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WilS-ruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 217 7 Sonnabend, den 16. September 1933 Auf dem Kartoffelacker. Sturm und Sonne. Lmdenblättergold bis ins Feld geblasen. Müde Hände halten schoßgelegt Mittagsrast. Im Rasen, furchenlängs, tollt barfuß Kindervolk, blonde Zöpfe fliegen. Und am Hange — zwischen dürrem Kraut, Korb und Hacke, — wiegen Mutterarme kleinen Unfchuldsschlaf. Joh. Richter-Wilsdruff. Me-ner. Marc. 4, 8: „Und etliches fiel auf ein gutes Land und brachte Frucht, die da zunahm und wuchs." Diese Woche hat unserer Kirche zwei Gedenktage ge bracht. Am 12. September vor hundert Jahren ist das Rauhe Haus von Wichern gegründet worden, am 17. September vor hundert Jahren hat Fliedner in Kaiserswerth das Asyl eröffnet, aus dem die evangelische Diakonissenarbeit herausgewachsen ist. Das Wort von der Frucht, die da zunahm und wuchs, patzt selten so wie auf diese beiden Werke. Ob sich Wohl viele klar sind, was wirklich aus jenen Saatkörnern für Frucht zunehmend erwachsen ist? Es sind nicht blotz die vielen Diakonissenanstalten und Diakonenhäuser, nicht blotz die Zehntausende von dienenden Brüdern und die Hundert tausende von Diakonissen, auf die man achten muß. Um sie herum in weiterem Kreis stehen die Hunderttausende, ja Millionen, die von ihnen betreut und j pflegt worden sind in all den Anstalten, Krankenhäusern und in den Wohnungen und Familien. Und in weiterem Kreis um sie sieben die Unzählbaren, deren Anaeböriae. die den Segen mit empfangen haben. Und damit noch nicht genug: anregend hat das Vorbild von Kaiserswerth und vom Rauhen Haus gewirkt, daß andere Gemein schaften nicht rein kirchlicher Art die gleiche Liebes tätigkeit aufimhmen und Schwestern ausbildeten, und ebenso die Städte und Staaten, und aus fremden Ländern sind die Boten gekommen, um zu lernen — hinter ihnen stehen wieder Millionen von Schwestern und Brüdern, von Betreuten und Gepflegten. Und noch mehr: wie gerade diese Tätigkeit durch das Vorbild ihrer Brüder und Schwestern in den vergangenen hundert Jahren des wachsenden Materials und Egoismus die suchende, dienende, sich selbst aufgebende Liebe lebendig gehalten hat, die unentwegte Vertretung des Satzes: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz!" gewesen ist und damit eine Vorbereiterin dessen, was heute weithin wieder verstanden und wirksam wird — das alles ist nie genug beachtet worden, soll aber heute dankbar bekannt und genannt werden zu Ehren beider Werke, zu Ehren der evangelischen Kirche, auf deren Feld diese Frucht zu nahm und wuchs. Wer hätte ahnen können, als Fliedner an dem Abend die Leiter vom Gartenhaus wegnahm, damit die erste In sassin, die da eben hinaufgestiegen war, nicht wieder Reiß aus nehmen könnte, daß da der Anfang gemacht war von solchem Werk! Vor Menschen ist es unfaßbar. Wieviel groß angelegte und groß angefangene Unternehmungen sind eingegangen — und hier ist aus dem Nichts, ja, aus dem, was weniger war als nichts (menschlich angesehen) so unendlich Großes geworden. Warum? Weil nichts „unternommen", weil nicht bloß geredet oder organisiert, sondern: weil geliebt, gebetet, gedient wurde, d. h. weil das Saatkorn des göttlichen Wortes im Herzen den guten Acker gefunden hatte. Laßt uns hingehen und desgleichen tun: „Das Wort hören und nur behalten in einem feinen, guten Herzen und Frucht bringen in Geduld." Ob wir die Frucht selbst noch erleben und ob „man" sie sehen kann, darauf kommt es ja gar nicht an: Fliedners Mutter hat auch nichts gesehen von dem, was sie mit hat Frucht bringen helfen in ihrem Sohn. Worauf es allein ankommt, ist, daß das Saatkorn in gutes Land bei uns kommt. Dann wird auch Frucht daraus, die zunimmt und wächst. Ier SIMM im men M Preußens Ehrentag. In der Reichshauptstadt fand am Freitagvormittag unter großen Feierlichkeiten in der neuen Aula der Uni versität die Vereidigung des von dem Ministerpräsidenten Göring gebildeten Preußischen Staatsrates statt, der aus dem Kaiser-Franz-Joseph-Platz die Fahnenweihe für die Schutzpolizei voranging. Nach einer stürmischen, regnerischen Nacht erwachte Berlin in einem sonnenüberstrahlten Herbstmorgen und fand sich aufs schönste geschmückt mit Fahnen, Girlanden und Blumengewinden. Eine besondere Note hatte die Ausschmückung Berlins besonders in der Wilhelmstraße, am Brandenburger Tor, Unter den Linden und auf dem ganzen Kaiser-Franz-Joseph-Platz diesmal dadurch er halten, daß die schwarz-weißen Preußen sahnen stärker hervortraten. Von frühen Morgen an drängte sich die Menge in den Straßen, durch die der feierliche Zug der Preutzenregie- rung führen sollte. Schon die Flaggenparade der Schutzpolizei vor dem preußischen Innenministerium Unter den Linden gab dem bedeutungsvollen Tag eine betonte Einleitung. Im Laufe des Vormittags marschierten dann die für die Spalierbildung vorgesehenen Formationen der SA. mit ihren Musikkapellen und Fahnen in der Feststraße auf; man sah auch die Berliner Blutfahnen, auf denen die Namen der für das neue Deutschland in Berlin gefallenen SA.-Männer zu lesen sind. Kurz nach 10 Uhr bietet die breite Ehrenstraße Unter den Linden ein festliches, farbenfrohes Bild. Rings um das riesige Viereck des Kaiser-Franz-Joseph-Platzes sind zahlreiche Polizei- und andere Formationen aufmar schiert. Man sieht da in Schwarz die Stabswache des Reichskanzlers, in Braun dis Stabswache des preußischen Ministerpräsidenten, in Hellem Graugrün die Polizei abteilung z. b. V., unter ihrem eben srst zum Oberst beförderten Kommandeur Wecke, weiter zahlreiche Ab teilungen der blauen Schutzpolizei. Matt schimmern schwärzliche und feldgraue Stahlhelme. Bajonette funkeln. Der Aufmarsch ist beendet. Jetzt stellen sich in der Mitte des weiten Platzes mit der Front zum Aulagebäude und der davorstehenden Rednertribüne die sieben neuen Fahnen der Schutzpolizei üuf; sie zeigen auf grünem Grund ein schwarzgerändertes weißes Hakenkreuz und den PreußenaLler. Inmitten dieser Polizeifahnen steht die berühmte Münchener Blutfahne von 1S 2 Z. Ringsum auf dem weiten Platz sind die Fenster, die Fächer dicht mit Menschen besetzt. Die Auffahrt der Staatsräte beginnt. Als einer der ersten trifft der greise Generalfeldmarschall von Mackensen in großer Uniform ein. Herzlich begrüßt er unter den vor dem Portal des Aulagebäudes schon versammelten Staatsräten die ihm bekannten Herren, unter ihnen auch den vor wenigen Tagen zum Gruppenführer der SA. ernannten Prinzen August Wilhelm. Zu der Gruppe tritt Admiral vonTrotha, ebenfalls in Uniform. Man sieht ferner General Litz - mann, Bischof Berning von Osnabrück im rot- seidenen Mantel und den preußischen Landesbischof M üller. Jetzt erschallen von den Linden her Heilrufe und Musik. Der Zug des Ministerpräsidenten naht, von der Bevölkerung stürmisch begrüßt: voran eine Abteilung berittener Schutzpolizei, dann im ersten Wagen Minister präsident Göring in brauner Uniform mit dem Stabs chef der SA., Staatsrat R ö h m, im zweiten Wagen Staatssekretär Körner mit dem Neichsführer der SS., Himmler; hinter diesen beiden Wagen eine Abteilung berittener SA.; dann folgen in weiteren fünf Wagen sämtliche preußischen Staatsminister und Staatssekretäre. Während sich die Minister und Staatssekretäre zu den tror dem Portal des Aulaaebäudes wartenden Stagts- raten begeben, verläßt Ministerpräsident Göring seinen Wagen. Rauschend und schmetternd setzt, von allen Musik kapellen zugleich gespielt, der altpreußische Präsentiermarsch ein. Unter seinen Klängen schreitet Ministerpräsident Göring in Begleitung des Stabschefs Röhm, des Reichs führers der SS., Himmler, des Staatssekretärs Körner, des neuernannten Polizeigenerals Daluege und anderer hoher Polizei- und Reichswehroffiziere die Front der im weiten Viereck aufgestellten Polizeiformationen ab. Nun begibt sich der Ministerpräsident mit seinem Gefolge zu den in der Mitte des Platzes aufgestellten Polizei- fahnen, sie senken sich vor ihm und er nagelt sie mit den Worten: „Der Mann kann fallen, die Fahne nie!" Görings Weiherede an die PMeifahne. Dann hält Ministerpräsident Göring vom Redner pult aus eine Ansprache an die Schutzpolizeiabteilungen. Er weist einleitend auf die hohe Bedeutung der Eröffnung des Staatsrates hin und führte u. a. aus: Um die Wichtigkeit dieses Aktes besonders hervor zuheben, habe ich befohlen, daß die neuen Anwärter der preußischen Schutzpolizei hier vereidigt und daß in erster Linie auch die neuen Fahnen, die ich der Schutzpolizei ver liehen habe, heute geweiht werden. Als der Krieg zn Ende war, brach in Deutschland alles zusammen, was uns einst heilig und wert war. Danken wir es dem Schicksal, daß über dem Deutschland der Schmach und der Schande auch das eigene Symbol der Schande wehte und daß es ihm v e r- sagt blieb, die ruhmreichen Fahnen zu beschmutzen. Die Fahnen und Feldzeichen des Ruhmes wurden damals in Der feierliche Eröffnungsakt. Eine Aufnahme vorn feierlichen EröffnungZakt in der Neuen Aula der Berliner linwersiiät; am Rednerpult Ministerpräsident Göring, hinter ihm seine Standarte, links und rechts vom Rednerpult die Standarten der SA. und SS. verstaubte Raume gestellt. D a s war güt so; sie waren nicht zu Hause in dem damaligen Deutschland. Wenn unser einziger Führer in Nürnberg auf dem Parteitag sagen konnte: „Die Schmach ist gelöscht!", dann wiederhole ich in seinem Auftrage heute auch für euch in der preußischen Schutzpolizei „Die Schmach ist gelöscht!", und zum äußeren Zeichen, daß ein neuer Geist entstanden ist, verleihe ich euch jetzt wieder Feldzeichen und Fahnen in euren Farben, im Grün der Schutzpolizei, im Symbol aber der alten ruhmgekröntcn preußischen Standarte. Mitten hinein pflanzen wir zwei Symbole, den sieg, reichen preußischen Adler, der immer zur Ehre empor gestiegen war, den Adler des einzigen Königs, und das Zeichen der siegreichen Fahne der deutschen Revolution der Ehre, das Hakenkreuz. Seid immer eingedenk, daß ihr in einer großen Zeit, an einem großen Tage preußisch- deutscher Geschichte in die Front der Schutzpolizei ein gereiht worden seid! Das muß auch eurem Eide die be sondere Bedeutung beilegen. Ihr seid glücklich, daß ihr auf solchem Platz, und angesichts dieser Zeichen vereidigt werdet! Ich werde die Fahnen jetzt weihen mit dem Zeichen, das einstmals vor zehn Jahren den Kämpfern um die deutsche Ehre voranwehte. Eine Fahne,lein Feldzeichen, das mit dieser Blutsahne geweiht ist, hat dadurch die feierlichste Verpflichtung übernommen. Der Ministerpräsident schloß mit einem: „Vorwärts und Gott befohlen!" Nach der Ansprache schreitet Göring wieder auf die Polizeifahnen zu und vollzieht nun ihre Weihe, indem er sie nacheinander mit der Münchener Blutfahne berührt. Wieder braust der Präsentiermarsch über den Platz, wie der präsentieren die Polizeiformationen, die neugeweihten Fahnen marschieren zu ihren Abteilungen. Unter Führung des Ministerpräsidenten begeben sich nun die Mitglieder des Preußischen Staatsrates in das Aulagebäude hinein; sie geleiten zugleich die Münchener Blutfahne in den Festsaal. Dann klingt aus den Laut sprechern die Stimme Görings über den Platz, klar und fest — oben in der Aula hat der Staatsakt be gonnen. Bald fallen die Glocken von Berlin ein. Nach der Rede erklingen das Deutschland- uyd das Horst-Wessel-Lied, die von den vielen Tausenden auf dem Platz mit erhobenem Arm mitgesungen werden. Dann ertönt aus den Lautsprechern das Niederländische Dank gebet, die feierliche Vereidigung der Staatsräte ist zu Ende. Und wieder schmettern die Kapellen den Präsentier marsch: unter dem Portal des Aulagebäudes erscheint die Standarte des preußischen Ministerpräsidenten, dann Göring selbst, hinter ihm wird ein riesiger Lor beerkranz mit zwei großen Schleifen getragen, dann folgen die Staatsräte. In geschlossenem Zuge geht es zum Denkmal Friedrichs des Großen, an dem eine Ehrenwache aus Offizieren der Schutz polizei steht. Der Lorbeerkranz wird am Denkmal des großen Preußenkönigs niedergelegt. Dann begeben sich Ministerpräsident Göring, Stabschef Röhm und der Reichsführer der SS., Himmler, zu einem erhöhten Platz in der Mitte der breiten Straße, Kommandos erschallen, die Musik setzt ein und die Formationen der Schutzpolizei ziehen im Parademarsch an Ministerpräsident Göring vorüber. Nach dem Vorbeimarsch begab sich der Minister präsident mit seiner Begleitung, immer wieder von den Menschsnmassen begeistert begrüßt, ins Staatsministe rium zurück. * Oie feierliche Eröffnung -es Staatsrates. In der mit Blumen und Grün reich dekorierten Vor- halleder Neuen Aula und auf der zum Festsaal führenden Treppe standen die Fachschaften der einzelnen preußischen Ministerien und Behörden sowie Kommandos der Schutzpolizei im Tschako, und Abordnungen der Hitler jugend, alle mit ihren Fahnen. Der Festsaal bot ein farbenprächtiges Bild. Neben dem bekannten großen Wandgemälde von Professor Kampf „Fichtes Reden an die deutsche Nation", das fast die ganze Längsseite des Saales einnimmt, hatten eine riesige Hakenkreuzsahne und preußische Fahnen Platz gefunden. Unter dem Gemälde standen eine Anzahl Lorbeerbäume, an der Längswand unterhalb des Bildes die 27 Blutfahnen und 12 Standarten der Berlin-Brandenburger SA., fünf Blutsahnen der Hitlerjugend und in der Mitte eine dreiköpfige Abordnung der Schutzpolizei z. b. V., Oberst Wecke, mit dem ihr kürzlich vom Ministerpräsidenten ver liehenen Banner, das den neuen preußischen Adler zeigt. Die drei Emporen waren mit Fahnentuch ausgeschlagen und mit reichem Blumenschmuck versehen^ Vor dem Wand gemälde hatte das Rednerpult seinen Platz. Von der Kuppel hingen lange schwarz-weiß-rote und Hakenkreuz fahnen in den Saal hinab. In feierlichem Auge betrat Ministerpräsident Göring mit den Staatsräten den Saal. Die Ehrengäste erhoben sich von den Plätzen, Fanfaren ertönten. An der Spitze schritt Ministerpräsident Göring in der braunen SA.-Unisorm. Ihm folgten die Staatsminister und Staatssekretäre, dann die dreizehn Staatsräte kraft Amtes, dann die fechsundfünfzig ernannten Staatsräte, geführt von Stabschef Röhm und SS.-Reichsführer Himmler. Als nächste folgten die verdienstvollen Heer führer des Weltkrieges, Gcneralfeldmarschall von Mackensen in Husaren-Uniform, General der In fanterie Litz mann in schwarzem Gehrock und Ad miral von Trotha in der Morineuniform, die übrigen Staatsräte in der alphabetischen Reihenfolge ihres Namens. Die Mehrzahl der Staatsräte trug die Uniform der SA. und SS. Ministerpräsident Göring nahm auf einem gegenüber dem Rednerpult aufgestellten allein stehenden Sessel Platz, mit dem Gesicht den Fahnen und Standarten zugewandt. Hinter dem Ministerpräsidenten standen drei Mann der Stabswache mit der Münche ner B l u t f a h n e. Auf den rotgepolsterten Sesseln in der Mitte des Saales nahmen die Staatsräte Platz. Zur Einleitung der Feier spielte das Staatsopern- orchester unter Leitung des Stsatskapellmeisters Prof.