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Erzgebirgischer Volksfreund : 08.10.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192410083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19241008
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19241008
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-10
- Tag 1924-10-08
-
Monat
1924-10
-
Jahr
1924
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 08.10.1924
- Autor
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Frankreich» Antwort auf da» Dölkerbundsmemoranbu». Berit«, 6. Oktober. Wie bas Wolffbureau erfährt, ist die Antwort der französischen Regierung auf das Memorandum der Reichsreglerung vom 29. September über den Eintritt Deutschlands tn den Völkerbund heute abend hier einge gangen. Der Inhalt der Antwort läßt sich kurz dahin zu- sammenfaffen, daß die französische Regierung gegen einen st ä n- di gen Rats sitz Deutschlands Einwendungen nicht er heben wird. Es wird jedoch die Erwartung ausgesprochen, daß der Aufnahmeantrag ohne Vorbehalt und Be dingungen gestellt wirb. Die Antwort der französischen Regierung und das Memorandum vom 29. September werden veröffentlicht werden, sobald die Antworten der übrigen Rats- Mächte vovliegen, was in wenigen Tagen der Fall sein dürfte. Was Frankreich hier antwortet, macht den deutschen Bei- tritt zum Völkerbund zwecklos. Gerade die „Dorbchalte und Bedingungen" für den deutschen Antrag, nämlich der Kriegs- lügenwiderruf, die Umstellung der Kolonialmandate und über- Haupt die Nachprüfung des Versailler Diktats, das sind allein die Momente, die einen Beitritt Deutschlands zum Völkerbund als zweckmäßig erscheinen lassen könnten. Verweigert man uns diese Vorbehalte und fordert man damit eine neue Aner kennung -es Versailler Diktats, dann kann es für uns Deutsche Nur heißen: Hände weg vom Völkerbund! Uebergabe der Regiebahnen am 16. November. Berlin, 6. Oktober. Die Verhandlungen zwischen der Deutschen Reichsbahngesellschaft und der Regieverwaltung wegen der Uebergabe der Rogiebahnvn sind nunmehr soweit zum Abschluß gebracht, daß als Termin für die Ueb ergäbe der 16. November festgesetzt worden ist. Da in den Londoner Abmachungen als spätester Termin der 7. Dezember festgelegt worden war, bedeutet dies eine für die Deutsche Reichsbahn und die deutsche Wirtschaft willkommene Regelung. Die Ueber gabe der Regiebahnen in der Dortmunder Zone wird gemäß den getroffenen Abmachungen mit den Ländern bereits vor dem Uebergabetermtn der Regiebahnen erfolgen; es ist dafür der 19. Oktober in Aussicht genommen. * * Reue Verhaftungen dnrch die französische Besatzungsbehörde. Neustadt a. H., 6. Oktober. Die französische Besatzungsbe- horde hat elf junge Leute verschiedener Berufszweige wegen Zu gehörigkeit zu einer im besetzten Gebiet verbotenen Vereinigung verhaftet. Sie trugen Hakenkreuze und Stahlhelmabzeichen. O Köln, 6. Oktober. Die Besatzungsbehörde hat über den Ort Moedraht im rheinischen Braunkohlenrevier wegen Beleidigung eines englischen Offiziers die Verkehrssperre von 8 Uhr abends bis 4 Uhr morgens verhängt. * Mainz, 6. Oktober. Für die bei dem Mainzer Eisenbahn- Unglück ums Leben gekommenen Deutschen fand gestern vor mittag in der Kapelle des städtischen Friedhofes eine eindrucks volle Trauerkundgebung statt, in deren Verlauf im Auftrage 'des Oberkommissars der Rheinlandkommission Tirard der stell vertretende Oberdelegierte Bastiani an jedem der vier Särge einen Kranz niederlvgte. Ebenso erfolgten Kvanznie-erlegun- gen seitens der Direktion und des Personals der Regie und des französischen Armeebischofs. Für den verunglückten fran- zösischen Regiebeamten Gremier wurde eine Trauerfeier im französischen Militärlazavett abgehalten. Gerüchte über eine Ausweisung Hitlers. Berlin, 6. Oktober. In bayrischen Blättern wird erneut mit aller Bestimmtheit die Behauptung aufgetischt, daß der bayrische Ministerrat bereits die Ausweisung Hitlers beschlossen habe und daß die ganze Manipulation, die jetzt vorgenommen würde, nur Verschleppungstaktik sei. Die „Deutsche Tageszei tung" veröffentlicht daraufhin folgende authentische Mitteilung aus München: Alle Meldungen, die über die Behandlung des Verfahrens in der Öffentlichkeit erschienen sind, sind tenden ziös. Der bayrische Ministerrat hat sich bis zur Stunde über haupt noch nicht mit der Hitler-Angelegenheit beschäftigt und wird es auch nicht tun, bevor nicht die gerichtlichen Stellen die Angelegenheit erledigt haben. München, 6. Oktober. Das Oberlandesgericht hat in der Strafsache gegen Hitler, Kriebel und Dr. Weber wegen Hochverrats beschlossen, die Entscheidung über die Be schwerde des Staatsanwaltes gegen die durch Beschluß des Landgerichts München 1 vom 25. September 1924 mit Wirkung vom 1. Oktober 1924 erfolgte Bewilligung einer Bewährungs ¬ frist für Hitler und Kriebel bis zur hinreichenden Klärung 5er Frage auszusetzen, ob Hitler und Kriebel sich an der Gründung des Frontbanner» und an der Fortführung verbotener Ver bände beteiligt und der Verdacht von Zuwiderhandlungen gegen die Dorschrlfkn des Strafgesetzbuches Uber Geheimbündelei oder gegen die Vorschriften des Republikschutzgesetzes oder gegen die Verordnung des bayerischen Generalstaatskommissars vom 9. November 1923 begründet ist. k . Herriots innere Mißerfolge. Senf, 6. Oktober. Nach Pariser Meldungen haben am Sonntag im SeineLepartement 13 Versammlungen gegen die Teuerung stattgefunden. Das Wochenende hat in Paris weitere Preissteigerungen von 15 bis 20 Prozent gebracht. Die Beun- ruhigung der Bevölkerung zeigte sich in den Versammlungen, die außerordentlich zahlreich besucht waren und zum Teil stür- mischen Verlauf ncchmen. Die linksstehende „Humanite" geht gemeinsam mit dm Blättern der Rechten gegenHerriots Politik vor, die in London die Besserung der Lage Frank- reichs bringen wollte, statt dessen aber zu einem neuen Fran- kensturz und zur Verdoppelung aller Lehens- mittelpreife geführt hätte. Maedonald droht mit Parlamentsauflösung. London, 6. Oktober. Die Einigung zwischen Liberalen und Unionisten im Kampfe gegen das Kabinett Macdonald hat zu der Erklärung des Premierministers geführt, daß ein Miß- trauensvotum keinen Rücktritt des Kabinetts, sondern die Auflösung des Unterhauses bringen würde. Der Kampf um Schanghai. Peking, 6. Oktober. Einem amtlichen Pekinger Bericht zu folge haben die Regierungstruppen im Norden an der Front von Schanghaikwan Hungtschuangtau einge- nommen. Nach einer weiteren Meldung haben an der Front vor Schanghai die Kiangsu-Truppen die Stadt Ehin - Sin an der Küste südlich von Schanghai eingenommen, so -aß Schanghai nunmehr von drei Seiten eingeschlossen ist. Aufleben der Marokko-Kämpfe. London, 6. Oktober. „Daily Telegraph" berichtet aus Te- tuan, daß wieder heftige Kämpfe an der Uerghafvont im Gebiet des Beni Zeruad-Stammes, nordwestlich von Fez zwischen Mauren und den die französischen Posten be- wachenden Truppen stattgefunden hätten. Die Lags verursachte den französischen Behörden Besorgnis. Marschall Lyautey werde deshalb seinen Aufenthalt in Frankreich ab kürzen und unverzüglich nach Rabat zurückkehren. Leipzig, 6. Oktober. Der vierte Strafsenat des Reichsge richts verurteilte heute den Schriftsteller und Handlungsange- steltten Döhmel wegen Spionage zu 10 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust. Die Belohnung von 170 Goldmark, die der Angeklagte erhalten hatte, wurde dem Reich für verfallen erklärt. Den Schwerpunkt der Tat bildete die Auslieferung einer militärisch-eisenbahntechnischen Arbeit an die Franzosen. Berlin, 6. Oktober. Der japanisch «Botschafter weilte gestern über eine Stunde im Auswärtigen Amt. Sein Besuch galt der Gewährung der Meist-egün stigu ng als Grundlage der anfangs November beginnenden deutsch-japa nischen Handelsvertragsverhandlungen. Berlin, 6. Oktober. Der Verkehrsausschuß des Reichstages hat den Gesetzentwurf zurAend erung des P ost g e s etz es angenommen, der den Zweck hat, die durch das Postgesetz ge regelte Ersatzleistung für Pakete ohne Wertangabe und für Ein- schreibesendungen auf Goldmarkbeträge umzustellen. Das neue Gesetz tritt am 1. November in Kraft. Berlin, 6. Oktober. Der Reichspräsident empfing heute nachmittag eine Abordnung der Teilnehmer des zur Zeit hier tagenden 23. Weltfriedenskongresses. Berlin, 6. Oktober. Aus Anlaß des 150. Geburtstages Spontinis fand heute in der neuen Aula der Universität eine von der Zeitschrift „Eultura" gemeinsam mit der Direktion des Romanischen Seminars der Universität Berlin veranstaltete Gedächtnisfeier statt. Stockholm, 6. Oktober. Nachdem die Demokraten sich den Sozialdemokraten in der Militärfrage angeschlossen haben, steht die Bildung einer sozialdemokratischen Re- gierung unter der Führung Brantings bevor. Branting ist für kommenden Freitag zum König berufen worden. London, 6. Oktober. Blättermeldungen aus Konstantinopel zufolge ist dort der französische Vertreter der Meerengenkom mission M WW" MDWWM'WeWb« H'tVvt'kt Alter von 81 Jahren gestorben. Pari«, 6. Oktober. Nach hier eingetroffenen Meldungen aus Kairo hat Emir Ali den ihm angebotenen Thron vom Hedschas angenommen, das Kalifat aber abgelehnt. Pari», 6. Oktober. Der zurzeit hier weilende künftige mexikanische Präsident Ealles erklärte Pressevertretern, daß die Meldung der „Chicago Tribune", der zufolge 1000 mexi kanische Soldaten unter dem Befehl des Genevals Carrova re voltiert hätten, weil er (Calles) zum Präsidenten gewählt worden sei, eine Erfindung der Partei Huertas fei. In Mexiko herrsche vollkommene Ruhe. Sofia, 6. Oktober. Zwischen allen Ballanregierungen ist eine Abmachung zustande gekommen, nach welcher sie von der österreichischen Regierung die Auflösung der Sowjet- propagandazentrale in Wien zur Herstellung der Ruhe und Ordnung auf dem Balkan verlangen werden. Havanna, 6. Oktober. Während der Wahlkämpfe kanr es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Anhängern des Expräsidenten Menokal. Sieben Personen wurden ge- töte t, 53 verwundet, 18 davon schwer. OerMche An-elegenhetten. ? " Das Disziplinarverfahren gegen Arzt. Die Nachrichten stelle der Staatskanzlei teilt mit: Das Diszivlinarverfahren gegen den Bezirksschulrat und Abgeordneten Arzt ist seit Ende März 1924 anhängig und geht seitdem seinen vorgeschriebenen Gang. Nachdem die Voruntersuchung im Juni zum Abschluß gebracht worden war, mußte zunächst das Ergebnis des Ermitte lungsverfahrens abgewartet werden, das die Staatsanwaltschaft Leipzig auf Arzt's Antrag wegen eines beleidigenden Artikel» der „Leipziger Neuesten Nachrichten" eingeleitet hatte. Die Staatsanwaltschaft hat es vor kurzem abgelehnt, die Strafver folgung -es Schriftleiters der „Leipziger Neuesten Nachrichten" wegen Beleidigung des Abgeordneten Arzt im öffentlichen! Interesse zu Wernehmen, sodaß nunmehr das Disziplinarver fahren seinen Fortgang nimmt. * Weiterer Rückgang der Betriebsstillegungen. Die Zahl der beim sächsischen Arbeitsministerium eingelaufenen Anzeigen über Betriebsstillegungen ist in -er zweiten Hälfte des Septem bers weiter zurückgegangen. Sie beträgt für die Zeit vom 16. bis 30. September 40 (1. bis 15. September 53, 16. bis 31. August 89). Don den neuen Anzeigen entfallen auf Ziegeleien 2, auf Glashütten und Glasschleifereien 4, auf Betriebe der Me tallverarbeitung 7. Die Industrie der Maschinen, Instrumente und Apparate weist auch diesmal mit 18 die höchste Zahl der Anzeigen auf. Die chemische Industrie ist mit 1 Anzeige, die Textilindustrie mit 2, die Papierindustrie und die Industrie der Holz- und Schnitzstoffe mit je 3 Anzeigen vertreten. Je 1 An zeige entfallen noch auf die Industrie der Nahrungs- und Ge nußmittel, -es Bekleidungsgewerbes und die Buchdruckereien. * Dezirksobstausstellung. Die Ausstellungsgegenstände aus Schwarzenberg und Umgebung wird Dampfwalzen besitzer Reiher am Freitag gegen Mittag nach Aue befördern. Die Aussteller werden ersucht, ihre Früchte, Konserven usw. gut verpackt am Freittvg Vormittag an Hrn. Reiher abzuliefern. * Die Hochzeitsfeier in Sibyllenort. Zur Feier der Ver mählung der Prinzessin Anna mit dem Erzherzog Joseph Franz waren in Sibyllenort alle Mitglieder des Königlichen Hauses, der Fürst und die Fürstin Thurn und Taxis als Vertreter Ler Eltern des Bräutigams, Las Erbprin zenpaar und das Prinzenpaar Franz Joseph von Hohenzollern, Staatsminister Gräf Metzsch mit Gemahlin, der König!, uttgari- sche Gesandte in Berlin, Frhr. v. Emich und andere eingetrof- fen. Welche Liebe die Prinzessin in Sibyllenort und seiner Um- Hebung genossen hat, geht aus der herzlichen Anteilnhame von Hoch und Niedrig hervor. Sie hat mit unermüdlicher Tatkraft sich in den Dienst der Nächstenliebe gestellt, hat manche Träne getrocknet, Kranken, Armen, Alten und Gebrechlichen nach Kräf- ten beigestanden und sich auch dnrch Anlegen und Führung von Volksbüchereien verdient gemocht. So sicht man die Prin- zessin mit Wehmut scheiden. Nachdem in den letzten Tagen dis Nachbarschaft, die Gemeinde, die Pächter und die Beamten der Herrschaft Sybillenort Gelegenheit gehabt hatten, sich von ihr unter Ueberrenhen sinniger Geschenke zu verabschieden, brachten am Freitag abend die Arbeiter und Arbeiterinnen aus Forst, Garten und Feld einen prächtigen Fackelzug -ar. 'S Aue, 7. Okt. In einem mit Fischen besetzten Privatteichs wurden 7 Bisamratten (2 alte und 5 junge) erlegt. Schwarzenberg, 7. Okt. In der Nacht zum Sonnabend wurde in das Gasthaus St. Katharina eingebrachen. Nennens werte Deute ist den Dieben nicht in die Hände gefallen. Schwakenberg, 7. Okt. Dem Samariter Kurt Walther wurde die Ehrendenkmünze am fchwarz-weiß-roten Bande ver liehen. Lichter in -er Nacht. Skizze von GreteMasse- Hamburg. Alle Mitreisenden hatten den Zug verlassen. Inge Diehl war ganz allein im Abteil. Die letzten Mitfahrenden, eine junge Mutter mit einem blonden Kind, waren soeben ausge- stiogen. Ein Mann ihnen entgegengeeilt. Er hatte Lie Frau geküßt und das Kin- empovgehoben und an sich gedrückt. Inge hatte ihnen zugesehen. Ein unsichtbarer Ring, das fühlte sie, umschloß diese drei. Da standen Vater, Mutter und Kind, ge trennt von der Umwelt wie in einem heiligen Kreis. Sie waren eins und nicht voneinander zu entfernen durch die Macht eines Lebenden. Nur der Tod allein hätte die Kraft gehabt, diese drei Herzen zu lösen, die füreinander schlugen. Noch lange, nachdem der Zug die Station verlassen, sann Inge nach. Auch sie war eine Gattin und Mutter, auch sie be- saß Mann und Kin- und doch reiste sie das ganze Jahr mit ihrer Geige in der Welt umher und nur im Sommer zu Bern- Hards Schulferien kam sie heim, für einen Monat zu rasten in dem dunklen Haus, das sie gehaßt, das ihr wie ein Kerker er schienen, tn Lem man sie gefangen hielt und ihr den Zugang verwehrte zu den Pforten der weiten, großen Welt. Oskar Diehl hatte sie als eine Sechzehnjährige kennen ge lernt und ein Jahr darauf geheiratet. Das verzieh sie ihm nie. Er, Ler so viel Aeltevs, dem es bekannt gewesen, daß man ihr eine Künstlerlaufbahn voll Ruhm und Glanz prophezeit, hätte wissen müssen, daß ein so junges Herz wie das ihre noch nicht die Urteilsfähigkeit besitzen konnte, um die Wahl zwllchen Ehe und Künstlerberuf zu treffen für ein ganzes, langes Leben. Zu schwer war ihr innerer Kampf gewesen zwischen ihrer Geige und dem Gatten. Die Geige hatte nicht klingen wollen in dem alten, häßlichen Haus, das Oskar von den Eltern geerbt. Ihre Jugend hatte nicht blühen wollen zwischen diesen Mauern, von denen die Bilder der Dietzls mißbilligend von den Tapeten auf sie herabsahen, die dort nicht ihr Glück finden wollte, wo sie es alle gefunden hatten. Vielleicht wäre alles besser gewesen in einem anderen Heim. Oskar baute doch für fremde Menschen so schöne und Helle Wohnstätten. Warum baute er nicht ein Heim für sie, in dem ihre Seele sich nicht gefesselt, sondern frei fühlte, in dem die innere Musik in ihr sich aussttömen konnte, ein Heim, das stärkeren Zauber auf sie ausübte als die Welt dort draußen, die nicht aufhörte zu rufen und zu locken. So kam der Tag, an dem Inge Diehl das dunkle Haus ver ließ und mit ihrer Geige in die Hauptstadt fuhr, von der aus sie sich freie Fahrt zu allen Straßen der Welt verschaffen wollte. Inge Dich! ließ ihre Geige klingen in Schweden und Holland, in Oesterreich, in Italien und Amerika. Nur im Juli fuhr sie heim zu dem dunklen Haus und blieb vier Wochen bei ihrem Sohne, indessen Oskar Dich! in die Alpen reiste und erst nach Ferienschluß zurückkehrte. Der Zug hielt auf der nächsten Station. Inge griff nach ihrer Geige, ihren« einzigen Gepäckstück, und stieg aus. Sie ver- ließ das Stationsgebäude und ging geradeaus. Die Wiesen atmeten Frische. Das Korn war reif. Lurch die gelben Halme schimmerten Mohnblumen und dunkelblaue Korn- blumen. Und ferne stand der dunkelblau« Wald. Ueber ihm ging die rote Sonne zur Ruhe. Ein Weilchen glänzte der west, liche Himmel in immer herrlicher glühendem Purpur. Dann kamen die Schatten und die Nacht sank so schnell, daß Inge den Weg nicht mehr hätte erkennen können, wenn er ihr nicht bekannt gewesen. Sie war zuerst sehr rasch gegangen, fast gelaufen in ihrer Ungeduld, den Jungen wieder zu sehen. Aber Ler Atem begann ihr zu versagen und ihr Herz, da» nie kräftig gewesen, schlug in so starken Stößen, daß ein Angstgefühl sie überkam. Was hatte doch der Arzt vor ihrer letzten Äeise gesagt, als er ihr Herz behorchte? „Es wäre gut für Inge Diehl, wenn sie aus- ruhte und Habt machte in ihrer Jagd durch die Welt! Da» He« will nichts mehr wissen von den weiten Fcchrten und dem Hetzen diesseits und jenseits des Ozeans." Sie hatte nur gelächelt und an den neuen Vertrag gedacht, den sie mit ihrer Konzertagentur abschließen wollte. Aber jetzt in der Nacht, in der großen Stille, indessen aus Feld und Fluß und Wald und allen Poren der Natur ein Hauch der großen, furchtbaren Unendlichkeit drang, bekamen di« Worte, an denen sie vorbeigehört, Gewicht. Plötzlich fühlt« auch sie es: Inge Diehls Herz war müde geworden und krank und alt. Inge Diehl blieb stehen und sah sich um. Wo war sie denn? War sie schon vorbeigegangen an ihrem Haus? Wenn der Mond doch hinter den Wolken hervorkommen wollte. Es war kaum etwas zu erkennen in der Finsternis, di« sie umgab. Sie wandte sich um am- ihre Augen weiteten sich vor Staunen. Was war denn dort drüben? Ein Helles Fenster und rasch er hellte sich ein zweites, ein drittes, ein viertes, ein fünftes, als ginge jemand von Stube zu Stube und zündete Lie Lampen an. Die Nacht um sie war plötzlich hell von goldenen Lichtern und in ihrem Schein sah Inge Diehl, daß dort, wo das Haus gestanden, das sie gehaßt, nur eine TrUmmerstätt« war. Langsam und zögernd ging sie hinüber, dem leuchtenden Haus entgegen. Und als sie näher kam, sah sie, ihr Junge stand auf der Hausschwelle, mit Willkommensblumen in der Hand. Hinter ihm ward eine weiße Treppe sichtbar mit einem schön geschnitzten Geländer, aus offenen Zimmertüren drang Helle und Glanz. Ing« fühlte sich umschlungen von zärtlichen Kinderarmen. „Komm heim, Mutter! Komm!", sagte das geliebte Stimmchen. „Vater hat für dich ein neues, Helles, weißes, schönes Haus gebaut. Er sagt, es ist das allevschönste, das er je geschaffen. Vater sagt, wenn du uns lieb hast, bleibst du bei uns in dem wsißen Haus " Da schluchzte Inge auf und ließ es geschehen, daß ihr Junge den Geigenkästen, den sie niemals aus der Hand gab, nahm und ihn forttrug.
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