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Wilsdruffer Tageblatt : 17.11.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193311179
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19331117
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19331117
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-11
- Tag 1933-11-17
-
Monat
1933-11
-
Jahr
1933
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 17.11.1933
- Autor
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Umerhaltungs-Stunäe. mit arm Augreug in Sie Steinzeit. «Der Frosch als Wasserleitung. — Hochzeit in der'Dschungel. — Zauberknlt und Tonsilmprogramm. Von Anton E. Zischka. Die Telegraphenlinie, die von Adelaide nach Port Darwin siührt, quer durch Australien, über die Mac Donnell-Berge und sdnrch die Sandwüsten und Steinsteppen des Nordens, durch !die ungeheuren, menschenleeren Ebenen^im Innern des Kon tinents, dieser dünne Metallfaden dien: heute auch den Flug- -zeugen als Wegweiser. Wie sich die Karawanen und Vieh treiber und später vereinzelte Autos immer nahe an den Draht hielten, um im Augenblick höchster Not einfach die Leitung zu zerschneiden und zu warten, bis die Störungs-Patrouille mit Wasser kam, so versuchen auch die Flugzeuge den dunklen Fa den unten nicht zu verlieren. Was allerdings schwieriger ist, als es klingen mag, denn oft geschieht es, daß die Luftspiege lungen der nördlichen australischen Wüsten die Telegraphen- mastcn turmhoch erscheinen lassen, daß sie einem ungeheure Wälder vorgaukeln, wo man dann nur verkrüppelte Zwerg- büsche findet und riesige Seen, wo es nichts als Sand gibt. So hat man jetzt also auch abseits der Leitung an auf fälligen Punkten Benzin-, Wasser- und Ersatztcillager errichtet. Unsere Oelleitung scheint nicht ganz dicht zu sein, und so landet der Curtiß-Tiefdecker, mit dem ich nach Port Darwin fliegen will, nahe bei Engurditza. Und da das einer der Campplätze Ler Aruntas ist, befinden wir uns plötzlich inmitten einer „c o r r o b o r r e e", eines Kultfestes, dieser nackten Urein wohner Australiens, häßlichen, schwarzen, kleinen Menschen mit den Sitten der Steinzeit^.. Die Maschine rollt in einem Clay-Pan aus, einer Boden vertiefung, die frei von dem stachligen Gestrüpp ist, das sonst das Vordringen in Zentral-Australien fast unmöglich macht. Hier sammelt sich das Wasser der Regenzeit, dringt durch die poröse Oberfläche bis zu einer undurchlässigen Schicht, und wenn schon alle offenen Wasserlöcher längst vertrocknet sind, findet man hier noch feuchten Sand, den man ausprcssen kann. Selbst wenn das Grundwasscr verschwunden ist, gibt es hier Quellen. Quellen, die allerdings kein Uneingeweihter unter dem harten, trockenen Boden der „Pfannen" vermuten würde. Ucberall, nahe den „clay Pans" nämlich, hocken in winziger Höhlen, in den Erdrissen und unter dichten Dornbüschen fette, orangegelbe Frösche, Tiere mit kugelrundem Leib. Sie schlafen fest, überstehen so die Trockenperivde. Haben sich in der Regen zeit mit Wasser vollgepumpt und können so zwölf, ja achtzehn Monate Trockenheir während ihres „Sommerschlafes" er tragen. Die Wilden holen die Tiere aus ihren Verstecken, pressen sie zwischen den Fingern aus wie eine Frucht. Klares, gutes Wasser kommt so aus dem Maul der Frösche. Es schüt telt einen vor Ekel, aber schließlich trinkt man doch. Manchem Reisenden schon haben diese Frösche das Leben gerettet... Als unsere Maschine steht, kommen drei alte Männer an die Kabine, betteln um Streichhölzer und Tabak. Sie sind nackt wie alle Aruntas, ihre Körper haben sie mit Holzkohle und mit Ocker bemalt. 'Drüben steht eine Gruppe Männer, ein Bräutigam mit seinen „unkullas", seinen Stammcs- gcnossen. Sie beraten lange, dann gehen sie zu einer anderen Gruppe, den „unkulas" der Jungfrau, die jetzt verheiratet werden soll. Das Mädchen ist vierzehn Jahre alt. Die Schöne wehrt sich nicht, als die Freunde ihres zukünftigen Gatten, der im Camp bleibt und sie kaum ansieht, sie in die dichte Dschungel führen, um ihren Leib mit Fett und Ocker einzu- rcibcn, rot zu bemalen und mit Büscheln aus Känguruh- und Opossumhaaren zu behängen. Aufgeputzt kommt sie dann mit ihrem Mann an den Acroplan, bringt eine fette Kröte als Gastgeschenk und freut sich über die Zuckerstücke, die der Pilot verteilt. Jäger der Aruntas haben ein Känguruh gebracht, in einem Erdloch brät man das Tier samt dem Fell, fast roh wird das Fleisch verschlungen und ein fettes Stück bei dem Totem der Känguruhs, dem „Großen Geist der Känguruhs", geopfert. Die Tänze dauern fast die ganze Nacht. Es ist eisig kalt, Lie elektrischen Oefen in der Kabine unseres Aeroplans sind eingeschaltet; draußen aber Wärmen sich die Wilden durch Tanzen, und das Dröhnen der nackten Füße auf dem harten Boden klingt wie fernes Donnern. Als wir am frühen Mor gen zum Weiterflug starten, liegen die Aruntas in ihre Känguruhhäute eingewickelt um erlöschende Feuer, Kinder und Hunde, Männer und Weiber dicht beieinander. Sie kümmern sich kaum um uns, längst bedeutet ein Flugzeug kein Ereignis mehr für sic. Sie kennen außer dem Hund kein Haustier, manche Stämme Zentral-Australiens kennen noch nicht ein mal das Feuer, alle Ureinwohner leben genau so wie einst Lie Steinzeitmenschen Europas. Aber man kann in diese Steinzeit mit dem Flugzeug hinkommen ... Wir nehmen Post auf in Alice Springs, einem Tele- graphenpostcn, der fast genau inmitten des australischen Fest landes liegt. Zwei Weiße leben hier auf je 250 Quadrat kilometern. Alle die „Städte" längs der Telegraphenlinie be stehen aus nur zwei Häusern: Telegraphenstation und einem Gasthaus, das aber Gastzimmer nur deswegen hat, weil das Gesetz sonst dem Wirt den Ausschank von Alkohol nicht er laubt. Nie kommt ein Fremder hierher, die Flugzeuge tanken und fliegen weiter. Manchmal erscheint ein Viehtreibcr, manchmal ein Ingenieur auf der Suche nach Oel, — das ist alles hier. Mangel an Wasser? Tief in der Erde gibt es ungeheure Wassermassen. Wo man artesische Brunnen grub, ist das Land ungemein fruchtbar. Aber man gräbt keine Brunnen. Für wen? In Alice Springs treffen wir eine „lubra", eine Frau Ler Arandas. Bei diesem Stamm wirbt man um die Mutter der zukünftigen Frau, erreicht nach langem Bemühen, daß einem die erstgeborene Tochter versprochen wird. Nur dieses langwierige Verfahren gilt als ehrenhaft. Wer nicht 15 Jahre warten will, raubt eine Frau und setzt sich der Gefahr aus, daß der Stammesälteste „mit dem Knochen auf ihn zeigt", was den Tod bedeutet, das Ausgestoßenwerden in die Sand wüste, in die heiße, lebenlose Einöde. Ein menschlicher Unter armknochen, mit Fetzen und Lehm umkleidet, dient als Zeichen Ler Macht des Nettesten. Dieser Knochen entfcheidet über Leben und Tod, heute wie vor Jahrtausenden. Obwohl Flugzeuge über dir Camps der Australneger fliegen und es in Port Darwin ein Tonfilmkino gibt, in das viele der zivilisierteren Ureinwohner kommen. Zivilisiert bedeutet hier allerdings nur, daß sie von Mis sionen phantastische Kleider bekamen, daß sie bei weißen Händ lern Schnaps kennen lernten und nun Opossums nicht nur iwegen des Fleisches jagen, sondern, mich wegen des Lukels. Len'sie gegcn'Ne'Felle einkauschen können. SieFehen in*dem Kino Port Darwins amerikanische Gangsterfilme und Cowboh- filme aus dem Jahr 1920, und als Tom Harris, der Kino besitzer, es mit Sex Appeal-Filmen versuchte, machten die Neger großen Krach. Sie können es nicht vertragen, wenn sich die Helden aus der Leinwand küssen, sie wollen keine halbnackten Weißen Frauen sehen. Ihr Eheleben ist so grundverschieden von unserm, daß sie Filme mit Liebcsszencn ablehnen. Boome rangs, die hier „killey" heißen, flogen auf die Leinwand und Hartholzstöcke, mit denen sonst die Frauen der Aruntas und Ürrubanas, der Arandas und Worras geprügelt werden. Denn bei allen australischen Ureinwohnern gelten die Frauen als Lasttiere, als den wilden Hunden gleichgestellt. Nun, die Urzeitmenschen Nord-Australiens im Tonsilm kino zu sehen, ist noch nicht so grotesk wie Gast bei den Laro- kias zu sein, den Ureinwohnern von Palm Island, einer Insel, die der Küste von Queensland vorgelagert ist. Wie überall beschmieren sich dort die Australneger mit Blut und Kalk, wenn sie mit Fremden znsammenkommen. Wir waren zu einem Kriegstanz zurechtgekommen, sahen, wie nackte Männer um hoch auflodornde Feuer sprangen. Dann kam der Medizinmann des Stammes, ein großer Wilder in einem Binscnmantel, mit einer Maske vor dem Gesicht und mit einem viereckigen Kasten unter dem Arm. Er sprach viel un verständliche Worte, als er das Gefäß öffnete; die Tänzer hatten sich niedergehockt, es war Plötzlich totenstill in der stern klaren Nacht. Beschwörungen, und dann drang auf einmal kreischend und viel zu schnell „Ramona" aus dem Kasten, wiegend und wild tanzten die Larokias zum Klang der alten — Sprechmaschine, die sie von irgend einer Expedition be kommen hatten. Ein Bild, das gleichnishaft für Australien ist, für diesen „Unvollendeten Kontinent", der sich im Trias, vor Millionen Jahren von der übrigen Erde loslöste und der noch immer völlig isoliert scheint von der übrigen Welt. Steinzeit mit Flugzeugen, ein hochkultivierter Rand mit Riesenstädten, der Geschäftszentrale Melbourne, der Vergnügungsstadt Sidney, der Kirchenstadt Adelaide neben völlig unbewohnten Jnnen- provinzen, ein Riesenland, in dem es nur sechs Millionen Menschen gibt und Platz, Bodenschätze und fruchtbaren Boden für mindestens 100 Millionen. Gegensätze, wie nirgends sonstwo auf der Erde. Vas knae aer Stullen Löne. Reportage über eine aussterbende Bettlerzentrale. Von H. R. Eckert. „Ja, das war ein braver Mensch, ein Bettler, der sich wirklich in Not befand!" sagten die Menschen, wenn sie einige Zeit später, nachdem sie einem Bettler Brot gegeben hatten, die Treppe Hinabstiegen. Und weshalb? Weil er das Brot nicht auf die Treppe gelegt hatte. Wer das Brot auf die Treppe legte, zeigte, daß er Geld haben wollte und die Bitte um Brot nur als Vorwand benutzte. Das stimmte. Nicht richtig hin gegen war der Schluß, daß derjenige, der seine belegten Brote nicht fortlegte, auch wirklich zu den Bedürftigen zählte. Im großen und ganzen war die Lösung die, daß die Bettler ihre Brote einfach zur Butterbrot-Börse trugen und versetzten. In Berlin gab es mehrere dieser Stullenbörsen, wie der Volksmund dazu sagte, dann bestanden einige in Frankfurt am Main, Stuttgart, Breslau, Leipzig, Chemnitz, Hamburg. Die Hamburger war am beliebtesten. Die Erklärung dafür: Der Hamburger ist für gutes und reichliches Essen bekannt, und Hamburger Butterbrote waren daher auf der „Börse" immer sehr begehrt. Die Hamburger Butterbrot-Börse lag mitten auf Sankt Pauli, dem Hafen-Vergnügungsviertel, oder auch Sankt Lieder lich, wie der Mann aus dem Volke es nennt. Eingebettet zwischen Hippodromen, zweitrangigen Ballhäusern, Chinesen- kellern und Matrosenkneipen war „Onkel Teddys" Gastwirt schaft der Treffpunkt der Bettler. Man kam herein, bestellte einen Becher Vier — „Kavalier" sagt man dazu in Ham burg — und legte dem Wirt schweigend die Butterbrote aus die Theke. „Onkel Teddy" legte sie ebenso schweigend beiseite. Mit der Zeit türmten sich die belegten Brote zu einem-gewal tigen Haufen. Aber noch wußte man nicht, was der Wirt für sie zahlte. Die „Kunden" nahmen inzwischen im Nebenzimmerchen Platz und spielten Karten, bis „die Entscheidung fiel". Glaubte „Onkel Teddy" genug belegte Brote gesammelt zu haben, so sortierte er sie mit seiner „kalten Mamsell". Zuerst kamen Brote mit Leber- und Blutwurst, dann Zungen-, Salami-, Jagd- und Bierwurst, hinterher die mit Käse. Am höchsten rangierten Brote mit Schweine- und Kalbsbraten oder rohem Schinken. Gekochter Schinken galt nicht soviel, außerdem war bei ihm die Frage wichtig, ob Vorder- oder Hinterschinken, ob Viel oder wenig Fettrand. Genau so ging es mit den Käse broten. An der Spitze marschierte Emmenthaler, dann folgten Holländer, Tilsiter, Edamer und erst zum Schluß Limburger, Harzer, Mainzer und sogenannter weißer Käse. Sehr wichtig war ferner die Frage, ob und mit welchem Fett man die Brote bestrichen hatte. Reine Butter war natürlich Trumpf. Dann folgte Margarine erster Güte, zweiter und dritter. Die „kalte Mamsell" mußte von jeder Stulle ein bißchen Fett herunterkratze',> und probieren. Wenig begehrt war Schweine schmalz, hoch begehrt hingegen reines Gänseschmalz. Nun stellte „Onkel Teddy" ein schwarzes Brett aus, dai alle gangbaren Sorten Butterbrote aufgezählt enthielt. I nach Angebot wurden in die freiaebliebenen Weißpunktiertei Reihen Zahlen dahintergesetzt, z. B. ein Brot mit Schweizer käse 10 Pfg., oder ein Brot mit Leberwnrst 5 Pfennige. Jede' ging dayn zur Theke und nahm sein Geld in Empfang. Da auf diese Art festgesetzten „Börsenkurse" galten den ganzer Abend hindurch, falls nicht überraschenderweise eine Jnflatwi in irgend einer bestimmten Aufschnittsorte einsetzte — dam mußten die „Kurse" natürlich daran glauben. Im allgemeiner wartete der „Börsenvorstand" aber hinreichend lange nck! seinen „Notierungen", um nicht noch hinterher alles um werfen zu müssen. Dieses Bild hat sich jetzt gründlich geändert. Die Be rufsbettler verschwinden von der Straße, und damit geht do Butterbrot-Börse ihrem Ruin entgegen. Die Aufklärung dei Regierung hilft. Jeder Hausbewohner überlegt es sich sehr ob er an die Tür klopfende Berufsbettler durch" unangebracht' Gaben unterstützen soll. Die Spenden werden immer weniger zu „verscheuern", wie der Fachausdruck lautet, gibt es nicht! mehr, und so steuert die Stullcnbörse unaufhaltsam der Pleib entgegen. Nun, die Menschheit verliert wirklich nichts daran Falsch angebrachtes Mitleid ist da gar nicht, am Platze Es gab doch allmählich schon so unendlich viel Menschen, du siichs'aüs'stsrennenver ^o1,'"Mdcrn^ans"Scheu'si^ Arbeit bettelten, daß es nicht zum Aushalten war. Ei« Schriftsteller, der tagsüber zuhause in seiner Wohnung arbeitete, zählte eines Tags sage und schreibe 36 Bettler, du klingelten und beim Arbeiten störten! Zehn bis fünfzehn Bettler pro Tag waren in Städten wie Berlin, Hamburg Leipzig durchaus keine Seltenheit. Ein Hamburger Zigarrem laden, dessen Inhaber selber schwer mit der Zeit zu. lämpfcg hatte, zählte eines Sonnabends allein zwischen drei bis sieben Uhr 21 Vettler, die teils Geld, teils — bezeichnenderweise! Rauchwaren schnorrten. All dies hat aufgehört! Weg sind die Bettlers leer dis Butterbrot-Börsen, in denen sie zu Dutzenden hockten und Vier mit Kümmel tranken. Der Wirt verschleuderte die Brote an Matrosen und deren Mädchen und machte somiHden ehr lichen Gastwirtschaften starken Wettbewerb. So zeigt auch auf einmal Sankt Pauli ein ganz anderes Gesicht. Wo ist das bekannte Straßenbild geblieben mit den „Schüttlern", den „Blinden" und „Lahmen", die zu Dutzend den auf dem Bürgersteig hockten und die Pasianten am schnorrten? Die Blinden können auf einmal wieder sehen, und die Lahmen Hüpfen munter wie ein Fisch im Wasser umher,' Niemand wird etwas sagen gegen wirkliche Vlinde, Lig bedürftig sind, aber demBerüfsschwindel mußte end lich ein Ende gemacht werden! Wir alle gewinnen dadurch; und wenn der Wirt der Butterbrot-Börse eine bedripvtS Miene dazu macht, dann soll uns das. nicht weiter stören. Dis Zeit der Stullenbörsen ist vorbei! ksvnenevrr Skizze von Bernhard Schulz. ' In der kleinen Stadt, darinnen auf einen: Hügel das! Schloß der Freihcrrn von Borrendunk als ein Wahrzeichen! deutscher Kraft und Treue efeuumrankt erstanden ist, schreiben; sie zum ersten Male den Feiertag der nationalen Arbeit. s Am Abend dieses ersten Mai, vom Duft der Kirschblüten^ der Primeln und der Gartenerde seltsam köstlich angeregt,! öffnet der jüngste Enkel des ehemaligen Fähnrichs und Frei herrn von Borrendunk, auf dessen Schenkeln andächtig sitzen« der Vater alle die lieben, tollen und ernsten Geschichten' empfangen hatte, die Tür zu einem der heimlichen Turm-, gemache. Knirschen der Angeln, weil sie rostig sind, naher Dohlenschrei und Hauch des weiten, unendlich stillen Raumesä Langsam, ein Träumender, der beten, ewig beten möchte^ ieht der Knabe zu dem eichenen Rahmen empor. Von! rischem Eichenlaub ein Kranz umrundet ihn festlich. Da sängt es, hinter dem dunkelnden Glas: ein Fetzen purpurner Seide, Fahnentuches, rubinen strahlend vor dem Kerzenlichts „Bald werden es hundert Jahre sein", hatte der Vater gesagt. Zärtlich ertasten die Knabensinger die tiefen Kerben iw dem steinernen Holz. Eine kleine Heldenschar nur noch, besiegt, geschlagen. Ju ihrer Mitte brennt im letzten Abendleuchten groß und rot die Fahne. Steil, wehrlos und blutend steht sie da. Ein Kämpfer nach dem anderen bettet sich in der granatgefurchten Erde zu Grab. Einen Weichen dunklen Mantel webt die Nacht über Samt und Eisen, Lederzeug und Wagenräder. Den Kopf gebeugt, helmlos, das Haar zerzaust, totenblaß, die zerschossene Fahne in der Hand, wartet der Fähnrich auf das Ende. Sie haben keinen Schnß mehr im Laus, die Kolben sind zersplittert und die Bajonette stumpf und schartig. Um ringt sind sie von Feinden. Und mitten unter ihnen die Fahne! Sie wissen, oaß es keinen Ausweg mehr gibt. Sie warten nur noch auf den Tod. Dunkler wird es. Immer noch steht die Fahne. Nun sehen sie sich in die jungen Gesichter und senken matt die Köpfe. Was wird mit der Fahne geschehen? Kommt der Tod bald? Sie warten auf ihn. Da schleicht es sich durch die dunklen Büsche heran! Knacken oer Aeste, metallisches Klirren. Hier, dort, von überall her. Geflüsterte Worte und dumpfer Befehl. Fackel licht durch das Laub der Bäume. Kein Schutz fällt. Dis kleine Heldenschar steht unbeweglich, wartet, wartet, wartetz Atmet kaum. Da, der Fähnrich . . . Tränen einer leidenschaftliche« Liebe stürzen aus seinen Augen, es zuckt in ihnen wie Blitz und in allen seinen Gliedern. Er hebt den Kopf und nimmt die blutklebrigen Haare aus der Stirn. Den Kreis der Fackel träger sieht er langsam immer dichter, enger werden. Sein« Zähne knirschen, die kalte Nachtluft zieht er tief, tief ein, als gelte es einen letzten ungeheuren Atemzug. Nun straffen sich die Muskeln, er spürt es kraftvoll werden. Die Fahne stürzt! Der Stock kracht. Totenstille. Reißen der festen Seide. Ei« Spaten klirrt. Und Erde klatscht. Es gibt keine Fahne mehr Nur noch einen kleinen Fetzen gibt es. Die goldgestickt« Grenadiergranate kauert wie ein banges Vögelchen. Aber ai dem Herzen des Fähnrichs von Borrendunk läßt es sich gw ruhen. Schrei der Franzosen. Die Fahne wollen sie, das Feld« Zeichen. Der Cornet hört es wie im Traum, ein schöne« Traum. Lächelt der Cornet: „Wir wissen es, aber wir sind kein« Verräter." Dann Schweigen und heftiges Pferdegeschnaub. Reißt der General sein Roß in die Nacht. „Daß man diese Braven gut behandle!" sagt der Franzose milde. Hufschlag" durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag, Dem Fähnrich von Borrendunk — seine Züge trugen ein traumhaftes, schlaffes Lächeln — legten sie Fesseln an. Abe« unterm Waffenrock trug er stolz und frei den letzten roten Fetzen der Standarte in Gefangenschaft. Ein Sang aus tausend Kehlen steigt hinauf zu de« steinernen Feste, der efeu- und dohlenrufumsponnenen. „Dis Fahne hoch!" hört er es schallen. Auf den geschnitzten Stuhl klettert der blonde Enkel, mii den Händen greift er fehnsuchttrunken nach dem dunklen Rahmen. Den Eichenkranz legt er, weil es ihm so gefällt, gleich um seinen Hals. Nun aber klirrt das Glas auf den Bohlen. Nach dem Stückchen Seide greift er, will es zum Kuß au die Lippen führen, da ist es ihm in den Fingerspitzen wie ein feines Knistern, traumbeseligtes Geflüster. . . . Ein wenig roter Staub, sonst nichts. Erschrocken steht der Knabe da, und während er mit seinen Weichen Händen um das bißchen Staub wie um geweihte Asche eine Urne baut, ziehen tausend Fackeln mit choralem Brausen an den bleigefaßten Scheiben der Fenster nische entlang. In seinem Herzen aber tun sich viele Pforten auf, und gleichsam von innen her Maut er zu und weiß nun vom großen deutschen Wunder Fahnenehre. Lier Deine Heiinatzeitnna, dar Wilrdrnffer Tageblatt
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