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WilÄdeMer Tagedlstt 3. Blatt Nr. 258 — Sonnabend, den 4. Nov. 1933 Das Wori Gottes. Matth. 24, 35: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!" „Und Gott sprach: Eswerde... !" Damit wird Kn der Bibel das Werden der Welt eingcleitet und ebenso zedesmal das Werden höheren Lebens in dieser Welt. Der Evangelist Johannes nimmt das auf im Eingang seines Evangeliums: „Im Anfang war das Wort". Und wenn Goethe seinen Faust sich mit diesem Wort abmühen läßt und es schließlich umwandelt: „Im Anfang war die Tat", so ist das doch im Grunde dasselbe. Denn wenn Gott spricht, so fällt sein Wort nicht leblos aus seinem Munde, sondern es ist voll schöpferischer Kraft, esistTat. „Und Gott sprach" — so fängt auch im Leben Les Menschen alles wahrhaft Neue, Höhere an. Das sehen wir bei den ganz Großen und bei dem, was sie herauf geführt haben, und das spricht Jesus deutlich aus: „Deun ich habe nicht von mir selbst geredet, sondern der Vater, Ler mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll." Was dem Werk der Großen Lie Macht der Erneuerung gab, war dies: daß ihnen das Wort, das Gott zu ihnen sprach, unwiderstehlich war und unerschütterlich blieb. Und darum ist Jesus der, der über alle ist, daß er nicht bloß das Wort sprach, sondern daß er ganz und gar ohne Einschränkung und Abstrich das Wort Gottes in sich verkörperte, so ganz, Laß es von ihm heißt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. „Er ist das Wort Gottes und in ihm redet Gott uns Menschen alle an; zu allen Zeiten — auch uns heute. Und wieder und immer ist cs so: nur durch dieses Wort von oben her kann neues, höheres Leben auch in uns und um uns werden, sonst nicht. Darum kann und darf es für uns alle, wenn es uns wirklich um Erncuc- stung zu tun ist, keine größere Sorge geben als die, daß Gott aus unserer Zeit und unserem Volk sein Wort nehmen könnte; denn dies Wort Gottes allein hat wahre Schöpferkraft; das Wort des Evangeliums, Jesus, der Lies Wort ist, allein hat die Macht, Menschen und Mensch heit neu zu schaffen. In ihm ruft Gott auch uns heute an — wer von uns hört auf ihn und nimmt sein Wort so todernst, wie es genommen werden will und muß? Wir wollen eine Welt erneuern helfen? Das kann nur, wer auf das Wort hört und selbst erneuert wird: Der aus dem Wort gezcuget Und durch das Wort sich nährt Und vor dem Wort sich beuget Und mit dem Wort sich wehrt. Und Gott spricht: „Es werde... !" Laßt uns hinhorchen, und es wird werden, was er will, und was wir alle ersehnen: eine neue Erde. Der Sonntag -es Eintopfgerichtes. Das Bekenntnis zur Gcfolgschaftstreue. Der nächste Sonntag ist der zweite Sonntag des E i n- »spfgerichtcs. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß das deutsche Volk seinen Führer verstanden hat und bereit sein wird, den Willen zur spartanischen Einfachheit seines Kanzlers in einem Umfange zu erfüllen, der beweisen soll, daß der Sozialismus der Tat kein leerer Begriff für den deutschen Menschen ist, sondern den Ausdruck einer moralischen Verpflichtung darstellt. Das Geheimnis der nationalsozialistischen Weltanschauung beruht in der Forderung, daß Gemeinnutzvor Eigennutz geht. Die Erfüllung dieser Forderung ist auch die vom Führer geforderte Gcfolgschaftstreue. Uud wenn wir bedenken, wie wenig Opfer im Grunde genommen die Forderung des Eintopfgerichtes bedeutet, daun müssen wir alle am nächsten Sonntag bekennen, daß jeder von nns an seinem Platze stehen und in den Gaststätten zu finden sein wird, um öffentlich zu bezeugen, daß der Tag des Eintopf gerichtes von allen deutschen Menschen zu einem Fest des Opfers erwählt wurde. Tie Weichsel hims gen Mrschsn. IV. o. Warschau. Das erste, was uns am frühen Morgen auffällt, sind die polnischen Briefmarken auf den Postsachen, die unlerer beim Portier harren. Ihr Aufdruck: „Es gibt kein Polen ohne Meer! Laßt uns Kriegsschiffe bauen!" bzw. „Für die polnische Flotte bezahle einen Zloty jährlich!" bestätigt uns, daß der polnische Staat in allem, was seine nationale Politik betrifft, Propa ganda zu machen versteht. Ob das, wie in diesem Falle, der Stimmungsmache zur Seefahrt gilt, die den Polen sicherlich erst künstlich beigebracht werden mutz oder der Förderung eines immer mehr sich steigernden Kindersegens, den die katho lischen Geistlichen gehalten sind, von der Kanzel herab gerade zu zu befehlen — ist gleich! Unsere alten Regierungen hät ten sich von der Propaganda dieser Republik ein gehöriges Stück abschneiden können. Gottlob, daß es jetzt anders ist. Wie sehr unsere Propaganda jetzt hier beachtet wird, erhellt aus folgendem Sprüchlein, das man von Minderheiten hören kann: „Die Fenster zu, der Hitler spricht, die Polska, die verträgt das nicht." * Bereits um ^10 Uhr sind wir vor der Cerkiew, der russi schen Kirche in Praga. Ein russischer Student hatte uns auf merksam gemacht, daß der heutige Gottesdienst besonders sehenswert sei. — Mit ihren blauen Zwiebeltürmen und den glitzernden goldenen Spitzen liegt die Kirche wunderschön im Grünen. Wir haben noch Zeit zu einem Rundgang, der uns die äußeren Kennzeichen einer russischen Kirche zeigt, nämlich: die Glocken ohne Klöppel und das Fehlen jeglicher Orgel. Und eben langen wir wieder am Portal an, da beginnen die Läute jungen im Turm die Glocken zu schlagen. Das ist das Zeichen, daß der Bischof naht. Er selbst hält heute Gottesdienst. Aus dem Haus der Geistlichen gegenüber der Kirche tre ten zwei Mißliche im Ornat (weite weiße Mäntel mit Gold gestickt). Angefaßt an den Armen führen sie in ihrer Mitte den Bischof, der das einfache schwarze Gewand der rüsischen Popen trägt. Der Bischof ist klein, hager, trägt wallendes schwarzes Haupt- und Barthaar und einen Stab. Wie schon festgestellt, gibt es in der russischen Kirche keine Orgel. Alle Kirchenmusik vollführt der Kirchenchor, so auch hier. Mit Ein tritt des Bischofs in die Kirche stimmt der Chor an- Künst lerisch! Sofort gefangennehmend! Alle russischen Geistlichen Warschaus sind spalierartig vor einem Podest unmittelbar am Eingang aufgestellt. Jeder trägt etwas anderes in den Hän den, beim nun wird der Bischof in aller Oeffcntlichkeit ange kleidet. Man nimmt ihm Hut, Ueberrock, Hirtenstab. Schlank wie eine russische Schwarzfichte steht er mit gehobenen Händen da im einfachen schwarzen Priesterrock, den nur ein buntes Hüftband ziert. Alles, was man ihm anzieht, reichen die Prie ster ihm erst zum Segnen hin. Dann küssen sie ihm jedesmal die Hand, und nun erst bekleiden sie ihn. Zur ersten Hand lung ist das Kleidungsstück ein langwallendes lilaes Gewand. Dann setzen sie ihm die hohe schwarze Mütze mit langer Schleppe auf. Ein grotzes Metallkreuz wird dem Bischof ge reicht. Er küßt es und gibt es den übrigen Geistlichen, die es der Reihe nach ebenfalls küssen. Jetzt schreitet er unter immer währendem Wechselgesang zwischen Geistlichen und Chor vor zum Altar, wo von der Decke ein goldenes Marienbild allmäh lich herabgelaffcn wird. Das küßt er und schreitet dann zurück zum Podest, wo er nun in das eigentliche Festgewand gekleidet wird. Der lilae Ueberwurf und der hohe Hut werden sortge- nommcn. Ein kostbares, hellblaues Seidenbrokatgewand mit unbeschreiblich schönen Goldstickereien und aus mehreren ein zelnen Hüllen, Mantel, Bändern, Stolen, Stulpen bestehend werden nach und nach angezogen. Als Kopfbedeckung bekommt er die Bischofskrone aufgesetzt. Der Hirtenstab ist nunmehr ein Stecken, auf dem ein brezelartig geformter Griff aus Sil ber und breite, dem Gewand entsprechende Bänder befestigt sind. An goldenen Ketten hängt man ihm erst ein Kreuz, darüber ein Heiligenbild um. Breit lugt aus dem weiten Sei tenschlitz des Gewandes die Hirtentasche heraus. Es beginnt nun der eigentliche Gottesdienst. Ein Vor leser liest den Sonntagstert, ein Geistlicher mit phänomenalem Baß assistiert. Dazwischen singt der Chor. Der Bischof nimmt auf einem Sessel Platz und weiht zwei junge Geistliche. Diese werden im feierlichen Zuge von den übrigen Geistlichen aus dem Altarraum vor den Bischof geführt, der ihnen die Hir tentasche verleiht, sie segnet und ihnen einen geistlichen Namen gibt. -letzt folgen die Einsetzungsfeierlichkeiten für das Abend mahl- Während die Sakramente geweiht werden, — was hin ter geschlossenen Altartüren- und -vorhängen geschieht, — hält einer der eben geweihten Geistlichen seine erste Ansprache. Nach dieser leitet der andere Geistliche den Gesang der Gemeinde durch Vorsingen und Taktangeben. So monoton an sich dieser Teil der Lithurgie ist, zwingt er doch alle zur intensivsten An dacht. Tief und voll klingt der Eememdegesang- Oft wie ein Klopswerk, dann wie Kaskaden, weich und mollig, dann wie der tief und klagend. Sie singen ausgezeichnet — die Rusten. Viel Soldaten in polnischen Uniformen, wohl aus der Ukraine und aus Weißrußland stammend, nehmen am Gottesdienst teil. Sitzplätze gibt es nur wenige für alte, kranke Leute. Alles wird stehend oder knieend angehört. 2)^ Stunden. Da würde man chem Evangelischen die Geduld platzen, denn nicht nur die Beine, auch der Kopf, das Empfinden wird stark angestrengt. Der viele Gesang, der enorme Weihrauch! — Während der ganzen bisherigen Handlung hat ein alter Geistlicher, der wie ein Waldmensch aussieht, die Beichte gehört- Dabei kriecht der Beichtende unter die Kutte des Popen. So sind sie gänz lich abgeschlossen. Ueber dem Testament vergibt er dann dem Sünder und macht ihm das Kreuzzeichen auf den Kopf. Nun folgt das Abendmahl. Gegeben wird hier Brot in Wein gebrockt, gereicht mit einer breiten, schaufelförmigen Gabel.. Nach dem Schlußgesang entsteigt der Bischof seinen vielen Gewändern, naht noch einmal im lilaen Ueberwurf dem Hei ligenbild, bekommt dann seinen Popenrock angezvgen und ver abschiedet sich von der Gemeinde. Jeder tritt an ihn heran, gibt ihm die Hand und küßt sie ihm knieend. Das gibt ein hüb sches Bild: der sehr gepflegt Lussehende Bischof, mit einem offenen, gütigen Gesicht, davor Mütter mit Kindern, Greise, Soldaten^ Mädchen — ein Motiv. Ueber allem die Sonnen strahlen des herrlichen Tages, die durch die bunten Scheiben fallen, mit den unzähligen Opferkerzen konkurrieren wollen und sich in der Bläue des ziehenden Weihrauchs baden- Ties beeindruckt fahren wir durch den gutgepflegten Lazienki-Park am Schloß Belvedere, dem Wohnsitz Pilsudskis, vorbei. Dann geht es die wirklich großstädtische Prunkstrahe, die Aleja Ujaz- dowska hinunter. Sie hat fast nur in Vorgärten liegende Vil len, in denen meistens die Vertreter der fremden Länder woh nen. Doch stehen auch moderne vornehme Verwaltungsgebäude hier, in denen die Konsulate, so auch das deutsche, sitzen. Frei mütig heben wir in unserer Taxe die Hand zum Hitsergruß, als wir im Vorbeifahren die schwarz-weiß-rvte Fahnenstange und das Konsularschild mit dem deutschen Adler sehen. Ueber die stark mit Verkehr belegte Aleja Ierozolimska, die am Haupt- bahnhos vorbei zur Poniatowski-, das ist die südlichste Weich selbrücke führt, folgen wir der Nvwy Swiat bis zum Schloß platz. Ein kurzer Blick in das Schloß, dem Wohnsitz des Staats präsidenten Dr. Moscicki. Doch da man Schloßbesuche öfter haben, aber nicht alle Tage eine jüdische Stadt mi. 300 000 jüdischen Einwohnern sehen kann, wie das hier im Stadtteil Nalewki der Fall ist, steuern wir sogleich Nalewki an. Und hier erleben wir die Hölle auf Erden! Gott soll schützen! Da eine Autotaxe hier zu sein ist und zu großes Auf sehen erweckt, fahren mit mit der Tram mitten hinein in die Nalewki. N. ist eigentlich nur die Hauptstraße im tzudenstadt- teil, die aber dem ganzen Viertel den Namen gibt. Das erste, was uns auffällt, sind die (leider ost so deutsch klingenden) Iu- dennamen auf den Firmenschildern. Als wir uns die nach stehenden besonders typischen aufschreiben, kommen die Söhne Palästinas zu Haus geströmt, um festzustellen, ob wir was „kaifen" wollten. Die Prachtnamen lauten: Chaim Postbrief Seidenworm Ferscht Hozengecyter Schmuglersmilch Faigenblat Winterrock Zentnerschwer Gering-Uvbeitel Knaster tzakub Finkelkraut Wanzenträger Ajnstein Klopferd Wie Hausen nun diese Menschen? Mß W UUMMUKW Noman von Chlotilde von Stegmann-Stein. 26. Fortsetzung Nachdruck verboten Von draußen kam es wie ein Flüstern, sie drehte den Schlüssel um, öffnete die Tür: vor ihr stand die kleine Elvira del Pueblo. „Um Gottcswillcn, Kind, was machst du denn hier? Jetzt mitten in der Nacht? Bist du krank?" „Ich bin nicht krank, Mademoiselle Beate," sagte die kleine Elvira, sah mit einem flehenden Kindergesicht zu Beate auf, „ich hatte nur solche Angst um Sie, weil Sie nicht Lei Tisch unten waren, ich dachte, Sie seien krank, vielleicht sehr krank, und dann ist niemand mehr da, zu dem man könnte." Ihr schmaler kleiner Müdchenkörper unter dem kleinen Nachtkleid zitterte und plötzlich stürzten ihr die Tränen aus den Augen. „Aber Kind," Beate zog das zitternde Mädchen an sich und über die Schwelle, „sei doch still, mir ist gar nichts, wirk lich nichts, so, komm, setz dich einmal her," sie zog das kleine Wesen liebevoll neben sich auf ihren Stuhl, „beruhige dich doch erst einmal." Elvira schlang ihre dünnen Aermchen um Beates Hals. Beate fühlte das tränenüberströmte, warme Kindergesicht, fühlte, wie das wilde Schluchzen nach und nach abebbte. Sie sprach kein Wort mehr. Sie strich nur immer leise über das weiche blonde Haar des Kindes. Und seltsam: ihr eigener Kummer versank in diesem Augenblick ganz tief in ihr. Sie sah und fühlte nur den Kummer dieses kleinen Mädchens und wünschte ihn zu lin- Lern. Da war doch ein Mensch, der sie brauchte, der in seiner Not zu ihr flüchtete. Dem sic etwas sein konnte. Als ob die kleine Elvira Beates Gedanken erraten hätte, flüsterte sie jetzt, immer in Beates Arm geschmiegt: „Sie müssen nicht böse sein, Mademoiselle. Sie sind doch Ler einzige Mensch hier, zu dem ich Vertrauen habe und den ich liebhäde. . Sie dürfen nicht krank sein. Was soll ich denn ohne Sie anfangen? Zu wem soll ich denn kommen? Und nicht wahr, Sie haben mich auch ein bißchen lieb?" „Kleine Elvira," Beate sah mit Rührung in das flehende Kindergesichtchen, „natürlich habe ich dich lieb. Aber was ist es denn nur, das dich so ängstigt, daß du mitten in der Nacht zu mir kommst?" Ein heißes Not floß über Wangen und Hals des Kindes. „Estercita," sagte sie leise, „sie ist abends heimlich wieder fortgegangen, heute, ich weiß nicht wohin, und wenn ich etwas sage, dann will sie mich schlagen. Ich möchte fort von hier, Mademoiselle, ich habe dem Vater einen Brief ge schrieben. Ich bin so unglücklich hier. Wenn Sie nicht hier wären . . . aber ich sehe Sie ja so wenig. Und Stunde habe ich auch nicht bei Ihnen. Ich bin so verlassen, da habe ich dem Vater geschrieben. Aber Mademoiselle Felicie liest ja alle Briefe. Und da wollte ich Sie bitten..." Sie holte aus dem Gürtel ihres Pyjamas einen kleinen zerklitterten Briefbogen, den sie Beate hinhielt. „Sie dürfen es lesen, Mademoiselle, es steht nichts Un rechtes darin. Ich bitte nur den Vater, daß er uns hier wegnimmt. Wenn Sie mir den Brief besorgen könnten, Mademoiselle Beate, ich bitte Sie, so sehr ich kann." Mit einem Blick des unbegrenzten Vertrauens schaute sie zu Beate auf. Beate dachte nach. Was Elvira von ihr verlangte, ging gegen die Gebote von Felicie. Aber vielleicht mußte ein mal in diesem Falle gegen diese Gebote gehandelt werden. Wenn die beiden Mädchen fortkamcn, war cs vielleicht auch für Estercita besser." „Gib mir den Brief, Elvira," sagte sie, „was du von mir verlangst, ist sehr schwer zu tun. Aber ich will es tun, denn ich fühle, es ist besser für euch, hier herauszukommen. Nun gehst du schön ruhig in dein Zimmer zurück und ver sprichst mir, zu keinem Menschen ein Wort zu reden. Kann ich mich auf dich verlaßen?" „Ja," erwiderte die kleine Elvira. In ihren Kinder- augcn lag ein festes Versprechen. Lange lauschte Beate, bis Elviras Schritt verhallt war und bis sie den ganz leisen Laut hörte, mit dem die Tür geschlossen wurde. Dann saß sie beim Schein ihrer kleinen Lampe und las Elviras Dries. Es war ein rührender Kindcrbrief, aber in seiner Un beholfenheit zeigte er doch deutlich die Not, in der sich diese kleine Seele befand. Der Brief war französisch abgefaßt. „Liebstes Väterchen," schrieb Elvira, „komm doch und hole uns hier fort, ich bin so unglücklich hier, und Estercita ist gar nicht gut zu mir. Nur Mademoiselle Beate hat mich lieb. Aber sie kann nicht viel bei mir' sein. Wenn sie bei mir ist, dann ist mir nicht so bange nach dir, Väterchen. Aber sonst ist es schrecklich. Bitte, bitte, komm und hole uns hier fort. Deine kleine Elvira." Einen Augenblick saß Beate sinnend vür diesen Zeilen. Sie schämte sich plötzlich ihrer vollkommenen Hoffnungslosig keit, in der sie sich vorhin gewünscht hatte, das Leben möge zu Ende sein. War diese Not eines einsamen Kinderherzens nicht ebenso schlimm oder schlimmer? Wie sollte ein Kind mit dem Leben fertig werden, wenn ein Erwachsener den Mut verlieren wollte? Der Gedanke, daß sie diesem Kinde etwas sein konnte, war wie ein Geschenk, das ihr selber neuen Mut und neue Kraft gab. Man mußte weiter und vorwärts, man mußte sich selbst und das Leben meistern. Sie nahm die Feder zur Hand und schrieb ein paar kurze Zeilen an M. de Pueblo, in denen sie ihm vorschlug, baldigst herzukommen und nach den Kindern zu sehen. Sie steckte ihren Brief in das kleine Kuvert, das Elvira schon mit der Adresse des Vaters in Paris versehen hatte, und löschte,das Licht.' Die Verzweiflung ihres Herzens war stiller geworden. Der Gedanke, diesem kleinen Mädchen helfen zu können, goß Trost in ihre Seele. Und endlich gegen Morgen siel sie in einen leichten Schlummer. 7 - Beate war glücklich darüber, daß sie in den nächsten zwei Tagen nicht die Beaufsichtigung der Pensionärinnen bei dem täglichen Spaziergang hatte. So entging sie doch der Ge fahr, unterwegs Mariette oder Allan zu begegnen. (Fortsetzung fokgU