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Wir treiben eine stramme Auslese und erreichen damit aück alles, was zu erreichen ist. Natürlich gibt es Ausnahmen- Und natürlich erschien mir gerade die Ausnahme inter essant! „Ja, ich war damals noch ganz jung im Fach und schlief zusammen mit einem anderen Jungen friedlich, als wir einmal vom Nachtdiensttuenden geweckt wurden. Der Mann stand mit verzerrtem Gesicht und flatternden Händen in unserem Zimmer, befahl uns aufzustehen und redete vielerlei von merkwürdigen Dingen, die er zu sehen glaubte. Es stellte sich dann heraus, daß der arme Teufel, der häufig Nachtdienst machte, Morphinist geworden war und sich völlig verwüstet hatte. Ich kann Ihnen aber allen Ernstes versichern, daß es sich hier wirklich um eine Ausnahme handelte." Dann wollte ich den Giftschrank sehen! Es handelte sich um einen sehr kleinen Tresor, in dem alle Gifte, mit Aus nahme des Morphiums, getrennt lagerten. In jedem Gefach gab es besonderes Werkzeug für das betreffende Gift. Das Morphium wurde in einem eigenen Schränkchen aufbewahrt und befand sich in besonderen kleinen Flaschen von drei eckiger Form! „Diese Form ist für das Morphium Vorbe halten, man fühlt das Zeug also gewissermaßen in der Hand Und wird sich schon vom Anfafsen einer solchen Flasche be wußt, um was es geht! Ich selbst habe mir in jungen Jahren oft beim Anfasfen dieser Flasche unwillkürlich die Gesetzes paragraphen wiederholt, die über Morphium erlassen sind. Und hier ist das M o r P h i u m b u ch!" Ich durfte mich dem Buch nur auf drei Schritte nähern, denn es ist jedem Außenstehenden streng verboten, Einblick in .die Listen der Menschen zu nehmen, die gelegentlich oder auch dauernd Morphium bekommen. ..Sie würden erstaunen, wie- viele bekannte Namen dieses Buch enthält, wenn Sie es durch lesen dürften! Natürlich handelt es sich meistens um gelegent liche Rezepte, bei denen das Gift oft nicht einmal die Haupt rolle spielt, aber viele, viele Namen hier bezeichnen auch aus gesprochene Morphinisten, erschreckend oft Menschen guten Standes, hoher Bildung und großen Ansehens. Wenn ich augenblicklich in den Zeitungen so oft von dem biologischen Versagen unserer Jnlell'genzschicht lese, muß ich oft an diese Menschen denken, obwohl natürlich nur ein Teil des Ab sinkens unserer Bürgerklv.gheit wirklich auf solche vollkom menen Abhängigkeiten von Rauschmitteln zurückzuführen ist." Die Glocke klingelte, ein älterer Mann trat ein! Er gab ein Rezept ab und fragte zugleich, ob das für eine schlimme Krankheit sei. „Nein, das scheint mir nicht so zu sein, aber man kann das aus einem Rezept ;a auch nur selten sehen", antwortete mein Gastgeber. Der Mann schien zufrieden und fetzte sich still aus die Wartebank. Nach einer Weile, während der Apotheker arbeitete, begann der Mann aus der Krank heitsgeschichte seiner Frau zu erzählen. Es war, als erleichtere ihn das, und mein Bekannter hörte mit scheinbarer Aufmerk samkeit zu. sagte aber nichts. Der Mann ging wieder. „Auch das ist ein Kapitel für sich", erzählte der Apotheker, „die wartenden Menschen nachts! Sie sind säst immer erregt, fragen in den meisten Fällen, was man von der' Krankheit zu halten habe, für die dieses Medikament gut sein solle. Es ist verboten, aus solche Fragen zu antworten. Man kann sich auch wirklich einmal irren, abe- meist wissen wir doch, zumal, wenn wir ein Mittel geben müssen, dessen einzige Bestimmung nur die sein kann, einem Sterbenden die letzte Schmerzlinderung zu verschaffen oder in einem ver zweifelten Fall eine Art von Gewalt anzuwenden! Man muß dann gleichmütig bleiben und schweigen, überzeugende Aus flüchte finden. Und mit der Zeit wird man dann wirklich etwas gleichmütig gegen das Uebermaß von Leid, das unter den Menschen umgeht." Wir saßen zuletzt wieder in dem kleinen Studierzimmer. Mein Bekannter lehnte in seinem Stuhl, wir tranken Tee und rauchten. „Sie mögen zum Schluß noch hören, was ich als junger Apotheker einmal erlebte. Das war in einer kleinen Stadt, in der jener Kreis gebildeter Menschen oft in engem Verkehr steht und sich recht abgeschlossen hält. Man spricht dann wohl scherzenderweike von den Honoratioren. Nun, es gab dort eine sehr schöne Frau, die vielleicht schon viel Unheil mit ihrer Schönheit angerichtet haben mag, ehe ich sie kennenlernte. Ich begegnete ihr verschiedentlich, sie war sehr freundlich zu mir, sie zeichnete mich sogar gelegentlich aus, indem sie mich zu ihrem Tischherrn bestellte, mit mir tanzte oder mich auf einen Platz in ihrer Theaterloge einlud. Ich war sehr froh über ihre Gunstbezeigungen und sicherlich verliebt in diese Frau. Nun, eines Nachts ging die Glocke, ich öffnete, eine ver schleierte Dame trat ein, es war jene Frau! Ich erschrak ehr lich und glaubte, ihr höfliche Vorhaltungen machen zu müssen. Ehe ich aber sprechen konnte, umschlang mich die Frau und bettelte ^-um Morphium! Ich hätte das Gift um einen sehr schönen Preis hergeben können, mein Schicksal war aber damals gütig genug, mir ^ur rechten Zeit die Kraft zu einer Entscheidung zu geben, die zwar für mich darin bestand, daß ich die Stadt sehr bald verließ, mir dafür aber auch den inneren Halt schenkte, der uns aus einer überwundenen Ver suchung für das ganze Leben zuströmen kann." Man soll nicht sagen, das Leben sei weniger gefährlich als gut erfundene Geschichten, dachte ich, als ich mich verabschiedete. Gefunden. Skizze von E. Beutner. Vor drei Tagen hat der Hintermoiser Sepp mit seiner Alten, der Babett, Krach gehabt. Seitdem tut sie dumm. Sepp kann sie fragen, was er will, sie antwortet eben nicht. Das ist für den Mann auf die Dauer unerträglich. Heute sitzen sie sich wieder schweigend beim Morgenkaffee gegenüber. Keines sagt ein Wort. Da fährt Sepp barsch auf, blickt zornig die Frau an und stellt den Kafseetopf mit hartem Schlag auf die weißgescheuerte Tischplatte. „Der Kaffee schmeckt heut aber gar net!" sagt er verärgert. Babett erwidert nichts, steht aus und verläßt die Stube. Sepp bleibt noch eine Weile sitzen und überlegt. Plötzlich er hebt er sich, droht mit der Faust nach der Tür zu und mur melt: „Wart', Weibsbild, verruckts, — i werd Dir's reden lerna!" Dann geht er aus der Stube, wirft krachend die Tür zu, steigt die knarrende Holztreppe hinaus und begibt sich in die gute Stube. Er zieht die Jacke aus und beginnt seine Arbeit. Ruck artig öffnet er mit lautem Geräusch die Schranktüren und wirft sie lärmend wieder zu. Er zieht die Schiebkasten aus der Kommode und stellt sie polternd auf die Diele. Einige Messingschalen wirft er unsanft auf den Fußboden. Sepp macht Unordnung und Krach, er schwitzt vor Eifer und Aufregung, fühlt sich aber Wohl dabei. Verängstigt horcht unten in der Stube Babett auf das Getöse und Klirren. Unter Sepps wuchtigen Schritten dröhnt die Decke. „Was er bloß dort oben treibt! Vielleicht schlägt er die Wirtschaft zusammen?" Sie mutz hinauf, muß einmal nachsehen ... Auf der Türschwelle bleibt sie stehen und blickt hände ringend auf die Zerstörungswut ihres Mannes, der sich wie ein Wilder gebärdet und ihr eben zwei Porzellanteller vor die Füße wirft, daß sie klirrend in Scherben gehen. Er ergreift die, große Glasschale und holt zum Wurfe aus. „Aber Sepp, was treibst Du denn da?" ruft sie entsetzt . . . weinend. Da stutzt der Mann, stellt das Gefäß wieder auf die Kommode, tritt auf sie zu . . . stemmt die Hände in die Hüften und lacht laut: „Jetzt hab' i's, — jetzt hab' i's!" sagt er fröhlich und wischt sich den Schweiß von der Stirn „Dei Gosch'n hab' i g'sucht, und jetzt endlich hab' i's g'funden!" Gründliche Schriftsteller. Zu den gründlichen Schriftstellern wird man den be kannten Verfasser von Kriminalromanen, Edgar Wallace, schwerlich rechnen können. Lieferte dieser wenigstens der Zeilenzahl nach ungemein fruchtbare Verfasser doch eine Zeit lang fast Woche für Woche einen neuen Roman. Ihm gegen über nahm sein Landsmann, der kürzlich verstorbene Histo riker Sir John Fortescue, seine Aufgabe, eine Geschichte der englischen Armee zu schreiben, erheblich gewissenhafter. Ver wandte er doch mehrere Jahrzehnte auf seine Arbeit, die ihm dann nur ein lächerlich geringes Honorar einbrachte. Aehnlich gründlich haben auch noch andere Ritter der Feder zu ar beiten verstanden. Ein Professor in Tokio schrieb 40 Jahre an einer Uebersetzung Shakespeares ins Japanische. Nicht ganz so lange, nämlich nur rund drei Jahrzehnte, brauchte der amerikanische Professor Hewitt sür die Uebertragung eines sehr langen epischen Gedichts eines Jndianerstammes ins Englische. In dies Gebiet kann man auch Werke wie das sechsunddreißigbändige italienische und das im Erscheinen be griffene fünfzigbändige russische Sachwörterbuch rechnen, mit denen seit vielen Jahren eine große Anzahl Gelehrter be schäftigt ist. Aber selbst diese beiden Riesenwerke erscheinen als lächerlich unbedeutende Kleinigkeiten verglichen mit einem gleichartigen Werke aus dem Fernen Osten, der chinesischen Enzyklopädie Tschin-ting-ku Tschin-tu-schu Tschi-tscheng, von dem die erste Ausgabe 1064 Bände, eine später erschienene zweite aber gar rund 6000 umfaßt. Diese bildet «inen der größten Schätze des Britischen Museums. /