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8 WSMMer Tassvra« 8 2. Blatt Nr. 273 / Donnerstag, den 23. Nov. 1933 Z Tagesspruch. Halte deinen Witz im Zaum, Leicht macht er dem Hasse Naum. * Gebrochenes Versprechen Gesprochenes Verbrechen. LMs Dkrz zum Gedachims. Gedenksteinweihc auf der Berliner Avus. Am Busstag kamen auf der Avus die Freunde und Kameraden von Otto Merz zusammen, um hier an der Stätte seines tragischen Todes einen Gedenkstein zu weihen. Otto Merz, der erfolgreiche deutsche Airto - mobik^rennfahrer, der in der ganzen Welt unzäh lige Siege errang, verunglückte vor einem halben Jahr, am t9. Mai, bei einer Vorbereitungsfahrt zu dem großen Avusremren. Der Gedenkstein, ein Findling von etwa 1,59 Meter Höhe, steht in unmittelbarer NKHe der Un glücksstelle. Vor dem Gedenkstein hatten sich außer der Frau des Toten, seinem siebenjährigen Töchterchen auch Vertreter des Reichswehr- und Reichsverkehrsministe- riums, der Führer der Motorsportverbände, der Auto mobilwirtschaft und die Rennfahrer Burgsaller, Simons und Hans von Stuck eingefunden. Eine Motorradstasfel der SA. und eine Staffel des NSKK., dem der Tote augehörte, hatten in langer Front Aufstel lung genommen. Der Chef des Kraftfahrwesens der SA. und der Führer des NSKK., Obergruppenführer Major Hühnlein, hielt die Gedenkrede. Unter den Klängen des Liedes vom guten Kameraden üLl dann die Hülle des Gedenksteins. Sin Erlaß Rudolf Heß'. Wie der „Völkische Beobachter" meldet, hat der Stell oertreter des Führers, Rudolf Hetz, folgenden Erlaß herausgeben: Parteigenossen, die ein staatliches Amt bekleiden so wie Parteidienststellen dürfen auf eigene Faust keine Ver ordnungen herausgeben, die 1. einHüchsteinkommen der Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsschichten festlegen; 2. Das Doppelverdiencrtum regeln sollen; 3. der Bevölkerung zwangsweise Abgaben allgemeiner Art über die offiziellen Steuern hinaus auf- crlegen. Das Recht derartige Verordnungen zu erlassen, steht lediglich den zuständigen Behörden zu. Spanien vor ernsten Entscheidungen. Nachwahlen im Kampf zwischen Rechts und Links. Angesichts der starken Rechtsbewegung in Spanien, die sich in dem bisher vorliegenden Teilergebnis der Wahlen ausdrückt, stimmen alle spanischen Blätter darin überein, daß diese Wahlen einen ganz außerordent lichen Triumph für die Rechte darstellen. Während die Organe der Rechtsparteien den Wahlersolg zum Anlaß nehmen, um das ganze Volk zur friedlichen Zusammenarbeit und Versöhnung aufzufordern, ruft das Blatt der roten Gewerkschaften zur Revolution auf. Nach Mitteilungen des Innenministers müssen vor aussichtlich in der Hälfte aller Provinzen Nachwahlen stattfinden, weil nur in den seltensten Fällen die zur Proklamierung der Spitzenkandidaten und damit der be treffenden Liste nötigen 40 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht worden ist. Dieser zweite Wahlgang findet Sonntag, den 3. Dezember, statt. InMadrid haben die Sozialisten 15 000 Stimmen mehr erhalten als die Rechtsfront, weshalb elf Sozia- listen und sechs Rechtskandidaten als ge wählt zu betrachten sind. Das ungleiche Verhältnis er klärt sich aus dem eigenartigen spanischen Wahlrecht, wo nach die Mehrheit 80 Prozent und die Minderheit 20 Pro zent bekommt. psiMchsr Zwischenfall He» Thronrede des englischen Königs. Beschimpfende Zurufe eines Linksradikalen. London beging mit traditionellem Zeremoniell die Eröffnung der neuen Parlamentsperiode durch vc-P König. Eine dichtgedrängte Menge stand vom Lückinghampalaft bis zum Parlament und starrte mit Be geisterung auf das feierliche Schauspiel, bei dem sich wie vor Hunderten von Jahren die sechsspännige Staatskarofse und goldene Kutschen jum Parlamentsgebäude bewegten. Im Oberhaus waren Würdenträger des Britischen Reiches, die fremden Botschafter und die Parlamentsmitglieder versammelt, als der König und dieKönigin erschienen und sich auf dem Thron niederließen. Dann verlas der König dieThron- r e d e, in der in wenigen Worten das Programm der englischen Regierung entworfen wird. Als der König schloß, kam es zu einem peinlichen Zwischenfall. -"er linksradikale Abgeordnete Mc Govery durchbrach die feierliche und würdevolle Stim mung der Versammlung mit scharfen beschimpfen den Zurufen. Mit lauter Stimme rief er: „Ihr seid eine Gesellschaft von faulen Parasiten, die von dem Reichtum leben, und andere Leute schaffen. Ihr sollt euch schämen und an die Leute denken, die draußen hungern!" Der König und die Königin nahmen keine Notiz von diesem Zwischenfall. Sie verließen das Oberhaus ruhig, während sich bei den Abgeordneten starke Erregung bemerkbar machte. Nachdem das Königspaar das Parla ment verlassen hatte, wurden starke Proteste gegen das Verhalten Mc Govcrys laut. Macdonals Abrüftungshoffnungen. In der Aussprache des Unterhauses zur Thron rede des Königs ergriff Ministerpräsident Macdonald das Wort und erklärte über die neue politische Entwick lung in der A b rü stun g s f r a g e, der englische Außen minister habe berichtet, daß in Genf „ein sehr guter und entschlossener Geist der Zusammenarbeit" herrsche und daß keine Absicht bestehe, das Werk der Abrüstung scheitern zu lassen. Wir hoffen, so erklärte Macdonald weiter, daß Deutschland sich dem diplomatischen Mei nungsaustausch anschließen werde, und daß Frank reich und Italien die bisherigen Bemühungen fortsetzen, um gute Ergebnisse in der Abrüstungskonferenz zu er zielen. Die englische Regierung habe den festen Willen, die Abrüstungskonferenz zu einem Erfolg zu führen. Reue Ausbürgerungen in Österreich. Bisher 56 Wiener Nationalsozialisten der Staatsbürgerschaft verlustig erklärt. Das Polizeipräsidium in Wien hat die Aus bürgerung von weiteren dreizehn Wiener National sozialisten verfügt. Unter ihnen befinden sich zwei Stu denten der Tierärztlichen Hochschule, die übrigen sind frühere Mitglieder der Standarte 11 der Wiener SS. Insgesamt sind in Wien bisher 56 National sozialisten der Staatsbürgerschaft verlustig erklärt worden. Das Urteil im Steidle-Prozeß gefällt. Vom Wiener Straflandesgericht wurde der Reichs deutsche Werner von Alvensleben wegen der „tätigen Mitwirkung an dem versuchten Verbrechen des Meuchelmordes" zu drei Jahren schweren Kerkers verurteilt, verschärft durch hartes Lager vierteljährlich, und auf Landesverweisung nach Ver büßung der Strafe. Alvensleben soll, so behauptete die Anklageschrift dabei, mitgeholfen haben, das am 6. Juni dieses Jahres erfolgte Attentat auf den damaligen tiro lischen Sicherheitsdircktor Dr. Steidle vorzubereiten, bei dem Steidle eine Schußverletzung am Arm davontrug. vis QssmMett ist äss größte MLi Mr Lstkremer trinkt, äer bleibt sskMü WeKMiMs Landung der amerikanischen Sttatosphäreafiieger: Der Ballon erreichte 17 936 Meter. Der amerikanische Stratosphärenballon, dep unter Führung des amerikanischen Marineleutnants Settle und des Majors Fordney in Akron, dem Heimathafen der USA.-Mar!ncluftschiffe, zu seinem zweiten Strato sphärenflug gestartet war, ist nach einem abenteuerlichen. Flug südlich von der Stadt Bridgetown (New Jerseys in einem unwegsamen Sumpsgelknde gelandet. Die wagemutigen Ballonfahrer, die beide wohlauf waren» haben eine Höhe von 17 936 Meter erreicht. Der sowjetrussische Höhcnrekord ist demnach ungebrochen geblieben. Der Aufstieg des Ballons in Akron HEe sich glatt vollzogen. In rund siebenStunden erreichten Settle und Fordney ihre höchste Höhe. Dann wurde von der Marineradiostation in Akron ein von Settle abgegebener Funkspruch aufgefangen, wonach die Ballonfahrer sämt liche nicht unbedingt notwendigen Geräte über Bord werfen wollten, um den Abstieg verlangsamen zu können. Die Radio verbindung war nun mit der Ballonbesatzung unter brochen, weil auch der Funksender von Settle ab geworfen wurde. Da mehrere Stunden jegliche Nachrichten fehlten, wurde im Staate New Jersey eine umfangreiche Suchaktion nach den Vermißten eingeleitet, an der sich außer der Be völkerung Polizei, Feuerwehr und Küstenschutzfahrzeuge beteiligten. Man befürchtete, daß der Ballon aufts Der amerikanische Stratosphärcnflieger Settle. Meer hlnausgettieben werden könnte. Dann kam dvö Nachricht von der glücklichen Auffindung den Stratosphärenfahrer bei der Stadt Bridgetown, wo dep Ballon im Dunkeln auf gefährlichem Silmpfgeländc niedergegangen und steckengeblieben war. Erst bei Tagesanbruch gelang es Major Fordney, nach beschwerlicher Wanderung durch den Sumpf, Hilfe bei Farmern zu holen. Die Flieger äußerten sich über die Ballonfahrt sehr befriedigt und glauben, daß der Flug hochinteressante wissenschaftliche Ergebnisse gezeitigt hat. fordert die Grtspresse! Ein Walzer aus Wien Roman von Paul Hain. 20. Fortsetzung Nachdruck verboten „Schön, Annerl — und nun will ich ungestört sein. Ich habe noch zu studieren." Ihr Blick fiel wieder auf die Rolle. „Wenn nicht gerade ein sehr guter Bekannter kommen sollt —" „Jesses, wartet ja schon jemand, gnä' Fräulein Treffz," rief das Annerl erschrocken. „Grad denk ich dran —" „Wie? Es wartet wer?" „Freilich. Eine Dame — —" „Na weißt !" Die Zofe wurde eifrig. „Ja — eine Dame — tief verschleiert — ich habe ihr Gesicht nicht erkennen können. Sie sagte, sie könnt' schon ein wenig warten. Nun wartet sie halt ein Diertelstündchen. Ist wohl grad zuvor gekommen, bevor das gnä' Fräulein da war — ja —" Sie lächelte harmlos. Jetty schüttelte unwillig den Kopf. „Wer könnt' denn das sein?" „Sie nannte ihren Namen nicht. Aber sie wird wohl eine sehr Vornehme sein — so nach dem Ausschau». I hab mich net getraut, zu fragen." „Und das sagst erst jetzt, nachdem ich mich langsam um gezogen hab und arbeiten will? Statt gleich mit herauszu kommen? Du bist doch manchmal eine rechte Gans —" „Aber gnä' Fräulein Treffz — in dem einfachen G'wan- derl hätten S' die vornehme Dame ja doch net empfangen können. Je, das wär aber komisch gewesen. Und warten müssen andre Leut' ja auch." „Dummer Lack," sagte Jetty. Khre Gestalt straffte sich. „Sie wartet halt im Salon, wie?" „Ja « bitt' Mn —" Das Zöschen öffnete die Tür mit einem zierlichen Knicks. Jetty durchschritt einige Zimmer, alles aufs beste, ohne über ladenen Prunk, aber mit geschmackvoller Eleganz eingerich tet. Die großen Einnahmen auf ihren Tourneen gestatteten ihr, ein Haus glänzend auszustatten, und sie hätte diese vor nehme Behaglichkeit nicht mehr missen wollen. Nun betrat sie den Salon. Die vielen Kerzen- und Oellichter an der Decke und den Wänden warfen eine starke, in alle Winkel dringende Hel ligkeit über das große, mit Empiremöbeln kostbar eingerich tete Zimmer. Eine schwarzverschleierte Dame erhob sich aus einem der Sessel. Ein weitsallender RUschenmantel, mit Pelz reich besetzt, verhüllte die Gestalt. „Ich bin Jetty Treffz. Mit wem hab ich die Ehre? Sie müssen verzeihen, wenn ich warten ließ — ich bin eben erst nach Hause gekommen —" Die Dame schlug den Schleier zurück. Im gleichen Augenblick sank Jetty verwirrt, in einer tiefen, höfischen Verneigung zusammen. „Majestät ," sagte sie leise und erschrocken. Einen solchen Besuch hatte sie bestimmt nicht erwartet. Was konnte er bedeuten? Die Kaiserin legte den Finger gegen die Lippen. Mit einem etwas müden Lächeln sagte sie: „Nicht so bestürzt sein, Demoiselle Treffz. Es weiß kei ner, daß ich hier bin. Ich bin ganz — also ganz inkognito hier. Mein Wagen steht fünf Minuten von hier an der Ecke. Erheben Sie sich, Kind — wirklich, niemand als — Metternich weiß, daß ich diesen Besuch gemacht habe." Jetty hatte sich gefaßt und stand wieder aufrecht. „Wollen Majestät Platz nehmen —" „Ja — danke. Sie wissen, Demoiselle Treffz, warum ich diesen ungewöhnlichen schritt gewagt habe?" „Ich weiß wirklich nicht, Majestät <—" „Wirklich nicht?" Jetty log nicht. Sie dachte in dieser Stunde wahrhaftig nicht an ihren hohen jugendlichen Verehrer, den Franz Josef. . „Es ist wegen des Franzl —" Groß und forschend ruhte der Kaiserin Blick auf dem Gesicht der Schauspielerin, als wolle er ihr bis in die Seele Hineindringen. „Ah — Seine Hoheit," sagte Jetty und lächelte steif. „Ich habe lange überlegt, was ich tun sollte, Demoiselle Treffz, bevor ich mich entschloß, zu Ihnen zu kommen. Der Franzl will Sie doch heiraten —" „Gott beschütz mich!" entfuhr es Jetty, und schnell hielt sie sich die Hand vor dem Mund. Aber das Wort war nicht mehr zurückzuholen. Na, da hab ich was Schönes angerichtet, dachte sie. Was fällt aber auch Seiner Hoheit ein! Mich heiraten wollen! Na — das wär' schon was! „Verzeihen's — Majestät —" Karolina Pia lachte leise auf. „Na — da muß ich schon sagen, das kam fein frei heraus und ich könnt' mich dafür bedanken. Ein Stein fällt mir vom Herzen." „Ja — was denn? Ich versteh' noch immer nicht recht, Kaiserliche Hoheit —" „Nun setzen Sie sich nur, Kinderl. Ich glaub, jetzt kann ich besser und leichter mit Ihnen reden, und der Metternich hat mit seinem Rat wieder einmal ins Schwarze getroffen. Also — Hören S' zu." Sie begann leise, mit gedämpfter Stimme zu erzählen. Nicht Kaiserin — nur Frau. Und es mochte wohl kaum eine andere Stadt in der Welt geben, wo so etwas möglich war, als Wien, wo die Herrscher von jeher mit den großen Künst lern auf den gleichen Höhen gewandelt waren. Jetty hatte die Hände im Schoß gefaltet. Das Blut stieg ihr ins Gesicht, aber sie saß sehr ruhig und scheinbar gefaßt. Nun war die Kaiserin am Ende. „Demoiselle Treffz — Sie müssen mich recht verstehen — ich schätze Sie als Mensch — als Künstlerin — ich begreife vollkommen, daß die Männer Ihnen zu Füßen liegen —" (Fortsetzung folgt.)