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Wilsdruffer Taaedlali 3. Blatt Nr. 253 / Sonnabend, den 28. Oktober 1933 Taaesspruch. Innere Schätze beglücken. Dir im Inneren lieget Gold und Edelgestein; da grabe in den Grüften. Von außen suchst du ewig Ruhe vergebens. Herder. Vom Gewissen. Up.-Gesch. 24, 16: „Ich übe mich, ein un verletztes Gewissen zu haben." über das Gewissen ist viel gestritten worden. Ist die Stimme im Gewissen unsere eigene innere Stimme? Das kann nicht sein, denn sie widersteht oft unseren liebsten Wünschen, sie läßt uns keine Ruhe. Ist sie die Stimme der Allgemeinheit um uns? Das kann auch nicht sein, denn das Gewissen gerade bringt uns oft in Gegensatz zu der Allgemeinheit um uns, ja es hat ein zelne in den schärfsten Widerspruch zu ihrer ganzen Zeit gebracht. So bleibt nur noch eins: es ist die Stimme Gottes in uns. Scheinbar kann es doch nicht so sein, denn das Gewissen wandelt sich ja; im einzelnen Menschen sowohl, als auch in derGeschichte der Menschheit ist manches in vergangenen Zeiten als Gewissenspflicht empfunden und getan worden, was das Gewissen heute mit Abscheu ablehnt, z. B. die Menschenopfer, die Ketzerverbrennungen. Das beweist nicht, daß im Gewissen nicht Gottes Stimme redet, sondern es beweist nur, daß wir Menschen es immer besser lernen und lernen müssen, die Gottesstimms klar zu hören und richtig zu verstehen. Der Apostel drückt das in dem oben angeführten Wort sehr fein aus, indem er sagt: „Ich übe mich." Das Gewissen muß geübt werden. Geschieht das nicht, dann stumpft es ab und ver kümmert. Wird es aber gewissenhaft geübt, so entwickelt es sich, es wird feiner und „zarter als das Auge", aber auch sicherer und stärker als alle andere Macht. Aus dem „man mutz Gott mehr gehorchen als den Menschen" wird das „man kann Gott mehr gehorchen als den Menschen", das seine höchste Vollendung einst gefunden hat in dem Wort Jesu: „Ich und der Vater sind eins." Hier ist das ganze Gewissen ganz unverletzt. Wer das erreichte! über das Gewissen ist viel gestritten worden. Um das Gewissen wird täglich gekämpft. Ja, dieser Kampf ist der eigentliche Sinn unseres Lebens: der Kampf darum, daß die Gottesstimme und das heißt Gott selbst in uns zur alleinigen Herrschaft kommen soll und muß. Unser Gewissen unverletzt zu haben, braucht tägliche Übung und bringt täglichen Kampf, Kampf gegen uns selbst und Kampf gegen andere. So gewiß aber unser Leben ins Verderben sinkt, wenn wir uns unser Gewissen nicht unverletzt behalten, so gewiß müssen wir uns sorg sam hüten, andere in ihrem Gewissen zu verwirren oder zu bedrücken. Wir müssen auch sagen lernen: „Ich übe mich, deranderen Gewissen unverletzt zu lassen." Briefe ans spolen. IV. Die Weichsel hinauf gen Warschau. C. Plock — Warschau. Roch liegt Frühdunst über der Weichsel, La legt unser Dampfer vom Plocker Steilufer ab. Unter Ler nach Radzinie führenden Weichselbrücke (R. birgt den Plocker Bahnhof, von wo Anschluß nach Kutno besteht) schwimmen wir den Strom hinauf. Das erste, was unser Auge fesselt, find Flöße. Flöha ken, wie sie mir aus meiner Graudenzer Soldatenzeit bekannt sind. Zu fünfzehn bis zwanzig Stück sind Lie Stämme zusam mengebunden, dann diese Bunde oder Glieder zu sechs bis acht hintereinander gehängt. Das ergibt einen Floßstreifen. Vier solcher sind unter einem Oberführer vereinigt zu einem Floß. Je einen Streifen bedienen zwei Flößaken, die auf ihm ihre Strohhütte haben. Laufplanken ermöglichen es ihm, trockenen Fußes über das ganze Floß zu turnen, trotzdem unsere Wellen ganz anständig über die Stämme schlagen. Durch gleichmäßi ges Ruder am Kopf und Schwanz des Floßes dirigieren sie es in die Nähe Ler Dampferrinne, wo der meiste Strom ist. Im Gleichschlag mit kurzem Schlußruck rudern sie. Fehlt nur das Wolgalied. In den Flößen ist alles so eingebaut, Laß die Flößaken mit dem Floß ihre Hütten, Ruder usw. verkaufen und ohne Ballast heim in ihre Waldheimat reisen können. Man steht oft bis fünf solcher Floßgruppen hintereinander trei ben- Ein friedliches Bild. Das ruhig strömende Wasser, die kleinen Strohhütten auf den Balken, Rauch der Abkochfeuer. Wenn sie nicht rudern, sitzen die Flößer beisammen, rauchen, schälen Kartoffeln und singen dabei schwermütige polnische Lieder. ,. Bei Vyszogrod nimmt die Weichsel von Westen die Bzura auf. Doch trotzdem ist das Master noch knapp. Die Ufer der Ostseite werden wieder hoch und malerisch. An geeigneten Stellen siedelten sich Menschen an, sprich mei stens Juden. Da liegt in den wilden Uferschluchten das Städt chen Wiscogrod. Man sagt, in ihm leben 120 Prozent Juden- — Es ist auch überall dasselbe Bild an den Anlegestellen. Zehn Polen, dreißig Juden werden ein- oder ausgeladen. (Ein Grund, weswegen ich hier oben auf der zwar etwas küh len Kommandobrücke bleibe-) So dreckig aber die Männer und Weiber sind, so „schnasfte" laufen die jüdischen Mädchen her um. Fabelhaft herausgebracht, was Las Aeußere betrifft. In ternes sieht man nicht. Doch genügt Ler Anblick hängender „gewaschener" Wäsche vor den Häusern. (Oder sollten die Leute hierorts auch ungewaschene Wäsche aufhängen?) Mittags erreichen wir Modlin, eine zur russischen Zeit beachtliche Festung, die uns Frontsoldaten von 1914 als Iwan- gerod noch schwer im Magen liegt- Imposant über der Mün dung des Narew in die Weichsel lagernd, lenkt sie das Inter esse aller Fahrgäste auf sich- Polnisch, russisch, deutsch wird lebhaft über diese Festung disputiert. Heute ist sie keine Fe stung von Bedeutung mehr. Die Pfeiler der im Kriege ge sprengten Brücke stehen noch. Unlerstrom haben polnische Pio niere eine kombinierte Behelfs-Ponton-Brücke gebaut. Als sie uns den Durchlaß öffnen, rufen sie uns „Glückliche Reise" zu. Diesen günstigen Augenblick der Brückenöffnung benutzen flache, voll beladene Schaluppen mit mächtigen Segeln, um ebenfalls hindurch zu rutschen. Dann treffen wir ungezählte Kieskähne, die antiken Bagger einer noch antikeren Stromre- gulierunch Zur modernen Weichselpflege fehlt das Geld. Wie sagte unser Kapitän? „Eine Milliarde würde sie beanspruchen, um den Fluß einigermaßen dem guten Zustande in den ehemals preußischen Gebieten anzupasten." Handbagger also sind es, die wir treffen- Fast muß man sagen „Sandfischer". Sie verkaufen den schön gewaschenen Sand an Land. Da alle diese Schaluppen sehr flachbordig sind, müs sen entweder die Dampfer langsam vorbeifahren oder, falls der Strom hier gerade Volldampf erfordert, muß rechtzeitig ge pfiffen werden. Dann springen Lie Bovtsmsassen an die Bord seite und legen außenseits ein langes Brett zur künstlichen Erhöhung des Schandecks aus. Nun können die Wellen von un seren Schaufelrädern nicht mehr in das Boot schlagen. Viel zu langsam für unsere Spannung, die sich längst aus Warschau konzentriert, gleiten an uns vorüber die wenigen Orte, wie: Iablonna, der schöne Ruhesitz eines polnischen Gro ßen (Potocki), dann in der Ferne Raszyn, das heute die Rund funktürme des starken Warschauer Senders trägt. Und nun die freundliche Kirche von Wawrzysek zur Rechten- Endlich zur Linken die weitverzweigten Bahnanlagen von Praga, der Vor stadt Warschaus- Schon zeigt uns auch Praga die goldenen Zwiebeltürme seiner griechisch-ordoLoxen Kirche. Da wären wir unter der Zitadelle und vor den verschie denen imposanten Weichselbrücken, die Warschau mit Praga verbinden. Ja, Lie Zitadelle! Russisch-gewaltig liegt sie da. Soldaten exerzieren an den grünen Wällen. Militärbrieftauben kreisen zu Hunderten über ihren Schlägen. Hier wohnt Mars. Ich habe die Zitadelle bei Ler letzten Reise besichtigt. Da mals war sie mit Militär voll belegt. In der Kasematte sah ich die beiden Hauptsehenswürdigkeiten: den zehnten Pavillon, m dem Pilsudski zur Russenzeit saß und aus dem ihm seine kühne Flucht ins Ausland gelang. Dann den Platz der Hinrichtun gen- Das war ja nun allerdings weniger nett von Len Rus sen, wie sie diese unfreundlichen Handlungen vornahmen. Wunderhübsch im Grünen ein Platz mit Blumen und Beeten. So etwas im Hintergrund, wo man nicht gleich hinsieht, die Gräber der vorangegangenen Delinquenten. Kurz ein Fleckchen Erde, auf dem auch Lem härtesten, verstocktesten Sozialisten das Herz aufging, zumal wenn er lange in der Kasematte gesessen und man ihm nun die Freiheit versprochen hatte. Da unten tief zu seinen Füßen sließt die Weichsel, drüben grünt der Park von Praga, das alles soll er in Freiheit Wiedersehen und genie ßen- Er braucht nur einige kleine Fragen zu beantworten. — Ob er Las nun tat oder nicht, — mit der Freiheit wurde es in keinem Falle etwas. Diese zerplatzte wie eine Seifenblase mit dem ersten Schritt in den unteren Teil des Garten. Denn da steht bestialisch — jäh Ler Galgen. Da hinten am Mauer- M W U Wie WM Roman von Chlotilde von Stegmann-Stein. 12. Fortsetzung Nachdruck verboten Hubert Mersbrügge sah Beate herzlich an. „Du mußt dich nicht um die Reden der Welt kümmern, Beate. Wer deinen Vater wirklich gekannt hat, ist fest da von überzeugt, daß hier ein unseliger Irrtum waltet, der sich irgendwie aufklären muß. Vielleicht kann ich dir zu die ser Aufklärung helfen. Ich habe dir etwas zu übergeben, Beate, einen Brief, den dein Vater kurz vor seinem Tode an mich geschrieben hat. Er glaubte wohl, daß ich dich spre chen würde, ehe du von Wiesbaden abreistest. Und er bat mich, dir diesen Brief auszuhündigen, ehe du die schreckliche Nachricht erhieltest. Leider kam ich zu spät ins Hotel, du warst schon abgereist." „Einen Brief von Vater — gib ihn mir, Hubert!" sagte Beate erregt. Ihre Hände zitterten, als Hubert jetzt den weißen Brief umschlag in ihre Hände legte. „Arme Beate, ich lasse dich jetzt allein. Aber ich gehe nicht fort. Ich werde im Nebenzimmer warten, vielleicht, daß du mich brauchst." Beate hörte Huberts Worte nur ganz von fern und be merkte es kaum, daß er aus dem Zimmer ging. Schon hatte sie den Brief mit der geliebten Handschrift geöffnet und las unter strömenden Tränen, was der Vater ihr zu sagen hatte, Hubert stand im Nebenzimmer und wartete. Er hörte ein leises Schluchzen, das allmählich verebbte, um einer tie fen Stille zu weichen. Cs mochte wohl eine halbe Stunde vergangen sein, da wagte er es, zu klopfen. Beates Stimme rief „Herein!" Mit einem ernsten und gefaßten Blick sah sie ihm entgegen. „Nun, Beate, hat dir dieser Brief die ersehnte Aufklä rung gebracht?" Wie liebkosend strichen die zarten Hände des Mädchens über den Brief. Ja...." "Und . . . sprich doch, Beate. Nicht wahr, dieser schreck liche Verdacht ist falsch? Du wirst alles aufklären können?" Beate sah den Jugendfreund mit einem unaussprechlichen Ausdruck an. Schmerz, Ruhe und ein heiliger Entschluß sprach aus ihm. „Du bist mein guter Freund, Hubert," ihre Stimme war bewegt, „ich habe nie gewußt, wie sehr. Und so weiß ich, daß ich mich auf dein Schweigen verlassen kann. Es darf niemand von diesem letzten Brief des Vaters erfahren. Er hat mir den Frieden zuriickgegeben und die Gewißheit, daß Vater der makellose Mensch war, als den ich ihn verehrte. Aber sein letzter Wunsch an mich ist, daß ich über diesen Brief und das mir anvertraute Geheimnis Schweigen be wahre. Und so bitte ich auch dich, nichts darüber zu sprechen." „Aber, Beate, wenn dieser Brief doch imstande ist, die Schatten fortzuwischen, die auf dem Namen deines Vaters liegen? Auch dann willst du schweigen?" „Ich will es^ Denn er wünscht es so." „Und daß damit auch der Schatten auf deinem Namen liegt? Denkst du nicht daran, Beate?" Beate lächelte schmerzlich. „Ich denke daran, Hubert, aber es ist nicht zu ändern. Das ganze Leben lang hat der Vater alles für mich getan, hat mir jeden Wunsch erfüllt. Und nun sollte ich ihm diesen letzten Wunsch nicht erfüllen? Das glaubst du wohl selbst nicht." „Ich verstehe dich, Beate, und ich bewundere dich. Aber du mußt auch einmal weiter denken. Wenn einmal der Tag kommt, an dem du dich einem Manne verbinden willst, den du liebst und der dich liebt, dann kann dieser Schatten zwi schen euch stehen." Ein harter, abweisender Zug grub sich um Beates Mund. „Diesem Gedanken, Hubert, möchte ich gleich entgegen treten. Ich habe anderes zu tun, als an Dinge zu denken, die sich kaum ereignen dürften. Ich habe nicht die Absicht, jemals zu heiraten, sondern ich will mir durch eigene Arbeit Heck kommen die ersten Gräber -um Vorschein, und dort, ö Graus, ist in frisches offenes Grab! Was mögen sich hier für Seelenkämpfe noch zu unserer Lebenszeit vollzogen haben. In aller Realität haben die Po len Liesen Fleck restauriert, auf dem so mancher ihrer Soziali sten den russischen Galgenstrick küßte! — Doch unser Dampser zeigt uns eben noch die Silhouette Warschaus mit seinen Schloß- und zahlreichen Kirchcntürmen, dann legt er auch schon an- Der Rest des Tages gilt der Unterkunstssuche, dem Be such der gerade noch bei Tageslicht erreichbaren Sehenswürdig keiten, wie das Grabmal des unbekannten Soldaten im Ein gang zum sächsischen Garten. Hier stehen die militärischen Iu- gendverbände zusammen mit einer Armee-Ehrenwache vor einer stets lodernden Flamme Posten. — Der gewaltige „Sächsische", jetzt „Pulsidski-Platz" trug noch während des Krieges die große russische Kirche. Ihre Erbauung hatte den Unternehmern Millionen Rubel Bestechungsgelder eingebracht. Ihre Spren gung und Abtragung durch die Polen, die dadurch ihrem un bändigen Russenhaß beschleunigt Ausdruck geben wollten, er forderte ebenso Millionen Zloty an Lapuwka (das sind gleich falls Bestechungsgelder). Jetzt dient der Platz, auf dem einsam zwei Kiefern stehen blieben, Len gwßen nationalen Aufmär schen und Paraden. Doch die typischsten Sehenswürdigkeiten dieser Stadt, dis sich so gern das Paris des Ostens nennt, sparen wir uns für ein ander Mal auf. Ihre Besichtigung soll den Schluß der pol nischen Briefe darstellen. Tausend Jahve Vettler- nnwesen. Landplage seit der Römcrzcit. — Entwurzeltes Bauerntum. — Studierte Vagabunden. — Uebertriebene Mildtätigkeit unserer Vorväter. Von vr. Karl Rügheimer. Deutschland geht in diesen Wochen daran, mit dem Bettlern Unwesen aufzuräumen. Seit ältester Zeit zehrt das betrügen rische Vagabundentum an der Kraft des Volkes und nicht zu- letzt auch an der aller wirklich Notleidenden; es ist ja keine Er scheinung der Neuzeit, sondern so alt wie die menschliche Ge sellschaft selbst. Ein Rückblick auf seine Ausprägung in frühe ren Zeiten läßt nicht nur den großen Schaden deutlich werden, den unsere Wirtschaft dadurch immer wieder erlitt, sonder» vermittelt auch Einblick in wichtige gesellschaftliche und poli tische Entwicklungen, denn die Existenz der sahrenden Leuts ist mit der Rechtsauffassung, mit dem Verfassungs- und Wirt schaftsleben der geschichtlichen Epochen aufs engste verknüpft. Vom alten Römerreich wissen wir, daß es wenigstens in der späteren Zeit des Verfalles sehr unter dem Bettlerwesen zu leiden hatte. Der Zusammenbruch des Imperiums und die staatlichen Umwälzungen der Völkerwanderung hatten noch ein weiteres Anwachsen der besitzlosen, auf den Bettel an gewiesenen Volksmenge zur Folge. Auch im Reiche der Merowinger, dann unter Karl dem Großen und seinen Nachfolgern machten sich arbeitsscheue, bettelnde und gau nernde Elemente fremder und einheimischer Abkunft breit. Schon aus dem Jahre 554 kennen wir eine fränkische Ver ordnung gegen das Bettkertum; anno 806 wird allen Königs treuen befohlen, ihre Armen daheim zur Arbeit anzuhalten und das ziellose Umherziehen zu unterbinden. Leider wurde zu jener Zeit ein Bettlerproletariat durch einen großen gesellschaftlichen Uebelstand geradezu gezüchtet: Von den großen Herren, Grafen, geistlichen und weltlichen Fürsten wurden die kleinen freien Leute von der Scholle verdrängt. In den unaufhörlichen Fehden des frühen Mittelalters vermochten die den besten Kern des Volkes bildenden freien Bauern mit kleinem Gutsbesitz ihr von den Vätern ererbtes Eigentum meist nicht gegen die Habgier der mächtigen Lebensträger zu behaupten. Wer nicht ganz von Hab und Gut kommen wollte, mußte sein Grundstück von einem mächtigen Ritter zu Lehen nehmen, um wenigstens emen Beschützer zu haben. War aber der freie Bauer erst in den Stand des Hörigen herabgesunken, so konnte der Schritt zum heimatlosen Vagabunden, den mancher verbittert über die rauhe Herrschaft eines habsüchtigen Gebieters tat, leicht folgen. Mancher Freie auch verließ durch die Gewalttaten der mächtige ren Nachbarn Vertrieben gleich die Scholle und schloß sich, auf bessere Zeiten und Wiedervergeltung hoffend, der Schar der Fahrenden an. Dieser Welle der Proletariatsbildung folgte bald eine weitere: das Vagantentu m. Seit dem Beginn des mein Leben so aufbauen, daß Vater mit mir zufrieden sein würde." „Du bist ein tapferer Kerl, Beate," sagte er, „ich will dir nur wünschen, daß du deinen Entschluß nie bereuen mögest." In den nächsten Tagen hatten die Klatschmäuler der Stadt noch viel über den Fall Diesterweg zu reden. Das schöne Haus, das der Justizrat in dem Dillenvor ort Kölns bewohnt hatte, stand zur gerichtlichen Versteige rung und ging trotz der Ungunst der Zeit mit dem gesam ten Möboliar zu unerwartet hohem Preise in die Hände eines unbekannten Käufers über. Der Erlös brachte genug, um die Mündelgelder wieder zu ersetzen, die von dem Iustizrat Diesterweg veruntreut sein sollten. Die Kriminalpolizei, die bis dahin in dem Hause aus- und eingegangen war und die Angestellten wie Beate pein lichen Verhören unterzogen hatte, hatte nun nichts mehr zu erforschen. Als alle Verbindlichkeiten geregelt waren, so erzählte man sich in der Stadt, war Beate noch eine ganz kleine Summe geblieben, gerade genug, um noch ein paar Monate zu leben, bis sich eine Derdienstmöglichkeit für sie bot. Die Anwaltspraxis war von einem jüngeren, tüchtigen Anwalt übernommen worden, der auch die Beamten und Angestellten behalten wollte. Damit war eine große Sorge von Beate genommen, sie wußte nun die treuen Angestell ten und vor allem den alten Peters nicht brotlos. Der erste flüchtige Freudenstrahl war über ihr Gesicht gegangen, als der alte Peters ihr von dieser Wendung er zählte. Und Hubert Mersbrügge, der in diesen schweren Tagen Beate, so gut er konnte, zur Seite stand, sagte zu Freun den: „Selbst im größten Unglück denkt sie immer an andere und nicht an sich." (Fortsetzung folgt.)