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LMdruKer TaaMatt - 3 V!a« M. 241 Lonnabend, den 14. Oktober 1833 Wie Lubbe verkamt wurM. Zm brennenden Reichstag. Der Prozeß gegen die Reichslagsbrandstifter. Senatspräsidcnt Dr. Bünger eröffnete die Freitag- fitzung im Brandstifterprozeß mit Mitteilungen über die Augenscheinnahme am Donnerstagabend. Er erklärt: Die Augenscheinnahme hat zur Klärung von Widersprüchen zwischen Zeugenaussagen beigetragen, ebenso auch zur Erläuterung dieser Bekundungen der Zeugen. Insbesondere haben Zeugen, zum Teil in Ab weichung von ihrer früheren, hier an Ort und Stelle ge machten Aussage, nicht bekunden können, daß es mehr als eine Person gewesen ist, die in das Gebäude ein stieg, ebenso auch nicht, daß mehr als ein Mann hinter den Glasfenstern im Erdgeschoß entlanggelaufen ist. Der artige Möglichkeiten waren ja schon früher als gegeben bezeichnet worden. Oberreichsanwalt Werner: Ich möchte mir Vor behalten, gelegentlich später darauf zurückzukommen, ob bereits wirklich für feststehend angenommen werden kann, daß unten nur ein Mann gelaufen ist. Ich behalte mir die Würdigung des Ergebnisses vor. Vorsitzender: Ich möchte nochmals betonen, daß t ch nichts behauptet habe. Ich lehne die Würdigung des Ergebnisses ab. Aber die Tatsache glaube ich mitteilen zu können, daß am gestrigen Abend kein Zeuge bekundet hat, daß mehr als einer unten entlanggelaufen ist. Ich habe nur etwas mitgeteilt, was jeder Anwesende, wenn er nahe genug hätte herankommen können, selbst sehen konnte. Rechtsanwalt Dr. Teichert beantragt sodann, zur Entlastung des Angeklagten Dimitroff eine Reihe von Zeugen zu laden. Angesichts der Fülle der Beweis anträge des Verteidigers behält sich Oberreichsanwall Werner eine Entscheidung bis Sonnabend vormittag vor. Er betont aber, daß ihm schon jetzt ein Teil dieser Beweisanträge unerheblich zu sein scheine. Es Wird dann die Beweisaufnahme fortgesetzt. Polizeiwachtmeister Losigkeit äußert sich dann kurz über die Ereignisse von dem Zeitpunkte ab, als eine Meldung auf der Polizeiwache am Brandenburger Tor einging. Oberreichsanwalt: Haben Sie SA.- oder SS.-Männer im Hause oder draußen gesehen? — Z euge: Nein. Im Hause war ich sehr lange Zeit und habe keinen SA.- oder SS.-Mann bemerkt. «Erst nach li Uhr abends sind wohl einige SA.-Kräfte zur Absperrung herangezogen worden. Der Angeklagte van der Lubbe zeigt sich heute noch apathischer, als dies an den bisherigen Verhandlungs tagen der Fall war. Er hält den Kopf noch tiefer als sonst. Poeschel schildert dann sehr eindrucksvoll den Moment, als er den Angeklagten van -er Lubbe zuerst erblickte und festnahm. Der Zeuge hatte keineswegs den Eindruck, als ob van der Lubbe fliehen wollte. Der Zeuge Poeschel hatte schon früher seine Pistole gezogen und rief nnn van der Lubbe zu: Händchoch! Van der Lubbe kam dieser Aufforderung sofort nach. Der Zeuge trat an ihn heran und tastete seine Hosentaschen ab. Er fühlte in der Seitentasche der Hose ein Taschen messer, und in der Gesäßtasche sand er einen Paß, außer dem ein Taschentuch und eine Geldbörse. Außer der Hose und den Schuhen hatte van der Lubbe nichts an, auch kein Hemd mehr. Er war schweiß- über strömt, vollkommen naß; das Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Van der Lubbe zeigte sich zunächst er schreckt, blieb aber sonst vollständig ruhig. Seinen Gesichtsausdruck nennt der Zeuge „g l e i ch g ü lt i g". Torgler erhebt sich und bittet, einige Fragen an den Zeugen richten zu dürfen: Sie haben mitgeteilt, daß Sie den Angeklagten van der Lubbe zuerst gesehen und festgenommen und ihn auch durchsucht haben. Haben Sie außer dem Paß irgend etwas Papiernes bei" ihm ge sunden, was man als Mitgliedsbuch, Mit gliedskarte oder ähnliches ansvrechen könnte? Zeuge: Nein, ich habe nur den Paß bei ihm gefunden. — Torgler: Auch keine Zeitung, keine Flugblätter? — Zeuge: Nein. — Torgler: Danke schön. — Land- gerichtsdircktor Parrisius: Haben Sie denn die Taschen ganz genau untersucht? Können Sie denn mit aller Bestimmtheit sagen, daß er kein Flugblatt bei sich hatte? Aus der Wache ist ja ein Flugblatt bei ihm gefunden worden! Zeuge: Ich habe zwar nicht in die Taschen ge griffen, sondern nur abgetastet. Aber ich hatte den Ein druck, daß nichts in den Taschen war. Es tritt dann eine Mittagspause ein. Zu Beginn der Nachmittagssitzung gibt Rechtsanwalt Dr. Sack ein ihm zugegangenes Pariser Telegramm be kannt, wonach ein brasilianischer Journalist Castello auf seine, Sacks, Veranlassung wegen Tendenzberichtcn über den Reichstagsbrandstifter- prozcß aus Deutschland ausgewiesen worden, sei. Dr. Sack er klärte, daß er diesen Mann überhaupt i^ichtkenne und in keiner Richtung bei Behörden deswegen vorstellig ge worden sei. Der Oberreichsanwalt wies darauf hin, daß ihm von der Angelegenheit nichts bekannt sei. Darauf wird der Nachtpförtner des Reichstages, Wendt, vernommen. Am 27. Februar ist er um 8 Uhr abends zum Dienst gekommen. Es wurde ihm mitgeteilt, daß der Abgeordnete Torgler noch im Hause sei. Daß auch der Abgeordnete Koenen noch im Hause war, wußte er nicht. Der Abgeordnete Torgler kam nach unten und erledigte von hier aus das Gespräch. Der Zeuge hat gehört, daß er sich mit jemand treffen wollte, und hat etwa verstanden, daß diese Begegnung aus der anderen Seite bei Aschinger erfolgen sollte. Torgler ging dann wieder nach oben. Der Zeuge war inzwischen mit dem Beleuchter Scholz ins Gespräch gekommen. Während dieses Gesprächs kamen die Abgeordneten Torgler und Koenen sowie die kommunistische Fraktionssekre tärin von oben. Torgler übergab den Schlüssel an Scholz. Auf Befragen erklärte der Zeuge, daß er Auf fälliges beim Weggehen der kommunistischen Abgeord neten nicht bemerkt habe. Es komme auch oft vor, daß Der Lokaltermin im Reichsiagsbrandstifterprozetz. Unser Bild vom Lokaltermin im Reichstags brandstifterprozeß zeigt den Täter van der Lubbe am Schauplatz seines Verbrechens. In der ersten Reihe sieht man unter scharfer polizeilicher Bewachung den bulga rischen Angeklagten Popoff, rechts im Hellen Mantel den Anklagevertreter Oberreichsanwalt Dr. Werner, in der Mitte der zweiten Reihe, in sich zusammengesunken, den Reichstagsbrandstifter van der Lubbe. Abgeordnete noch nach 8 Uhr im Hause seien. Ob Torgler eine Aktentasche bei sich gehabt hat, kann er nicht sagen» Der Zeuge hat dann das Portal abgeschlossen. Der Zeuge wird dann noch einem längeren VerhöÄ durch den Vorsitzenden und auch durch den Oberreichs-- anwalt hinsichtlich der Sicherheitsmaßnahmen im Reichstag unterworfen Er hält es für ausgeschlossen, daß eins Zivilist unbeobachtet zu diesem Zeitpunkt noch ins HauH Hineinkommen konnte. Oberreichsanwalt Werner: Ist es möglich^ daß auch noch andere Abgeordnete oder Angestellte sich inv Reichstag befanden? Kann der Pförtner überhaupt! wissen, wer noch im Hause ist? — Zeuge: Die Möglich keit, daß noch andere im Hause waren, bestehr. Rechtsanwalt D r. Sack hält dem Zeugen vor, datz nach seiner Angabe er das Gespräch mit dem Beleuchter Scholz etwa fünfundzwanzig Minuten vor neun Uhr ge führt habe. Torgler sei der Ansicht, daß der Zeuge sich irr dieser Zeitangabe irre, denn Torgler wäre etwa um 20.3S Uhr schon am Bahnhof Friedrichstraße gewesen. — Der Zeuge hält daran fest, daß er etwa fünfundzwanzig Minuten vor neun Uhr mit Scholz gesprochen habe. Dr. S a ck: Noch eine Frage, die ich ungern stelle: Sink Sie seit dem 10. Mai 1922 politisch organisertz gewesen und, falls ja, bei welcher Partei? — Zeuge: Nein^ bei keiner Partei. — Dr. Sack: Stehen Sie dem Nationalsozialisten nahe oder haben Sie ihnen damals nahegestanden? — Zeuge: Ich habe ihnen damals nahegestanden. Es folgt dann die Vernehmung des Hausinspektors des Reichstages, Oberverwaltungssekretärs Alexander Scranowitz^ Für mich war die Hauptsache, die Feuerwehr ins Haus zu lassen und zu diesem Zweck die Portale zu öffnen. Ich selbst rannte im Dunkeln vor mehreren Polizei beamten die Treppe hinauf durch die Wandelhalle. Auf der Höhe des Postamtes konnte ich eine Feuerstelle sehen, die ich auch gleich ausgetreten habe. Es handelte sich um zusammengeballte Kleidungsstücke, die zunächst wie ein Kissen aussahen. Der Zeuge faßt seine Beobachtungen im einzelnen wie folgt zusammen: Auf dem Präsidentenpult brannte es in voller Aus dehnung. Weitere Brände waren auf der Regierungs bank und dem Platz der Reichsratsvertreter., Es waren Flammenbündel von ungefähr 40 bis 50 Zenti meter Breite, spitz znlaufend, etwa 50 Zentimeter hoch,, ruhig flackernd. Auf den Bänken der Regierungs- und der Reichsratsvertreter waren etwa zwölf bis fünfzehn solcher Brände. Die Flammen auf den Bänken der Abgeordneten brannte» gleichmäßig kegelförmig und unter sich abgetrennt, jed« Brandherd für sich. Vorsitzender: Wie groß waren die Abstande etw« zwischen den einzelnen Bränden? — Zeuge: Etwa anderthalb Meter. Die Befragung des Zeugen durch einen Beisitzer! ergibt dann, daß der Zeuge Scranowitz ziemlich genan- eine Minute nach dem Polizeileutnant Lateit den Brand im Plenarsitzungssaale beobachtet hat. Unter allgemeiner Spannung schilderte der Zeugs dann die Festnahme des Brandstifters van der Lubbe. Als er nach weiteren Brandherden suchte, habe er plötzlich einen Mann stehen sehen, der nur mit Hose und Schuhen bekleidet war. Er habe einem gerade hinzukommenden Polizeibeamten, dem Wachtmeister Poeschel, zugerufen: »Brandstifter festnehmen Der Beamte nahm den Mann auch sofort fest. Der Zeuge, bekundet weiter, er habe in seiner Erregung van der Lubbe angeschrien: „W arum hast du das getan?" und ihm dabei mit der Faust in die Seite gestoßen. Van der Lubbe habe darauf nur geantwortet: „Protest, Protest!" Van der Lubbe sei dann von den Beamten weggeführt worden. Während der Bekundungen des Zeugen Scranowitz laßt der Angeklagte van der Lubbe den Kopf noch mehr heruntersinken, so das er in völlig zusammengehockler, Haltung auf der Anklagebank sitzt. kg. Fortsetzung Nachdruck verboten Walter Eysoldts Gesicht spieglte deutlich seine starke, in nere Erregung wider, so daß er sich abwandte und ans Fenster trat, um Elga und den Kommissar nicht ansehen zu müssen. Er sehnte das Ende dieser Unterredung herbei und quälte sich mit Vorwürfen, weil er den Verdacht auf Liga gelenkt hatte. Und seine Qualen steigerten sich noch mehr, als er die erneute Frage des Kommissars hörte: „Sie sind also, nachdem Sie Ihr Arbeitszimmer hier verlassen hatten, sofort nach der Villa Eysoldt gefahren?" „Nein..." „Was taten Sie dann?" „Ich . . . ich bin in die Stadt gefahren. „Um Besorgungen zu machen?". „Nein ... ich bin nur durch die Straßen gebummelt. „Allein?" . Erstaunt schaute Elga den Kommissar an und begegnete dabei wieder dessen forschenden Blicken, die sie ängstigten. Und hastig stieß sie hervor: „Gewiß ... ich war allein..." Berger lächelte seltsam und ersuchte darauf Elga, ihm ausführlich zu berichten, was sie dann weiter unternom men habe. Elga erzählte ihm von ihrer Rückkehr in die Villa Ey soldt, von ihren heftigen Kopfschmerzen, die sie gezwungen hatten, sich sofort auf ihr Zimmer zurückzuziehen. „Und dort sind Sie die ganze Nacht geblieben?" Jäh wandte sich Doktor Eysoldt nach Elga um, denn er erinnerte sich, daß ihm seine Mutter erzählt hatte, Elga sei gegen Mitternacht fortgegangen. Deutlich sah er, wie Elga an der Frage des Kommissars erschrak, wie sie ihre Blicke zu Boden senkte und nach eini gem Zögern mit bebender Stimme erklärte: „Ja ... ja ... ich bin die ganze Nacht in meinem Zim mer geblieben." Walter Eysoldt atmete schwer. Ihm schien es, als griffe eine eiskalte Hand nach seinem Herzen und preßte es zu sammen. „Sie lügt..." dachte er schmerzlich. „O Gott, dann hat Sonja mit ihren Warnungen doch recht." Wie aus weiter Ferne vernahm Walter Eysoldt aber mals die Stimme des Kommissars, der in einndringlichem Ton fortfuhr: „Sie werden wissen, Fräulein von Waltershausen, daß sich ein Verdacht, an dem Diebstahl der Papiere beteiligt zu sein, gegen Sie richten muß, da Sie zu den wenigen ge hören, die von der wichtigen Erfindung Kenntnis hatten. Sie müssen mir also gestatten, daß ich Ihren Schreibtisch, Ihre Handtasche und natürlich auch das Zimmer in der Villa Eysoldt einer eingehenden Untersuchung unterziehe." Da aber schrie Elga gellend auf. „Nein! . . Nein! ... .So tief kann man mich nicht de mütigen. . . Das würde ich nie und nimmer ertragen kön nen. .. Ich bin schuldlos, ich habe die Papiere nicht gestoh len .. . ich habe keinen Verrat getrieben..." Sie eilte auf Doktor Walter Eysoldt zu, sie umklam merte dessen Hände und flehte mit erstickter Stimme: „Helfen Sie mir, Herr Doktor . . . nehmen Sie sich mei ner an und sagen Sie dem Kommissar, daß Sie mir ver trauen und davon überzeugt sind, daß ich eine solche ge meine Tat niemals begangen haben kann..." Aber ehe Doktor Eysoldt antworten konnte, rief ihm Kommissar Berger zu: „Lassen Sie sich durch eine solche raffinierte Komödie nicht täuschen, Herr Doktor... Frauen glauben uns Män ner immer mit Tränen von ihrer Schuldlosigkeit überzeugen zu können und lachen dann über uns Toren, wenn wir auf ihre Künste hereingefallen sind." Walter Eysoldt führte einen verzweifelten Kampf mit seiner Liebe und der Vernunft. Am liebsten hätte er Elga in seine Arme gerissen, bätte sie an sein Herz gepreßt, um ihr ins Ohr zu flüstern- „Ich habe dich lieb ... ich habe dich lieb..." Aber wie ein drohendes Gespenst stand die Lüge vor ihm, die er aus Elgas Mund vernommen hatte. Und das Mißtrauen, das durch Sonja Jegorownas Worte in ihm wachgerufen worden war, wollte nicht zum Schweigen kommen. Deshalb erklärte er mit leiser Stimme: „Wenn Sie sich schuldlos fühlen, Fräulein von Wal tershausen, dann brauchen Sie die Untersuchung nicht zu fürchten." Da richtete sich Elga langsam auf. Sie schaute Walter Eysoldt mit seltsamen Blicken an und wiederholte: „Ja . . . dann brauche ich die Untersuchung nicht zu fürchten..." Und ohne sich noch länger zu wehren, überließ sie dem Kommissar ihre Handtasche, die nichts weiter enthielt als die Utensilien einer -Dame und die Schlüssel zum Schreib tisch. Kommissar Berger öffnete die Schubfächer und begann in den Papieren zu wühlen. Teilnahmslos stand Elga dabei und schaute mit starren Blicken vor sich hin. Walter Eysoldt aber lehnte sich abermals an das Fenster und seine Fingerspitzen trommelten in gesteigerter Erre gung an die Scheiben. Eine qualvolle Stille herrschte. Vis Kommissar Berger auflachte und rief: „Also doch! . . . Jetzt verstehe ich. freilich, warum sich Fräulein von Waltershausen gegen die Untersuchung des Schreibtisches wehrte." (Fortsetzung folgt.)