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Erzgebirgischer Volksfreund : 20.08.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192408204
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19240820
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19240820
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-08
- Tag 1924-08-20
-
Monat
1924-08
-
Jahr
1924
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 20.08.1924
- Autor
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Sus ter -eMen SeseWast ju Velersburg. Kürzlich erhielt ich nähere Nachrichten aus der deutschen Gesellschaft Petersburgs, die einst vor dem Kriege einen mäch tigen weitverzweigten Organismus innerhalb der Residenz dar stellte. Bis hinauf in die Hofkreise erstreckten sich die Fäden dieser, im allgemeinen gut bürgerlichen, etwa 65 006 Kopf zäh lenden deutsclien Gruppe der Bevölkerung. Sie besaß, von klei nen Kirchen und Bethäusern abgesehen, allein fünf große evan gelische Kirchen mit ihren Schulen, Wohltätigkeitsanstalten, sozialen Einrichtungen und zahlreichen Vereinen. Zwei große deutsche Tagesblätter fanden genügenden Absatz und politisch spielte die deutsche Partei, die sich zum Oktoberverbande hielt, eine gewisse Rolle. Der Krieg mit seiner wüsten Hetze gegen alles Deutsche hat schlimme Lücken in dies alte deutsche Kulturgebüude gerissen, dessen Fundamente auf Peter den Großen zurückreichten. Stand doch die deutsche „St. Petersburger Zeitung" in ihrem 188. Jahrgang, als sie im ersten Kriegsjahr von Nikolai Nikolajewitsch gewaltsam geschlossen wurde. Damit verlor die damals noch sehr große deutsche Gesellschaft das geistige Band, das sie zusammenhielt. Die Verschickung und Ausplünderung der Reichsdeutschen, die besonders stark in Handel und Indu strie vertreten waren, hatte schon vorher die Wohlhabenheit des Deutschtums schwer erschüttert. Die Russifizierung der berühm ten alten Kirchenschulen, die Schließung vieler deutscher Ver eine und Verfolgung alles Deutschen taten ein Weiteres, um das Deutschtum von der Bildfläche verschwinden zu lassen. In der Stille aber hat es sich erhalten. Die Revolution, sowohl die der Kerenski-Zeit, wie die des Kommunismus, trug keinen nationalistischen Charakter, doch hat namentlich die kommunistische Revolution das seinem Wesen nach bürgerliche Deutschtum naturgemäß schwer getroffen und einen großen Teil zur Abwanderung oder zum Aussterben ver urteilt. Obgleich auch jetzt der Terror keineswegs als über wunden zu betrachten ist, werden doch die furchtbaren Zeiten des Kriegskommunismus mit Hunger, Arbeitslosigkeit oder Zwangsarbeit als der Vergangenheit angehörig angesehen. Die Ueberlebenden haben sich mehr oder weniger angepaßt. Hierbei .fällt ins Gewicht, daß der Kommunismus keineswegs natio- nalistisch ist und im besonderen den Deutschen von allen Fremd- ländern am meisten schätzt. Selbst die Demonstrationen wäh. rend des letzten deutsch-russischen Konfliktes waren, wie mein Gewährsmann versicherte, von keinerlei Haßgeftihlen begleitet. Sie wurden in Petersburg „Pajok"demonstrationen genannt, d. h., die Arbeiter marschierten für einen Anteil (Pajok) auf die Straße. Doß das Deutschtum als solches nicht mehr gehaßt und bedrückt wird, wird naturgemäß als Fortschritt empfun- den, weswegen in der deutschen Gesellschaft wohl auch kaum der Wunsch nach einer Rückkehr zum Zarismus herrscht. Man tappt inbezug auf die Zukunft und ihre Gestaltung im Dunk- len und kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß die letzten Jahre kommunistischer Herrschaft nach Ueberwindung des Kam- munismus vielfach eine Besserung der Verhältnisse, eine feste staatliche Organisation und auch eine gewisse Sicherheit ge bracht haben. Das zeigt sich schon in, äußeren Bilde der Stadt MMNUM l» A«y! ÄS MMNUIldSUPNAM. Bon Richter Dr. W. Kiesel- Hamburg. pg«. Das Recht hat aus den wirtschaftlichen Erscheinungen seit dem Weltkrieg Folgerungen gezogen, denen im öffentlichen Leben nicht genügende Bedeutung beigemessen wird. Es sind Wandlungen im Rechtsleben bemerkbar, deren Tragweite in der Oeffentlichkeit nur wenig gewürdigt wird. Sie sind geeignet, die Kluft im Rechtsbewußtsein unseres Vol- ke» zu überbrücken, die in unseren Zeiten verschärfter wirt- schaftlicher und politischer Machtkämpfe noch künstlich vergrößert wurde. In einer Zeit, in der es mehr denn je geboten ist, aus einen Ausgleich aller inneren Gegensätze hinzuwirken, widerstrebende Kräfte zu wahrer Volksgemeinschaft zusammen- -uschweißen, schenkt man gerade einem Gebiete zu wenig Be- achtung, das für die Entwicklung und den Wiederaufstieg unseres Volkes von überragender Bedeutung ist, das einen Hort für eine ruhige und reibungslose Zusammenarbeit aller Stände darstellen soll und kann, dem Recht, der Bildung einer dem V olksganzen innewohnenden gleichmäßigen sicheren Rechtsüberzeugung. Das Recht ist dem Volke fremd geworden. Es war überaltert. Ein verderblicher, hier unangebrachter Konservativismus, ein den Gegenmartsaufgaben nicht angebrachter Hang zur Tradi- tion, zähes Festhalten an veralteten Begriffen tragen in einer Zeit überstürzter wirtschaftlicher Ereignisse eine Rechtsver wirrung in das Volk hinein mit der Folge, daß Volksgeist und gelehrter Rechtsgeist auseinanderfielen, wie nie zuvor. Es kann darum nicht verwunderlich erscheinen, daß im Rechts- leben täglich von neuem die Beobachtung einer fast unerklär lichen Verständnislosigkeit für Rechtsprobleme, eine Unsicher heit in der rechtlichen Beurteilung einfachster Rechtsvorgänge des. täglichen Lebens gemacht wird. Daraus erklärt sich das ungeheure Maß gegenseitigen Mißtrauens, die Versuche der Ausbeutung vermeintlicher Rechtschancen, der in das Wirt- schafts- und auch das Familienleben hineingetragene, zu Zer splitterungen und Auflösungen führende Unfriede. Nach vorsichtigem Tasten aus veralteten volksfremden Begriffen heraus hat das Recht neue Wege beschritten, auf denen die Kluft überbrückt, das Vertrauen zum Recht wieder hergestellt und der Boden für eine im ganzen Dolksbewußtsein wurzelnde Rechtsüberzeugung gewonnen werden kann. Noch fehlt es aber an einer klaren Erkenntnis dieser Wandlungen in der breiten doch unmittelbar daran interessierten Allge meinheit, um durch sie in fruchtbarer Nutzanwendung den Weg zur Erringung unserer inneren Geschlossenheit weiter gehen zu können, um den erforderlichen Grad gegenseitigen Verständnisses und gegenseitiger Duldsamkeit zu erreichen. Es zeigt sich wieder deutlich, daß die Verbindung zwischen ge lehrter Jurisprudenz und werktätigem Volk (Arbeitgeber so wohl wie Arbeitnehmer) so gut wie gar nicht vorhanden ist, weil sonst die umwälzenden Strömungen von epochaler Be deutung im ganzen Volke Widerhall gefunden haben müßten, mit der Folge einer beruhigenden ausgleichenden Wirkung. Und das ist eine der wichtigsten Aufgaben praktischer innerer Politik, die Aufnahme dieser Strömungen in das allgemeine Dolksbewußtsein zu fördern, hierdurch die wirtschaftliche 'Kampfatmosphäre zu reinigen und neuen Boden für Verstän digung und Fortschritt zu bereiten. Die Wandlungen, denen wir diese große innerpolitische Bedeutung beimessen, haben sich in der Theorie vollzogen und in der Praxis bereits erkennbaren Niederschlag gefunden. In der Theorie macht sich in immer breiterem Umfange die s o zial r e ch t k i ch e Auffassung des gesamten Rechts bemerk- bar, die Abkehr von der Auffassung, „das geschichtlich aus sozialen Kämpfen entstandene Recht als soziales Kampf- und Ausnahmerecht zu betrachten und vor allem in der wissen schaftlichen Behandlung gleichsam zu verewigen". Sie zeigt u- >eö gesu wari Ernt ein jene Red Fam puni wirk und Hau ein oder Dan Aehi Und ten? .N<h lich c Opfe ande Iunc gang Kirch Iunc mitk aus I eine Brr Zone Wol frist erst nau vers Bar .Sen den' kam das chen der sich' Räv stell beist emp Konferenz der Ministerpräsidenten. Berlin, 18. August. Am Dienstag vormittag 10 Uhr fin det in Berlin eine Konferenz der Ministerpräsi denten der Länder statt, die sich mit dem Ergebnis von London beschäftigen wird. ihm w o reiö blici rü gest um einc der die -ers mal auck scha geg. war ihre Pin« istr Offenburg wieder frei. Offenburg, 18. August. Der Befehl, Offenburg zu räumen, ging dem hiesigen Kommando heute sehr über raschend zu. Die Nachricht traf heute morgen gegen 4 Uhr ein. Alsbald machten sich die Truppen bereit, die Materialien und Gerätschaften zusammenzubringen. Sehr bewegt ging es in der hiesigen Kaserne zu, wo französische Truppen einguartiert waren. Im ganzen werden etwa 50 von den französischen Truppen beschlagnahmte Wohnungen frei. mH Nef inn blie Ml auf Adi er« auä wied tun nach, den Zinn des Hörei Nitz i mit den wieder hergestellten Straßen, der erneuerten Wasser- leitung, den arbeitenden Fabriken, dem instandgesetzten Hafen, den gefüllten Läden, den festen Preisen usw. Die deutschen Kirchenschulen geben vielleicht den besten Beweis dafür, daß neues Leben aus den Ruinen zu sprießen begonnen hat. Die Katharinen-Schule ist ja schon 1918 geschlossen worden, aber die Petri-, Annen- und Reformierte Schule haben eine so große Schülerzahl, wie nie vorher und er freuen sich der größten Beliebtheit nicht nur in der deutschen Gesellschaft, sondern auch in weiten Kreisen der russischen. So kommt es, daß für die einzelnen Klassen bis zu 5 bis 6 Paral lelklassen haben eröffnet werden müssen, die nach Kenntnis und Beherrschung der deutschen Sprache seitens der Zöglinge, Kna ben und Mädchen, besetzt werden. Hierbei ergeben sich große Vorteile des Unterrichts. Die Petri-Schule unter Direktor Klei nenberg, die Annen-Schule unter Direktor Sauerbrey, und die Reformierte Schule unter Direktor Gyde haben ihre alten Ge bäude, die ihnen zur Kriegszeit großenteils gyraubt waren, wieder erhalten und nutzen sie voll aus. Es will viel sagen, daß sich die Schulen ohne Unterstützung aus eigenen Mitteln haben erhalten und ihre großen teilweise ruinierten Gebäude haben instandsetzen können. Für Schullehrer besteht keine Prüfung inbezug auf kommunistische Gesinnung in der sog. „Politgramota" wie für Beamte und Professoren. Die Schul verhältnisse sind im allgemeinen gewiß schwer und man muß feststellen, daß die deutschen Schulen, dank der deutschen Unterrichtssprache, die ihnen zuerkannt ist, eine gewisse Aus nahmestellung einnehmen. Es liegt unzweifelhaft das Bestreben der kommunistischen Behörden vor, mit allen Mitteln die einstige Bourgeoisie und deren Abkömmlinge zurückzudrängen und durch neu aufkom mende Elemente proletarischen Ursprungs zu ersetzen. So be steht jetzt das Projekt, die Oberstufe der Schulen in drei Ab teilungen zu teilen, von denen nur die erste, die sog. „wirtschaft liche", das Recht zum Besuch von Hochschulen gewähren soll. Die Hochschulen sind zur Erreichung desselben Zweckes einer sog. Reinigung von untüchtigen Studenten unterworfen wor den. Hierbei wurden etwa 6000 Studenten aus den etwa 25 Hochschulen Petersburgs ausgeschlossen. Das hat wiederum, wie einst zur Zarenzeit, zu regelrechten Studentenunruhen ge- führt, die mit aufgeregten Versammlungen (Sschodki.) begannen und sich schließlich in Straßendemonstrationen Lust machten. Man sperrte die Unzufriedenen «in und verschickte sie nach Wologda, nachdem sie drei Tage im Gefängnis unausgesetzt: „Fort mit den Gewalttätern!" (doloi nassiljnikow!) gesiyrieen hatten. In Wologda wurden sie still. In der Sowjetpresie ist natürlich davon nichts zu lesen. Der Geist der Professorenschast hat sich im allgemeinen gut erhalten, und die Wissenschaft lebt. Auch wird die Lehrfrei- heit durch die Regierung keineswegs beschränkt: Die Wahl der Professoren erfolgt durch drei Kurien, wobei sich die Stu denten durchaus als einsichtig und gerecht erwiesen haben. Im allgemeinen must fcstgestellt werden, daß das wissenschaftliche Niveau der Studentenschaft stark gesunken ist, dennoch ist es anzuerkennen, daß es unter dem aufrückenden Proletariat viele gute Köpfe ünö ankerst fleißige Arbeiter gibt, freilich sind ein Die Abänderung de« Reichswahlgesetze«. Berlin, 18. August. Die Ausschüsse des Reichsrates be- schäftigen sich heute mit einer Vorlage betreffend Abänderung des Reichswahlgesetzes. . Diese Vorlage. hat bereits vor den letzten Reichstagswählen in den politischen Erörterungen eine Ralle gespielt. Mit Rücksicht auf die bevorstehenden Neuwah len erklärten aber die Parteien, daß „aus technischen Gründen" die Vorlage vom Reichstag nicht mehr erledigt werden könnte. Die französtsch-belgisch-deutschen Wirtschaftsverhandlungen. BrSffel, 18. August. „Etaile Belae" meldet, die deutsche Regierung habe vorgeschlagen, daß die Verhandlungen zwischen Deutschland und Belgien zur Ausarbeitung eines Wirtschaft« lichen modus vivendi am 1. September beginnen. Die Der« Handlungen sollen in Berlin stattfinden, da die Reichsminister und die hohen Reichsbeamten, welche die Verhandlungen -U führen hätten, mit Rücksicht auf die bevorstehende Zugang- setzung des Dawesplanes in Deutschland bleiben müssen. Berlin, 18. August. Da« Mitglied der deutschen Delega- tion für London, Staatssekretär Weißmann, ist in London an Scharlachsieber erkrankt und mußte in ein Hospital gebracht werden. . München, 18. August. Heue vormittag sind di« Mitglie der der bayrischen Staatsregierung zu einem Ministerrat »ss sammengetreten. Gegenstand der Beratungen ist in m Hauptsache das Ergebnis derLondonerKonferenz. Der bayrische Ministerpräsident Dr. Held wird heute abend nach Berlin abreisen zur Teilnahme an den am Dienstag beginnen den Besprechungen der Ministerpräsidenten der deutschen Län der mit der Reichsregierung. - Frankfurt a. M., 18. August. Das französische Kriegsge richt in Mainz hat das gegen eine Reihe von Personen au« Pirmasens, Bad Dürkheim und anderen pfälzischen Orten wegen Mordes eingeleitetc Verfahren eingestellt und die in Untersuchungshaft Befindlichen freigelassen. Es handelt sich um jene Pfälzer, die in dem Abwehrkampf gegen die Separa tisten aktiv eingegriffen hatten. ' Lari«, 18. August. Der Ministerpräsident, der Kriegs minister, der Finanzminister und der Arbeitsminister sind heute abend 6 Uhr in Paris eingetroffen. Sie wurden am Bahnhofs von den übrigen Ministern und dem britischen Geschäftsträger empfangen. Dor dem Bahnhofe hatte sich eine große Men- schenmenge eingefunden, die unaufhörlich rief: Cs lebe der Friede, es lebe Herriot! , Paris, 18. August. Die Agenee Havas kündigt eine Aus-' einandersetzung von großem Umfange an. Es würden zwei, vielleicht auch drei Tage erforderlich sein, bis in der Kammer die Schlußabstimmung erfolgen könne, die zweifellos dem Kabi nett ein Vertrauensvotum einbringen werde. Darauf werde die Regierung vor dem Senat über die Londoner Ver handlungen berichten, worauf die Parlamentssession abgeschlos sen werden dürste. Eine Warnung. Frankreich konstruiert Beweise zur Verewigung der Militärkontrolle. Dem „Grenzboten" in Bregenz a. d. Brenz in Württem berg wird aus gut unterrichteten Kreisen gemeldet: Aus den verschiedenen Teilen des Deutschen Reiches geht uns gleichzeitig die Mitteilung zu, daß bei einer großen Reihe von Firmen, die im Kriege sich mit der Herstellung von Munition befaßt haben, eine Anfrage eingelaufen ist, ob und unter welchen Bedingungen sie bereit und im stände wären, für neutrale Staaten Munition zu liefern. Die Anstagen sind sehr harmlos gehalten, sie stammen zum Teil aus dem Inlande, zum Teil aus dem Auslande, aber gerade diese Häufung deutet doch darauf hin, daß es sich upr ein ganz hinterlistiges Attentat handelt, dessen geistiger Ausgangspunkt in Frankreich zu suchen ist. Der Grundgedanke ist ja wirklich einfach, und man weiß draußen, daß es der deutschen Industrie nicht gut geht, daß zahlreiche Betriebe stillgelegt sind oder mit Verlust arbeiten daß also ein Angebot, aus dem sich irgendwelche Verdienst großer Prozentsatz davon Juden. Diese werden großenteils als zukünftige Professoren „beim Katheder belassen", wie der technische Ausdruck lautet. Die alte Bourgeoisie, die jetzt noch großenteils in der Eigenschaft als Spezialisten unentbehrlich ist, hat die Aussicht, im Laust von vielleicht zehn Jahren durch die neue proletarische Bourgeoisie verdrängt zu sein. Hand in Hand damit geht eine außerordentliche Verjudung der auf kommenden gebildeten Schicht. Ein charakteristischer Zug der Gesellschaft — nicht etwä bloß der deutschen — ist die Hochhaltung der Tradition in einer früher nie geahnten Weise. Dieser Zug kommt z. B. der Kirche zugute, für die viele gern in die Tasche greifen, dies früher dem Kirchenwesen völlig fernstanden. Im Uebrigen soll hier nicht auf den Neubau der evangelischen Kirchen eingegan^ gen werden, der in seinen Grundzügen bekannt ist. Bezeichn nend ist es, daß die Zusammenkünfte der früheren Schüler der Kirchenschulen, die in alter Zeit meist wenig besucht waren,' jetzt bis 1000 Teilnehmer zu verbinden pflegen. Die Liebe' zur Tradition treibt zuweilen recht merkwürdige Blüten. Als» Beispiel sei ein Symphoniekonzert im Sommergarten ange führt, in dem ein berühmter Dirigent unter anderem die Symphonie 1812 von Tschaikowski zu dirigieren hatte. Diest klingt bekantlich in die Nationalhymne „Gott schütze den Zaren" aus. Der Dirigent befüchtete schlimme Folgen und wandte sich deshalb an die Behörde mit der Anfrage, wie er sich zu verhalten habe. Diese resolvierte, daß ein klassisches Kunst werk unverändert zu geben sei. Als die Zarenhymne erklang, soll sich das gesamte Publikum erhoben haben. Ein unerwar teter Erfolg. . ! Doch zurück zur deutschen Gesellschaft. Der „Deutsche Ver ein", jetzt unter der Leitung von Professor Wulffius, veran staltet wie einst Vortrags- und Gesellschaftsabende. Auch die ausgezeichnete Bibliothek des einstigen „Bildungsvereins", die setzt in der Petri-Schule untergebracht ist, arbeitet wieder. Von den deutschen Hospitälern ist das Alexandrinen-Stift, jetzt in unerwarteter Pietät auf den Namen seines früheren Leiters Dr. Wiedemann getauft, der deutschen Gesellschaft entzögen und führt ein trauriges Dasein. Auch das Evangelische Hospi tal ist jetzt Tuberkuloseheilstätte. Nur die Schwesternschaft des alten Diakonissenhauses hat sich hier erhalten. Dagegen ist das einstige „Deutsche Alexandrinenhospital kür Männer", das dem deutschen Roten Kreuz untersteht, wieder ganz in deutschen Händen. Die große-Masse der deutschen Wohltätigkeitaanstal- ten hat die Not der Revolutionszeit fortgefegt. Ihre Insassen, alle die Greise, Müden, Irren und Schwachen, sind wohl größ tenteils gestorben. , Entsprechend dem Geist der Zeit, der den äußeren Schein Uber alles schätzt, sind dagegen die Museen aufgeblüht. Ihrs Zahl hat sich stark vermehrt, und die alten, vor allen Dingen di» Eremitage, sind in jeder Beziehung reichhaltiger und besser ge worden. Ein merkwürdiges Resultat der sozialen Revolution: die Stätten der sozialen Fürsorge geschlossen, die Pracht der Museen erhöht. Vor der Revolution hätte man das Gegenteil erwartet- Berlin im August 1924. sich am stärksten in der arbeitsrechtticken Theorie, di« di« Be ziehungen »wischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer „im Ginne einer Abstimmung der beiderseitigen Belange zu einer ge nossenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft" auffaßt mit dem Ziel, „die sachliche,. berufliche Grundlage jener nationalen Ge schlossenheit des Dolksganzen" herbeizuführen, die „die Ge währ für einen Aufstieg von ungleich größerer Zuverlässigkeit sein soll, als die des Aufstiegs zu Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts gewesen ist". Im Einklang mit dieser Theorie steht der vom Reichsgericht jüngst zum Siege verhol- fene und zum Rechtsdogma gestempelte Gedanke der wirt schaftlichen Schicksalsgemeinschaft der Be triebe, mit dem es sich in bewußten Gegensatz zu den aus individualistischen Prinzipien geschaffenen Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches stellt und das Bestehen einer sozialen Arbeits- und Detriebsgemeinschaft anerkannt hat, die das Verhältnis aller Betriebe beherrscht. Als fundamentalen Grundsatz hat es ausgesprochen, daß der Arbeitnehmer nicht mehr ein bloßes Werkzeug des Unternehmers, sondern ein lebendiges Glied der Arbeitsgemeinschaft ist, hat es „das ge meinschaftliche Zusammenarbeiten von Unternehmer und Ar beiterschaft als Grundlage" bezeichnet. Damit ist eine epochale Wandlung der Rechtsauffassung, von der bisher herrschenden individualrechtlichen zur sozial rechtlichen vollzogen. Daß sie auch nicht den Sieg auf der ganzen Linie davongetragen hat, darf nicht verwunderlich er scheinen. Neue Gedanken bedürfen Zeit zu ihrer vollen Aus reifung und praktischen Auswirkung, Noch immer sehen wir Entscheidungen, die diesem Gedanken zuwiderlaufen. Aber der Gedanke marschiert, und er wird es um so mehr und gründ licher tun, als er die Auffassung des gesamten Volkes zu be- herrschen sucht, Gemeingut und damit zu einer selbstverftänd- lichen Forderung gewogen ist. Die Entwicklung zu fördern und zu beschleunigen, ist Zweck dieser Zeilen. Das Recht schafft sich nicht selbst in isolierter Betrachtung, sondern ist der Aus fluß sich bildender und wandelnder Volksüberzeugung. Je mehr die Allgemeinheit sich dessen bewußt wird, je stärker die innere Anteilnahme an dieser sie unmittelbar berührenden Entwicklung ist, je häufiger sie ihr beredten Ausdruck gibt, um so mehr hat sie lebendigen Einfluß auf die Gestaltung ihrer eigensten Belange.
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