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MISdrMer Tagedla« 2. Blatt Nr. 268 — Donnerstag, den 16. Nov. 1933 Tagesspruch. Aus nichts wird nichts, das merke wohl, Wenn aus dir etwas werden soll. Claudius. Martin Luther als Deutscher. Von der Reformation zum deutschen Einheitsstaat. Neichsbankpräsident Dr. Schacht hielt einen Vor- --mg über „M artinLutherals Deutscher." Der Redner wies auf den rein deutschen Ursprung der luthe rischen Lehre hin, die mit ihrer Verbreitung über Nord europa und die Vereinigten Staaten den deutschen Geist An diese Länder getragen habe. Diese Tatsache müßten wir mns gerade in einer Zeit, da ein großer Teil der abend- Ländischen Welt wieder einmal feindselig auf den neu ffprudelnden Born deutschen Wesen's sehe, nicht mit Überhebung, Wohl aber mit Dank und Zukunfts- ihoffnung vergegenwärtigen. Von der Reformations- Dewegung Luthers führe eine direkte Linie zum deutschen Einheitsstaat, den wir heute aufbauen. Nie sei die ewige Wahrheit des völkischen Denkens einfacher ausgesprochen stvorden als in Luthers Worten: „Meinen Deutschen bin stch geboren, ihnen will ich dienen!", und niemals ist Deutsches Wesen schlichter ausgedrückt worden als in dem Musspruch: „Ich kann nicht anders, Gott Helfe mir!" Besonders interessant war die Schilderung der wir t- schaftlichen und sozialen Auswirkungen de* lutherischen Lehre, so wie Dr. Schacht sie sieht. Der Vortragende erzählte, wie Luther die bittere Not der Armen und den Luxus der Reichen erkannte, den Wucher b kämpfte und gleichzeitig mit größter Tatkraft für obrig- kei Gliche Ordnung und Selbstzucht eintrat. Luthers Ein stellung zum Zinsproblem kennzeichne der Aus spruch: „Ein billig Gewinn ist es, daß man von 20 Pfen nigen einen habe, aber der schändliche, verfluchte Geiz überschreitet gar die Schnur und Maß; jetzt will man für einen Pfennig zweene haben, ein Pfennig muß zwei Pfennige dazugewinnen; drum ist auch kein Segen Gottes dabei." Den heutigen Devisenpolitikern seien Luthers Worte aus dem Herzen gesprochen: „Gott hat uns Deutsche dibin geschleudert, daß wir unser Gold und Silber müssen in fremde Länder stoßen, alle Welt reich machen und selbst Bettler sind." Bischof .Hopfenfelder entbindet Dr. Krause vom Amt des Gauleiters. Zur Amtsenthebung des Berliner Gauobmannes der Glaubensbewegung Deutsche Christen, die im Anschluß an seine Rede auf der Sportpalastkundgebung am Montag dieser Woche erfolgte, gibt der Pressedienst der Deutschen Christen die Stellungnahme des Reichsleiters, Bischof Hossenfelder, aus einem Briefe an den bisherigen Gauobmann, Studienassessor Dr. Krause, bekannt. Darin heißt es: „Nachdem der Herr Rcichsbischof Sie von allen Kirchenämtern suspendiert hat, entbinde ich Sie hiermit ihres Amtes als Gauobmann der Glaubens bewegung Deutsche Christen, Gau Groß- Berlin, und ersuche Sie, die Gaugeschäfte umgehend Parteigenossen Pfarrer Tausch zu übergeben, den ich mit der Führung des Gaues Groß-Berlin der Glaubens bewegung vom heutigen Tage an betraut habe." * Die Landesleitung der Glaubensbewegung Deutsche Christen in Bayern hat dem Reichs- bischof zu der Stellungnahme gegen Gauobmann Dr. Krause folgendes Telegramm geschickt: „Freu digste Zustimmung zum Eklaß gegen Sportpalastkund- gcbung und herzlichen Dank für Klärung der Lage. Deutsche Christen, Landesleitung Bayern." Aeuer litamscherDMator im Memelgebiel Der bisherige Kownoer Polizeichef. Nach litauischen Meldungen wurde der jetzige Direktor des Kownoer Bürgerschutzdepartements Doktor Navakas zum Gouverneur des Memel gebietes ernannt. Dr. Navakas gilt in Litauen allgemein als eine der stärksten Persönlichkeiten des gegenwärtigen Regimes. Ferner wird seiner Initiative die Einführung einer Reihe strenger Gesetze zugeschrieben, so zuletzt der beiden litauischen Ausländer verordnungen, die sich bekanntlich besonders nachteilig auf die noch vorhandenen reichsdeutschen Lehrer und Beamten im Memelgebiet auswirken werden. Die Ernennung Dr. Navakas zum Gouverneur des Memelgebietes soll, wie ein Kownoer Blatt meldet, damit im Zusammenhang stehen, daß „eine starke Hand zur Verwaltung des Memelgebietes" erforderlich ge worden sei. Außerdem solle der „Germanisierung" des Memelgebietes, die jetzt die höchste Stufe erreicht habe, ein Riegel vorgeschoben werden. Der große und der kleine Bruder. Dollfuß verteidigt seinen Standpunkt. Bundeskanzler Dr. Dollfuß hielt in mehreren nieder österreichischen Orten Reden, in denen er, vor allem in Retz, auch die Stellungnahme im deutsch-österreichischen Streit zusammensaßte. Für uns, so sagte er unter ande rem, ist der Begriff „Gut deutsch" und „Gut österreichisch^ identisch. Auch ich bin der Überzeugung, daß wir in diesem deutschen Siedlungsgebiet die Pflicht haben, in wirklich deutschen Formen auch daZ Gesellschasts- und Wirtschaftsleben neu aufzubauen und dem gesamten deutschen Volk ein Beispiel zu geben. Ich bin überzeugt, daß wir die Aufgabe haben, auch ein Bei spiel für einen christlichen Staat zu geben. Dagegen, das dieses Gebiet, auf dem Jahrhunderte lang die deutsche Kaiserkrone gewesen ist, eine Provinz Berlins werde, daß unser bodenständiges Volk ausgeschaltet uns unter fremdes Kommando gestellt werde, dagegen haben wir uns gewehrt. Dagegen mußten wir uns wehren. Man hätte auf jede Habicht-Rede mit Vergeltungsmaßnahmen antworten können. Wir haben niemals die Gelegenheit, den Bruderzwist vor dem Völkerbund auszutragen, be nutzt, obwohl wir es hätten tun können. Ich habe immer wieder betont, daß es sich um einen Streit zwischen zwei deutschen Staaten handelt, um einen Streit, wie er viel leicht oft in Familien vorkommt, wo der eine Bruder ein großes Gut, der andere einen kleinen Hof hat, wobei aber der mit dem kleinen Hof lieber selbständig bleibt, statt als Knecht zum großen Bruder zu gehen. Oer Mich^agshran-stisterp^ Zur Mittwochverhandlung im Reichstags brand st isterprozeß sind in der Hauptsache frühere kommunistische Abgeordnete, die aus Sonnen burg bzw. aus der Strafanstalt Brandenburg vorgeführt worden sind, geladen. Senatspräsident Dr. Bünger eröffnet die Sitzung mit der Mitteilung, daß die von Rechtsanwalt Dr. Sack be antragte Verlesung einer Rede des Ab geordneten Tor gl er vor dem Preußischen Staats rat im Februar dieses Jahres während des politischen Teils der Verhandlungen erfolgen soll. Als erster Zeugs ivird der aus der Schutzhaft vor geführte kommunistische Landtagsabgeordnete Kerss vernommen. Er erklärt im Gegensatz zu der Bekundung des Zeugen Kuntschak, daß er van der Lubbe am Dienstag zum erstenmal gesehen habe. Der kommunistische Schriftsteller Jakob Rosner aus Prag, ein geborener Pole, ist auf Wunsch der Ver- steidigung geladen worden, weil er wahrscheinlich im IBayernhof mit van der Lubbe verwechselt wor-i den wäre. Man muß es aber für ausgeschlossen halten, daß dieser kleine, schmächtige Mann mit van der Lubbe verwechselt werden kann. Fast jede Frage, die ihm vor gelegt wird, beantwortet er mir der Erklärung, daß er sich nicht mehr entsinnen könne. Mn der Lubbe habe er in seinem Leben überhaupt nicht gesehem Nach der Mittagspause werden zunächst mehrere Zeugen vernommen, deren Aussagen nichts wHoutlich Neues ergeben. Am Schluß der Sitzung teilte der Senatspräfident mit, daß der Senat aller Voraussicht nach am Sonn abend wieder nach Leipzig übersiedeln werde. Die Vernehmungen und die Beweiserhebungen würden dann mit Ausnahme des politischen Teils beendetem. Ob noch am Sonnabend selbst eine Sitzung in Berlin stattfinden werde, stehe noch nicht fest. Jedenfalls bleibe der Donnerstag dieser Woche »och einmal sttzungs-, frei. Kurze politische Nachrichten. Die Reichsbank hat die Bank von England tele graphisch benachrichtigt, daß im Hinblick auf den Ablauf des ab 1. Juli d. I. in Kraft getretenen Transferauf schubs am 31. Dezember eine Verlängerung des Moratoriums notwendig ist. Die neue Transfer konferenz soll am 5. Dezember in Berlin beginnen. * Der Reichsverband deutscher Sanitäts kolonnen und verwandter Männervereinigungen vom Roten Kreuz hält in der Zeit vom 8. bis 10. Dezember in der Fremden- und Kongrcßstadt Koburg eine außer ordentliche Tagung ab, zu der etwa 500 Abordnungen deutscher Sanitätskolonnen aus dem ganzen Reich er wartet werden. * Im Oktober trat noch sine kleine Steigerung des Ausfuhrüberschusses aus 98 Millionen ein gegen 95 Millionen im Vormonat und 84 Millionen im entsprechenden Vorjahrsmonat. Ein- und Ausfuhr waren um 3 Prozent höher, und zwar stieg die Einfuhr von 337 Millionen Mark auf 347 Millionen Mark und die Ausfuhr von 432 Millionen Mark auf 445 Millionen Mark. Mengenmäßig erhöhte sich die Einfuhr um 4,8 und die Ausfuhr um 3,6 Prozent, da die Durchschnitts werte gesunken sind. * Der Adjutant des Führers, Wilhelm Brückner, dankt durch die NSK. all den Volksgenossen, die ihm durch die vielen liebevollen Beweise einer großen Ver bundenheit die Überwindung der Folgen seines Unfalls erleichtert haben. * Im Alter von 52 Jahren ist AVmiral Meusel, einer der engsten Mitarbeiter des Reichsbischofs, gestorben. Der polnische Woiwodsäaktsrat hat beschlossen, die in diesem Monat fällige" Gemeindewahlen in Ost-Oberschlesien um weitere zwei Jahre hinauszuschieben. Der Beschluß des Woiwod schaftsrates bedarf noch der Bestätigung durch de» schle sischen Sejm. Ein Walzer ans Wien Roman von Paul Hain. L. Fortsetzung Nachdruck verboten Dieses Lächeln verriet ganz stumm und still: „Ich will dich wiedersehen, Strauß — ich möcht' dich von Herzen Wie dersehen, du lieber, närrischer, verliebter Geiger von Wien. Aber wie fang ich's an? Wie nur?" Langsam schlief die Demoiselle Ietty ein, während noch immer sanfte, sehnsüchtige Walzerklänge durch ihre Seele blätterten. Als am Morgen die Demoiselle Ietty aufwachte, wußte sie auch schon, wie sie sich „aus der Bredouille" heraushelfen wurde. Das Annerl machte ein paar erstaunte Telleraugen, als sie hörte, was sie am frühen Vormittag beim Konfektionär Hellriegel auf dem Kärntnerring besorgen sollte. Nämlich vier Meter feingebleichten Kattun mit etwelchen Bänderzutaten. Und alsdann, wenn sie zurückkäm, sollte sie der Demoiselle Ietty gleich maßnehmen und, geschickt und fingerflink wie sie war, ein Kleid zurechtmachen, „wie's halt so ein Plättmä- derl, ein sauberes, tagsüber tragen tät". Das Annerl flitzte davon. Ei ja, das war schon was für sie. Schneidern tat sie für ihr Leben gern. Und so ein einfaches Gewanderl? Meiner Seel', das sollte schon wie am Schnürchen geh'n! Also wurde nachher Maß genommen und dann machte sich das Annerl flink ans Zurechtschneiden und Nähen,'daß die Nadel nur so flog. Es war schon eine rechte Freud'I Was die Demoiselle nur mit dem einfachen Gewanderl machen wollt? ging es ihr ab und zu durch den Wuschel- kopf. Neugierig war sie schon, das Annerl. Nachher ging es ans Anpassen. „Na, i hab's doch gleich gewußt, das sitzt wie angegossen," stellte Annerl voll Respekt vor ihrer eigenen Kunstfertig keit fest, als di« Demoiselle Ietty das Kleid übergezogen hatte. „Ja — so m-ag's schon gehen," sagte sie still. „Man könnt' schon Lust haben, immer in so einem Gewanderl zu stecken. Meinst nicht auch, Annerl?" Die lachte hell heraus. „Oh, meiner Seel — aber doch Sie nicht, gnädigstes Fräulein Ietty —. Das wär schon eine Sach! Jesses!" „Man hat halt weniger Kopfschmerzen und Sorg' in so einem Kleid, verstehst das nicht?" Das Annerl stellte das Lachen ein. „Freilich! Das könnt schon sein. So ein armes Hascherl von Wüschermädel hat halt keine andere Sorg' als die, wo sie am Sonntag mit dem Liebsten hingeht, ob in die „Har monie" oder in den Prater oder in den Wiener Wald und so.'" Die Ietty ließ die Arme sinken. „Und wär das nicht schön, Annerl?" fragte sie ernst haft. Aber das Annerl war völlig anderer Meinung. „An Ihrer Stell', gnädigste Demoiselle, tät ich lieber zu frieden sein mit dem, was ich bin." Die lächelte sanft. 4. Kapitel. Der Gärtner Wiedehopf war, wie man in Wien zu sa gen pflegte, eine „drollige, aber gescheite Nudel". Die Welt bestand für ihn nur aus Blumen, Bäumen, kunstvollen Ra batten, schönen Rasenflächen, gepflegten Kieswegen und Treibhäusern. Darum sah seine Gärtnerei auch immer „wie geleckt" aus. lieber dem Eingang spannte sich ein fein ge hämmertes, schmiedeeisernes Schild, worauf in zierlich ver schnörkelter Schrift zu lesen war: „Josef Aloisius Wiede hopf, k. und k. Hofgürtnerei." Er selber aber sah aus, als wäre er leibhaftig aus einem Bild des Malers Spitzweg, den jeder in Wien kannte und verehrte, herausgestiegen. Eine putzige Mischung aus Ver träumtheit und biederer, kleinstädtischer, eigenbrötlerischer Steifheit. Eine unwahrscheinlich spitze Nase stand ihm im lederfarbenen Gesicht, die niemals ohne ein kleines Tröpf chen an der leicht geröteten Spitze war. Und so oft er es auch mit dem rotgewürfelten Schnupftuch, das immer ein bißchen leichtsinnig aus der Hinteren Täsch seines blauen Bratenrockes hervorlugte, wegwischte, es kam auf zauber hafte Weise immer wieder zum Vorschein und gehörte einfach mit zur Nase. Darüber aber leuchteten zwei Helle Augen gü tig und klug in die Welt. — Er war gerade aus dem Haus getreten, um zu den Ge wächshäusern hinüberzugehen und nach seinen Kakteen zu sehen, seinen besonderen Lieblingen, als ihm Johann Strauß auf dem Hof entgegentrat. Wiedehopf blieb überrascht stehen und der Tropfen an seiner Nase hüpfte aufgeregt auf und ab. „Jesses, der Meister Strauß! Und im Sonntagshabit! Hab die Ehre, Euer Gnaden, hab die Ehre!" Er dienerte devot ein paarmal wie ein richtiger, kleiner Wiedehopf. Strauß reichte ihm die Hand. „Servus, Herr Hofgärtnermeister. Gut, daß ich Luch antreff." Er zupfte etwas verlegen am Jabot und rückte am grauen Zylinder. „Ja, es ist nämlich — i brauch ein Sträußl, ein Blu- mensträußl. Was Feines, wann ich bitten dürft. Vielleicht Rosen, net? Rote Rosen. Die gibt's doch schön?" Wiedehopf schnalzte mit der Zunge, als schmecke er eine Delikatesse. „Rosen? Ei freilich. Im Treibhaus, Meister Strauß — wenn ich so frei sein dürft'? Sie riechen schon den Früh ling —," er schnupperte in die Lust. Er schritt voran in den Garten, den Treibhäusern zu. „Nobel schaun's aus, Strauß. Immer jung und fesch. Am End gar auf —," er zwinkerte lustig zur Seite, „auf Brautschau?" Strauß lachte herzlich. „Na, was Ihr gleich denkt, Herr Hofgärtnermeisterl" „Warum net? Wann man so feiertäglich daherkömmt und nach roten Rosen fragt? Und am End bleibt doch der Herr Meister Musikus an einer hängen, wann ihm auch noch so viele Mäderln an den Hals fliegen — hahaha." (Fortsetzung folgt.)