gift, stirbt selbst aber an den Folgen einer Revolverkugel. (Letztes Kapitel.) Maraheritta Rüttening, Schwester und Kusin« ihrer Kusin« und Schwester Johanna, entdeckt unterirdische Gänge, wo sie entlarven will, und heiratet Doktor Randorf, dessen „Arm sie wortlos umschlingt". Damit hat der Autor genug. Der Leser auch. Lari No^lc. Sein Asrp-bru-er und anderer. Erzählungen von LeoColze. Verlag von JriAnich Kirchner in Leipzig. Preis: 1 X Die drei Novellen dieses Bändchens zeigen eine erfreuliche Entwicklung. Die erste, „Die Sprechstunde oder korpsbrüder liche Hülfe" (1899), mag für die Kneipzeitung der Verbindung, der der Verfasser angehört, gut gewesen sein, die zweite, „Sein Korpsbruder", führt in ihrer straffen Durchbildung schon ein paar Schritte vorwärts, und die dritte „Betsy Webster'^ (1904), ist ein kleines Meisterstück novellistischer Erzählungskunst, das von des Verfassers bestem Verständnis für das Wesen der Novelle zeugt. pr, Kyrik. Gin später Strauh. Gedichte von Erich Sello. Verlag von Schuster und Löffler in Berlin 81V. Es kommt selten genug vor, daß ein gefeierter Anwalt im Nebenamte ein tüchtiger Poet ist. Ich bitte, die Betonung auf ttüchtig" zu legen. Der schriftstellerisch duellieren den Juristen gibts genug, aber die höchste Grenze ihres Schaffens ist gewöhnlich ein anständiger Durchschnitt. Der Justizrat Sello kommt weiter. Er hat nicht nur das, was vor den Schritten jedes seiner Amtsbrüder reichlich auf der Straße liegt, mit Geschick ausgenommen. Er hat vielmehr auch bas Auge, um Impressionen mitzunehmen, wo andere blind vorüberschreiten und die Fähigkeit, die allein des wahren Dichters ist, aus der stillen Blüte einer Lektüre, einer Landschaft, eines Gedankens den Honig der Poesie zu saugen. Alle diese Verse — unter ihnen Vierzeiler, Sonette, Balladen — sind förmlich, ernst und gediegen, nicht von der genialen Bildfülle poetischen Äottesgnadentums, aber von männlichem Ernst und starker Empfindung getragen. Gefühl, ja sogar oft, sehr oft die gute, alte, deutsche Schwermut sind die wesentlichsten Noten. Nebenbei in den Krieasgedichten noch ein Stück Liliencronscher Unerschrockenheit. Nur der Humor kommt zu kurz und wird mit einem einzigen satirischen Stück („ars poöticm") abaefunden, daß dieses Bändchen sowohl über der extravaganten, längsten, wie über der verwaschenen, ältesten Lyrik steht, muß man unbedingt feststellen. Es be- zeichnet zwischen beiden, extremen Richtungen die rechte, treffliche Mitte (nicht das böse Mittel m a ß). Ich setze einige bezeichnende Proben aus der Sammlung hierher. Für die StimmungSgedichte: 2 m Wald«. Wenn bräunlich sich die Buchen färben Und goldbelaubt die Birke steht, Dann fühlst du, wie ein großes Sterben Sanft durch die müden Walder geht. Des Todes Stimmen hörst du reden Im Wipfelwehn, in WÄI' und Wind, Wenn sich aus blassen Herbstesfäden Sein Sterbekleid der Sommer spinnt. Und wunschesmüd in ihre Tiefen Zieht deine Seele sich zurück. Wenn still in deiner Brust entschliefen - Die Klagen um erstorb'nes Gluck. Für die Sonette das Sonett. Sie liebt mich auch; gewiß in ihrer Ari Als höh're Tochter, sittig und bescheiden: So mag es die gestreWe Mutter leiden, Die emsig schon für Elsas Hochzeit spart. „Nur nicht so stürmisch. — Au, wie sticht dein Bart. Nicht wahr, du läßt ihn dir noch heute schneiden? Du mußt dies ungestüme Wesen meiden, Besonders, wenn es die Mama gewahrt." Ich aber denk an meinen Jugendschatz, Wie er mit losem Haar und heißen Wangen Sich zaghaft schlich zu unserm Gartenplatz. Die Finken schlugen und die Drosseln sangen. Jetzt siebt sie mich — und nun mit einem Satz Hat jubelnd sie an meinem Hals gehangen. Endlich für die Vierzeiler der Vierzeiler. Daß du nicht ganz verzagst Im Erdenstaube, Glaube, was du nur magst, Nur glaube. ^Valtsr D ursttnsb?'. Familie Schmidt. Von Max Grundmann. Verlag von Otto Weber in Leipzig. Man weiß wirklich nicht, was man mit dem Hefte an fangen soll. Die Gedichte und Geschichten in Leipziger Mundart sollen vielleicht humoristisch sein; dazu fehlts aber an Witz. Ist man jedoch tatsächlich einmal versucht, über eine Pointe zu lachen, so lst sie alt. In der Geschichte vom schlauen Herrn Lehmann arbeitet der Verfasser mrt ganz groben Mitteln. Statt jeder weiteren Kritik wollen wir ein Paar Stichproben aus der Lyrik deS Dichters unfern Lesern vorsetzen: Der Morgen. Ter junge Morgen schüttelt seine Mähne, Im Osten graut es, ferne krähen Hähne. Aus Schornsteinnüstern mächtiger Fabriken Sieht man sich nächt'aen Qualm gen Himmel drücken. Nach ihren Toren wälzt in dichtem Schwarme Sich Volk der Arbeit, Frühstück unterm Arme. . . . Ein Studio schwankt daher, beseelt vom Hosten, Daß bald nun die Lokale wieder offen. Aus einem andern Gedicht: . . . Und dennoch wogt eS glühend mir im Hirne, Naht sich das Flügelroß, der Pegasus! Schon brennt sein Mund aus meiner Dichterstirne, Die Leier her! Ich fühle seinen Kuß! Wir flüchten vor den Klängen seiner Leier. In einem Hymnus an „den Dichter" jagt Grundmann am Schluffe: „Gedichte liest so wie so kein Teufel in der Welt." Der Ver fasser dürste recht haben — bezüglich seiner eigenen Gedichte. H. Q. Icküller. Verantwortlicher Redakteur: Paul Zscharltch in Leipzig.
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