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»r. 1«. 8. Sult 1924. Erzgebirgischer DoMssteunv. Verlag C. W. Mrtner, Skue^ 1. Beiblatt. Äumor. Ueber dem Alltag. »Lumor Ist ein gauklet» htmMIchm Licht,, wo »LchNge Serzen bong«»." (R Presber.t Humor — was ist das? Man kann's zu deutsch nur schwer tn etnem Worte sagen. Humor ist nicht nur Spaß, Witz oder Ulk. Humor ist mehr, ist „ün Fünklein himmlischen Lichts, wo nächtige Herzen bangen". Buchstäblich übersetzt, bedeutet Humor „Feuchtigkeit". Humor ist also eine Gemütserfrischung, ein Seelenbad, eine Herzerquickung. Keine ätzende Säure, son dern klarer, milder Tau. Kein heimtückischer Todesstrahl, son- -ern lebenweckender Sonnenschein. Arznei, die lindert; aber nicht Eisensplitter, der zerfleischt. Wenn man das Wörtlein „Humor" so begreift, sieht man erst, wie not uns solcher Humor-Sonnenschein, solche Humor-Salbe tut. Denn, Gott sei's geklagt, unsere Zeit ist arm daran. Das himmlische Licht des Humors wird ach! so oft erdrückt und erstickt von den Nebeln und finsteren Wolken mauern der Geaenwartssorgen. Dem Balsam mischt sich immer wieder unversehens die beißende Lauge gehässigen Spottes bei Es kann ja garnicht anders sein; ein Volk, das so bitteren Leidenskelch trinken mußte, wie das unsere, mußte in Denken und Reden bitterer werden. Aber freilich — um der Wahr heit willen sei's gesagt — die letzte, tiefste Ursache, aus der sich das Schwinden des goldenen Humors erklärt, liegt nicht in den Enttäuschungen der Nachkriegszeit. Es wurde schon vor dem Kriege beobachtet, daß das Heilkräutlein „Humor" nicht mehr so recht auf dem Boden der modernen Seele gedeihen wollte; stattdessen wucherte das Unkraut gemeinen Witzes, ober- flächlicher Komik, hämischer Ironie und bissiger Satire. Aber Humor im höheren, edleren Sinne — wo war der? Mir sagte schon damals ein guter Kenner der Volksseele: „Der Humor ist rar, weil derGlauberar ist." Was hat denn Humor mit Glauben zu tun? Sehr viel! Sehr viel sogar! Tiefer, warmer, inniger Humor ist ohne Ausnahme die Frucht einer Seele, die sich in Gott geborgen weiß. Solch' eine got- tesfrohe Seele erlebt an jedem Tage neu das uralte Wort: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte — und siehe da, es was sehr gut"; solch' eine Seele trügt in sich einen Frieden, wie ihn die Welt nicht gibt, eine Harmonie, welche auch auf die tau send Widersprüche des Daseins erlösende Harmonie ausstrahlt. Das alles aber — diese Freude an der großen und kleinen Gotteswelt, diesen Frieden von oben — wirkt der Glaube, der Glaube allein. Darum ist's schon wahr und recht geredet: wo der Glaube fehlt, mangelt's an Humor. Nur darf man das andere nicht vergessen: sonniger Humor erwächst zudem aus der Liebe zu den Menschen, denen man helfen will; hat also etwas von Samariterart an sich — gießt Oel und Wein in Wunden; hebt über Hindernisse; hat ein verstehendes Lächeln, wo andere eine Scharflichtermiene aufsetzen. Seht da die Quelle wahren Humors — Religion, welche Glaube und Liebe zugleich ist! Wie kam es nur, daß man die Religion zu einer Sache finsterer Mucker stempeln konnte? Und doch ist es schon längst erkannt, daß eine humoristische Literatur erst auf dem Boden des Christentums gewachsen ist! Um nur bekannte Namen zu nennen: Wilbelm Raabe und Fritz Reuter, Jean Paul und Heinrich Seidel, Charles Dickens und Karl Larsson — kein Zweifel, nur tiefinnerliche, praktisch gelebte Herzensreligion hat diesen auscrmählten Männern den liebevollen Blick für's Leben gegeben; ihre Bücher sind „fromme" Bücher, auch wenn sie nicht von den Lehren des Glaubens handeln. Aber daß ich des deutschesten gedenke: un seres Luther! Er wäre nicht unser lieber Luther, wenn wir uns ihn ohne den gütigen, heilkräftigen Humor vor stellen müßten. Es ist das Wort des großen englischen Predigers Robert son: „In einem ernstlichen Hellen Lachen, das aus tiefstem Her zen klingt, liegt ein gut Teil Religion; um den Mann ist es schlecht bestellt, der nicht mehr die Kraft in sich fühlt, so herz lich zu lachen." Truckenbrodt, Lößnitz. OerMche Angelegenheiten. * Die Sächsische Missionskonferenz hält in der kommen den Woche eine Predigtreise im Kirchenkreise Schneeberg ab. Diese soll dazu dienen das Interesse am Missionswerk aufs neue zu beleben, über den gegenwärtigen Stand und die Ar beitsmöglichkeit der Sächsischen Aeußercn Mission zu berich ten und Einblicke in die Arbeitsweise auf den Missionsfeldern zu geben. Durch Kriegs- und Inflationszeit schwer geschädigt, wartet die Mission der Liebe aus den Gemeinden, welche ihr durch Gebet und Opfer zu neuen, aufbauenden Taten Hilst. An Mitarbeitern sind für die Predigtreise gewonnen worden die Missionsdirektor Ihmels - Leipzig (welcher an ihr vom Montag bis mit Freitag teilnimmt), Superintendent Mi- ch a e l - Dippoldiswalde vom Borstand der Missionskonfe- Lenz, Missionsprobst Pfarrer M e y n e r - Langenlauba und Pfarrer Dr. Leonhardt-Dresden. Die Predigtreise wird, am Sonntag, den 6. Juli beginnend, nacheinander fol- gende Gemeinden berühren: Schönheide, Sosa, Schneeberg, Lößnitz, Bernsbach, Rittersgrün, Aue-Zelle und Aue-St. Ni- colai. In allen Gemeinden werden Kindergottesdienste und Missionsabende gehalten werden, Uber deren Zeiten und Vorträge im einzelnen kirchliche Abkündigungen ergehen, de- ren Beachtung empfohlen wird. Besonders aber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Sächsische Missionskon- ferenz am Dienstag, den 8. Juli, vormittags 9 Uhr, im Ge meindesaale zu St. Nicolai in Aue ihre diesjährige Haupt versammlung hält, zu welcher neben allen Mitgliedern der Sächsischen Missionskonferenz alle eingeladen werden, welche für Mission und Missionswissenschaft interessiert sind. Superintendent Michael wird die Morgenandacht halten, Missionsidrektor Ihmels über „den Wiederauflau unserer Missionsarbeit" sprechen und Missionsprobst Pfarrer Mey ner in einem Dortrag: „Das geistliche Lied in unsern Tamu lengemeinden" die diesjährige Feier unseres Gesangbuchju biläums ausklingen lassen. An die Versammlung schließt sich ein gemeinsames einfaches Mittagessen an, zu welchem sich die Teilnehmer bis spätestens zu Beginn der Versammlung bei Pfarrer Leßmüller anmelden wollen. ' * * Die Reichsindexziffer für die Lebenshaltungskosten (Er nährung, Wohnung, Heizung, Beleuchtung und Bekleidung) beläuft sich nach den Feststellungen des statistischen Neichsamtes für Mittwoch, den 2. Juli, auf das 1,17billionenfache der Vor- kriegszeit. Die Steigerung von 5,4 v. H. gegenüber der Vor woche (1,11 Billionen) ist auf die Erhöhung der Wohnungs mieten sowie auf die hohen Preise für Kartoffeln neuer Ernte zurückzuführen, die zum Teil in die Berechnung einbezogen worden sind. Für den Durchschnitt des Monats Juni berechnet sich die Reichsindexziffer auf das 1,12 billionenfache gegenüber dem 1,1 öbillionenfachen im Durchschnitt des Monats Mai. Es ergibt sich also eine Abnahme von 2,6 v. H. Die Ernährungs kosten allein betragen im Durchschnitt des Juni das 1,20billi- onenfache der Vorkriegszeit. * Landgerichtsdireftor Dr. Mahn-Leipzig (früher in Zwickau), der langjährige Vorsitzende der 5. Strafkammer des Leipziger Landgerichts ist als Landgerichtsdirektor und stell vertretender Präsiden an das Landgericht Chemnitz versetzt worden. * Keine Viertel jahreszahlungen für die Beamten. Wie die Blätter berichten, sind die Beamtenorganisationen im Hin blick auf die am 30. Juni abgelaufene Gültigkeit der Verord nung über die monatliche Vorauszahlung der Beamtengehälter im Ncichsfinanzministerium zwecks Wiederherstellung des frühe ren Zahlungsmodus in Form der vierteljährlichen Voraus zahlung vorstellig geworden. Die Regierung hat sich den For derungen der Beamten gegenüber auf einen ablehnenden Standpunkt gestellt und mitteilen lassen, daß zurzeit eine neue Verordnung ausgearbeitet wird, die die Aufrechterhaltung der bisherigen Form der monatlichen Vorauszahlung enthält. Ebenso hat die Regierung eine Forderung der Beamtenorgani sationen bezüglich der Ortssonderzuschläge abgelehnt. * Für die Mitnahme von Handgepäck in die Personen- wagen durch die Eisenbnhnreisenden ist nachstehende Aende- rung in Kraft getreten, deren genaue Beachtung im eigenen Interesse der Reisenden liegt. In der 1., 2. und 3. Wagen klasse ist das Gewicht des Handgepäcks eines Reisen den, das über und unter seinem Sitzplatz untergebracht wer den darf, auf 25 Kilogramm insgesamt beschränkt. Handge- päckstiicke von mehr als 25 Kilogramm Einzelgewicht werden, auch wenn mehrere Personen zusammen reisen, nicht zuge lassen. In der 4. Wagenklasse dürfen auch Traglasten, wie sie ein Fußgänger von normaler Körperkraft tragen kann, mitgenommen werden; doch darf ihr Höchstgewicht 50 Kilogramm nicht übersteigen. Gegenstände von mehr als 50 Kilogramm Einzelgewicht werden, auch wenn mehrere Per sonen zusammen reisen, nicht zugelassen. Handgepäckstücke oder Traglasten, die nicht zugelassen sind, werden auf der Zielstation des Reisenden nachbehandelt, wobei je nach Ari des Gutes die Gepäck- oder Expreßgutfracht mit einem. Zu schlag von 10 Goldmark, jedoch nicht mehr als die doppelt« Fracht, erhoben wird. * Liu PostjubilSum. In Preußen feiert man in diesem Jahr das 100jährige Jubiläum der Einführung der Landbrief trägeranstalt. In Sachsen wurde die allgemeine Landzu stellung erst am 1. Juli 1859 eingeführt, nachdem in Leipzig bereits Anfang der vierziger Jahre eine staatliche Landboten anstalt eingerichtet worden war. Die Einrichtung geschah spät, aber vorbildlich; 3610 Ortschaften erhielten wöchentlich mehr mals (in 1315 Orten täglich) ihre Post zugestellt. 343 Landzu steller mußten neu eingestellt werden. Ebenso alt wie die Landzustellung ist in Sachsen die Aufstellung von Briefkästen auf den Dörfern. 1859 wurden 400 Stück, 1862 noch 2300 Stück aufgestellt. Beide Einrichtungen verursachten Sachsen den für damalige Verhältnisse gewaltigen Mehraufwand von 35000 Talern jährlich. In der ersten Zeit verkündeten die Landbriefträger ihre Ankunft im Dorfe durch Blasen mit dem, Posthorn, später durch eine Trillerpfeife. Der Wegfatt der Landbriefträgerpfeife ist eine „Errungenschaft der Revolution" von 1918. Die Einrichtung der Landbriefzustellung steht den Maßregeln würdig zur Seite, welche die aufgeklärte Gesetz gebung und Verwaltung des 19. Jahrhunderts zur Verbesse rung der sozialen Verhältnisse des platten Landes durchführte. Durch den Landbriefträger erstreckt sich die Wirksamkeit der Post tatsächlich — wie von Stephan schon 1859 am Schlüsse seiner „Geschichte der preußischen Post" sagt — bis auf den „einsamsten Weiler in den entlegensten Gegenden des Staates". Aue, 5. Juli. Zur Fahrt des Gewerbeverein« nach Dresden und Meißen haben sich insgesamt ca. 175 Per sonen gemeldet. Nachdem heute früh bereits Direktor Bano mit 70 Personen die Reise antrat, fahren Sonntag früh 106 Personen. Beide Gruppen vereinigen sich morgen in Dies- den, um am Nachmittag die Reise nach Meißen per Dampf schiff gemeinsam fortzusetzen. Der Montag ist ganz den Sehenswürdigkeiten und Schönheiten Meißens gewidmet. Di« Rückkehr erfolgt Montag nacht 12.11 Uhr. Hoffentlich ist den Ausflügler» schönes Wetter auf ihrer Fahrt beschieden. Schwarzenberg, 5. Juli. Im Monat Juni 1924 sind in hiesigen Fremdenhöfen 381 Fremde abgestiegen, davon 298 männliche und 83 weibliche Personen. Bockau, 5. Juli. Sitzung der Gemeindeverordneten am 3. Juli. Anwesend: 15 Gemeindeverordnete, der Bürgermeister und die 3 Gemeindeältesten, 5 Zuhörer. Weil schon öfter von Zuhörern das als Sitzungszimmer benutzte Schulzimmer durch Zigarrenasche usw. beschmutzt wurde, beschließt man, fortan wieder in den Ga st wirtschaften zu tagen. Durch Len Bürgermeister wird ausführlich der Haushaltplan auf 1924/25 vorgetragen und erläutert, der als erster in Goldmark nach den sich notwendig machenden Abstrichen und Erhöhungen (Erwerbslosen-Unterstützung) mit 168 520 Mk. Ausgaben ab schließt, denen nur 155 241 Mk. Deckungsmittel gegenüber stehen. Durch einen außerordentlichen Hausl-altplan von 14 000 Mk. auf beiden Seiten wird das Gleichgewicht wiederhergestellt. Nach dem Bürgermeister erteilter Ermächtigung zu Auf- und Abrundungen wird der Haushaltplan ohne weitere Aussprache verabschiedet. Zur Deckung der Kosten für die Wasserleitung wird der Wasserzins neu festgesetzt. Auf Vorschlag des Verwaltungsausschusses sollen die nach der Miete abgestuften ktions - Apparate Kino - Apparate für Schulen unü Vereine empfiehlt Mr ü ko. Ms, Inh.: ksrl Mnier Telefon 14. Aue. ' Markt s. - sie durcheinander, Hunderte von leichten Gefährten. Als Zaun gäste lauschten die Insassen der Musik. In einer Gondel ein schönes Weib. Malerisch hingegossen, den Kopf aufgestützt, raucht es Zigaretten und mustert mit kal- tcn Augen die Menge, während zwei Herren als Gondoliere das Boot leise hin- und hertrciben, geschickt auswcichen oder den Stoß eines anrennenden Bootes abschwächen. Lustiger Zuruf, herüber und hinüber, vom Garten zu den Booten. Das Auge findet kaum einen ruhenden Punkt in dem schwimmenden Gc- wimmel. Wie in einem Ameisenhaufen geht es, hin und her, verwirrend und bunt. Die Großstadt entfaltet prahlerisch ihr Vergnügen. Kein , Mensch sieht das wunderbare Sterben des Tages. Lampions , flammen auf. Unter den strahlenden Bogengängen des Gar tens fächelt die laue Abcndluft. Das klirrt und lacht, schwatzt und kichert, auf- und ab schwellend. Und die Musik rauscht über die Köpfe. Währenddes ist die Dämmerung hercingebrochen. Das Dunkel sinkt in feinen Flocken. Die Nacht tut einen tiefen Atemzug. Ein kühler Hauch führt über das Wasser, über die Menge her. Eine junge Frau am Nebentisch legt ihren Schal um den schimmernden Nacken. Dabei erzählt sie ihren Freun dinnen lustig weiter: „Lich, Fritz ist nach Schulau hinaufgesegelt. Bis morgen bin ich allein." Und dann summt sie leise die „Barcarole" mit, die von der Musik angestimmt wird. Und wiegt sich in den Hüsten. Ein zweiter kühler Windzug, kräftiger und schneller. Die Damen ziehen die Schals fester. Hunderte von Augen suchen am Himmel oben. Kein Wölkchen. Wieder ein Windstoß, län ger, heftiger, wie vor einem Gewitter. Einige Aengstliche flüch ten auf die Terrasse. Einige Boote lösen sich aus dem Gewim mel und eilen heimwärts. Andere folgen — und mehr. Die Böen fegen schärfer hintereinander her. Die Segelboote schie ßen plötzlich los wie von einer Faust gestoßen, und ziehen wie große Sturmvögel davon. Von den Gondeln sind die meisten auf eiliger Flucht. Eine Unruhe ist in die fröhliche Menge gefahren, obgleich die Kellner eifrig versichern, es käme kein Regen. Viele stehen >sÄ Mkklür. Ls. üt et» RsMM i« dgr HM, das »PlöLüch Alslerspuk. Skizze von Hans Ehrke- Rendsburg. Ich saß an der Alster, im Garten des Uhlenhorster Führ- yauses. Der Tag war glutheiß gewesen. Der Atem des brennenden Pflasters wehte noch von der Stadt herüber. Aber die Kühle der Alster machte die Luft frisch. Zu meinen Füßen klatschten die Wellen schläfrig an die steinerne Kante. Es war eine Leere um meine Einsamkeit, trotzdem ein Lewirr von Stimmen und Lachen um mich war. Alle Tische ringsum besetzt. Großstadtvolk, müde Gesichter, gedankenlose, verträumte, lachende, verliebte, blasierte, hochnäsige, dumm dreiste Mienen. Frauen und Mädchen in losen, duftigen Som mergewändern. Flirtende, werbende Augen und satt-zufrie dene. Städtische Eleganz. Modegecken, außen Woltmann, den Schweinehund in den Augen. Unbefangenes freies Stadt volk. Die Kellner eilten in ängstlicher Dienstbeflissenheit von Lisch zu Tisch, jedem lässigen Wink folgend. Gläsergeklirr, klap pernde Tassen, darüber Zigarettenwölkchen. Flüstern, Lächeln, Kichern, laute Unterhaltung, ein girrendes Mädchenlachen. Das Auge faßte kaum die bewegte Buntheit des Bildes. Ueber allem die Klänge der Kapelle vom hohen Pavillon herab, Wagner, Offenbach, Strauß . . . Die Sonne sank gemach in den Dunstschleier Uber der Stadt, wurde schmutzig-trübe, glutete hin in ein dunkles Rot. Nun stand nur noch die obere Hälfte glühend über einer Wol- kenbank, ein feuriger Torbogen zum Legendenland. Und dann weiche, müde Dämmerung. Der Wind war schlafen gegangen. Die Alster belebte sich. Von der Stadt her nahte es in bunter Menge. Kanus, Pad delboote, Gondeln, Seelenverkäufer, Ruderboote in immer wechselnder Gestalt. Das ruderte, wrickte, schaufelte sich durch das Wasser heran. Nur die Segelboote hingen mit schlaffem Leinen mitten im Strom, hilflos, und kamen nicht vom Fleck. Dor dem Garten hielt alles inne. Boot lag an Boot, glitt aneinander vorbei, um mit dem nächsten Bord an Bord zu schaukeln. Das schob und drängte ineinander, ein stetig wechselndes Bild. Not. grün, blau, gelb, weiß, braun wogten abbricht. Aus einer Ecke grinst sekundenlang das Schweigen. Line lanaez harte Höe sirbM das Maller. SUL Da wächst es mit grauenhafter Schnette aus dem Dunkel heraus. Ein schwarzes Segel, darunter ein schwarzes Doot. Wie ein dunkler Raubvogel mit gespreizten Flügeln braust die schwarze Jolle vorbei, unheimlich, ohne einen Laut. Ein weißer Schaumquirl rast hinter ihr drein. Mitten durch die flüchten den Boote schießt sie, ohne eines zu überrennen. Stockender Atem, hämmernde Pulse in der Menge, die mit schreckhaft auf- gerissenen Augen das Schiff verfolgt. Ein Grauen kriecht wie eine große eisige Spinne über alle hin. Die Musik bricht mit schrillem Mißklang ab. Keiner spricht ein Wort. Die Leute in den Booten vergessen vor Schreck das Rudern. Die Jolle ist zum Harvestehuder Ufer gejagt, geht über Stag und kehrt zurück. Wie ein Gespenst huscht sie vorbei, lautlos. Nun macht sie eine Wendung. Am Heck blitzt der Name auf in silberner Schrift „Nachtvogel". Undeutlich die Konjunkturen des Mannes am Steuer. Die junge Frau am Nebenntisch sinkt mit leichtem Auf- schrei zusamnicn. Da ist die Jolle im Dunkel schon verschwun den. Der Menge kommt der Atem zurück. Man spricht erst scheu, dann erregter. Ein Wortmeer brandet in der Luft. Der Wind hat anfgehört,so jäh, wie er kam. Die junge Frau wird von ihren Freundinnen weggefiihrt. Sic ist leichenblaß. Man schreit erregt durcheinander. Einer wagt ein Lachen. Die geflüchteten Botte kommen zurück. Man wird freier. Die Musik setzt mit einem wuchtigen Marsch ein. Bald ist der Vorfall vergessen. Man lacht, raucht, plaudert, trink sich zu. Es hat alles das alte Gesicht. Uhlenhorst. Hamburg entfaltet prahlerisch sein armes Scheinvergnügen. . . Ich aber saß und sann. Und sah immer noch die Jolle lautlos vorüberhuschen. Und die Leere um mich ward immer tief«. Nachdenklich ging ich heim. Am nächsten Tag bei« Morgenkaffee las ich W» neue tzet- tung. Darin fand ich folgende Notiz: „Gestern abend neun Uhr kenterte bei den mit der Flut plötzlich aufkonnnendcn Men auf der Höhe von Schulau die Jolle „Nachtvogel". Der In- fasse, ein Herr aus Hamburg, ist leidqr ertrunken *