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Nr. 297 — 92. Jahrgang Wilsdruff Trespe» Postscheck: Dresden Donnerstag, den 21. Dezember 1933 Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffer Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. Erei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpfg. Alle Postanstalten und Post boten, unsereAusträgeru. LL n Geschäftsstelle, nehmen zu lederZeitBestellungenent- Wochenblatt sur Wllsdruff u. Umgegend gegen. Im Falle höherer Gewalt,Kriegod.sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 durch F-rnrus übermittln Anzeigen übern, wir keine Gnrnmie. Jeder R-bnI.anspruch erM-F, wenn' der Veirug durch «läge emgezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Steuern als Mrtschafisbarometer. Vor kurzem hatte der Staatssekretär im Reichsfinanz- ministerium, Reinhardt, in einer Rede darauf hingewiesen, die Belebung der Wirtschaft mache sich zum Teil bereits bei dem Aufkommen jener Steuern geltend, die der Kon junkturentwicklung unserer Wirtschaft besonders eng an gepaßt sind und daher dieser Entwicklung nach oben oder nach unten ziemlich schnell folgen. Ähnliches vermag nun auch der Nachweis über die Reichssteuereinnahmen bereits für den Oktober d. I. zum Ausdruck zu bringen; denn das Aufkommen aus der Umsatzsteuer sei in jenem Monat schon um fast acht Millionen Reichsmark größer gewesen als das im gleichen Monat des Vorjahres. Auch die Erträge aus der Körperschaftssteuer, die das Ein kommen der mittleren und großen Wirtschaftsunterneh mungen trifft, befindet sich in einem zum mindesten für die Reichskasse erfreulichen Auftrieb. Eine noch genauere Darstellung, die aber natürlich nur seinen Bezirk umfaßt, hat vor kurzem auch der Prä sident des Landesfinanzamtes Düsseldorf gegeben. Dieser Bezirk gehört zu den industriereichsten ganz Deutsch lands und mußte daher einerseits von der Krise, dann aber wieder von der Belebung vor allem in der deutschen Industrie auch steuerlich stark beeinflußt werden. Bei diesen Mitteilungen ist zunächst einmal der Hinweis interessant, daß, trotz der außerordentlich starken Erhöhung der Um satz st e n e r anfangs 1932 auf mehr als das Doppelte, als der Reichssäckel nach Auffüllung förmlich schrie, die er wartete Ertragssteigerung von mindestens 80 Prozent nicht im entferntesten erfolgt ist, sondern nur eine solche von — 26 Prozent! Ebenso interessant ist das Bild, das sich ergibt, wenn nun einmal der Ertrag der Umsatzsteuer selbst zurückgerechnet wird auf die Höhe des Um satz e s. Von 1929 bis 1930, als sich die Krise nun schon recht stark bemerkbar machte, ist dieser Umsatz um 16 Pro zent zurückgegangen; im nächsten Jahre war er um weitere 15 Prozent Kesunken und 1932 schrumpfte er nochmals sogar um 29 Prozent ein. Dann kam das erste Vierteljahr 1933 mit dem tiefsten Stande des Umsatzes, aber auch zugleich mit der Wendung zum Besseren: denn nun stieg er wieder, stieg im zweiten Vierteljahr 1933 im Verhältnis zum Vorjahr um 6,15 Prozent und dann im dritten Vierteljahr um 23,5 Prozent über den Stand der betreffenden Zeit des Vorjahres hinaus. Darin zeigt sich die Entwicklung der Konjunktur besonders in der In dustrie, wo ja die Belebung am stärksten ist, — aber auch in anderen Bezirken als in Düsseldorf wird sich ein ähn liches Bild zeigen und beweisen lassen. In diesem industriereichen Bezirk war naturgemäß unter dem Einfluß der Wirtschaftserstauung feit 1928 auch der Ertrag der Lohnsteuer schließlich bis auf weniger als die Hälfte gesunken. Nun kam 1933 die Wieder einstellung vieler Hunderttausender von Arbeitslosen, und man sollte nun eigentlich annehmen, daß infolgedessen auch der Ertrag der Lohnsteuer, die ja direkt vom Lohn und Gehalt erhoben wird, sich entsprechend gesteigert hätte. Das ist aber nicht der Fall. Im Oktober d. I. bleibt vielmehr das Gesamtaufkommen aus dieser Steuer noch etwas hinter dem des gleichen Monats 1932 zurück und dürfte im November etwa die damalige Höhe erreicht haben; der Präsident des Landesfinanzamtes Düsseldorf jedenfalls konnte für November ein leichtes Ansteigen des Lohnsteuer- ertrages über den des entsprechenden Monats im Vor jahre mitteilen. Dieses ZurückbleibendesLohnsteuerauf- kommens hinter der tatsächlichen Wirtschaftsbelebung hat nun eine ganze Reihe von Gründen. So ist diese Steuer für die Hausgehilfinnen weggesallen, fehlt der Betrag der Lohnsteuerfreiheit der Spenden zur Förderung der nationalen Arbeit und wird die Ehestandshilfe, die an die Stelle des Ledigenzuschlages getreten ist, seit dem 1. Juli besonders verrechnet. Der Düsseldorfer Landes- finanzamtspräsident wies aber auch noch aus einige andere Gründe hin, die eine Steigerung der Lohnsteuer ent sprechend der Mehrbeschäftigung in der Wirtschaft doch recht erheblich abbremsten: Es wären bedeutend mehr Menschen zur Arbeit, also auch zu Lohn und Gehalt ge kommen, aber andererseits hätten viele große Betriebe die 40-Stunden-Woche eingeführt und die Überstunden und überschichten abgeschafft; außerdem wäre bei den Kommunen und Verbänden ein Abbau der Gehälter durch geführt worden. Vielfach wären auch Steuerermäßigungen auf Grund des Gesetzes in Anspruch genommen worden, weil der Steuerpflichtige erwerbslose Familienangehörige zu ernähren hätte usw. So ergibt sich, sozusagen steueramtlich begründet, die schon anderweitig mehrfach festgestellte Tatsache, daß die Einkommenshöhe des lohnsteuerpflichtigen Einzelnen sich im Laufe des Jahres wenig nach oben entwickelt hat, sich seine Kaufkraft also kaum steigerte, sondern daß das Einkommensniveau und damit auch wieder die Massen kaufkraft sich gleichsam nach der Breite hin aus dehnte. Und hieraus wieder ergibt sich mit klassischer Klarheit, wie notwendig die Mahnungen und Warnungen Hegen Preissteigerungen sind, die über das Niveau der Kaufkraft hinausgehen: Nicht Preiserhöhung, sondern Umsatzstcigerung ist auch von dieser Seite gesehen das Gebot der Stunde. Gleiches stecht Mr alle! Paris informiert sich über Deutschlands Forderungen. Besonders über die Gleichberechtigung. Der erste Botschaftsrat der französischen Botschaft in Berlin, Arnal, ist in Paris eingetrosscn und hat sich so fort zum Quai d'Orsay begeben. In gut unterrichteten Pariser Kreisen erklärt man, daß der Botschaftsrat im Besitz eines Berichtes des Botschafters Fran?ois-Poncet sei, in dem auf Grund von Mitteilungen der Reichsregie- rung die deutsche Forderung auf Gleich berechtigung genau dargelegt sei. Den Bericht habe er Paul-Boncour überreicht. Bei den deutschen Mitteilungen handele es sich nicht um eine Note, sondern um sogenannte „Punktationen", d. h. genaue Feststellungen über die bisherigen Unter handlungen. Das in Paris verbreitete Gerücht über die Über bringung einer deutschen „Note" durch den Botschaftsrat Arnal von der französischen Botschaft in Berlin wird vom französischen Außenministerium selbst dahin richtiggestellt, daß es sich nicht um eine diplomatische deutsche Note im eigentlichen Sinne handele, sondern um eine ausführ liche Darstellung der beiden Unterredungen des französi schen Botschafters mit dem Reichskanzler Adolf Hitler. Es handelt sich also letzten Endes um einen Bericht Franyois-Poncets an die französische Regierung. Zum Schluß seiner zweiten Unterredung mit dem Führer habe Franeois-Poncet zu verstehen gegeben, daß eine genaue Aufzeichnung des Inhalts der Unterredung und somit der deutschen Forderung für den weiteren Fortlauf der Verhandlungen von Nutzen fein könne. Der Reichs kanzler habe dieser Ansicht zugestimmt. In französischen diplomatischen Kreisen bemerkt man hierzu, die französische Regierung werde nicht durch eine diplomatische Note auf das gestern dem Außenminister überreichte Schriftstück antworten, da es sich ja nicht um eine Note handele. Paul-Boncour werde den Bericht lediglich zur Kenntnis nehmen und dann dem Bot schafter entsprechende Richtlinien für weitere mündliche Verhandlungen erteilen. Das „Echo de Paris" behauptet, daß die in dem fraglichen Schriftstück enthaltenen deutschen Forderungen in vier Punkte zusammengefaßt sind: 1. Sofortige Rückgliederung desSaar- gebiets ohne Volksabstimmung. Als Gegenleistung ist die deutsche Regierung damit einverstanden, daß die fran zösische Regierung die Saargruben bis zum Jahre 1935 benutzt, dem Jahre, in dem laut Versailler Vertrag die Volksabstimmung hätte stattfinden müssen. 2. Die Erhöhung der Iststärke der Reichswehr bis zu 300 000 Mann und Festsetzung der einjährigen Dienst zeit. Die deutsche Regierung fordere außerdem Defensivwaffen im Sinne der Genfer Bezeichnun gen, und zwar ohne Einschränkung. 3. Die deutsche Regierung sei bereii, den deutschen Rüstungsstand einer internationalen Kontrolle zu unter werfen auf gleicher Grundlage mft den anderen Ländern. Diese Kontrolle werde sich vor allem auf die militärischen Verbände erstrecken. 4. Deutschland sei bereit, mit feinen Nachbarn Nicht- angriffsvertrüge abzuschlietzen. * Reichspräsident von Hindenburg empfing den Reichsminister des Auswärtigen, Freiherrn von Neu rath, und den deutschen Botschafter in Moskau, Nadolny, zum Vortrag. * Sie sollen endlich Karbe bekennen. Zu den Berichten der französischen Presse über die Reise des Berliner französischen Botschaftsrates Arnal nach Paris ist deutscherseits folgendes festzustellen: Es liegen keine neuen Vorschläge vor. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine schriftliche Darlegung, wie sie im Verlaufe von längeren mündlichen Verhand lungen üblich Ist. Der Grundgedanke der deutschen Haltung ist unver ändert. Es ist jetzt Sache Englands und Frankreichs, sich zu äußern. Eine Auflösung oder Verkleinerung der SA. ist weder angeregt worden noch beabsichtigt, übrigens sind deutscher seits keinerlei Forderungen ultimativen Charakters gestellt worden. Wie die Antwort auch lauten wird: eine Rückkehr nach Genf kommt für uns nicht in Betracht. Aber auch ein Zusammentritt von mehreren Staaten kommt solange nichtin Frage, als die Frage der Gleichberechtigung nicht eindeutig geklärt ist. Die ersten Querschüsse. Wie nicht anders zu erwarten, beeilen sich gewisse Pariser Bläter, vor allem diejenigen, die dem General stab und der Rüstungsindustrie nahestehen, der franzö sischen Negierung vorzugreifen und sie von vornberein auf eine Ablehnung der deutschen Dar legungen fe st zu legen. Dabei tun sich der chauvi nistische „Figaro" und das „Journal" hervor, die in sturer Gewohnheit in ihren Kommentaren das „Unan nehmbar" sprechen. Die Blätter schwatzen sogar von einer „Übertreibung" der deutschen Forderungen hinsicht lich der Reichswehr und des Kriegsmaterials — die phantastische Übersteigerung des französischen Angriffs materials ist ihnen selbstverständlich. Sehr bezeichnend für die französische Unzuverlässig keit ist die Haltung der Pariser Presse in der Kon trollfrage, seitdem bekannt wurde, daß Italien die Ausdehnung der Kontrolle auf die militärischen Verbände (besonders der Tschechoslowakei nud Jugoslawiens) be fürwortet. In diesem Punkt müsse Frankreich jetzt, so fordert das „Journal", kategorisch sein, da — „Frank reich sonst Gefahr läuft, auf seine eigenen Forderungen fcstgclegt zu werden"! Die Kontrollforderung war bekanntlich im Herbst das A und O der französischen Politik gegenüber Deutschland — jetzt wird diese Forderung den Fran zosen selbst höchst unbequem. Der „Petit Parisien", das Blatt des französischen Außenministeriums, stellt sich so, als seien die deutschen Forderungen, die ja im Verlauf dieses Jahres oft genug in aller Klarheit von den berufenen Männern Deutsch lands ausgesprochen wurden, erst jetzt durch die von Arnal nach Paris gebrachten Darlegungen bekannt ge worden. Das Blatt spricht dabei von bevorstehenden französisch-englischen Verhandlungen mit einem Unterton von Be sorgnis, wenn es schreibt, daß sie „hoffent lich" in herzlicher Zusammenarheit verlaufen würden. Die englische Presse hält sich überwiegend noch zurück. Lediglich der Pariser Korrespondent der „Times" erwartet die Ausarbeitung eines englisch-französischen Abrüstungsentwurfes, den Deutschland dann annehmen oder ablehnen könne; der Hintergedanke ist dabei natürlich: man will im Fall einer deutschen Ablehnung einen Sündenbock für die Forschung der Abrüstungssabotage haben. Der Londoner „Daily Telegraph" nennt die deutschen Vorschläge „viel zu ernst und wichtig", als daß irgend eine Macht ihre Erörterungen ablehnen dürfe. Die Gleichberechtigungsforderung der Reichsregie rung wird auch von der Pariser Abendpresse lebhaft besprochen. Die Auffassung der Blätter ist sehr uneinheitlich und richtet sich je nach der politischen Einstellung. Die „Libertä" lehnt die deutschen Forderun gen rundweg ab. Der halbamtliche „Temps" ist wesentlich zurückhaltender und erklärt, daß die zuständigen Stellen die praktische Tragweite der deutschen Forderungen und tqrc Aus wirkungen genau prüfen würden, bevor sie eine Ant wort erteilten. Man müsse aber schon jetzt feststellen, daß ein Heer von 300 000 Mann mit einjähriger Dienstzeit Deutschland sehr rasch bedeutende Reserven verschaffen würde. Frankreich habe sich nie geweigert, gemeinsam mft Deutschland eine Verständigungsgrundlage zu suchen. Man dürfe aber nicht vergessen, daß man von einem einstimmigen Abkommen ausgegangen sei, um auf Grund des Artikels 8 des Völkerbnndpaktes eine all gemeine Abrüstung durchzuführen. Es handele sich also nicht nur um ein deutsch-französisches Problem, sondern um eine Frage, an der alle Mit glieder des Völkerbundes interessiert seien. — Der links gerichtete „Appel" behauptet, daß man von den Genfer Verhandlungen über die Abrüstung nach und nach zu Verhandlungen über eine Aufrüstung hinüüer- gcrutscht sei und daß jede Hoffnung aufAbrüstung in dem Augenblick aufgegeben werden müsse, in dem man über die Durchführungsbestimmungen einer wenn auch noch so geringen Aufrüstung zu verhandeln beginne. Der Führer bei Hindenburg Reichspräsident von Hindenburg empfing den Reichs kanzler Adolf Hitler zum Vortrag. * Oer englische Botschafter beim Neichsaußen- minister. Reichsaußcnministcr Freiherr von Neurath empfing den englischen Botschafter Sir Eric Phipps zu cmer längeren Aussprache.