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Erzgebirgischer Volksfreund : 04.04.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192404046
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19240404
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19240404
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Erzgebirgischer Volksfreund
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-04
- Tag 1924-04-04
-
Monat
1924-04
-
Jahr
1924
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 04.04.1924
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Soziale Nervenschwäche. Wir IrLen im Zeitalter der sozialen Evolution, und kniehoch werden die gesplitterte» Lanzen de- ParteivorlLmpfer den Abschnitt des nahen Wahlkampsfeldes bedecke», in welchem diese sogenannte Aeitforderung umstritten wird. Allerdings, »in das vorweg zu nehmen: Was ihr den dreist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln. Und in der Tat gibt es wohl nur wenige Ideen des politischen und wirtschaftlichen Lebens, mit denen vorsätzlich und fahrlässig so viel gleisnerischer Unfug getrieben wurde und wird, wie das mit dem Begriff „sozial" geschieht. Das lateinische Wort socius bedeutet ursprüngtich Bundesgenosse; -s weitet sich in moderner Fassung zum Vorstellungskreis von der idealen Volksgemeinschaft, alle jene als eines großen Bundes Glieder umschlingend, die gleicher Litte, gleicher spräche, gleichen Blutes sind. Das begriffliche Widerspiel dieses naturgegebenen „sozialen" Zustandes liegt in der Formel: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!, jener Zweckverbindung der Worte Klassenkampf und Internationale. Wer sich zum Nasscnkämpferischcn Internationalismus bekennt, der streift bewußt sein Volkstum von sich ab, der tritt logisch aus dem Ring der Landsgenoffen hinaus; denn das marxistische schließt das natürliche — nicht künstlich konstruierte — soziale Prinzip aus und unrgekchrt. Der soziale Gedanke ist mithin wesentlicher Bestandteil des nationalen. Aus dem letztere» aber quellen zwei Pflichtenfolgerungen mn so stärker, je höher wir ihn bewerten: Ehrlichkeit gegenüber dem Volks genossen und Disziplin gegenüber der natürlichen und heute allent halben' künstlich hochgeschraubten Begehrlichkeit des Volksgenossen. Denn am Ende hängen wir doch ab von den geistigen Gestaltungen, die wir selber schufen. Es erübrigt sich, von der prinzipiellen Unehrlichkeit zu sprechen, jenem dogmatischen Vorsatz zur Utopie, die unsere marxistischen Par teien aller Farben kennzeichnet. Aber man soll sich auch hüten, den nach Anschluß an sein deutsches Volkstum ringenden Teil der Arbcit- nehmersciM fahrlässig oder meinetwegen gutgläubig zu täuschen durch nationale Verbrämung sozialer Forderungen, die in Wahrheit -sozia listisch sind und mit diesen den Dilettantismus volkswirtschaftlicher Gedaukengänge und die praktische UndurtWhrbarkeit gemein haben. Die Herüberseitung der roten Flut in ein völkisches Flußbett, wie sie in Rußland'geglückt ist, wäre auch für uns eine Tat von ungeheuer historischer Tragweite, aber sie muß letzten Endes nicht nur unfrucht bar bteibcn, sondern würde sich wahrscheinlich einmal furchtbar rächen, wenn sie behaftet bleibt mit jener sozialen Nervenschwäche, jener ver hängnisvollen Halbheit, die den schonungslosen Mut zur Konsequenz nicht finden kann, den Mut Lenin's, der seinem national gewordenen Kommunismus klipp und klar erklärte: es geht nichtl der soziale Teil unseres Programms ist unausführbar. Bei der Behandlung des bedenklichsten unserer Zeitprobleme reicht die subjektive Ehrlichkeit nicht aus, nur allzu nahe liegt die Gefahr, daß zum völkisch verderblichen Irrlicht wird der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln. Denn Politik ist die Kunst des Möglichen. Politik treiben heißt innerhalb der Grenzen des Möglichen bleiben. Erreichbares erstreben, Nücksicht darauf nehmen, was nach Maßgabe der Wirklichkeit, ihrer Bedürfnisse und Notwendigkeiten, erfüllt werden kann. Wo der Soziologe — gleichgültig ob Marxist oder nicht — über diesen Nahmen .sinaustritt, da beginnt die Sphäre des Radikalismus. Letzterer stellt gewöhnlich allgemeine Gedanken, Grundsätze, Programme auf ohne Rücksicht auf die tatsächlich vorhandenen Zustände. Diese innerliche Unsicherheit aber muß sich naturgemäß in demagogisch-propagan distischen Formen materialisieren. Ein Beispiel für viele: der „Rcichs- ruart" des freihcitsparteilichen Grafen Reventlow brachte unlängst folgende Spekulation auf die Geistesverfassung der zu umwerbenden Masse: „Der Unternehmer arbeitet nienwls; er genießt stets arbeits loses Einkommen, denn er lebt von demjenigen Teil des Arbeits ertrages seiner Angestellten und Arbeiter, den er diesen auf Grund seiner wirtschaftlichen Uebcrlcgcnhcit vorenthält. Sittliche Berech tigung ist ihm nur in ganz geringem Ilmfange zuzugestehcn, und daher müssen die Arbeitnehmer grundsätzlich danach streben, das Unter nehmertum allmählich aus der Wirtschaft auszuschalten und an Stelle der Unternchmerwirtschaft andere Wirtschaftsmethoden einzuführcn." (Michswort Nr. 10, Ig. 1923.) TamR W ckMr Ver Mkveschm psmvo-soMcm VE- ken zum Radikalmarxismus geschlagen, ohne daß von der Heiligung dex Mittal mit Beziehung auf den Zweck die Rede lein kann. Der letzte Sieg wird auch hier bei der abgeklärten Objektivität liegen, die nur da erreichbar ist, wo Liebe zu Boll und Vaterland sich mit fachwissenschaftlich geschulter Erkenntnis der inneren Zu sammenhänge und daraus fließender reifster Urteilskraft vereinen. Zur Lösung der gigantischen Aufgaben auch auf sozialem Gebiete, die wir vor uns haben, sind höhere Kräfte erforderlich, als sic die in jeder Hinsicht verwüstete Welt freizumachen vermag: die Einschaltung des christlichen Gewissens. Je mehr unser Volk sich verinnerlicht, je mehr es im Geist des lebendigen Christentums die Baugrundstoffe findet, deren cs in Staat und Wirtschaft bedarf, desto ehcr wird cs zur Treue und zu jenem geläuterten sozialen Empfinden cmporsteigcn, au« dem letzten Endes die sittlich-nationale Wiederbringung aller hcraufblüht. Dr. H.-Aue. Berlin, 2. April. Wie heute an der Börse bekannt wurde, hat die kleine Berliner Bankfirma Hans F. Liebhardt ihre Zahlungen eingcstcllt. Außerdem werden aus Düsseldorf die Zahlungsein stellung einer 'dortigen größeren Bankfirma, die erst vor wenigen Jahren gegründet wovdcn ist, und Zahlungsschwierigkeiten weiterer Firmen gemeldet. Berlin-, 2. April. Nachdem der auf ein Einvernehmen mit der bayrischen Volkspartei für die Reichstagswahlen hinzielende Vorschlag in der Bayrischen Dolksparteikorrespondcnz nbgelehnt worden ist, hat die Rcichsparteileitung der deutschen Zentrumspartei beschlossen, in allen 4 bayrischen Reichstagswahlkreisen eigene gcntrumskandi- baten aufzustellcn. Berlin, 2. April. Geheimer Rcgierungsrat Prof. Dr. Wage mann wurde zum Präsidenten des Statistischen Reichsamts ernannt. Hamburg, 2. April. Im Streik der Arbeiter der Flnßschiffwerften, die seit Ende Februar ansgesperrt sind, ist ein Schiedsspruch gefällt worden, der einen Stundcnarbcitslohn von 69 Pfennig bei 48stün- digcr Wochenarbeitszcit vorsieht. Ferner ist auf Anfordern 1 Stunde Mehrarbeit zu leisten. Bei de» ebenfalls im Streik befindlichen Ar beitern der Sceschiffswcrften sind neue Verhandlungen noch nicht ein- gcleitct. Köln, 2. April. Die auf gestern in Düsseldorf anbcraumtc Be sprechung zwischen der Micum und dem Sechserausschuß des Ruhrbcrgbaus ist in letzter Stunde bis auf weiteres vertagt worden. Sie wird voraussichtlich am 8. oder 9. April stattsindcn. Bochum, 2. April. Das lleberschichtcnab kommen wurde seitens der vier Bcrgarbeiterverbände zum 15. April ge kündigt. New Pork, 2. April. Wie „New Bork Tribune" aus Washington meldet, begegnet die Resolution betr. die Zuwendung von 10 Millionen Dollar für das Deutsche Hilfswerk in der Senatskommijsion für auswärtige Angelegenheiten heftiger Opposition. Es wurde u a. geltend gemacht, daß Sparsamkeit geboten sci. Auch wurde dar auf hingewicscn, daß eine Anzahl von wohlhabenden Deutschen ihr Geld verschwenderisch ausgcben. Aus den Parleien. Der von der Deutschen Volkspartci im 33. Wahlkreis im schwarz-wciß-rot geschmückten Saale des Kaufmännischen Vcr- einshauses in Chemnitz stattgefundcnc Bismarckabend war von Tausenden besucht. Selbst aus der weiteren Umgebung, so ans Aue, waren zahlreiche Anhänger der Partei erschienen. Die Fest rede hielt Reichsaußenminister Dr. Stresemann. Ausgehend von dem Geburtstag Bismarcks gab er ein Bild des Realpolitikers Bismarck, dessen Größe darin bestanden hätte, die äußeren und inneren politischen Dinge vom Standpunkte der Real politik zu Meistern. Diejenigen, die in Bismarck nur den Mann von Blut und Eisen sähen und ihn gewissermaßen als Gewaltpolitikcr hinstellten, verkennten sein Wesen. Der Nikolsburger Friede, der im heftigsten geistigen Kamvfe mit dem preußischen König und gegen den Willen der preußischen Militärs Bismarcks Werk war, die Rcichsvcrfassung des neuen Deutschen Reiches zeigten Bismarck als den genialen K o m p r o m i ß p o l i t i k e r, der sich mit aller Ent schiedenheit gegen eine die realen Verhältnisse und Imponderabilien übersehende Politik wendete. Bismarcks Innenpolitik gab den Freihandel ans, als Lie Schutzpoiitik notwendig wuide, brach den Kulturkampf ab, als er eine Gefahr für Deutschlands Einheit ge worden war, suchte die Bundesgenossen da, wo er sic fand. Ucbcr die Doktrinäre hat niemand so sehr gespottet wie Bismarck, der da von sprach, daß cs Zeiten gebe, in denen man liberal, und Zeiten, in denen »ran diktatorisch regieren müsse. Bismarcks Mahnruf in Jena, der das deutsche Volk ausforderte, das Parlament nicht zu weit ausschaltcn zu lassen, zeigt ebenso wie sein Verlange» nach Indemnität nach dem großen Siege über Oester reich, wie fern es ihm lag, das Parlament zu beseitigen, wie sehr er vielmehr verstand, cs zu gebrauchen. Diejenigen, die sich heute auf Bismarck beziehen, übersehen diese Seiteck seines Wesens. Bismarck wäre der erste gewesen, der die Konsequenzen aus unserer heutigen außenpolitischen Lage gezogen hätte. Wenn uns die Waffen fehlen, muß eine große nationale Einheit des deutschen Volkes uns das jenige an moralischer Kraft geben, was wir brauchen, um du Stimme eines Sechzigmillionenvolkes gegen alle Vergewaltigung er schallen zu lassen. Dazu aber gehört eine Politik, di« auf Eini - aungdesVolkes hinstrebt und nicht auf seine Zerreißung. Wenn die Deutsche Dolkspartei auf dem Standpunkt stand, daß mit der Sozialdemokratie in ihrer heutigen Zusammensetzung fruchtbare Reichspolitik nicht getrieben werden könne, so sei das ein Ausdruck der tatsächlichen politisä)en Lage und habe nichts mit einer Politik zu tun, die das deutsche Volk in nationale und internationale Hälf ten zerreißen wolle. Schließlich hätte nur die deutsche Volkseinheit bei den Abstimmungen im Westen und Osten unseres Vaterlandes uns deutsche Gebiete gerettet. Wer da glaube, daß wir sie heute nicht mehr brauchten, wisse nicht, vor welchen Entschlüssen wir vielleicht auch in bezug auf andere deutsche Gebiete noch stehen könnten. Im Anschluß an die Gedankengänge seiner in Hannover gehalte nen Parteitagsrede verbreitete sich der Ncichsaußenminister alsdann über die Notwendigkeit einer realen Außenpolitik, die Opfer in vernünftigen Grenzen übernehme, um dadurch die Volks genossen von Rhein und Ruhr aus ihrer jetzigen Lage zu befreien. Für diese Befreiung Opfer zu bringen, sci die Pflicht des ganzen Deutschlands gegenüber dem, was die Bevölkerung der besetzten Ge biete gelitten hätte. Diese Politik, die das Materielle geringer schätze und die Idee der Freiheit sei, sei eine Politik, die vor dem Nichterstuhl der Geschichte und auch vor Bismarcks Augen bestehen würde. Der Minister war während und nach seiner Rede Gegen stand stürmischer Ovationen. Der Parteitag der Deutschnationalen. Hamburg, 2. April. Auf dem Parteitag der Deutschnationalen erklärte Dr. Helfferich in einer längeren Rede, der Reichstag habe sich vom ersten Tage dagegen gewehrt, mit den Deutschnationalen zusammcnzuarbeitcn. Könne man da von negativer und verantwor tungsloser Opposition der Deutschnationalcn sprechen? Von Len Mittclpartcicn, abgesehen von den Demokraten, habe sich niemand mehr einer Regierung mit de» Deutschnationalen zusammen wider setzt, als gerade Herr Stresemann. Wer positiv gerichtet sei in seinem innersten Wesen, wie die Deutschnationale Partei, der sehne sich nach produktiver Arbeit, dem sei Opposition ein bitteres Brot. Stresemann habe die Schaffung der Nentenmark als die größte Tat der Regierung seit der Revolution bezeichnet. Die Regierung Stresemann sollte sich aber diese Tat nicht auf ihr Konto schreiben. Die Vorschläge seien vom Redner selbst ausgcgangon. Er habe damit nicht der Negierung Stresemann das Leben verlängert, sondern die Rcntenmark habe dem deutsche» Volke das Leben gerettet. Reichstagsabgeordncter Hartwig erklärt als Vorsitzender des Deutschnationalcn Arbeitcrvcrbandes, der Sozialdemokratie sei die Maske vom Gesicht gerissen. Die Dcutschnatioiiale Volkspartci zähle heute die meisten Arbeiter in ihren Reihen. Sic mache das Deutsche Reich nicht nur von roten Ketten, sondern auch von Sklavcnkctten frei. Landtagsabgeordnetcr Schlange-Schöningen sprach über das Thema „Völkisch und vaterländisch". Der Redner erklärte, die deutsche Revolution habe auch nachträglich nicht ihren Befähigungsnachweis erbracht. Fehler habe natürlich auch der alte deutsche Staat gehabt, wie alles Menschcnwerk. Unsere Revolution dagegen habe den Nationalstolz abgeschworcn, weil sic getragen wurde von dem Geiste Les Juden Marx, der kein Vaterland kannte. Heute wende sich die Deutschnationale Volkspartci an dic Jugend, um sic zu sieghafter Kampföewegung zusammenzufasscn und damit die staatsmännischs Er fahrung des Alten zu verbinden. Der Rodner bat die Jugend, sich nicht verbittern zu lassen, denn das arme Vaterland könne nichts dafür, daß es so schlecht bohcrrscht werde. Redner schildert dann, was dic Deutschnationle Partei als solche für den völkischen Gedanken in de» letzten Jahren getan habe. Er hielt den gewaltsamen Umsturz der demokratischen Staatsform nicht für notwendig, weil diese eines Tages von selbst stürzen werde, und bekannte sich zum deutschen Kaiser tum. Die Dcutschnationalc Partei habe die Aufgabe, dic zersplitterte völkische Bewegung zusammcnzuschließcn. An diese mit stürmischem Beifall ausgenommen,: Rede schlossen sich Ausführungen des Fürsten Otto von Bismarck. Der Redner bekannte sich als Vertreter der deutschen Dismarckjugend unter lebhaftem Bei fall der Versammlung zu den Grundsätzen der Deutschnationalcn Dolkspartei. Nachdem noch der Vorsitzende der Ortsgruppe Buenos Aires, Swart, das Treugelöbnis der Ausländsdeutschen, das Mitglied des Danziger Parlaments Schwa dtmann die Grüße der Freien Stadt Danzig, sowie ein Redner aus Köln die Grüße des be setzten Gebietes übermittelt batte, wurden die Verhandlungen mit einem Schlußwort Hergts geschloffen, der dem Wunsche Ausdruck gab, daß alle begeistert in den Wahlkampf gehen mögen. * Die Kandidatenlsste der VSPD. im Wahlkreis Chemnitz-Zwickau hat jetzt folgende endgültige Zusammensetzung erfahren: 1. Heinrich Ströbel. 2. Max Seydewitz. 3. Bernhard Kuhnt. 4. Dr. Paul Levi. 5. Daniel Stückle». 6. Hermann Molkcnbuhr. 7. Postsekretär Emil Leschke. 8. Georg Graupe. 9. Fritz Vicligk. Der Parteitag der Deutschen Demokratischen Partei findet am 5. und 6. April in Weimar statt. Adel im Bauernbluk. Roma» eines Westfalen von Georg Heinrich Taub. (36. Fortsetzung.) Die Stimme der Sprechenden zitterte. Der Alte kiaym das Geschenk und führte dann unwillkürlich der Geberin Hand an seins- Lippen. Wortlos betrachtete er die kostbare, reich mit Steinen verzierte und mit einer Widmung versehenen Uhr. i Endlich erhob er sich und wandte sich zum Gehen. Noch einmal hörte er von allen Seiten herzliche Worte, -— Worte, die ihm wie Balsam in das Herz fielen! So schied Her treue Brinkmann aus Schloß Uhlen horst. - 27. . ' Als Thedo Starke an einem der schönen Früh lingstage, die diesmal schon im April sich einstellten, frühmorgens erwachte, war in ihm der Entschluß zur Reise gebracht worden, seinen Bruder Fritz, der eben das zwanzigste Jahr überschritten hatte, fortan in die Lei tung der Arbeit des Hofes ciuzujühren. Beim Früh-- stück sagte er denn auch zu ihm: „Fritz, laß heut dein Pferd satteln; wir wollen zusammen über die Felder reiten. Dem Jüngeren, der feinem erwachsenen Halbbru der sehr zugetan war, pochte das Herz. Ungeduldig vor Erwartung hatte er sich beritten gemacht, ehe noch Thedo aus dem Hause getreten war. „Ich will dir heute zeigen, welche Ausdehnung der Hof hat. Merke dir genau die Grenzen, Fritz!" sagte der Aeltere und dann ritt man, voll Hochgenuß den Zauber des Morgens auskostend, querfeldein. Als der nachgeborcne Sohn hätte Fritz eigentlich!, wie es die Ucbcrlicfcrung war, einen „gelehrten Be ruf" ergreifen können. Aber der junge Mann war Landwirt aus Beruf, aus ganzer Seele. Thedo halt« Leiner Mutter beim Erntefest uanr. «Eia aesaat: M ist ein Besserer Landwirt äl? ich; "er ist mit allen Ge danken dabei; in einigen Jahren kann er mich vertreten. Wie er da auf dem Pferde neben ihm ritt, eine halbe Länge zurückbleibend, damit er des Bruders Worts hören konnte, prall umspannt von der wollenen Joppe, auf dem krausen Haar eine tuchene Mütze, sah er wie der geborene Landwirt aus. Tas Auge, das klar und froh in die Welt blickte, verriet, daß er auf all die kleinen Zeichen achtete, vermittelst derer der Landwirt er rät, was die nächsten Tage und Wind und Wetter brin gen. In Thcdos Schule war er gründlich theoretisch und praktisch ausgebildet worden, so daß er am Finger auf- zählcn konnte, wann die einzelnen Fruchtartcn gesät und geerntet wurden, aber auch wußte, wo und wie man sie am besten verwertete, welches Bodens sie bedürften und welche Art für einen bestimmten Landcharakter die gew unbringendste sei. Ein« Stunde etwa waren sie geritten und hatten erst den Vogen um das Wicscntcrrain gemacht, dessen letzter Zipfel bis an die Wassermühle hcranrcichte, die schon in dieser frühen Morgenstunde fleißig mahlte. „Süh do — Korl!" sagte Fritz, der mit scharfem Auge auf dem steinigen Terrain am Berghang jenseits der Ruhr den Schäfer erkannte, der auf dem Wege zu seinen Futterplätzen war. ' «Ich sehe ihn nicht — ich fürchte, meine Augen werden schwächer," meinte Thedo wie zu sich selbst. „Kannst du ok den Jungen scih'n?" „Jo — Franz is dichte bi em," antwortete der Ge fragte. Nach einem kurzen Ritt hatten sie die Felder er reicht uno sahen nun so recht, daß cs Frühling sei — die Zeit zur Saat. - „Ein Sämann ging aus, seinen Samen zu säen!" sagte der jüngere Starke. „Fritz, die Zeit ist vorbei, in der die Leute bett Samen selbst ausstreuten. Ich hab's noch gesehen ti id selbst getan; du und unsere Nachkommen werden alles mit der Maschine besorgen. " „Früher war'S schöner — heute ist'» gewinn- brinoender..' ".Schöner war's früher", bestätigte Thedo, in dem der Poet rege wurde. „Ja, cS war ein unbeschreiblich köstliches Gefühl, den Samen Handvoll für Handvoll auszustreuen mit dem Gedanken: in einigen Monaten gibt dir Gott das Zwanzigfache wieder." Als sie näherkamcn, sahen sie die Maschinen ar beiten. Einige Streifen, dic sich mvrgcnweit ausdehnten, trugen schon das grüne Kleid überwinterter Saat. An dere wnrdcn nüttclst schnell arbeitender elektrischer Pflüg« bearbeitet. Es war eine Lust, den Strahlen braunen Erdreichs m't dem Ange zu folgen, wie sie unter den scharfen Pflugscharen hcroorquollen, sich in der Lust zermürbten und in die Furche zurücksielen. Ein eigenartiger Hanch stieg aus dem Erdreich empor. Aus Thedvs Augen ging ein freundliches Leuchten her vor; sein Bruder schnupperte gierig den Vodcngcruchi ein und rief: , „Thedo — daS iS unse Wcitcland." Ter gutgcdüngte, auch mit modernen Nährmitteln! gehörig durchsetzte Boden nahm nach gründlicher Zu bereitung durch Pflug und Egge den von Sämaschinen; gleichmäßig ausgctragencn Samen auf. Hinter dem Sä- mvtor folgten die Maschinen, welche das letzte Ebnen des Feldes besorgten. , Ter alte HußmcMn, den sein Herr heranwinkte, gab einige Äuskllnste, und Thedo sagte: „Hußmann — wenn 'k no Münster go — Jt weit't jo — möt Hei hier no'm Rechten seih'n. Jt könnt em düt und dat seggen, Hußmann." „Jo, jo — ick soll't em seggen, Här!" sagte Huß mann und ging w eder von dannen. Tie Reiter kamen nach einem flotten Ritt von einer halben Stunde, vorbei an Buschkämpen und Nadelholz streifen, an dem Rand des Feldtcrrair 3. Dort begann ein felsiger Boden, der allen Kulturversuchen hartuäckia widerstand und nichts einbrachtc. Hier war das Reich! der Bro.mbcer- und Ginstcrsträucher. „Hier will ich später eine Zuckerfabrik anlegen," meinte Thedo, der immer noch neue Pläne tm Kopfe trug, die ErträguM de» Gutes zu steigern. , tSorMAUNL wwt.)
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