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Der Mann mit der Kiste. Wer saß mit Torgler zusammen? Der Prozeß gegen die Reichstagsbrandstifter. Im Reichstagsbrandstisterprozcß wendet sich das Gericht zunächst der Vernehmung des kommunistischen Journalisten Oehme zu, der über seinen Aufenthalt im Reichstag am Brandtage aussagen soll. Im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen ist er der Meinung, daß er den Reichstag in der Zeit zwischen 15 und 16 Uhr betreten Hai. Vorsitzender: Früher haben Sie gesagt, Sie wären jeden Tag gegen vier Uhr in den Reichstag gekommen. Sie haben das damit begründet, daß Sie wegen ihres Zirkels im Cafö Friediger am Potsdamer Platz nicht früher hätten Weggehen können. — Zeuge: Die polizeiliche Vernehmung war sehr kurz. Der Kommissar drängte mich, ich sollte mich auf eine bestimmte Zeit nach Möglichkeit festlegen. Es ist aber, wie ich später durch Rücksprache feststellte, durchaus mög lich, daß ich des öfteren auch schon früher vom Cafä Frie diger wegging. Vorsitzender: Torgler hat Sie zunächst als den angegeben, mit dem er zusammen gewesen sei, als Kar- wahne, Frey und Kroyer ihn beobachteten. Durch ihre Aussage vom 8. März erschien das nicht möglich. Daraus hat Torgler erklärt, es sei Florin gewesen. Es fragt sich, ob Sie um halb drei oder drei Uhr mit Torgler zu sammengewesen sind. Zeuge: Das halte ich für ausgeschloffen. Im übrigen habe ich mich mit Torgler, als ich ihn an der Tür eingeholt hatte, zusammengesetzt. Er nahm in einem Sessel Platz, ich auf dem ersten Sofa. Wir haben dort eine Weile lang verschiedene politische Fragen besprochen. Oehme erklärt weiter, daß er während eines Gespräches mit Torgler zweimal unterbrochen worden sei, einmal durch den Abgeordneten Dr. Neu bau er, mit dem Torgler einige Worte gewechselt habe, und dann durch den Fraktionssekretär der Kommunistischen Partei, Kühne, der mit einem ihm unbekannten Abgeordneten durch den Raum ging. Das Gespräch sei abgebrochen worden, als Dr. Neubauer in Hut und Mantel zum zweiten Male kam. Die Dauer der Unterredung mit Torgler schätzt er auf zwanzig bis 25 Minuten. Es kommt dann zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Beisitzer Reichs- gerichtsrat Rusch und dem Zeugen. Beisitzer: Sie sind am 28. Februar von Torgler telephonisch angerufen worden? — Oehme: Torgler hat mich schon in der Nacht in der Redaktion des 12-Uhr- Blattes angerufen und sich von mir Nachrichten durchsagen lassen, dann rief er mich gegen 11 Uhr an. Es stände in den Zeitungen, daß Torgler und Koenen fluchtartig den Reichstag verlassen hätten und verdächtig seien. Torgler richtete an mich die Frage, ob er sich der Polizei stellen solle. Ich habe erklärt, das sei nach meiner Ansicht nicht richtig. Er möge sich vorher einen Rechtsanwalt be schaffen und sich mit diesem ins Polizeipräsidium begeben. — Beisitzer: Hieraus ergibt sich, daß Sie mit Torgler sehr befreundet waren. Zeuge: Ich persönlich würde gern für mich in Anspruch nehmen, als Freund von Torgler bezeichnet zu werden. — Beisitzer: Obwohl Sie sich also so gut mit Torgler standen und bereits am 7. März vernommen wurden, also genau wissen mußten, wie wichtig Ihre Vernehmung für Torgler war, haben Sie vor der Polizei ausgesagt, daß Sie täglich bis kurz vor 16 Uhr im Cafä Friediger waren und niemals zu früherer Stunde das Neichstagsgebäude betreten konnten. — Zeuge: Um meiner persönlichen Sicherheit willen habe ich es damals für zweckmäßig gehalten, nicht sofort alle Einzelheiten vor der Polizei bekanntzugeben. Ich habe damals vielleicht eine falsche, sogar bewußt falsche Aussage gemacht. — Beisitzer: Das genügt vollständig. Ich muß Ihnen weiter Vorhalten, daß Sie heute erklären, daß zwei Fraktionsdiener in den Saal gekommen seien. — Zeuge: Ich habe der Polizei milgeteilt, daß zwei Fraktionsdiener in den Saal gegangen sind. Man hielt das aber für unerheblich. Oberreichsanwalt Dr. Werner regt eine Gegen überstellung des Zeugen Oehme mit Kar- Wahne, Frey und Kroyer an, um festzustellen, ob etwa van der Lubbe mit Oehme verwechselt worden sein könnte. Auf Vorhalten des Angeklagten Torgler gibt der Zeuge zu, daß er im Monat Januar täglich mit Torgler im Reichstag um 14)4 Uhr zusammengekommen sei, obne vorher im Cafe Friediger gewesen zu sein. Das veranlaßt wiederum den Vorhalt des Vorsitzenden, daß die polizeilichen Angaben Oehmes, er wäre täglich erst gegen 16 Uhr ins Haus gekommen, um so unwahrscheinlicher, ja ganz unrichtig sein müßten. Aus die Frage nach seiner Bekleidung am Brandtage erwidert Oehme, er habe einen dunkelbraunen Anzug getragen, Mantel und Hut aber in der Garderobe an gegeben. Er besitze einen bräunlichen, etwas karierten Wintermantel, aber keinen Hut aus gleichem Stofs. Am Brandtage habe er diesen Mantel nicht getragen, sondern einen Sportpelz. (Damit ist also erwiesen, daß Oehme nicht als der Begleiters Torglers in Frage kommt, den der Zeuge Denschel gesehen hat.) D r. Sack: Sie haben vorhin erklärt, bei der Polizei bewußt eine falsche A u s s a g e gemacht zu haben aus Gründen Ihrer persönlichen Sicherheit. Konnten Sie es denn dem Angeklagten Torgler gegenüber verantworten, daß Sie Ihrer persönlichen Sicherheit wegen diese bewußt falsche Aussage machten, die doch eine un günstige Rückwirkung für Torgler haben mußte. Zeuge: In jenen Tagen war die politische Situa tion immerhin so, daß jeder einzelne von uns Ursache hatte, in er st erLiniean seineeigene undper- sönliche Sicherheit zu denken. (Heiterkeit.) Die beiden Fraktionsdiener Gutsche und Ialu ll o w i tz werden dann zunächst den Zeugen Karwahne Frey und Kroyer gegcnübergestellt. Zunächst erfolgt die Ncbeneinanderstcllung von Gutsche und van der Lubbe. Karwahne, Frey und Kroyer erklären, daß em« Verwechselung ganz ausgeschloffen sei. Die Gesichtsbildung des Begleiters des Torgler wäre der artig gewesen, daß eine Verwechselung mit Gutsche nicht in Frage komme. Dann wird der frühere Fraktionsdiener Jaku- bowitz den drei Zeugen vorgeführt. Karwahne, Frey und Kroyer erklären ebenfalls übereinstimmend, daß eine Verwechselung zwischen Jakubowitz und van der Lubbe gänzlich ausgeschlossen sei. Der Angeklagte Dimitroff findet es bemerkens wert, daß von den drei Hauptzeugen zwei van der Lubbe genau wiedererkenneu und einer nur den Popoff genau wiedererkennt. Da Dimitroff weiter redet, unterbricht ihn der Vorsitzende in schärfstem Ton. Oberreichsanwalt Dr. Werner und Abgeordneter Karwahne weisen nacheinander auf Dimitroffs grobe Ungehörigkeit hin, leise Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen ge äußert und irgendwelche Verabredungen zwischen diesen Zeugen angedcntct zu haben. Scnatspräsident Dr. Bünger nimmt diese Mittei lungen zum Anlaß, um Dimitroff erneut auf das schärfst« zu verwarnen und ihm, als er noch weitere bereits geklärt« Fragen an die Zeugen stellen will, das Wort zur Befra gung dieser Zeugen zu entziehen. Es tritt dann eine Mittagspause ein. Darauf beginnt die Vernehmung des M a jo r s a. D. Weberstedt, der als Presseleiter der national sozialistischen Fraktion dauernd im Neichstagsgebäude tätig war und vor dem Brand Beobachtungen gemacht hat, die jetzt für die Aufklärung der Tat von Wichtigkeit wer den können. Er hat am Nachmittag des Brandtages in einer Ecke des ersten Obergeschosses scharfen Benzolgeruch wahrgenommen. An einem der vorhergehenden Tage hat er zwei Männer getroffen, von denen einer eineKiste trug. Diese beiden Männer glaubt der Zeuge in den Angeklagten van der Lubbe und Taneff wicderzuerkennen. Vorsitzender: Sie sind van der Lubbe mal im Reichstag begegnet? — Zeuge: Im ausgebrannten Saal sah ich mitten in einer Gruppe einen großen Mann, der an der Kette gehalten wurde. Ich stutzte sofort und überlegte, wo ich den Mann schon einmal gesehen haben könnte. Ich bin am nächsten Tage zu der Ansicht gekommen, daß das der Mann war, der mir mit der Kiste begegnet war, und habe dann um die Gegenüberstellung gebeten. Bei dieser Gegenüberstellung habe ich dem Mann auch auf den Kopf zugesagt, daß er es gewesen sein müßte, dem ich begegnet war. Van der Lubbe bestritt das auch nicht und machte einen sehr erschrockenen Eindruck. Vorsitzender: Sie haben dann auch Beobachtun gen über dine zerschlagene Scheibe gemacht? — Zeuge: Am Morgen nach dem Brand kam ich im Reichstag etwa um 8 Uhr früh im ersten Obergeschoß an den Zimmern der Kommunisten vorbei. Ich traf einen Haufen Scherben, sah nach oben zum Glasdach und be merkte, daß dort eine Scheibe fehlte. Diese Beobachtung habe ich der Kriminalpolizei sofort mitgeteilt. Schließlich hat Major Weberstüdt noch eine vierte Be obachtung am Morgen nach dem Brande gemacht. Während die eigentlichen Fraktionszimmer der Kommunisten ge schloffen waren, war ein anderes Zimmer, der Raum 53^1, offen. Man hatte den Eindruck, als ob diejenigen, die dort aufgeräumt hatten, wußten, daß sie nicht mehr zurückkchren würden. Die Schränke waren sämtlich geöffnet, Privatgegenstände waren überhaupt nicht in diesem Zimmer. Bemerkenswert ist die Feststellung ^des Vorsitzenden, daß der Verbleib derSchreibmaschine, die sich aus dem Zimmer 53 befunden hat, nicht festzustellen ist. Der Angeklagte Taneff wird dann vor den Gerichts tisch geführt und dem Zeugen gegenübergestellt. Der Zeuge erklärt: Das ist mit Bestimmtheit der Mann gewesen. Ler Iugendführer des Deutschen Reichs hat zum 12. Noeembcr ein Bildheft für die deutsche Jugend „Der neue Staat und wir Jungen!" erscheinen lassen. Das Heft stellt den Sünden der Ver gangenheit die Aufbauarbeit des Führers und seiner Regierung gegenüber, zeigt in anschaulichen Bildern wie andere Völker in Waffen starren und Deutschland nur ein Heer des Friedens und der Arbeit hat. Es bringt Darstellungen über Ferienfahrten und Iugendspiele, die uns so recht das Ziel der Regierung, die Jugend an Leib und Seele gesund und kräftig, ehrliebend und arbeitsfreudig heranwachsen zu lassen, vor Augen iührt. Aus der deutschen Jugend — für die deutsche Jugend, wie der Titel des Heftes sehr treffend sagt, ist es ein Bekenntnis der Jugend zu ihrem Führer. Ausdruck des Glaubens an die Zukunft des deutschen Volkes. Das Heft soll vor dem 12. November in die Hände jedes Jungen und Mädels gelangen. Der Preis von 5 Pf. ist derart niedrig, daß es auch von den ärmsten Schülern beschafft werden kann. Den Vertrieb haben die Banne der Hitlerjugend übernommen. Wenn man diesen Mann einmal mit einem langen ManieL gesehen hat, vergißt man das nicht wieder. Inzwischen ist Mantel und Hut von Taneff Herbek geschafft worden. Taneff muß sich ankleiden. Nun wird auch der Angeklagte vanderLubbe vor den Gerichts tisch geführt. Taneff und Lubbe werden nebeneinander gestellt, so wie sie der Zeuge beieinander gesehen hat. Der Zeuge demonstriert, wie Lubbe die Kiste getragen hat, und wie Taneff links von Lubbe ging. Ich nehme es auf meinen Eid, erklärt der Zeuge, daß es die beiden sind. Aussagen des Hausinspektors lasten die Mög lichkeit zu, daß das Archivzimmer der Kommunisten, das Zimmer 53^, in der Brandnacht wegen der Suche nach dem Brandherd geöffnet, aber nicht wieder verschlossen worden ist. Taneff läßt durch seinen Dolmetscher erklären: Ich muß wiederholen, daß der Zeuge sich entweder irrt oder absichtlich die Unwahrheit sagt. Weberstüdt mit scharfer Stimme: Ich möchte dazu erklären daß ein alter deutscher Offizier nicht lügt. Taneff erklärt dann weiter, daß er niemals im Reichstag gewesen sei. Er sei am Freitag, dem 21. Februar, nach Berlin gekommen und habe niemals mit deutschen Kommunisten irgendwie in Verbindung gestanden. Torgler: Hat vielleicht die sozialdemokratische Fraktion in den Tagen vor dem Brande eine Kiste be kommen? — Zeuge Gutsche: Die Damen des sozialdemokratischen Fraktions- sckretariats hatten sich Wein bestellt. Es kam eine Kiste aus dem Rheinland mit Weinflaschen^ „weil der billiger war". — Oberreichsanwaltx Wieviel Flaschen waren denn das? — Zeuge: Es jwaren immerhin — (er rechnet nach) — zwei, vier, sechs IDamen —: „Na, sagen wir: 60 Flaschen vielleicht! (Große Heiterkeit!) Der Angestellte einer Expeditionsfirma hat sie gebracht Es war ein Mann mit einem schwarzen Lederschurz. Reichsgerichtsrat Coenders: Kann es sich bet der Last, die Sie gesehen haben, um diese 60-Flaschen- Kiste gehandelt haben? — Weberstüdt: Ganz aus geschlossen! Umgerechnet hätte die Kiste, die ich gesehen habe, nur sechs bis acht Flaschen fassen können. Die Verhandlung wird dann auf Montag vertagt Blutige Kampfe in Palästina. Araberrevolte gegen Judeneinwan de-« rungundEngland. Die judenfeindlichen Kundgebungen der Araber in Palästina griffen von Jaffa aus andere Städte, darunter Jerusalem und Haifa, über. Ein englisches Flugzeug geschwader wurde von Ägypten nach Jaffa in Marsch ge setzt. Größere Truppenabtcilungcn werden in Bereitschaft gehalten. Bei den Zusammenstößen in Jaffa wurden den letzten Meldungen zufolge 20 Araber und ein Polizist getötet «nd über 100 Personen verwundet. In Jerusalem griff eine erregte Menge das Polizei- . gebäude an. Hierbei wurden ein Araber getötet und mehrere verwundet. Wilde Szenen spielten sich auch in Haifa ab. Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich vor der Moschee augesammelt, um Rache für die Todesopfer in Jaffa zu fordern. Um die Demonstranten zu zerstreuen, feuerte die Polizei mehrere Salven in die Luft. Die Unruhen sind insofern bemerkenswert, als sie sich nicht nur gegen die Juden, sondern besonders gegen die englische Regierung richten, die für die Steigerung der jüdischen Einwanderungen und des jüdischen Landankaufs verantwortlich gemacht wird. * Aene blutige Zusammenstöße in Jerusalem. Arabische Demonstrationen gegen England. Arabische Angriffe auf den Polizeiposten in der Alt) stadt von Jerusalem wurden mit der Waffe abgewehrt. Arabischerseits gab es wiederum Tote und Verwundete. Einer fanatischen Menge gelang cs, das Gefängnis in Nadlus zu stürmen und sämtliche arabische Gefangenen zu befreien. In Jerusalem sammelten sich Tausende von Arabern Vor dem Gebäude des englischen Oberkommiffars und nahmen eine drohende Haltung ein. Als aus der Mengs auf die wachthabenden Polizisten ein Schuß abgegeben wurde, eröffneten sie ein Feuer aus die Demonstranten und zerstreuten sie. Beim Herodestor wurde ein englische« Nachrichtenreiter von der Menge mit Steinen beworfen. In Haifa haben die arabischen Führer mit weiteren Ge waltmaßnahmen gedroht. In Damaskus fanden ebenfalls englandfeindliche arabische Kundgebungen statt, ebenso in Unnam in Transjordanien. painleve gestorben. Im Alter von 70 Jahren. Der ehemalige französische Ministerpräsident und -mehrmalige Minister in den verschiedenen französischen Regierungen, P a u l P a in l e v ö, ist an den Folgen einer plötzlich aufgetretenen Herzschwäche im Alter von 70 Jah ren gestorben. Painlevd hatte sich vor allem durch seine mathematischen Studien in Frankreich und über die Grenzen Frankreichs hinaus einen Rus als bedeuten der Wissenschaftler geschaffen. Moroanflage gegen den Dollfuß-Mentaler. Gegen den ehemaligen Gefreiten des Bundesheercs Rudolf Tertil, der am 3. Oktober den Anschlag auf Bundeskanzler Dr. Dollfuß verübte, ist nunmehr dis Anklage erhoben: sie lautet auf „versuchten ge meinen Mord". Die Hauptverhandlung dürfte im November anberaumt worden. Die Hauptverhandlung gegen den 20jährigen Frei- Herrn Werner von Alvensleben, der reichs deutscher Staatsbürger ist, ist auf den 21. November an beraumt worden. Freiherr von Alvensleben wurde be kanntlich unter dem Verdacht der Mitwirkung an dem in Innsbruck verübten Nevolveranschlag auf Dr. Steidle verhaftet. Die Anklage lautete auf Mitwir-j kung an einem versuchten „meuchlerischen Mord".