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Wilsdruffer Tageblatt : 08.12.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193312082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19331208
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19331208
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-12
- Tag 1933-12-08
-
Monat
1933-12
-
Jahr
1933
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 08.12.1933
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Unterdalmngs-ZtunLie und dann, den Finger ins heraus. Strahlend stand Michel neben dem Bau. Strahlend sah er dem Treiben des Russenjungen zu. Man verkehrte wenig mit den Russenkindern — man sollte es doch öfter tun, zum Beispiel im Hamsterfang konnte man allerlei von ihnen lernen! Aber in einer Höhle war ein alter Hamstermeister. Der hatte seine Vorräte anss schönste geordnet liegen im geräu migen Bau: hier Sommer-, dort Wintergerste, da Welschkoru und im Winkel sogar trockene Trauben. Der hatte dem Hund seine List abgesehen. Ihm goß Michel Wasser in den Bau. Aber der Hamster ging rückwärts in den Kanal, blähte sich auf, daß er die Röhre füllte und war wie ein Pfropsen im Flaschenhals. Das Wasser, das seine Hinterseite bespülte, kehrte aus dem Röhrenmnnd zurück, und da Michel sich den Vorgang nicht zu deuten wußte, zog er enttäuscht ab. Namenlos war, was sich aus der Steppe betätigte. Die Steppe war die Welt, in ihr bewegten sich nur Figuren. Ein Hannes oder ein Konrad, ein Iwan, ein Jgnatij oder eine Anna — wie sie sich auf der Steppe verteilten, so waren sie ihr auch untertan, und es ist nichts Namentliches von diesem Jnwesen zu berichten. Im Frühling war man stummer Sklave der Steppe, weil man ihr als Herr und Meister im Herbst die Ernte abnehmen wollte. Stumm blieb der Felder dienst, im Frühling lief die Arbeit still, im Herbst würde man laut sein dürfen, mit Zuruf, Sensenklang und Erntelied. Jetzt hieß es sozusagen in die noch vom Winter betäubte Natur sich einschleichen, hie Steppe, die sich den langen Schlaf eben aus den Augen rieb, für das neue Jahr vor einen fertigen Zu- tand stellen: würde sie dann vollends erwachen, so würde sie stich in grüne Fesseln geschlagen finden. Auch die Wölfe in >en Schlupfen Pflegte man um diese Zeit zu jagen, wenn sic vom langen Eingeschneitsein noch steife Glieder hatten. Heute wimmelt die Steppe von Menschen und ihrer Tieren. Wenn aber die Flur erwacht sein wird, dann ist kein Mensch, Noß oder Hund mehr auf der Ebene zu sehen. Die Leute von Bellmann lagerten am Abend vor ihrer Zelten. Sie lagen, zu Familien geordnet oder auch ein Pam Familien mitsammen, an einem Feuer auf Weißen Wolldecken, die sie Tschapane nannten, griffen nach den Vorratskörben die Mehl, Sonnenblumenöl, Rauchfleisch und eingemacht« Gurken enthielten, kochten, brieten, teilten auf und aßen. Di« Glieder schmerzten noch von der schweren ersten Jahresarbeit Es mußte gewerkelt werden, solange Licht am Himmel war; damit der Same möglichst schnell unter die Erde komme, denr der Boden trocknete unter der ansteigenden Sonne schnell aus Also aßen sie einsilbig, viel und lange, dann rauchten die einer ein wenig, die andern saßen rülpsend da; bald lag alles iw Schlaf und schnarchte. Bei den Russenzelten aber erhob ein Instrument seine Stimme, ein Mädchenlachen irrte durch di« Nacht, der scharfe Rauch von Mistholz in den Feuern beizt« die Augen; doch auch in den Russenlagern erloschen die Feuer eins nach dem andern, und mit ihnen die Augen der Men schen. Der Mond kam herauf und goß dickes Licht über di weißen Zelte, daß sie wie aus Silberblech gemacht erschienen und das Schweigen der Erschöpfung regierte. Selbst di Hunde gäben allmählich Ruhe, und die Stunden vor de Dämmerung lag tiefe Stille auf der Welt. So kam der Samstag der Steppenwoche heran. Bei dei Deutschen wurde Schicht gemacht; sie fuhren heim, obgleiä die Erde schon hart zu werden begann. Aber morgen wa: Sonntag —' es hals nichts, dieser Tag gehörte dem Herrn de: Fluren und Meister aller Saaten! Da wollte man die Händ« vom Ackerdreck und die Seele von allen weltlichen Gedanken reinigen und das Herz zu Gott erheben. Da wollte man dic Prediger hören, und die Bellmänner verlangten danach, wieder ihren Schulmeister vorlesen zu hören. Am Sonntag trug er dann wirklich das Gleichnis von dem Sämann vor, der aus gute Erde und auch unter Dornen säte, und daran schloß sich eine weitherzige und tiefsinnige Betrachtung von Herder aus der Zeit, da er in Rußland gelebt hatte. Und Christian Heins berg erlaubte sich, ein vaar eigene Sätze bimumsüaen. Er fraßen sie auf. Die kleinen Rusten hatten keine Messer wie die kleiner Deutschen, sie rissen dem halb noch lebenden Hamster mit der Zähnen an der Nase das Fell auf und dann, den Finger int Loch gesteckt, schleuderten ste den roten Jnnenkörper mit ab gestoppten Würfen einfach aus dem Fell hinaus. Einige Erdtierbauten waren den forschenden Blicken der Kinder entgangen und nicht in einer Sintflut ertränkt wor den. Die wurden aufgestöbert von den mit Fleiß hungric gehaltenen Hunden. Die Russenknaben legten sich vor der Löchern auf den Boden, rochen daran, aber stellten fest, daß Susfelchen im Bau wohnten. Heuer standen die Sußlikfelle in den Städten an der Wolga niedrig im Preise — sie zerrten den Hund vom Loche weg. Weiter suchte der kleine Russe das Feld ab. Hamsterpelzchen wurden hoch bezahlt — ha, da setzte der junge Herr den Hund ans Hamsterloch, der kroch in den Gang, das der luftdicht schloß, und zog die Luft aus dem Ban an sich. Drinnen wurde das Atmen schwer, den Hamstern brach der Angstschweiß aus, sie mußten der entweichenden Luft folgen, der Teufel von Hund atmete sie aus dem Bau Vie «Kutschen Aslgsbauern gehen pllllgen . Von Joseph Ponten. Ueberall war der Schnee zergangen. In den Dörfer« und um die Dörfer hatte am meisten davon gelegen, an unk hinter den Hindernissen der Häuser waren die höchsten Wehe« aufgetürmt. Aber auch dort konnte der Schnee keine Laß mehr tragen, die Pferde hatten durchgetreten und wäre« steckengeblieben. De« Frühling trieb den weißen Feind von großen Blachfeld nach Norden, nun kehrte er zurück unk stöberte in den Winkeln und Gräben auf, was sich von ihn etwa versteckt hatte — hui! Bald gab es keine Handbrei Schnee mehr in Wolgaland, und überall war man ins Acker« gefahren. Die Starenhäuschen an den Stangen m den Höfe« bevölkerten sich, die Schuljugend sang: „De Stara sei komm« ...", die Dörfer wurden leer und die Steppen vok von Menschen. Auch drüben auf der Wiesenseite erklang de: Ruf „In die Zelte!" Man nahm die Bergseite ins Auge, di« Höhe erschien merkwürdig blau. Es bedeutete nach den Er fahrungen von anderthalbhundert Malen, daß es Zeit sei. Auch die Russen zogen, ein wenig später als die Deut schen, die es nie abwarten konnten, aufs Feld. Sie käme« meist aus der Dongegend, und die noch bare Steppe besteckt« sich mit Zelten. Aber an jedem Morgen, wenn im Osten di« rote Sonnenscheibe ins Heute hereinrollte, stachen taufen! blanke Pflugdorne in den schwärzlichen Boden und rissen ihr auf. Auf den Feldern der Russen stürzten vornübergebeugt« Männer in Weißen Hemdkitteln barhaupt und barfuß in de: Furche hinter den leichten Holzpflügen her, und der frisch« Morgenwind trug Rufe herüber — ach, die guten Russe« hatten ihre kleinen Pferde verwöhnt, nur auf Anruf zöge« sie, sie wollten beständig ermuntert, angefeuert, gebeten, nm schmeichelt werden. Den Deutschen erkannte man schon vor weitem. Ein dunkler Mann in Stiefeln, eine Tellermütze au! -em Kopfe und eine kalte Pfeife im Munde, ging hinter einen tiefscharenden Eisenpfluge, die Lenksterze fest in den Fäusten stark sie niederdrückend, denn es durfte dem Mann wie den Pfluge, dem Pferde wie der Erde nichts geschenkt werden Schwere Rosse vom kalten Schlage schritten langsam und un gelenkt, das eine auf der noch ungebrochenen Steppe, da! andere in der letztgezogenen Furche. Die Gäule zogen, ohn angerufen zu werden. Sie hielten von selbst an, wenn e« nicht mehr ging. Dann standen sie ein wenig und dampftei ein wenig — und legten sich von selbst ins Zeug, wenn si sich wieder bei Kräften fühlten. Die Tiere wußten, mm Würde sie nicht schlagen, wenn sie übermüdet stehenblieben Es war, als sei der Pflüger überflüssig, als wüßten die Ross« ohne ihn zu arbeiten. So gingen sie, stolz auf die Schönheit ihrer Leiber, mi kurzem steifen Hals uns angezogenem Kinn, in knirschenden Leder- und leise klirrendem Metallzeug, Füchse, Falben un! Blaßrappen. Auf die Rusfenpferde warfen sie keinen Seiten blick. Die Felder von Deutsch- und Russtsch-Tscherbakoffkc lagen nebeneinander — wie sollten die deutschen Rosse du 'armseligen russischen Pferdchen beachten, die da durch di« ! schiefgezogenen Furchen stolperten, ein halbes Dutzend vo: einem hölzernen Gestell, das den Boden nur kratzte. Tier, in schlechtem Hanfzeug, das oftmals geknotet war, klein« Pferde mit übergroßen Köpfen, oenen die Zotteln der Winter Wolle nicht einmal ausgekämmt waren, ließen sich von de« Männern, die wie betrunken hinterherstürzten, kosen mij Rufen wie „Goluptschiki, mein Täubchen, mein Bräutchen mein Liebchen", aber auch gröblich schimpfen — die deutscher Rosse waren eingebildet. Am Rande der Landschaft pflügten einige Tataren mi dickwolligen Kamelen. Aber diese bewegten sich wie Gekränkte Ihre hochmütige Haltung drückte aus, daß man Rinder uni ! Pferde, aber keine Kamele vor den Pflug spannen dürfe: das sie sich nun freilich erst recht fügten, denn Könige benehme: sich königlich, auch wenn sie verkannt und verfolgt werden. Gesungen nnd gelacht wurde auf den Russenfeldern, uni ein Sokrat oder Semjon wechselte mit einer Anastasja keck« Worte. Die Frauen gingen hinter den Pflügen her und zer schlugen mit geschwungenen Holzhämmern die Schollenblöcke Da hielt ein Pflug an (die Pferdchen standen keuchend mi tiefhängenden Köpfen und beutelnden Knien), und Semjor lief zu Iwan hinüber, um sich eine Zigarette zu erbetteln, sn rauchten sie in Eile gemeinsam. Aber ruhig, gleichmäßig, ohn« ^Aufregung und Aufenthalt, ohne schönen Gesang und häß Uches Geschrei; großartig-langweilig arbeiteten auf ihrer Feldbreiten die Deutschen. Zu anderen Zeiten war die Steppe die Einsamkeit selbst kein Mensch ließ sich stunden- und tagelang auf ihr sehen, di« Leute saßen in ihren Kolonien unter dem Horizonte; jetz wimmelte von ihnen die ungeheure Flur, gleichmäßig Ware, ' sie über sie hin verteilt wie Spielzeug oder Krippchenfiguren auf dem einen Feldlappen soviel wie auf dem andern, uni 'jeden Lappen punkteten die kleinen weißen umgekehrter Trichter der Zelte. Sonst war die Steppe das Reich der kleinen Tiere ge- Wesen, der Hamster, Mäuse, Wiesel und der Erdhasen, welch« die Deutschen Susfelchen riefen. Diese Tierchen saßen jetz , alle in ihren Höhlen und Löchern, verstört und entsetzt, denr furchtbar zog oben Vernichtung hin. Die Gewölbe ihre; Kammern und Schlüpfe donnerten gewaltig, wenn diese ent schlichen, grausamen Maschinen, geschleppt von den vier >deinigen Riesen des Landes, daherzogen. Und nicht einma erschienen diese Werkzeuge der Gewalt und zogen vorüber sondern immerzu kamen und gingen sie hin und her, her un hin, her, her, hin, hin, wie Kämme. Sie kämmten unbarm herzig das Land. Weh dem von den Hamstern und Erdhasen der nicht tief genug gebaut hatte — der furchtbare eisern« Dorn der Maschine stach in seine Behausung hinunter uni riß mitleidlos das Dach hinweg. Immer aber, auch wen, die tiefste Architektur nicht erreicht wurde, zerstörten die Eisen stachel oder runde und längliche Füße der vier- und zwei deinigen Riesen die Laufgänge und verschütteten die Ein führten, und die Luft da unten wurde bald Hase und Häsn knapp. Die Tierchen saßen aneinandergekauert in der Finster nis mit angstverstörten Lichtern, hilflos ins Schicksal ergeben während über ihren Häuptern Tod und Verderben rasten trampelten, stampften und Decken und Gewölbe schauerlick dröhnten und das ganze Reich der Erde bebte, zitterte, tönt« und von Tod und Untergang sang, daß den Unterirdische, alles Hören" verging. O furchtbarer Tag, wann würde e« enden? Die Häsin, fast bewußtlos vor Schreck, steckte ihre: Kopf dem Hafen unter den Bauch, das war das einzige a: Zuflucht, was ihr geblieben. Von den Mäusen aber Ware, viele vor Angst gestorben und fingen schon an, die kleiner Kammern zu vervesten. Ja, es ist kein leichtes Leben auf der Steppe! Endlich schien es, als klinge das Erdbeben ab und al- entferne sich der Donner in den Gewölben. Die Riesen uni ihre Maschinen zogen etwas weiter. Was von Lebendigen unter der Erde nicht zerdrückt, zerstampft und verschüttet war; begann aufzuatmen und zu den heilgebliebenen kuppeliger Sammelräumen aus den tiefsten Löchern und Schlüpfen z« kriechen. Schon wagte einer im Rate seine Stimme zu er heben, und es piepste auch bereits ein Neider seinen Wider- spruch — da brach erst das wahre Verderben herein. Denr Wasserfluten, kalte grausame Wasser brausten von oben di« Gänge herunter, dicke Strahle, naßmassige Gewalten — hinaus! hinweg! rette sich wer kann! fliehe jeder, so gut e< gelingen mag! Nicht mehr hinunter, nur noch hinauf, hinaus hinein ins Licht und die Welt der Gewaltigen, sucht die ge- Heimen Tore und Ausgänge auf! Aber als die Unglückliche« an den Tag kamen, da standen die Kinder der zweibeinige« Riesen, lachten und schlugen mit Schüppen auf die Elender los und erschlugen sie. Mit Schüppen erschlagen werden, das war ein deutscher Tod, die Russen schlugen mit Stöcken. Wen« schon mal gestorben werden mußte, dann von einer blinkende« metallenen Schüppe statt unter einem Knotenstock! Je grübe: desto besser, dann war das Ende kurz. Aber den noch blut warmen Leichen zogen die jungen Riesen sofort die schöne« Mäntelchen aus, den Susfelchen die braunen, den Hamster« die feingrauen. Sie machten einen Schnitt in ein Bein bliesen hinein, die Leiche wurde ein pralles Säckchen, das Fel hatte sich allenthalben vom Rumpfe gelöst und wurde nur dem bescheidenen Höhlenbewohner über d m Kopf gezogen. Di blau- und roten Kadaver warf man fort, und die Hund« sprach von der inneren Gerechtigkeit im Gegensatz zur äußeren Gerechtigkeit der Welt: täusche diese oft, sei lärmend urw be stechlich, so könne man auf jene vertrauen. Diese lasse einen oft im Stich wie das Oberflächenwasser zur Zeit der Dürre in den Steppen, wenn alle Bäche sich verlaufen; jene aber sei wie das Grundwasser, das überall im Boden sei, ein fein ver teiltes Meer; auch unter den Wüsten sei es, und niemand sterbe des Dursttodes, der im Augenblick der Not tief gmuz zu graben vermöge; das zu tun, sei denn doch meistens uns anheimgestellt, so ost wir sonst der Willkür des Glücks Preis gegeben seien. Das waren richtige und weise Worte, und sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Man stand nach dem Gottes dienst wieder aus dem Kirchplatz, doch diesmal nur ein Weilchen. Man ging bald heim, zu essen, dies und das zu tun, ein wenig zu schlafen und dann wieder die Gefährte zu be steigen. Mit Anbruch der Nacht mußte man auf dem Acke: Wieder angekommen sein. Bei den Zelten hatte man nur ein paar Wächter und die Hunde zurückgelassen. Die Russen waren nicht nach Hause gesahren. Bei ihnen tanzte man auf einem festgestampften Plätzchen. Tanzte im Reigen und Paarig, tanzte in der Hocke und tanzte stampfend, und die in der Erde das Unheil dieser Tage noch überlebenden Hamster befiel für einige Stunden von neuem die Furcht wegen des von den Stiefeln erregten Donners. Als am Abend die blanken und bunten Wagen der Deut schen auf der Steppe bei den Zelten anrollten, war es schon still bei den Russen geworden. Nach acht Tagen wimmelte die Steppe von den Menschen und ihren Tieren, blitzte die Pflugschar beim Wenden auf und schrumpften die an den Feldramen stehenden Säcke mit Saat frucht langsam ein. Die goldene Säwolke war immer wieder aufgeflogen und die Flur durch Pflug und Hammer, durch Egge und Walze gar erbärmlich zerkrümelt worden. Wie wenn man riesige dunkle Tuchbahnen ausspreitete, schritt die Arbeit an den Feldern voran; es wurden auch die in der Steppe stehenden Totenhügel nicht geschont, die Pflüge und Gespanne legten eine Bahn über den Fuß des Hügels, nach einer Weile daneben und höher eine zweite, bis ein Pflug gespann auf dem Gipfel des Kurgans stand, für einen Augen blick einem Denkmal aus lebenden Figuren gleich, wie eines aus toten im Grunde des Erdmales schlief. Und bald war der ganze Kurgan mit Ackerbahnen eingedeckt. Trotz dem verjubelten Sonntag waren die Russen eher als die Deutschen mit der Feldarbeit fertig, sie brachen die Zelte unter Geschrei ab, die Deutschen sahen sie von der Steppe hinab nach ihren Dörfern sich verlieren. Vie Hstnkau. Skizze von Heinz Steguweit. Meine Großmutter war ein Kind des Rheins. Und di« Geschichte, die sich vor und nach ihrem Tode begab, dürfte o geheimnisvoll ihre Umstände auch scheinen, ein Bewei- ein für das, was vom Rheinländer, seinem Humor un« einem leichten Sinn so oft behauptet wird. Mau muß wissen, daß meine Großmutter die Frau eine Handwerkers war, der als Buchbinder mit Leimtopf un Schraubenpresse sein Geld nicht eben üppig verdiente. Ma« sparte nach Kräften, und die Kinder — eine Tochter und zwc Söhne — mußten überall helfen. Indessen: Großmutte liebte das Leben. Liebte den Gesang. Liebte den Tanz un- auch den Wein. Wohlgemerkt: Sie tat nichts, was Müßig tum und Völlerei hätte genannt werden können, doch wa« cs für die Anschauungen von 1870 etwas Unerhörtes, wen: eine reife Frau und Mutter von immerhin fünfzig Jahre: zuweilen an Wochenabenden für eine Stunde Walzern gim oder gar einen Schoppen Wein kaufte, um ihn heimlich ube: die genießerische Zunge rieseln zu lassen. Jedoch: Man kam dahinter! Großvater schalt, die Kinde: schüttelten den Kopf, und jedem schien es klar, daß der gut« Ruf der Familie gefährdet sei. Eine brave Handwerkersfra« durfte an Wochentagen weder Wein trinken noch tanze« gehen. -Zumal dann, wenn sie schon fünfzig Jahre alt wa: nnd drei erwachsene Kinder hatte. Basta. Großmutter zeigte für solch zimperliches Tun kein Ver ständnis. Sie küßte ihren Mann und hieß die Kinde: närrisch. Ja, sie tat das so zart und weise, daß alle lache« mußten. Und da alle lachten, hatte Großmutter gesiegt. Als- triumphierte sie im Uebermut: „Merkt es Euch: Ihr soll« an meinem Totenbett noch lachen!" Keiner ahnte, daß dies ein Vermächtnis werden sollte Man war in diesem Hause nicht abergläubisch noch klein mütig, also vergaß man bald die mütterliche Prophezeihung weil man sie für eine Redensart gehalten hatte. Eines Tages starb Großmama. Eine Lungenentzündung entriß sie jener Erde, auf der sie so gern getanzt, gesunge« und Schöppchen geleert hatte. Großvater war nicht zu trösten. Und die Kinder klagte« sich an, der Mutter das bißchen Walzern und Bechern nicht gegönnt zu haben. Nun sähe man ein, wie unrecht es ge wesen sei, der Verstorbenen mit Nörgeleien begegnet zu sem als sie ihrer harmlosen Lebenslust noch huldigen konnte. Zu spät. Großmutter lag tot im Bett. Das Gesich! friedlich und durchaus verklärt. In den wächsernen Hände« einen Blumenstrauß. Und im Kreise saßen der Vater, di« Tochter, die beiden Söhne und auch der Geselle aus de: Buchbinderei. Alle stöhnten und jammerten, bis in de« Abend, bis in die finstere Nacht. Und als man die Kerze« anzündete, schlug es zwölf Uhr in der Kirche, die Geister stunde. Freilich: Man war zu gesund, um an Gespenster z« glauben. Doch nistete das Leid in den Trauernden so tief, daß sich keiner bewußt ward, seit vierzehn Stunden Wede: einen Bissen gegessen noch einen Tropfen getrunken zu haben Das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Drum: Die Mäge« knurrten. Zuerst beim Gesellen aus der Buchbinderei. Dan« in den beiden Söhnen. Schließlich in der Tochter und endlich im Bäuchlein des schluchzenden Großvaters. Doch war di« tönende Skala so drollig abgestimmt gewesen, auch hatte« sich die gurgelnden Laute in solch ungewöhnlicher Länge uni Ausdauer kundgetan, daß die untröstliche Familie alles dara« setzte, um das Schmunzeln zu verbeißen. Indessen: Jeder, aber auch jeder erinnerte sich augenblicklich an das Vermächt nis der verewigten Mutter. Da lösten sich alle Bremsen, uni man grinste. Aus dem Grinsen wurde ein Lachen. Aus dem Lachen ein befreiender, erlösender, lebensbejahende: Chor des Gelächters! — „Ich gehe Kaffee kochen", sagte die Tochter, und es wa: allen recht. Als dann der Morgen kam, schien der Gipse! des Kummers überwunden: Man ging wieder an die Arbeit Jawohl, man ging mutig an die Arbeit. Nochmals: Großmutter war ein Kind des Rheins Hinter diesem Umstand steht die tiefere Deutung der Ge schichte.
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