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Mißfallen eines Organs der öffentlichen Sicherheit^ ZaKJHn denn auch auf das Unschickliche seines Beginnens aufmerksam machte. PietS Gedanken wurden ins Alltagsleben zurückgerissen. Er füllte sich beleidigt und stand auf. Mit entschiedenem Ruck setzte er sich in Richtung Fischereihafen in Bewegung. Auf der Bank ließ er mit der zerknüllten Tüte die Erinnerung an zwei körperlose Hände zurück. — Tanesspruch. Kummer, der das Mark verzehrt, Raub, der Hab und Gut verheert, Jammer, der den Sinn verkehrt, Elend, das den Leib beschwert, Grausamkeit, die Unrecht kehrt, Sind die Frucht, die Krieg gewährt. F. v. Le- Die Mehlkist'. Erlebnis eines Schwaben im russischen Im Fahre 1896 setzten sich 600 Wolgaschwabcn mit Vieh, Magd, Weib und Gesinde, Kindern und Wagen in Bewegung, Um aus dem russischen Stromlande nach Ostturkestan in die Nähe von Taschkent zu ziehen. Zwei Jahre waren sie unter- svegs, verloren an Krankheit und in Kämpfen mit Wildvölkern 800 Menschen, jedoch nicht die schwäbische Unternehmungslust, von der heute blühende Dörfer in der neuen Heimat Zeugnis hblegen. In den Bakalh-Kon, die ein endloses Sumpfgebiet am Gyr-darja darstellen, ging's nur langsam vorwärts. Wie Käfer im Farnenhain schlich der Wagenzug auf der amtlichen russischen Poststraße, einem nur stellenweise vorhandenen Knüppeldamm, unter den urweltlicheu Espen, Weiden und Ulmen, durch verflochtenes Gestrüpp von Schwarzbirkcn, Kriechweiden und Röhricht dahin. Brackwasser starrte in trüben Lachen zum bleigrauen Himmel auf. Dunstige Hitze flimmerte über den harten Riedgrasspitzen und stieg erstickend Hus der schwarzen Moorerde. i Myriaden von Mücken machten stellenweise das Atmen tur Unmöglichkeit. Eines Nachmittags saßen wieder einmal die vordersten Wagen fest. Vor Abend war an einen Weiter marsch nicht zu denken, das bedeutete nichts anderes, als Uebernachten mitten auf dem Sumpfwege, dem grausigen Tigerviech, das ihnen seit Tagen folgte und manches Stück Vieh gerissen hatte, schutzlos preisgegeben. Der Gemeindevorsteher Stäble kraulte den wirren Land- streicherbart. Viele Bauern, wie Moorteufel ausschauend, strömten herzu. „Dös kann ein fein's Stükle werden", stöhnte Griesel, der bereits eine Kuh verloren hatte, „frißt er no die andre, alsdann kann i glei' umkehre. Dann ischt's mit der Bauernwirtschaft in Taschkent aus." „Der Trementer, das Grums, der Schandfraß — der!" zeterte es durcheinander, „frißt ehe sich voll zu Nacht, bleibt lieg'n, alsdann kommt er stad nachgetippelt." „Alsdann habt's Ihr wiederum Angst", warf Jaköble ein, und das hätte er nicht sagen sollen. Der Volkshaufe geriet in eine pöbelhafte Wut. Jaköble verieidigte sich auf Hochdeutsch. Das machte aber nicht den geringsten Eindruck. Da nannte er sie alle zusammen: „Hanswürst und Dummköpf", spreizte sich gewaltiglich und schwur, es sei ein leichtes, solch ein Tigerlc zu erledigen... Das Volk verlief sich. Allein Bärbele hielt noch bei ihrem Jaköble aus und sagte schlicht: „Das war'n dummer Streich." „Un i bring's Vieh um, bei meiner Seelen Seligkeit, i dermord's!" schrie Jaköble, der allen Anstand und alles Hoch deutsch verlernt hatte. Der westturkestanische große, gelbe Moor- und Bruch mond hätt' beinah 's Niesen gekriegt vor Lachen, als er an diesem Abend über die Bakalh-Kon hinschaute. Da stand etwa hundert Meter hinter dem Wagenzuge auf dem Knüppel damm eine solide, echt schwäbische, eichene Mehlkiste. Der Deckel war weit aufgeschlagen. Zwei Strippen hingen an ihm in den Jnnenraum herunter, der drei Personen zu beher bergen vermochte. Ein Ende davon war Jaköble dabei, einen Ziegenbock festzumachen, dem diese Anstalten verdächtig vor kamen und der darum unaufhörlich mit zerborstener Stimme meckerte. Jaköble lobte ihn: „So ischt's recht, so tu du nur weiter, mein bravs Tierle. Lang dauert's nimmer, dann kommt's Tigerle. Dann sollst schaun, wie i ihm eins aufbrennen tu, in der Mehlkischt verschwind, un 's Tigerle allein sterb'n lass'." Aber der alte Bock machte einen für seine Jahre ganz un verständlichen Luftsprung, zerriß den Strick und verschwand. Der mutige Jäger besann sich nicht lange. In langen Sätzen erreichte er die Kiste, schlug den Deckel über sich zu und griff in die Strippen. Es stäubte trocken in die Nase und in die Kehle. Jaköble mußte nielen. «Dünner, da Lab i die Flints» bei den» m- Sumpf, erzählt von Otto Boris. fanngienDock liegen lassen! Vielleicht derschießt sich 's Tigerte selbst. Wär scho Has Best." Er lauschte. Nichts regte sich: „Eine Luft ischt's herinne — eine Luft, zum Dersticke ischt's!" Vorsichtig lüftete er den Deckel, aber schnell klappte er ihn zu, denn er schaute in ein grausiges Gesicht. Ein schlohweißer Schnurrbart hob sich und entblößte furchtbare Zähne. Ein Pestgestank schlug aus dem knurrenden Rachen. Und dann ging ein Fauchen, Rumoren und Kratzen an der Kiste los, daß Jaköble Hören und Sehen verging. „'s wird msi Höllenfahrt!" dachte er, „nit mal zum Beten laßt er mi Zeit." Die Kiste tanzte hin und her und saß endlich in einer Pfütze fest. Wasser drang ein. „Feucht kann i werd'n, wenn er mi halt nur nit auf'n Kopf stelle tut —" dachte Jaköble. Das Rumoren ließ nach. Doch jetzt troff es von oben aus einer Deckelritze auf Jaköble herab. Dem Eingesperrten kam eine furchtbare Er kenntnis. Der Tiger hatte nach Art männlicher Katzen das ihm unbegreifliche fremde Ding angenäßt. Der Unhold ver doppelte seinen Eifer. Es war deutlich zu vernehmen, wie sich lange Splitter des festen Holzes unter den scharfen Krallen ablösten. Jetzt begann Jaköble dumpf und schauerlich zu brüllen. Es klang ganz erschrecklich, wirkte aber auf die Bestie nur aufmunternd. Er riß ein Streichholz an der Hose an und warf es durch die Ritze des Deckels. Es wurde still. Vorsichtig lugte Jaköble hinaus. Zu früh, der Tiger fuhr erneut auf die Kiste los. Und nun gab's Löcher. Jaköble stand der Schweiß auf der Stirn. „Es ischt ein Luft herinne" — stammelte er — „er bringt mi um. Hätt i mei Fliut'n hier, kunnt i bequem Skrch die Ritzen ihn an's Bäuchle schießen. Nu wird's Bärble Wohl morge mei Andenken sammle." Plötzlich kam ihm der rettende Gedanke. Jaköble zog die Jacke aus, steckte sie in Brand, und als sic licherloh flammte, drückte er mit dem Kopf den Deckel auf, um sie mit beiden Händen hinauswerfen zu können. Da sah er unmittelbar vor sich das furchtbare Gefräß, und in einem Anfall von Todes verachtung drückte er dem Tigerle das brennende Zeug übers „Angesicht". Der schnellte hoch wie im Zirkus, aber der Lappen hatte sich festgesengt. Da jagte er unter fürchterlichen Brülltönen querein in die Bakaly-Kon, daß Wasser und Moor aufspritzten. Jaköble war so erschöpft, daß er sich „nit a mol freie kunnt". Und das verdroß ihn am meisten. Taumelnd wankte er dem Schwabenlager zu. Das ganze Dorf war am Ende des Wagenzuges ver sammelt. Der Ziegenbock, der völlig verstört angebraust kam, hatte zu den furchtbarsten Vermutungen Anlaß gegeben. Jetzi stürmte das Volk dem Helden entgegen. „Jsch er tot?" — „Jsch er nit kumme?" — „Warum haschte denn nit geschosst?" so schwirrte es durcheinander. Bärbele lag schluchzend an feinem Halse: „Die Red isch ihm verschlage, dem Aermsten —", jammerte sie. Da sagte Jaköble matt: „Es war ein Luft herinne, zum Dersticke war's." „Und 's Tigerle — 's Tigerle?!!" Jaköble hob die Hand: „Gekämpft hob i mit'n. Nachher isch er abgange. Mei Jack'n hob i anzündt und ihm unters Schwänzle gebunden, grad auf die Stell nauf, die er zur täglichen Notdurft brauche tut." , i „Du lügst, Jaköble —", sagte Stäble fest. „Nein, nein, beriecht's ihn nur!" schrie Bärble. „Er tut grauslich stinke." ,,Em' Luit war herinne — ein' Luft! Zum Derlticke war ss Damit wankte Jaköb.le sxiuem Wagen zu.