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Erzgebirgischer Volksfreund : 15.08.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192408158
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19240815
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19240815
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-08
- Tag 1924-08-15
-
Monat
1924-08
-
Jahr
1924
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 15.08.1924
- Autor
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Die Wirtschaftskrise. Von Albert Arnstadt. Eine Wirtschaftskrise hat der Weltkrieg fiir alle Kultur- staaten nach sich gezogen, worunter Deutschland infolge seiner Äussaugung durch den Feindbund und der inneren Mißwirt schaft, die unsere Währung zerstörte und das Spar- und Be triebskapital vernichtete, am meisten zu leiden hat. Don unseren 380 Milliarden Bolksvermögen ist heute nur noch ein Bruchteil vorhanden. Unsere Vorkriegsein- kommen von jährlich 40 Milliarden Mark, wovon alljährlich !10 Milliarden zur Vermögensbildung Verwendung fanden, Ist so zusammengeschrumpft, daß es nicht mehr zur Lebens. Haltung der Bevölkerung ausreicht und weite Kreise heute von der Substanz leben miifsen. Unsere auswärtige Handels- bilanz, welche 1913 mit 10 770 Millionen Mark in Einfuhr und 10 077 Millionen Mark in Ausfuhr abschlvß, zeigt heute eine monatliche Mehreinfuhr von 350 Millionen Mark. Da- 'mals wurde die Mehreinfuhr durch unser Kapitalguthaben im Auslande und durch die Schiffsfrachten unserer Handelsflotte ausgeglichen. Heute steht dem kein Ausgleich mehr gegenüber und um diese Mehreinfuhr müssen wir weiter verarmen. Bis zum Oktober 1923 hat die Notenpresse den wirtschaft lichen und finanziellen Verfall Deutschlands zu verdecken ge lsucht und uns eine Scheinblüte vorgegaukelt. Auf Kosten ider Substanz wurde der Apparat im Gange gehalten, die Ver- waltung bestritten, die Erwerbslosenfürsorge großzügig ge- ; zahlt, die Volksernährung finanziert und auch die Wirtschaft I notdürftig fortgeführt, bis es nicht weiter mehr gehen konnte. -Wir standen vor dem Abgrunde und die Stabilisierung der Mark durch die Rentenmark errettete uns vor dem vollstän- digen Zusammenbruche. Sie brachte uns aber auch die Er- Inüchterung und Klarheit, wie arm das deutsche Volk geworden war. Aber leider haben trotzdem viele Kreise unseres Volkes noch nicht einsehen gelernt, welcher Weg uns wieder zum Aufstieg führen kann, daß wir wieder mehr arbeiten müssen und weniger ausgeben dürfen, daß wir mehr im Inlands produzieren und jede unnötige Einfuhr vermeiden müssen. Von dieser Einsicht sind wir aber noch weit entfernt. Unsere Industrie erfreut sich nicht nur des Schutzes der Vorkriegszeit, sondern die Einfuhrzölle sind z. T. noch erhöht worden, und ferner bestehen noch Einfuhrverbote, so daß die Preise sich auf 150 v. H. der Vorkriegszeit stellen. Aber den noch kann man kaum von einem allgemeinen Florieren der Industrie sprechen, denn es fehlt ihr der Auslandsabsatz und im Innern der kaufkräftige Markt, was durch Betriebsstille gungen und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet wird. Die Landwirtschaft als die Trägerin der Volksernährung hat man sich als Opfer ausersehen. Durch die Zwangswirt schaft, nicht nur während des Krieges, sondern Lis in neueste Zeit, hat man sie bis aufs Mark ausgesogen, so daß sie ihre Borkriegsleistung bisher noch nicht wieder erreichen konnte, sie steht im Ertrage noch etwa 20 v. H. gegen 1913 zurück, darnach hat man sie auf alle mögliche Weise zu drücken ge sucht. Sie hat ihre Schutzzölle verloren und bis vor kurzer Zeit bestanden Ausfuhrverbote für landwirtschaftliche Erzeug nisse. Dagegen hat man die Einfuhr von Lebensmitteln weit über das erforderliche Maß begünstigt. Die Neichsgetreide- stelle hat mit Reichsmitteln weit mehr Getreide eingeführt als erforderlich war, nur zu dem Zwecke, die Getreidepreise herabzudrücken. Dazu stand ihr der Kredit der Rentenbank, der für hie Landwirtschaft bestiWmt war, zur Verfügung. Infolgedessen sank der Weizenpreis um 32,8 uudderRoggeN- preis um 31,5 v. H. unter den Durchschnittspreisen von 1906—13 herab. Die Einfuhr von lebendem Vieh und Ge frierfleisch wurde dadurch unterstützt, daß die sanitären Be stimmungen, trotzdem 20 v. H. des eingeführten Viehes tuber kulös war, nicht zur Anwendung gelangten und Devisen zur Einfuhr stets bereitgestellt wurden. Ferner wurde für einge- führte landwirtschaftliche Erzeugnisse großmütig die Umsatz steuer erlassen, während der Landwirt weit über seine tat sächlichen Einnahmen zur Umsatzsteuer, die er nicht abwälzen kann, herangezogen wurde. Auf diese Weise erzielten wir eine Luxuseinfuhr weit über den Bedarf, der unsere Handelsbilanz immer mehr verschlechterte und Deutschland immer mehr auspowerte. Der Landwirt wußte sein Getreide und Vieh kaum oder doch nur zu Schundpreisen los zu werden. Aber man glaubte dadurch eine billige Volksernährung zu erreichen und die Massen bei Laune zu erhalten. Dennoch stellt sich aber der Lebenshaltungsindex auf 115 v. H. der Vorkriegs- zeit. Die Ursache hierzu liegt einmal in den hohen Industrie preisen, Textil, Leder usw. und ferner in der großen Spanne zwischen Erzeuger- und Kleinhandelspreis. Die Steigerung beträgt gegenüber den Friedenspreisen Leim Brot 40 v. H., Kartoffeln 50 bis 60 v. H., Fleisch 85 v. H. Daß sich die Konsumenten dagegen wehren, hört man nicht. Nur der Bauer wird für die hohen Lebensmittelpreise verantwortlich gemacht. Infolge des Mißverhältnisses zwischen Einnahmen und Ausgaben mußte die Landwirtschaft in eine schwierige Lage kommen, die sich weit schwieriger gestaltete, als in der da maligen, unheilvollen Laprivizett. Aber dennoch wurden der Landwirtschaft die brutalsten Steuern aufgebürdet. Im August vorigen Jahres kam die Landabgabe, Rhein- und Ruhrabgabe, sowie eine Brotsteuer für Loskauf von der Zwangswirtschaft. Da diese Steuern nach Goldwert berechnet wurden, ergaben sie eine schwere Belastung, die nur aus der Substanz ge tragen werden konnte aber auch sollte. Die Einführung der Rentenmark mußte zu zwei Dritteln von der Landwirtschaft getragen werden und brachte eine erhebliche hypothekarische Belastung, welche mit 6 v. H. zu verzinsen ist. Den Kredit bekam aber die Landwirtschaft nur in beschränktem Maße, und zwar zu einem Zinsfüße von 17 v. H., nachdem die Reichsbank 7 v. H. dabei verdiente, wäh rend Handel und Industrie nur 10 v. H. zu zahlen hatten. Im Ermächtigungsgesetz wurde die. Landwirtschaft ganz be- sonders mit Steuern bedacht, Einkommen- und Vermögens steuer, von Preußen die Grundsteuer und vom 1. Oktober cr. an die Wohnungssteuer auf landwirtschaftliche Gebäude. Alle diese Steuern bemessen nach dem vorkriegslichen Werte des Wehrbeitrages. Vermögenswerte, die heute nur noch einen Bruchteil darstellen und, da jedes Einkommen verschwunden, aus der Substanz getragen werden müssen. 40 v. H. des Roh ertrages gehen als Steuern darauf und nicht einen geringen Teil der Lebenshaltungskosten muß der Bauer aus der Sub- stanz noch tragen, so daß die Landwirtschaft einer unheil vollen Verschuldung entgegengeht, falls Kreditgelegenheit ge boten ist. Im anderen Falle geht es auf Kosten des Betriebs kapitals, bis der Zusammenbruch erfolgen muß. Allen diesen Vorstellungen von den landwirtschaftlichen Interessenvertre tungen gegenüber hat sich die Regierung taub erwiesen und für ohnmächtig erklärt. Endlich hat sie dem Druck nachgegeben und eine beschränkte Ausfuhrbewilligung für Getreide erteilt; wodurch Lei den höheren Weltmarktpreisen eine Steigerung der Getreidepreise eintrat. Da aber diese Aufwärtsbewegung nur noch den Landwirten, die noch im Besitz von Getreide sind, und das ist bei dem starken Geldbedarf infolge des unerhörten Steuerdruckes nur eine geringe Anzahl, kommt diese Steigerung in erster Linie der Spekulation zugute, die, wenn sie ihre Bestände abgestoßen hat, schon für einen nied rigen Preisstand sorgen wird. Die Schutzzollvorlage, welche die Regierung eingebracht hat und die nicht einmal an die Sätze, welche vor dem Kriegs galten, heranrcichen — denn sie hat sich die Ermächtigung Vor behalten, bei Gefrier- und Büchsenfleisch usw. die Sätze noch weiter herabzusetzen —, hat in den Kreisen der Landwirt schaftsgegner einen Entrüstungssturm hervorgerufen und schon jetzt schreit man über Brotwucher und sucht die Regierung einzuschüchtern. Alle diese Tatsachen zeigen aber, wie wenig man im heutigen Deutschland die Grundsätze der Volkswirtschaft zu würdigen weiß. Deutschland wurde groß und mächtig und ein wohlhabendes Reich durch den Schutz der nationalen Arbeit, dadurch, daß man die Parität zwischen Industrie und Landwirtschaft durch das Zolltarifgesetz von 1902 herstellte. Heute läßt man die einst so blühende deutsche Landwirtschaft verkommen und belastet sie mit unerhörten Steuern, wodurch unsere Volksernährung für die Zukunft in Frage gestellt wird. Unsere Industrie wird in absehbarer Zeit auf dem Weltmärkte nicht den Absatz finden, um die Einfuhr von Lebensmitteln begleichen zu können und verliert durch den Niedergang der Landwirtschaft ihren inländischen Markt- .D . " - Alles Heil erwartet man von dem Dawes-Diktat — denn etwas anderes kommt doch nicht heraus —, welches alle wirt schaftlichen Nöte beseitigen soll, während der Feindbund doch nur daran denkt, seine eigene Wirtschaftskrisis dadurch zu be seitigen und die Versklavung Deutschlands vollständig durch zuführen. Die Fiuanzgebahrung des Reich». Berlin, 13. August. Vom 4. bis 10. August hat sich die günstige Gestaltung der Reichseinnahmen fortgesetzt. Die Einnahmen überstiegen in diesem Zeitraum wiä)er um fast 8,5 Prozent die etatsmäßigen Ausgaben. Ein sonderbarer Pressechef. Die Korrespondenz der Deutschnationakn Volkspartei schreibt: „Wir brachten bereits in unserer Nr. 117 vom 7. d. Mts. die amtliche Meldung, nach der der Novembersozialist Dr. Zechlin zum Pressedirigenten des Auswärtigen Amts er nannt wurde. Das gibt Veranlassung, Außenminister Dr. Stresemann um eine weitere Aufklärung zu bitten. Am 16. September 1922 erschien in Nr. 288 der Christia- ner Zeitung „Morgenbladets Sondagsavis" ein Aufsatz unter der Ueberschrift „Ehrhardts Folge" (Ehrhardts Gefolgschaft). Welcher Art sein Inhalt war, ergibt sich au» einer rebaktio- nellen Vorbemerkung, die folgenden Wortlaut hafte: „Bon Hvn. Cohn, Pressechef des deutschen Auswärtigen Amt», hoben wir nachstehenden Artikel erhalten. Er gibt einen nicht un interessanten Beitrag zum Verständnis des „reaktionären" Deutschland. Wir wollen aber keine Verantwortung über nehmen gegenüber den Bemerkungen des Verfassers über den deutschen Offiziersstand, den er, wie wir glauben, recht ein seitig und in nicht geringem Grade ungerecht beurteilte." Gezeichnet war der Artikel „Alphons Fedor Lohn, Pressechef des Deutschen Auswärtigen Amtes." Auf diese ganz ungeheuerliche Tatsache wurde im Abend- blatt der „Deutschen Zeitung" vom 15. November 1922 hin gewiesen. Es wurde die berechtigte Frage gestellt, ob dieser Hr. Alphons Fedor Lohn, der gestützt auf seine amtliche Stellung in ausländischen Blättern deutschfeindliche Propaganda treibt, zur Verantwortung gezogen werden wird oder ob der Name Lohn einen Freibrief für alle Schandtaten bedeutet. Eine Antwort ist nicht erfolgt, von einer Maßregelung des Hrn. Lohn ist nichts bekannt ge worden. Vielleicht bequemt sich Hr. Stresemann nun zu einer Mitteilung an die Oeffentlichkeit darüber, ob Hr. Alphons Fedor Cohn auch jetzt noch unter der Oberleitung des Dr. Zechlin als Pressechef tätig ist und ob er fortfährt, in den Zeitungen eines Landes, das man bestenfalls als neutral bezeichnen kann, deutschfeindliche Propaganda zu treiben? Staatskredtt für de« Getretdehandel. Berlin, 13. August. Wie die „Dossische Zeitung" Hört, hat sich die Preußische Staatsbank (Seehandlung) bereit erklärt, dem Getreidehandel auf dem Umweg über die Getreidekredit- bank einen Diskontkredit in namhafter Höhe zu eröffnen, nach dem bereits vorher den Genossenschaften ein Kredit in ähnlicher Weise bewilligt wurde. Man verspricht sich hiervon eins wesentliche Erleichterung des Geschäfts und der Erntebewegung. Die Unruhen in Aegypten. London, 13. August. Blättermeldungen zufolge sprach der Oberkommissar für Aegypten, Lord Allen by, heute im Foreign Office vor und erörterte mit dem Premierminister die Lage in Aegypten und im Süden. Verstärkungen wer den in Eile zur See von Suez nach Port Sudan entsandt, Flugzeuge sind von Kairo nach Lhartum abgeschickt worden. Wie aus Malta gemeldet wird, begibt sich ein britisches Kriegsschiff nach Port Sudan, ein anderes nach Alexandria, Spaniens Marokkosorge«. Paris, 13. August. Nach einer Havasmeldung aus Madrid veröffentlicht das Direktorium eine Note, in der erklärt wird, daß die aus Marokko kommenden Nachrichten nicht befriedigend seien. Es sei eine Verstärkung der Truppen in der Westzone notwendig, ohne daß die Truppen in der Ostzone vermindert werden dürften. Eine andalusische Re servebrigade erhielt Befehl, sich nach Marokko einzuschiffen. Zwei weitere Brigaden würden bereitgestellt werden. Die Note erklärt weiter, daß sich eine allgemeine Erhebung der Stämme in Marokko bemerkbar mache und daß diese Be wegung unterdrückt werden müsse, während man im Augen, blick auf weitere Pläne verzichten müsse. Leipzig, 13. August. Im Prozeß wegen der W a f f e n* d i eb st a h l e bei der Potsdamer Reichswehr erhielten F i e d- ler 7 Jahre Zuchthaus und 700 Mark Geldstrafe, Groß mann und Schatz je 6 Jahre Zuchthaus und 500 Mark Geldstrafe, Mehlhorn und Burkhardt je 8 Jahre Zucht haus und 800 Mark Geldstrafe, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 8 Jahre und Entfernung aus dem Heere, Krause 3 Jahre Gefängnis und Dienstentlassung, Feh- ling 4 Jahre Gefängnis, 5 Jahre Ehrverlust und Entfernung aus dem Heere, Frau Burkhardt 1 Jahr Gefängnis, Franz und Gerhard Fräckmann je 7 Jahre Zuchthaus, 700 Mark Geldstrafe und 7 Jahre Ehrverlust. Die Verurteilung erfolgte in der Hauptsache bei Fiedler, Großmann, Schatz, Mehlhorns Burkhardt und den Brüdern Fräckmann wegen Vorbereitung zum Hochveirat (8 86 Et.-G.-B.) in Tateinheit mit einem Ver brechen gegen 8 7 des Republikschutzgesetzes (Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Verbindung) und gegen 8 7 des Spreng stoffgesetzes (Besitz eines Waffenlagers), bei den übrigen An geklagten wegen militärischen Diebstahls in Tateinheit mit Be stechlichkeit und Hehlerei bezw. Beihilfe gazu. Paris, 13. Äugust. Der „Matin" meldet aus Athen: Dis griechische Regierung hat am Sonntag wegen der andauernden Grenzüberfälle durch bulgarische Banden ein Ultimatum nach Sofia geschickt, das mit einer militärischen Aktion droht. Am Strand. Von IohannesWilda. Nach salzfrischem Bade unterhalb sanft bewegten Dünen- grases auf den Sand sich strecken, Sonnenwärme auf entblößter Haut und den Blick träumend hinauf gerichtet zu einzeln das unendliche Blau durchziehenden weißen Wolken, während der leichte Brandungsfall zur Seele von Ewigkeiten spricht— gibt cs ein vollkommeneres Genießen? Jetzt lebe ich und will nichts anderes. Was sind mir fernab die Menschenmassen in ihren buntbe- wimpelten „Burgen", mit ihren grellfarbenen Kleidern und Sportwesten, ihrer lauten Lustigkeit, ihrem Flirt? Ich will nicht unbillig denken. Auch sie besitzen ein Recht, nach ihrer Art Erholung und Genuß zu suchen. Aber die Fähigkeit, sich allein glücklich und mehr als sonst sich eins mit der Schöpfung zu fühlen, ist doch eine große Gnade, an der man allen ihren Anteil wünschen möchte. Dann ginge man auch weniger selbstsüchtig miteinander um, und was jetzt als Linspännertum angesehen wird, erwiese sich als Nährboden wahrhafter Geselligkeit ... Doch siehe, da bin ich nicht mehr allein! Hinter mir, jenseits des Weges, lugt aus dem kräftigen Kiefernwald ein pfannengedecktes Landhaus. Der spitze Giebel mit braunen Brettern verkleidet, aus dem weißgestrichenen Fen- sterchen und grüne Läden schimmern, Kiefern- und Birken äste neigen sich wie segnend darüber. Einfach ist es, trotzdem einem gebildeten Geschmack Genüge leistend. Daher kamen sie — zwei süße Mädelchen, etwa im Alter von vier und fünf Jahren. Wirklich süß! Hier dürfte der verbrauchte Ausdruck durch einen anderen schwer ersetzbar sein. Barfüßig, gebräunte Beinchen unter weiß und blaßlbau ge würfelten Kleidchen. Die fast ährenblonden dichten Haare üvtz Wer d« Stirn Md rundum nach der Mode gestutzt, wa» ihnen indessen ganz allerliebst steht. Ein ungemein zartes und doch gesundes Rot färbt die Wangen. Rundliche Züge, aus denen strahlend glückliche blaue Augen und herrliche weiße Zähnchen in die Welt hinauslachen. Echte deutsche Kinderge- stchter, wie sie Richter zeichnete, vielleicht von etwas verfeiner ter Rasse. Die Mädelchen traaen kleine Schaufeln und kleine rotlak- kierte Eimer. Sie machen sich, ohne sich um mich zu beküm mern, sofort eifrig an das beliebte Kuchenbacken-. Was fällt bei spielenden Kindern als Charakteristisches auf? Ich meine, die beständige Bewegung. Cs ist der unbe wußte Drang nach Tätigkeit, nach dem sich Ausarbeiten des Körpers und nach Neuem. Und welche Einbildungskraft! Ich höre zwischen ihrem Geplauder und Gelächter von den köstlich sten Rezepten, die sie sich beim Backen vorstellen und wen sie damit beglücken wollen. Und ehe ich mich dessen versehe, bin ich selber einer der Beglückten. Sie haben Mich verstohlen doch wohl schärfer be- obachtet, als ich es ahnte und offenbar Vertrauen zu mir ge- faßt. Freundlicher kann unmöglich etwas ängeboten werden! Güte, Wichtigkeit, viel Schelmerei und ein wenig Besorgnis, ob der fremde Mann auf das Spiel eingehen werde, das alles spricht au» diesen reinen Blauaugen. So stehen sie vor mir, jedes mit einem Brett, auf dem angefeuchtete, mit kleinen wei ßen Muscheln oder mit Grün verzierte „Kuchen" liegen. „Sandtorte oder Nußtorte gefällig?" „Ei der Tausend, so Feines habt ihr? Was kostet es denn?" Sie wechseln einen nachdenklichen Blick. »Nichts!" Ohne Zweifel bin ich nach ihrer Ansicht «in armer Teufel, der es nötig hat. „Für nichts kaufe ich immer gern. Also Nußtorte, bitte." Schon haben sie in höchster Großmut beide Bretter gekippt und die gesamte mühevoll geordnete Zierlichkeit liegt aufgelöst vor mir. . Das genügt ihnen aber vollkommen, um den Handel für befriedigend abgeschlossen zu halten. O du zauberhafte Kinder phantasie! „Was wünschen Sie jetzt?" erkundigt sich die Aeltere ge schäftsmäßig. „Wir haben auch Baumkuchen, Apfeltvrte, Topftuchen und frische Semmeln," sagt die Jüngere noch wichtiger. Dieses Lächeln um die roten Lippen! Guter Gott, welche Anmut hast du in so unschuldige kleine Menschenkinder gelegt! Man mag nicht daran denken, daß dies einmal anders wird und das körperlich und seelisch Häßliche des Erdenlebens auch sie einst vergröbern, ihnen tiefften Schmerz bereiten wird. ' Am liebsten hätte ich sie an mich gezogen, sie geherzt und geküßt. Das hätte sie freilich.wohl nur erschreckt und ein Frem der darf und soll das auch nicht. Ich erwiderte daher lediglich: „Es schmeckt alles so vor züglich, was ihr backt und ihr seid so billig — bitte um den ganzen Laden!" „Jawohl", hieß es. „Sie müssen nur ein wenig Geduld haben, die neuen Eier sind nach nicht angekommen." Und lachend springest sie davon zu wiederholter emsiger Tätigkeit und mitten darin vergessen sie ihr Geschäft, die neuest Eier und mich selber und schaufeln Sand zur Ausbesserung ihrer „Burg". Mit Feuereifer! Wie sie da vor blauer See, unter blauem Himmel in ihren blauweißen Kleidchen und mit dem germanischen Blond Hinein passen in die lichtdurchflutete Dünenlandschaft! . r Ich bedauere es, nicht ein Maler zu sein. Und ich vermisse nicht das gestörte einsame Glück des sich Linsfüklens mit der Natur. Schließlich bedarf der Mensch doch am meisten des Menschen. Und solche Menschenkinder! Die Seele wendet sich von den Ewigkeiten zu dem Schö nen hinieden, spricht lächelnd zu sich: Dies ist doch die Krost« von allem, da» erst reckt beiktr —— lebens
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