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Tagesspruch. Habe immer etwas Gutes im Sinn, Ast, etwas Böses zu tun. auch halte dich zu M. Claudius. Dresdner Spiegelbilder. Der Ruf an das Volk. — Verschwundene rote Farbe. Die Straßenbahn feiert ein Fest. — Einst Amts- schimnrel, jetzt Pegasus. — Was du ererbt von deinen ' Vätern ... — Die einzige Airtwort. Gib dem Kanzler dein Ja-Wort! — Auch wer nicht an dem großen Versammlungszelt vorübergeht, das man auf der Lennöstraße errichtet hat, und das nicht weniger als 30 000 Menschen zu fassen vermag, Weitz, datz Dresden wieder einmal voll und ganz im Zeichen der Wahlpropa- ganda steht. Transparente über den Stratzen, Flugzettel an den Mauern, Inschriften auf den Gehbahnen machen auf die kommende Entscheidung aufmerksam. Selbst in den Strassenbahnen liest man an den Scheiben die Aufforde rung zu einem entschiedenen Ja! auf die Frage des Führers an sein Volk, und die Kraftfahrzeuge der Post tragen jetzt schon die Propagandainschriften, die in nächster Woche^wohl an jedem Kraftfahrzeug zu lesen sein werden. Und doch hat all diese Wahlvorbereitung einen anderen Charakter als sonst. Es fehlen die sinnlosen Schmierereien, die Begeiferungen fettens der Linken, die wahllos auch wertvolles Gestein besudelten, nur um recht viel unab waschbare rote Farbe an den Mann zu bringen. Diesmal steht alles unter dem Motto einer von einem gewissen Ernst erfüllten Begeisterung, geht es doch nicht um das oder jene Parteigrüppchen, sondern um Deutschlands Schicksal. Um die moralische und politische Freiheit des ganzen-Volkes. Ndch -einmal muß die Dresdner Straßenbahn er- wähnt. werden. Sie hat nämlich jetzt mit einer umfassen den Verkehrswerbung eingesetzt mit dem Ziele, ihren Um satz zu erhöhen. Sogar ein Fest der Straßenbahn gab es in diesen Tagen, das mit einer Lotterie verbunden war, bei der es Freifahrscheine aller Gattungen bis zu einer zweimonatigen Freifahrt auf allen Dresdner Li nien als Hauptgewinn zu ergattern gab. Es versteht sich am Rande, daß diese Lose reißenden Absatz fanden und schon am Tage vor der eigentlichen Veranstaltung den Schaffnern buchstäblich aus den Händen gerissen worden waren, übrigens diente auch dieses Fest außerdem der Winterhilfe. Schmackhaft-wurde die Sache den Dresdnern gemacht durch einladende, Werbezettel, auf denen in lau nigen Versen die Vorzüge der Straßenbahn geschildert wurden. Einige besonders nette Zeilen sollen hiermit der Nachwelt erhalten bleiben: „Also sprach der kluge Meier: »Die Straßenbahn ist mir zu leier, ich fahre mit dem Rade aus', und schon liegt er im Krankenhaus/ Oder: „Dein Hühnerauge klagt dich an: Warum fährst du nicht Straßenbahn?" Leider war der Wettergott der Veran staltung, soweit sie öffentliche Platzmusiken der Straßen bahnerkapelle — jawohl, auch das gibt es bei uns, und die Blaufahrer wissen diese Musici zu schätzen — vor gesehen hatte, nicht sehr günstig, aber am Abend in der Ausstellung war ein erfreulicher Betrieb, allwo „zwischen Tombola und Humor erschallte ein schneidiger Männer chor", um nochmals mit dem amtlichen Straßenbahn dichter zu reden. Man sieht also, daß auch die Behörden sich heutzutage aufs Werben und auf volkstümliche Stim mungsmache verstehen, nachdem sie sich früher an ihren grünen Tischen allzuweit vom Volke entfernt hatten. Ebenso volkstümlich ist auch die jetzt eröffnete Aus stellung für Familien- und Erbknnde, die im Hygiene- musenm zu sehen ist, und zu der neben den bereits be stehenden heraldischen Vereinigungen auch eine große Anzahl amtlicher Archive aus ihren reichen Beständen bei- gestenert haben. Es ist ja leider den meisten Menschen bis dato ziemlich gleichgültig gewesen, auf wen sie ihre Ab stammung zurückzuführen haben, und die Ahnentafeln und Ahnengalerien waren eigentlich nur ein (meist auch noch bespötteltes) Privileg des Adels. Immerhin hat es auch Bürgerfamilien gegeben, die ihren Stammbaum, mühsam, zusammengetraaen. pflegten. Das aibt eine ae- wrge Ticyerye» -er sozialen Stellung uM einen gewissen Stolz, der davon abhält, den guten Namen in den Staub zu ziehen. Aber ganz abgesehen von dieser rein morali schen Seite der Ahnenpflege gibt eine solche auch in bezug auf die Bevölkerungspolitik wertvolle Winke und ergänzt die Bestrebungen der Reichsregierung auf Hebung des Vererbungsnivcaus in einer Art, die auch dem Laien die Angen zu öffucu geeignet ist. Darwinsche Theorien haben dann allerdings keine Berechtigung mehr, an deren Stelle tritt eine Besinnung auf das Menschtum und ein Stolz darauf, ein Glied in einer völkischen Entwicklungskette zu sein, die die größten Geister des Abendlandes, wenn mcht der Welt überhaupt, Hervorgehracht bat. Und dieser Stolz, ein Deutscher sein zu dürfen, verpflichtet denen ge genüber, die nach uns kommen. Somit gewonnene Erkenntnisse aber werden auch zu dem Bewußtsein führen, datz ein Volk mit einer so wert vollen Bluts- und Geisteserbschaft, wie das deutsche, ein besonderes Recht hat, von den übrigen Völkern der Welt als gleichberechtigt anerkannt zu werden. Und wenn es am 12. November gilt, — nein, es ist kein Zweifel daran: Wenn wir das nächste Mal auf das Dresdner Leben zu rückblicken werden, dann werden wir berichten können: Sachsens Hauptstadt stimmte einhellig mit „Ja!" Leo. Wieks nationales In seiner großen Rede in Essen führte Reichskanzlei Adolf Hitler u. a. folgendes aus: Wir hätten in dieser Zeit der Arbeit und des Auf baues die Welt weder angegriffen noch be droht. Aber eines müßten wir für uns in Anspruch nehmen: Wie wir unser deutsches Leben gestalten, das ist unsere Sache! Wir reden der anderen Welt nicht ein, was sie tun soll, um glücklich zu sein. Wir kümmern unS nicht um ihre Verfassung, kümmern uns nicht um ihre inneren Resormen, aber die andere Welt soll uns nach unserem Willen selig werden lassen! (Stürmischer Beifall.) In sarkastischer Weise glossierte der Führer unter der einmütigen Zustimmung der Massen die Demokratie, die man uns heute wieder als Jdealzustand anpreisen wolle, während die Welt doch 15 Jahre Zeit gehabt hätte, ihre Solidarität mit der deutschen Demokratie brüderlich zum Ausdruck zu bringen. In diesen 15 Jahren habe man keine Solidarität der parlamentarischen Demokratie gekannt. Heute, nachdem wir diese Demokratie 15 Jahre lano kennengelernt hätten, verzichteten wir gern auf ihr Lob, weil wir erkannt hätten, daß dieses Lob nur den Schwäch lichen gelte. Wir hätten den Wunsch zur Versöhnung mit allen, die guten Willens feien. Nur wenn jemand mit Gewalt, mit Mord und Brandstiftung, mit Landes verrat gegen Deutschland vorgehen wolle, würden wir ihn zur Verantwortung ziehen. Was würden andere Völker sagen, wenn wir ihre Emigranten, die heute in Deutschland hcrumlaufen, zum Maßstab für diese Nation nehmen würden? Unser Programm heißt, daß wir sorgen wollen, für unsere Volksgenossen, für Millionen, die keine Arbeit und nichts zu leben haben. Für die wollen wir sorgen, das ist unser Programm! (Starker Beifall.) Wir wollen unser Volk glücklich machen. Das ist unser Pro gramm, das man allerdings nur lösen kann, wenn man sich zur Srlübclr in 6Hrn. nationalen Ehre bekennt. Und das wollen wir der ganzen Welt sagen: Wir hängen an dieser Ehre! Eines kann ich^nir nicht vorstellen, daß ich jemals etwas unternehme, von dem ich Weitz, datz es gegen die Ehre der Nation geht und damit gegen meine Ehre. (Anhaltender Beifall.) Niemals würde ich etwas unterzeichnen, von dem ich Weitz, datz es niemals gehalten werden kann, weil ich entschlossen bin, das, was ich unterschrieben, auch zu halten. Es scheint mir notwendig, das das ganze deutsche Volk selbst nun vor der Welt feierlich bekennt, daß es diese Prinzipien des Friedens, der Ehre und der Gleichberechtigung als seine Prinzipien feststellt. Es schien mir weiter notwendig, daß dabei auch ein Reichstag gewählt wird, der sich mit seinen Kandidaten verpflichtet auf dieses Pro gramm, das Programm, welches besagt: wir wollen den Frieden, wir wollen die Zusammenarbeit mit allen Völkern, wir wollen Aussöhnung, Verständigung. Wir fordern dann aber auch für uns das gleiche Recht. (Bravo!) So trete ich jetzt wieder vor die Nation hin, nicht für mich, nicht für die Regierung, denn wir können vier Jahre regieren, auch nicht um uns zu stützen, denn ich fühle mich sehr stark, (starker Beifall) auch nicht um innere Schwierigkeiten zu überwinden. Ich habe mich jahrelang bemüht, das deutsche Volk wieder mit Glauben zu erfüllen, seine Zuversicht wieder zu erwecken, das Vertrauen zu sich selbst zu begründen, und wenn ich heute in die Nation hineingehe, dann kommt mir der Glaube aus meinem Volke heraus entgegen. Heute weiß ich, daß das deutsche Volk sich innerlich wiedergefunden hat, daß es zusammen steht im gemeinsamen Schicksalskampf und daß es dert Weg geht und gehen wird, auf dem allein ihm Rettung werden kann. Der Schlußsatz der Rede des Führers wurde über tönt von dem ungeheuren Beifallsjubel der Tausende und minutenlangen Heilrufen. Benke oaran am 12. November! Von der hier abgebildeten riesigen Angrifssmaschine be sitzt Frankreich ganze Geschwader. Jedes dieser Flugungeheuer hat eine Spannweite von 37 Metern, ist mit neun Ma schinengewehren ausgerüstet und kann 2500 Kilo Bomben mitfchleppen, also nicht weniger als 100 Bom ben zu je 25 Kilo! Die ganze westliche Hälfte Deutschlands liegt im Bereich dieser furcht baren Angriffsmaschinen. Uns aber, deren Grenzen nach allen Seiten den Flug heeren der Nachbarn offen stehen, will man nicht einmal ein paar Aufklärungsflug zeuge zugestehen, Deutschland soll schutzlos, also ständiges Ausbeutungsobjekt bleiben! Wie denkst du über deine Gleichberechtigung,Deutscher? Und wie wirst du abstimmen? W W »er Wie Mam Roman von Chlotilde von Stegmann-Stein. 24. Fortsetzung Nachdruck verboten Als Beate zum drittenmal hart fragte: „Also, mit wem haben Sie sich da getroffen?", da sagte Estercita, und ihre Stimme war auf einmal flehend und schmeichelnd: „Bitte, bitte, Mademoiselle, verraten Sie mich nicht, es soll auch ganz gewiß nicht wieder vorkommen, es war ein Junge, ich kenne ihn von Cannes her, er ist drüben bei dem neuen Schloßbesitzer mit seinem Vater z« Besuch, bitte, ver raten Sie mich nicht!" Ein flehender und schmeichlerischer Ausdruck kam in ihre dunklen Augen, als sie sich jetzt demütig über Beates Hand beugte. Beate trat einen Schritt zurück, die instinktive Abnei gung gegen das frühreife, schöne Geschöpf stieg wieder in ihr hoch. Sie spürte deutlich, diese Demut, diese Reue waren nichts als Schauspielerei. Immerhin, sie wollte nicht diejenige sein, die hier die Angeberin spielte. So sagte sie denn, in dem sie die Hand zurückzog: „Ich hoffe, Estercita, Sie werden sich die Sache als War nung dienen lassen. Was ich tun werde, weiß ich noch nicht. In jedem Falle werde ich mit dem Vater dieses jungen Mannes sprechen, damit er seinen Sohn besser beaufsichtigt und die Nachbarschaft dieses Pensionats respektiert. Von den Zusicherungen, die ich von dem Vater des jungen Herrn bekomme, wird es abhängen, ob ich der Vorsteherin Meldung machen werde oder nicht." Am nächsten Tage hatte Beate ihren freien Nachmittag. Sie holte sich aus dem Schrank ihres winzigen Zimmers das schwarze Georgettekleidchen und den breiten schwarzen Strohhut. Trotz der Düsterheit dieser Trauersachen sah sie sehr hübsch und vornehm aus, als sie gegen vier Uhr aus dem Tor des Pensionshauses ging. Beate sah heute nichts von der zauberhaften Schönheit des Sees, der still und blau inmitten der grünen Wiesen und Parks träumte. Ein paar weiße Sommerwölkchen zogen träumerisch über ihn hin bis fern zu den Schneebergen, die von der Alpen kette groß und mächtig herübergrüßten. Ein Dampfer mit fröhlichen Menschen glitt weiß und schlank eben vom anderen Ufer ab, unwillkürlich mußte Beate an jene Fahrt auf dem Rhein denken. Wie grausam hatte sich Welt und Leben seitdem für sie verwandelt. Ihr Herz wurde noch schwerer, als sie jetzt in den klei nen Parkweg einbog, der zu dem Besitztum des Nachbar- grundstückes führte. Der Kies war frisch geharkt, auf der Altane vor dem Eingang zum Schloß standen große Kübel mit lichtblauen und weißen Hortensien, eine bunte Girlande von tiefroten Rosen schlang sich um das Sandsteinportal, über das ein altes Wappen herniederschaute. Ein Diener in schwarzer Livree kam Beate entgegen. Ob Baron de Noele zu sprechen wäre, fragte Beate. Sie reichte dem Diener ihre Karte. Er bat sie mit ehrerbietiger Verneigung in einen großen, eleganten Salon. „Ich bitte Mademoiselle, ein wenig zu warten, der Herr Baron ist mit einigen seiner Gäste auf einer Bootsfahrt, er wollte um fünf Uhr zum Tee zurück sein." Beate, allein zurückgeblieben, stellte sich ans Fenster und sah hinaus in den weiten Park, der sich vor ihren Blicken ausbreitete. Die Wipfel der Bäume wölbten sich zu einem großen Dom, durch den nur hier und da ein Stück des tief blauen Sommerhimmels schaute. Vor den Fenstern waren terassenförmige Beete von edelsten Rosen, die in voller Blüte standen. Beate war so versunken in die Schönheit vor sich, daß sie erschreckt emporfuhr, als sich hinter ihr eine Tür öffnete. Sie wandte sich um — ein Ausruf des Schreckens kam aus ihrem erblaßten Munde —, vor ihr stand Marietta von Herward. Marietta war nicht weniger überrascht. Doch sie faßte sich bald. Ein böses Funkeln lag in den grünlichen Augen oes schönen Mädchens, wie sie jetzt Beate gegenüberstand, die keines Wortes mächtig war. „Welch unerwartetes Vergnügen, Sie hier zu sehen, Fräulein Diesterweg," sagte sie höhnisch und musterte Beate mit einem unverschämten Blick. Unter diesem Blick gewann Beate ihre Selbstbeherrschung wieder. „Ich hatte nicht die Absicht, Sie aufzusuchen, Fräulein von Herward," sagte sie mühsam, „ich kam zu einer Rück sprache mit dem Besitzer dieses Schlosses, Baron de Noele." „Und darf ich fragen, was Sie mit diesem Ihnen sicher lich doch unbekannten Herrn zu besprechen haben, Fräulein Diesterweg? Es ist doch immerhin merkwürdig, daß Sie in das Haus eines unbekannten Herrn gehen." Beate maß das schöne Mädchen mit einem verächtlichen Blick: „Ich wüßte nicht, daß ich Ihnen über mein Tun und Lassen Rechenschaft schuldig wäre, Fräulein von Herward." „Dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ich daraus meine Schlüffe ziehe, die nicht sehr schmeichelhaft für Sie sein dürften." „Die Schlüsse, die Sie zu ziehen belieben, fallen auf! Sie selbst zurück — und sie interessieren mich nicht." Marietta trat dicht an Beate heran, ihr schwüles Par füm verursachte in seiner Süßlichkeit Beate ein körperliches' Uebelgefühl. „Die Schlüsse, die ich daraus ziehe, sind sehr einfach,; Fräulein Diesterweg. Entweder haben Sie aus irgendeinem Grund, den ich nur andeuten will, «in Interesse für Herrn- de Noele, den Besitzer dieses Schlosses, oder Sie suchen eine- Zusammenkunft mit Mr. Parker. Gortsehung folst.1