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Sächsische Amts- und Anzeigeblatt für Schandau, Sebnitz nnd Hohnstein Die „Sächsische Elb-Zeitung" erscheint regelmäßig Freitags und ist durch die Expedition in Schandau, sowie durch alle Postanstaltcn für 10 Ngr. Vierteljahrs, zu beziehen. — Inserate nehmen an: Hr. Buchbindcrmstr. Broscy in Sebnitz, Hr. Kammerer Hesse in Hohnstein u. Hr. Kaufm. Angermann in Königstein, welche man an erwähnten Geschäftsstellen spätestens bis Mittwoch Abend, in der Erpcdition d. Bl. aber bis Donnerstag früh 9 Uhr abzugcben bittet. Xi'. 24. Freitag, den 14. Juni 1861. Graf Cavonr. Die Nachricht vom Tove dieses Mannes wird von der gesammten Presse, welche sich bis jetzt darüber äußerte, als ein Ercigniß von der größten politischen Tragweite aufgcfaßt. Die liberalen Wiener Zeitungen erblicken darin eine Mahnung für Oesterreich, schnell mit dem konstitutionel len Aufbaue zu Stande zu kommen, bevor die europäische Welt von einer neuen, liberalen Ideen weniger günstigen Wendung ergriffen würde. In diesem Sinne schreibt die „Presse": „Mitten an der Arbeit, auS dem Getriebe einer riesenhaften politischen Thätigkeit, rief der Tod ihn ab. Er hinterläßt Italien als Torso, noch unorganisirt, und, waü ihn in seiner letzten Stunde am schwersten gedrückt haben mag, mit der vollen Uebcrzeugung, daß eS in ganz Italien keinen Mann gebe, stark genug, das Werk zu vollenden, das er unfertig hinterlassen. Denn seine schlimm sten Feinde werden Cavour das Verdienst nicht bestreiten, daß er, wie man auch die Mittel beurtheilen mag, die e» zur Erreichung seiner Zwecke in Bewegung setzte, nicht nur ein kühner Politiker, sondern auch ein an Hilfsquel len unerschöpflicher Minister und ein Arbeiter war, wie Italien keinen zweiten besitzt. Zunächst also wird von Cavour's Tode Italien selbst am schwersten getroffen, denn cs hat Niemand, der ihn auch nur theilwcise zu ersetzen vermöchte. Er war nicht Italiener, sondern Piemontese von Hauö aus, und die Piemontisirung Italiens schien ihm das einzige praktische Mittel der Einigung. Ein Italien durch sich selbst vermochte er sich nicht zu denken, sondern nur ein Italien durch Piemont. Er hat hierin geirrt, und die Compromiffe, die er mit Napoleon schloß, haben manchen seiner Pläne im Keime vereitelt; aber - kein italienischer Staatsmann vor ihm hat auch nur an nähernd seine Resultate erreicht. Wären die Italiener nicht heute noch, worüber schon Macchiavelli jammerte, ein unmilitärisches, wandelbares, mehr in Gefühlen alü in Thatcn schwelgendes Volk; wäre der nationale Gedanke mächtig genug gewesen, ein nationales Heer von der Stärke zu schaffen, die sich für ein Volk von 24 Millionen geziemt, sie könnten heute den Verlust ihres ersten und einzigen Staatsmannes leichter ertragen. Cavour war ein Whig und kein Revolutionär; er glaubte mit den Mitteln einer klaren, nüchternen Politik, mit der disciplinirten und combinirtcn Macht' die Zwecke der Revolution auf regu lärem Wege erreichen zu können. Das war der Fehler in seiner Rechnung; er unterschätzte den Enthusiasmus, diesen Grundzug im Charakter des italienischen Volkes, er überschätzte dessen politische Einsicht; er verschmähte die Ausbeutung der Leidenschaften, und rechnete auf eine Alles bezwingende Macht deö Geistes, die in den Massen nicht vorhanden war. Dieser Febler zwang ibn zu unlautern Mitteln; er verschacherte Savopen und Nizza, um den Besitz Mittel-Italiens zu erlangen, und dieses Auskunfts- Mittel deö praktischen Politikers ward ibm verderblich. Er mußte entweder, um die französische Allianz und Italien zu retten, die Ländcrgier neuerdings sättigen und damit seine Popularität über Bord werfen, oder er mußte den Muth haben, mit-Frankreich zu brechen, sich auf die von ihm geringgeschätztc nationale Kraft Italiens verlassen und -sich Mazzini und Garibaldi in die Arme werfen. Eine solche Alternative ist wahrlich furchtbar genug, um die größte Energie zu brechen und den besonnensten Politiker zur Verzweiflung zu treiben. Der Tod hat Cavour aus diesem für ihn martervollen Dilemma befreit, aber die Geschicke Italiens neuen Wechselfällen prciögegebcn. Die Wahl, welche er nicht mehr treffen konnte, werden Andere zu treffen gezwungen sein, und Italien stürzt entweder noch tiefer in die französische Knechtschaft, oder die Actions partei gelangt in Turin ans Ruder und entfesselt schließ lich alle Dämone einer europäischen Neaction. Es wäre gewagt, heute schon die Conscqucnzcn des Verschwindens Cavour's vom politischen Schauplatze nach allen Richtungen hin ermessen zu wollen. Zunächst ist eine der mächtigsten Stützen deö englischen Einflusses in Italien gebrochen und den französischen Plänen auf der apenninischen Halbinsel ein weites Feld eröffnet. In Wien, in Nom, in den Tuilerien, in der Behausung Mazzini's zu Genf oder London und auf Caprera wird die Kunde von Cavour's Tode mit stiller Freude begrüßt werden. Sei es, daß der Absolutismus oder die Revolution den Versuch macht, die Neaction ist in beiden Fällen unvermeidlich, und die konstitutionelle Monarchie weder in Italien, noch in Oester reich, noch anderwärts hat dabei etwas zu gewinnen. In dieser Beziehung ist der Tod Cavour's ein harter Schlag für die Sache deö Constitutionaliömus in Europa, und so sehr Cavour auch ein Feind Oesterreichs war, die Er innerung an die heilsame Umkehr, die in unserm Vater- lande nach Villafranca staltfand, ist noch zu frisch in unserm Gedächtnis), als daß uns die Kunde von dem Tode dieses politisch bedeutendsten aller jetzt die Völker Europas regierenden Minister einen Schrei des Triumphes zu ent reißen vermöchte."