Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 08.06.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193306083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19330608
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19330608
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-06
- Tag 1933-06-08
-
Monat
1933-06
-
Jahr
1933
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 08.06.1933
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
UnterdaNungs-Stunae. „Ungrliks." Skizze von Eva Gräfin von Baud iss in. Ein herrlicher Frühlingstag stieg über die Berge des Bregenzerwaldes uiw erfüllte das Herz eines einsamen Wanderers mit immer neuer Wonne. Ach, dazu der Schule entronnen zu sein, befreit von dem täglichen Kleinkamps mit Kindern, mehr noch mit Kollegen, denen sein Wesen un verständlich war — diese Vorstellungen schenkten ibm einen noch beschwingteren Schritt und das tiefe beglückende Atem holen. Mußte, würde nichts geschehen, um seiner Sehnsucht nach dem Süden Schwingen zu verleihen? Plötzlich lag bei einer Wegbiegung ein kleines Dorf vor ihm. Ein Bach rauschte, schattige Bäume umstanden Ge höfte und Kirche, deren offene Tür zum Eintritt lockte. Er gehorchte, dennoch ein spöttisches Lächeln um den Mund: Er kannte diese Dorfkirchen, mit ihrem groben Stuck, ihren flachen Malereien. Wie weit war mau im Norden in den Künsten zurück, während sich die Künstler in Italien An schauung und Begeisterung aus den unsterblichen Werken der Alten holten. — Eine süße Stimme ließ ihn sich zur Seite wenden: Dort stand aus ein paar Brettern, die über eine Tonne gelegt waren, ein Bub in einem Malerkittel und sang. Dabei führte er seinen Pinsel mit großem Schwung zwischen den schwarzen Konturen einer auf die Wand gezeichneten Figur hin und her und kleidete einen Heiligen in einen lichtblauen Mantel. Ter Fremde staunte. Lagen nicht neben dem kindlichen Künstler die Vorlagen eines großen Italieners und kehrten nicht die dunklen Augen, trotz des schönen Volks liedes aus den Lippen, gewissenhaft stets wieder znm Vorbild zurück? Soviel Sinn für echte Kunst, hier, m einer un bedeutenden Torskirche? Vom Altar her kam ein Nus, der Bub mttworttic kstch- „Ja, Vater", sprang von seinen Breitern und ergrisj ennn Krug. Da erst bemerkte er den Fremden, lächelte ihm ohne Scheu zu und wollte an ihm vorüber. „Was malst denn Tu hier m der Kirche?" wvlüe der wissen. Der Bub lachte. „Tas sieht man doch: dn heiligen Apostel" — dann etwas seufzend: „Leider sind's zwölf!" „Macht's Dir keine Freude?" „Wohl, aber lieber möcht' ich singen..." da wurde die Forderung nach dem Wasser ungeduldig wiederholt, der Bub eilte davon, der Wanderer folgte ihm. Um den Altar war ein hohes Gerüst gebaut, das reichte bis zum Gewölbe hinauf, und von oben sah nun ein älterer Mann nach dem aus, der sein Kind mit Reden aufhielt. Der Fremde musterte, so gut es ging, die Arbeit dort oben. „Ihr seid ein geschickter Meister — und gar schon Euer Bub", lobte er, während der Junge leichten Fußes die Leitern emporlief. Weshalb lachten die beiden so sröhlich bei seinen Worten? „Der Bub mag nur singen", ries der Alte dann. „Geht, sagt's ihn., daß er malen muß!" Er stieg bedächtig herab, hinter seinem Buben her. Ein Gespräch mit einem Kunst verständigen ivar wohl selten, und der Fremde geriet gleich m sein Fahrwasser und stellte den beiden vor, die ihm stumm lauschten, daß es jur reden deutschen Künstler notwendig sei, nach Italien, nach Nom zu pilgern, um an der Antike zu lernen. — „Seid Ihr auch von der Zunft?" fragte schließlich der Alte. Nein, das grade nicht. Aber — wie sollte er's nur diesem einfachen Manne ausdrücken? — er liebte, er vergötterte die Kunst, er schrieb über sie, wollte sie seinen Deutschen nahe bringen. Daher wanderte er zur Ewigen Stadt. „Nehmt Euren Buben, der mir eine große Gabe zu besitzen scheint, einmal dorthin! Ihr werdet sehen, was aus dein wird." „Nach Italien!" schrie der Bub, klatschte in die Hände und begann einen Rundtanz. „Ruhig, wir sind in der Kirche!" wehrte der Vater, und dem Fremden gestand er nochmals wehmütig: „Die — der Bub will nichts wissen von der Malerei, nur singen, singen vom Morgen bis zum Abend ..." „Vater, ich schwör's Euch", unterbrach ihn der Bub, „wenn Ihr mich nach Rom bringt, laß' ich die Musik — manchmal fühl' ich's ja selbst, daß die Malerei doch das Rich tigere für mich wär'! Aber wenn ich jo weit bin, klingt's mir plöylich so vorwurfsvoll im Sinn, als würd' ich untreu — ich weiß halt selbst nicht —" die Stimme, die schon ein wenig wehmütig gezittert hatte, brach mit einem Schluchzen ab. „Wie könnt Ihr nur zögern!" sagte der Fremde rasch. „Eure Stimme wird mit Euch alt und bald vergessen. Ader was Ihr mit dem Pinsel schasst, das kann ewig bleiben." Betörend klangen seine Worte. Und hinter ihnen stieg die Stadl empor mu ihren Türmen und köstlichen Bauten, ihren Schätzen an Bildern und Skulpturen. Oh, er wußte schon viel von ihr, der Bub, und in seine samtnen Augen kam ein seltsames Leuchten: Dort lernen, dort sehen und vergleichen, ja, das mußte etwas anderes sein, als eine armselige Dorf- kirche auszumalen oder mit dem Mesner ein Tedeum ein zuüben, wenn's auch noch so schön und he'lig klang. - Der alte Meister bemerkte die Veränderung seines Buben genau so wie der Fremde. Sie lächelten sich ver- ständuisvoll zu. f „Alsdann", sagte der Fremde abschieduehmend, „wenn Ihr je mit dem Buben nach Rom kommt, Meister, so fragt nach mir! Bis dahin hab' ich unter den Künstlern schon einen Plamen — Winckelmann heiß' ich —" „Ich bin der Kauffmann, Johann Joseph, und das ist meine..." der Junge flammte ihn an, und so verbesserte der Alte leise schmunzelnd: „Tas ist also mein Angelico." „Schon eine gute Vorbedeutung! Es hat einen Frater keines Namens gegeben, der ein großer Meister gewesen ist — nach dem soll sich Euer Bub nur richten." Er schüttelte den beiden die Hand, der Bub gab ihm das Geleit bis zur Tür. Dann aber jagte er durch die Kurche zurück und fragte: „Ist Dir's Ernst, Vater, gehen wir nach Rom?" „Wenn's Dir Ernst ist mit dem Malen, Angelika! Wenn Tu unserer Kunst treu bleiben willst!" „Nie mehr singen?" fragte sie scheu. „Doch, nebenher. Aber das Große, das Ziel, dem Du zustrebst, das muß Dir die Malerei sein." Sie sah zur Orgel hinauf. Töne, erschütternde, die ihr das Herz fast zerrissen, schienen aus sie einzudringen. Aber Rom, Rom „Ich will malen, Vater", sagte sie entschlossen und blickte ihm fest in die Augen. „Der Mann, dieser Winckelmann Hut Recht gehabt. Er soll sehen, was ich kann." Sie sahen sich wieder — in Rom. Der unbekannte kleine Dorfschullehrer war ein Gewaltiger geworden. Und aus dem Malerbuben hatte sich eine iunae Künstlerin ent wickelt, vor deren ausgehender Sonne sich die Welt neigte und die doch in Italien nie ihre deutsche Art verlor: Angelika Kauffmann. llWllllMllllllWlllWWllllllWlllllllllWllllMllllll^ Gevt reichlich sSr die Opfer -er Arbeit IllWlWlWllllllllllllllWWMWVllWllllllWWWlWW Äir ürri. Skizze von Kurt Bock-Berlin. -- Schon grüßte der Sommer aus ersten Kirschblüten- däumen, die fröhlichen Mädchen gleich mit Weißen Tüchern von den Höhen herabwinkten. Schon halte sich die tolle Bengel- dande der Polternden Frühlingsstürme müde verkochen, und der ruhige Strom des wärmeren Windes ergoß sich breit über die Seen. Da war Claus Fehmarn endlich soweit. Ein Mordsstück Dreckarbeit. Fünf lange Jahre hindurch war die schlanke Jolle herrenlos und ungenutzt verwildert, bestaubt und ge dörrt, spack wie eine Fischgräte. Jetzt aber tänzelte sie wieder vor der Frühbrise, geschniegelt und gestriegelt und aus Glanz gebügelt. Obenauf der lange schwarz-weiß-grüne Stander aus der Studentenzeit. Vornean funkelnd der Name „Poggfred". O heiliger Liliencron, Vater jeden Leichtsinns, Bannerträger aller Jugend, Rausch der frühen Tage! „Poggfred" ist wieder flott nach sieben Wochen bösen Schabens und Verdichtens, Glättens und Oelens, Gießens und Lackens. Schneeig leuchten der frech vorgeschobene Bug und der seltsam erhöhte dach artige Achtersteven, den schon damals jeder Sportsmann ver dutzt bestaunte. Und prächtig lebendig hebt sich wieder unter dem Scheuerbord der grüne Fries zappelnder Frösche ab, kunstvoll ornamental gemalt, ein lustiger Kranz zum Boots namen „Poggfred" — Froschfrieden. Knatternd rauscht das Großsegel empor, das Vorsegel haut übermütig hin und her. Nun die Kette losgeworsen: Claus springt nach achtern, die Tampen ringeln sich meuch lings um seine Beine — so, die Pinne fest in die Hand, jedes Fall säuberlich belegt, die Großschol straff heran! Elegant neigt sich der Mast nach back, ein Wellchen guckt lachend über den Waschbord. Hurtig läuft der Wind hinterdrein. Hei, schon Pfeift's in den Wanten, im Schwertkasten gurgelt's, und Gischtfahnen flattern Claus um die Nase. Fünf Jahre entbehrte Wonnen! Fünf Jahre zähester Jngenieurarbcit in Finnland: Ur wald und Eiswüste, fremde Sprachlaute, spröde Menschen. Ein jäher Wandel nach Studentenfrohsinn und Examensfeiern. Jetzt aber ist „Poggfred" wieder mein! Guter, treuer Kamerad! Aber halt: wir waren doch drei Kameraden? „Poggfred", Claus und — und — ? Und Hille! Ja. Hille! Die Eine, diese Kleine, diese Zarte, diese Feine — ein echtes, rechtes Liliencron-Mädel! Hier über mir aus dem Stevenkasten saß sie immer und ließ ihre Füßchen mir vor der Nase baumeln, daß mir oft die Pinne gefährlich gleich gültig wurde. Hille, kleiner Kapitän, flotter Steward, lustiger Leicht matrose! Wie konnte ich dich denn nur vergessen? Wie konnte ich Hille vergessen? Aber ich habe sie ja garme vergessen. Tief in mir lebte und sang all die Zeit der klingende Name, wie ein Vogel fern nn Walde. Hille, liebste Hille, wo magst du weilen? Irrwisch du, haben dich die Philister gefangen? Hockst du gebändigt am häuslichen Herde, beschürzt, bekochlösfelt? Oder wo strolchst du herum, du Vagabund, süßer Taugenichts? Oder — Hille — bist du traurig? Ein bißchen Plankenbruch oder jo? Politur verkratzt? Ein wenig unter die Linie gerutscht? Versackt? Zum Teufel: nein! Du wirst doch nicht, kleine Hille! Nein, Hille, gewiß nicht! Das tust du mir doch nicht an... Der Wind schrali, die Sonne verkriecht sich. Versonnen hält Claus seinen Kurs, die Flut wird trübe, Wolkeufetzen wehen über die grauen Wälder. Stumm dehnen sich die Ufer. Erinnerungen brechen zahllos aus wie Knospen. Jener Sandstrich: köstliche Morgenstunden im Bade mit Hille. Die Wasserenge Himer der Insel: verwegene Sturmsahrt, über- Ipritzt, sekündlich dem Kentern nah, von Böen gepeitscht und doch lauthals jubelnd mit Hille. Und dort der Schilfwald, dahinter der fröhliche Birkenhügel, saust begrün! und schleier wehend, ein menschenfcrnes ParadieSgärtlcin all der schönsten Sonnenstunden mit Hille. Claus steuert in die winklig versteckte Zufahrt, knisternd legt sich das Boot unter die geneigten Fcderfächer der Halme; das Segel fällt, müde plätschert eine erschreckte. Ente in eiy neues Versteck, einige Frösche knurren, dann senkt sich wieder das dumpfe Schweigen trübe über die trübe Einsamkeit. Träume gleiten mattfarbig vorbei, nebelhafte Bilder, fernes Lachen, ein Augenleuchten. Ueber das Wasser hin rinnt ein Erschrecken, aus tiefem Grunde taucht ein Glanz: Funken sprühen jäh aus den Blättern. Feuerstrom stürzt über den See. — Tie Sonne! Vögel schwingen sich aus mit silbernem Zwitschern. Aus den „Poggfred" zu steuert ein Boot: mit schnee weißem, frech vorgeschobenem Bug und seltsam erhöhtem, dachartigem Achtersteven — ein grüner Fries rings unter der Scheuerleiste. Näher rauscht es, näher, im Dampf der Sonne. Obenauf ein schwarz-weiß-grüner Stander, vornean funkelnd der Name „Poggfred ll". An der Pinne vvrgebeugt ein weißer Südwester, eine brüllend rote Jacke. Claus starrt mit gebannten Zügen er griffen hinüber, ganz leise und verträumt geht sein Ruf: „Hille! - Hille!" Trüben fährt die Feuerjacke hoch, eine Pinne haut tos gelassen um sich, knirschend saust der Bug an den Planken ent lang, und ein seltsam Lachen, ganz hell, ganz fein, erstickt in einem wilden Sprunge von Boot zu Boot... Der Abendwind Harste im Röhricht. Zage Stimmen geisterten ringsum. Zwischen den schlanken Pfeifen des Schilfs ruhten Hille und Claus wie im singenden Werke einer Orgel, ganz leis ichluchzte die Stimme eines fernen Vogels ein Wiegenlied. Aber als der ,unge Tag schimmernd und lichttrunken über den kupfernen Horizont heraufschritt, stand Hille mit ge breiteten Armen hoch auf ihrem alten Stevendach und lang, sang weithin jubelnde Worte, aus Herzfülle unbedacht strömend ein Loblied auf die wundersame Schönheit der sommerlichen Natur. Munk Msrmotts Erlauschtes und Erlistetes von W. v. Bosen st ein. Silbrig schimmern die Häupter der Alpenriesen im Frühlingssöuncnschein. Noch greifen Schneefelder fast bis zur Baumgrenze hinab. Doch wie Löcher im zerschlissenen Ge wand des Winters mehren sich täglich die dunklen Flecken. Auf jedem Quadratmeter schneefreier Fläche öffnen Ane monen, Primeln und Steinbrech ihre lichten Kelche. Un zählige Rinnsale vereinigen sich plätschernd zu stürzenden Wildbächen, mittagher atmet warmer Hauch des Föhns, und allenthalben murrt der Donner niedergehender Lawinen talwärts. Hoch droben, wo die letzten Winterfichten zerrissen und zerzaust gen Himmel trotzen, jubiliert, pfeift, kreischt und guarrt die gefiederte Welt. Im prachtvollen Balzflug kreist das Adlerpaar laut rufend über den Eiszinnen, mit ihm wett eifern Kolks an Schönheit der Flugbilder. Alpendohle und Bergrötel sind auf Wohnungssuche; pfeilschnell schießen Alpen segler, die großen Vettern unserer Turmschwalbe, mit heiserem Schrei um Zinne und First. Die Sonne scheint fast sommerlich warm auf den Berg- Haug. Ueber jungen Blüten fumml und brummt das Volk der Insekten. Da bewegt sich unter vorspringender Stein platte das Erdreich, wird energisch zur Seite gestoßen, und aus dem entstandenen Loch schaut ein rundes Köpfchen mit stumpfer Schnauze. Ein bißchen verschlafen blicken zwei schwarze Seher in die Welt, haben sie doch dreiviertel Jahr lang im finsteren Kessel sich des Tageslichtes entwöhnt. Nun aber hat die Sonne auch das Leben der Tiefe er weckt; als erster seiner Sippe ist Munk Marmotta, der Murmeltierpapa, zum Vorschein gekommen. Lange wittert und sichert er — an so viel Licht und Wärme muß man sich erst wieder gewöhnen. Dieses Lich! birgt auch viele, sehr viele Gefahren... Allerdings hier im Strupp, weit unter der Baumgrenze, ist es still; also waljchelt man zunächst einmal hervor. Man ist recht abgekommen und hat Hunger. Vorerst freilich läßt sich nicht viel auftreiben; ein bißchen trocknes Gras, das ist alles. Doch einstweilen genügt es. Schnell beißen die scharsen Zähne ein Büschel davon ab, dann setzt man sich auf die mageren Keulen und führt das erste Frühlingsmahl mit den Vorderpfoten gar zierlich zum mümmelnden Maule. Dabei darf man aber das Sichern nicht vergessen! Un unterbrochen ist das Köpfchen in Bewegung; kein Geräusch entgeht den kleinen, im Fell versteckten Lauschern; der feine Windfang nimmt jede Witterung auf, und ab und zu wippt die kurze, buschige Rute. Vor den Adlern braucht man sich heute allerdings nicht zu fürchten; heute kümmert das sonst sehr willkommene Wild .die ganz und gar von ihrem Liebesspiel in Anspruch Ge nommenen nur wenig. Aber immerhin ... Langsam erscheint nun auch Munks Familie; überall be grüßen die erdentstiegcnen Gesellen blinzelnd und sich reckend das neue Sein. Da! Schattengleich schwebt es heran. Ein tiefer Pfiff Munks. Das Signal wird ausgenommen, weitergegeben, und — hei, was für ein Rennen hebt an am steilen Berghang! In wenigen Sekunden ist die ganze Gesellschaft verschwunden, und der Kolkrabe zieht ärgerlich krackend einem nahen Fels kegel zu. Hier tröstet er sich an den Ueberresten einer lawinen zerschmetterten Gemse, während drüben die dunklen Bürsch chen nach und nach wieder zum Vorschein kommen. Nun aber hinaus aus dem Holz! Höhenwärts geht ihr Streben, dorthin, wo in majestätischer Ruhe daS ewige Eis bläulich schimmert, wo der Enzian sprießt, der Alpenwermut sich spreizt, die Schafgarbe und manches andere würzige Kraut gedeihen, wo nicht zuletzt Schluchten und Spalten sich öffnen, die zur Anlage der Sommerhöhlen wohl geeignet sind. Hier, wo selbst die Gemse fast niemals hinfindet und noch seltener der Hirtenbub nach verlaufenen Ziegen und Schafen jucht, verleben die Murmeltiere ihren kurzen, aber un vergleichlich schönen Sommer. Viel fetter und schmackhafter als die nach Munks Ansicht unvernünftig langen Halme weiter drunten ist das kurze Mattengras. O, es läßt sich herr lich leben an überreich gedeckter Tafel. Zunächst aber gilt es, die alten Sommerwohnungen mit ihren, vielen Kreuz und Quergängen, die so hart sind, daß selbst der Druck niedergehender Lawinen sie nicht zu zerstören vermag, wieder instand zu setzen und für die junggegründeten Familien fleißig neue zu graben. Tief brauchen die Be hausungen ja gerade nicht zu sein, müssen aber durch ihre Widergänge eine sichere Zuflucht bei Gefahr oder schlechtem Wetter bieten. Nach getaner Arbeit liegt sich's wohlig in der prallen Sonne, während das rasch Heranwachsende Jungvolk mit Hellem Kläffen lustig auf den Matten herumtollt. So vergehen einige schöne, reiche Wochen des Gcnießens. Dann aber beginnen die Alten regelrecht Gras zu trocknen und es büschelweise hinunter in die Winterbaue zu schaffen, die sie zunächst durch Entfernung des alten, muffig ge wordenen Heus gereinigt haben. Aus dem balzenden Adlerpaar sind die Eltern ewig hungriger Gierhälse geworden, mit Kolks ist es dasselbe, und der rote Freibeuter, Meister Reineke, steigt solch schmackhaftem Braten, wie Munks Sippe es ist, selbst in diese Höhen nach; manches der kleinen Bergmännlein findet trotz aller Wachsam keit einen frühen Tod zwischen dolchscharfen Zähnen, unter hackendem Schnabel, greifendem Fang. Die meisten allerdings durch Tücken und Schliche übler Zweibeine, denen das zarte Fleisch nicht minder gut schmeckt als anderem Räubergezücht. Auch Fett und Pelz verwenden sie, wie Munk von einer er fahrenen Dohlenahnfrau hörte, zu mancherlei Dingen, die sie Heilkunde nennen. Aber davon will Munk nichts wissen noch verstehen, was man ihm weiter nicht übel nehmen kann. Eines bleibt sicher — darüber ist Papa Munk aus alter Familienüberlieferung unterrichtet —: m manchen Gegenden mußten Marmottas mit Kind und Kegel auswandern, wenn sie sich von den unersättlichen Verfolgern, denen im ver gangenen Jahre ja auch seine beiden eigenen Söhne zum Opfer gefallen waren, nicht bis auf das letzte Schwänzchen ausrotten lassen wollten. Zwölf, im günstigsten Falle fünfzehn Wochen, leben und spielen die Murmelinge in ihrer talferneu Höhe. Wenn dann aber die ersten Fröste über die Hochmatten gehen und der Gletscher ein finsteres Gesicht macht, hören sie auf zu fressen, trinken dafür desto mehr, um ihre Eingeweide zu reinigen. Rund und fett wie Kugeln ziehen sie zutal in ihre Winter quartiere. Als Letzter fahrt Munk selbst ein, verschließt mit Heu, kleinen Steinchen und Mergel sorgfältig die Röhre und kommt zu den Seinen, die sich schon dicht aneinander ge- ichmiegt zusammengerollt haben. Herzhaft gähnend legt er sich ebenfalls nieder. Langsam sinkt die Körperwärme auf acht, neun Grad, nur ganz selten 'chlägt das Herz. Und nun schlafen sie, bis wieder die Frühlingssonne in Dunkelheit und Kühle und Schweigen dringt, schlafen wohlgeborgen im Schoße ihrer Berge traum los und tief und fest wie — Murmeltiere.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)