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Wilsdruffer Tageblatt 3. Blatt Nr. 111 — Sonnabend, den 13. Mai 1933 Die Mutter. (Zum Muttertag) Wenn du der Güte warmen Sonnenschein Im rauhen Kampf des Menschenlebens suchst. Wenn je in Einsamkeit, in Leid und Pein Nach einem Herzen voll Versteh'n du frugst. Wenn du der Liebe Urquell nachgespürt In nächtlich bangen, einsam stillen Stunden, Hast du, von unsichtbarer Hand geführt, Dich stets zum Bild der Mutter heimgefunden. Und wenn du ihren warmen Dank gefühlt, Der dir so oft mit frohem Glanz begegnet, Dann war's, als ob die Stirn dir lind gekühlt Die treu'ste Hand und liebend dich gesegnet. Dann war es still in deiner heißen Brust, Die bang erfüllt von Oual, von Leid und Fehle, Und in verklungner ferner Iugendlust Fiel noch ein warmer Glanz in deine Seele. Aus Last und Not bist du dann heimgekehrt Im Geist zu der, die Leben dir verliehen, Um still und froh an ihrem warmen Herd, Fern von der Menschen lautem Tun zu knien. Und wenn du heimlich ihren Hellen Blick, Den Blick gefühlt voll froher Liebesbrände, Da wußtest du: der Erde schönstes Glück Verströmen nur die weichen Mutterhände. Was unterm sternenweiten Himmelsdom Die Welt erfüllt mit Gottes Liebesweben, Das fließt und strahlt als ewig neuer Strom Durch jeder Mutter opferfrohes Leben. Als die Beschenkten stehn wir allezeit Vor ihr, und wie auch unsre Herzen schlagen — Es reichte nimmer unsre Lebenszeit, Den Dank, der ihr gebührte, abzutragen! Felix Leo Göckeritz. Gleichschaltung. Ev. Joh. 17, 21: Arrf daß sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, daß auch sie in uns eins seien. Die Forderung nach Gleichschaltung ^füllt heute unser ganzes öffentliches Leben: Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, Gleichschaltung im Wirtschafts leben, Gleichschaltung von Staat und Kirche. In alledem geht es um das Ziel der Einheitlichkeit, Klarheit, Kräfte sammlung zum besten unseres Volkes. Klar ist erkannt, daß diese Gleichschaltung um so sicherer gelingt und um so segensreicher wirkt, je williger, selbstloser und freudiger dieHerzen dabei sind. Und N.ar ist, daß diese freudige Einordnung nur erreicht werden kann, wenn sich die Herzen immer mehr freimachen von den kleinen, selbst süchtigen Gedanken des persönlichen Vorteils und der Überhebung, wenn sich Herz und Gewissen dar über hinaus erheben zu dem einen großen, klaren Gottes- Willen und Gottesgebot, d. h. wenn wir, die einzelnen, diese innere Gleichschaltung in unserem persönlichen Leben vornehmen: die Gleichschaltung mit Gott «n Glauben und Gehorsam gegen ihn, die Gleichschaltung unter einanderim Dienst und in der Liebe. Beides ist letzthin dasselbe: wer sich Gott unterordnet und sich seinem Willen einordnet, kann ja nicht anders, als sich redlich und hingebend in den Dienst der großen Gottes aufgabe zu stellen, nämlich Gottes Reich der Liebe und des Friedens bauen zu helfen da, wo Gott ihn durch Geburt, Gabe und Beruf hingestellt hat. Es ist etwas Schönes um eindringliche Worte. Das Wort „Gleichschaltung" ist von tiefer Eindringlich keit, von um so tieferer Eindringlichkeit, je ernster wir es als eine ganz persönliche Mahnung für unser Innerstes erfassen. ?..6. N. Der Festtag der Mutier. „Denk' an das Äug', das, überwacht, Noch eine Freude dir bereitet, Denk' an die Hand, die manche Nacht, Dein Schmerzenslager dir gebreitet, Des Herzens denk', das einzig wund Und einzig selig deinetwegen, Und dann knie nieder auf den Grund Und fleh' um deiner Mutter Segen." So singt Annette von Droste-Hülshoff, die große deutsche Dichterin, das Hohelied der Mutter. Und es gibt wohl auch kaum etwas Größeres und Erhabeneres als das Wörtlein „Mutter", und es gibt keinen Tag im Jahre, an dem die Mutter nicht ganz besonders geehrt und gefeiert werden müßte. Ehe und Familie sind die Grundlagen des Staates und aller Kultur, die Seele der Familie aber ist die Mutter. Ist nicht der Geburtstag der Mutter der Festtag der ganzen Familie? Gehören die Stunden, die der Mutter geweiht sind, nicht zu den Feier stunden des ganzen Hauses? Der Mutter ein Liebes zu tun und sich für ihre Aufopferung dankbar zu erweisen, ist eigentlich selbstverständlich, und es bereichert den Menschen, wenn er über das arbeitsschwere und oft so kummervolle Leben der Mutter nachdenkt und in solchen Stunden gute Vorsätze für die Zukunft faßt. Das mag es gewesen sein, was den Gedanken keimen und reifen ließ, auch einen öffentlichen Festtag der Mutter, den Muttertag, zu schaffen und frei vor aller Welt zu zeigen, was die Mutter uns bedeutet. Den zweiten Sonntag des Maisn- mondes hat man zum Ehrentag der Mutter erkoren, und nicht nur bei uns wird der Muttertag gefeiert, sondern auch in anderen Ländern, wenn auch nicht überall zu gleicher Zeit. Es ist betrüblich, daß selbst in so heiliger Sache die Völker nicht ganz einig sind. Wenn wir der Mutter den Ehrenplatz, den sie verdient, überall wieder einräumten, wenn wir sie so schätzten und priesen und ehrten, wie sie es verdient, dann stünde es trotz mancher Nöte, durch die. wir hindurch müssen, zu allen Zeiten gut und besser um unser Familienleben. Die Neuerweckung der Hingebung und Opferfreudig- keit für die treueste Hüterin und Pflegerin des Hauses, die allezeit und für alle zum Opfer, zur Selbstaufopferung bereit ist, das soll die besondere Aufgabe des Muttertages sein. Dieser Feiertag der Mutter würde jedoch seiner hohen Bedeutung und Bestimmung Zum Muttertag. MM gerecht werden, Wenn er nicht amy Hilfe Md' LesM linderung für alle armen und kranken, für alle mit Kindern gesegneten, aber in Not befindliche» Mütter brächte. Alle Volksgenossen sollten sich am Muttertage der vielen Mütter erinnern, die in Kummer und Sorgen ihr Leben dahinleben, und ihnen mit trösten dem Wort und mit liebevoller Tat nahen. Wer eine Mutter im Elend, wer eine Mutter im Armenhaus, im Siechen- Haus, im Altersheim wntz, sollte an dem Tage der Mutter ihrer gedenken, ohne erst lange zu forschen und zu fragen, ob nicht andere dazu verpflichtet sind. Nimm einer Mutter, gleichviel ob sie jung oder alt ist, am Tage der Mutter alle schwere Arbeit, alle Lasten ab, geleite sie, schütze sie, stütze sie, auf daß sie einen wirklichen Feiertag habe! Nimm dir aber zu gleicher Zeit sest vor, nicht bloß am Muttertag, sondern immer und alle Tage deine Mutter und alle Mütter zu ehren und zu unterstützen, und sorge, soweit das in deiner Macht liegt, dafür, daß auch andere so handeln. Und hast du keine Mutter mehr, so pilgere am Tage der Mutter, wenn es dir möglich ist, zum Grabe deiner verstorbenen Mutter und ver weile dort ein Weilchen in stillem, treuem Gedenken. Arm und reich soll am Muttertage von einem gemeinsamen Gedanken erfüllt sein, über Stände und Parteien hinweg: von dem Gedanken, die Mutter zu ehren, der Mutter zu dienen. Der ethische Gedanke des reinen, lauteren Mutter- tums sollte zur Milderung und Versöhnung aller Gegen sätze beitragen und ein Kulturband schlingen um alle deutschen Brüder und Schwestern! Eine Stunde bei den Funkern. Eine der modernsten und schönsten Kasernen von Dresden ist die in der Vorstadt Uebigau gelegene, am Anfang des Krie ges für das damalige Telegraphen-Dataillon gebaut. Die ein zelnen Gebäude bilden ein architektonisch geschlossenes Ganze, das einwandfrei zur Umgebung paßt. Zwischen den Exerzier- und Reitplätzen, den Stallungen, Wagenschuppen und Wohn häusern schimmern grüne Rasenflächen, in die des Gärtners Kunst leuchtende Blumenkissen gestickt hat. Drei riesige, nach oben sich verjüngende Eisenkonstruktionen recken sich hoch in die Lüfte — Funktürme! — Der 4. (Sachs.) Nachrichtenabteilung, die in diesem ästhe tisch schönen Kasernenkomplex untergebracht ist, galt der Be such der Presse am Montag vormittag. Oberstleutnant Meh- nett, der Kommandeur der Truppe, machte mit einigen seiner Offiziere den Führer durch sein Reich. Gewiß: man weilt bet Soldaten — aber was man bei dieser Spezialtruppe sieht und hört, das ist das hohe Lied der Technik und der wissenschaft lichen Forschung. Es ist doch schon so; in den wenig mehr als zehn Jahren ihrer Evolution ist die Funktechnik zu einer Wissen schaft geworden. Und daraus ergibt sich zugleich, daß an deir Funker heute höchste und allerhöchste Ansprüche gestellt werden, daß die Auslese der Angehörigen der Nachrichten-Abteilungen äußerst sorgsam vorgenommen wird und die Anforderungen ganz besonders hoch sind. Daß der alte Kavallerist heute, in einer Zeit, in der sich das Gesicht der Welt so entscheidend wandelt, schmerzliches Heimweh nach dem Alten und Einfachen — der Befehlsüber mittlung durch den Meldereiter — empfindet, ist eine selbstver ständliche Erscheinung; aber die Tatsache, daß durch die Tech nik den Menschen erleichterte Arbeit geschenkt wird, muß dieses Heimweh bei weitem aufheben. Hauptmann Göhring erläuterte die Aufgaben der Fern sprech-Kompanie, den Divisionsstab während des Gefechts mit der Truppe zu verbinden. Diesem Zweck dienen die motorisier ten Fernsprech-Bautrupps, durch die die Leitungen zu Fuß oder während der Fahrt vom Fahrzeug aus gelegt werden. Ein weiteres wichtiges Mittel im modernen Kampf ist der Funk; hier stellt der Dienst die größten Anforderungen an den Soldaten, der ein guter Techniker, zuverlässig erzogen und ein rascher und sicherer Arbeiter sein muß, wenn die Schnelligkeit und Richtigkeit der (verschlüsselten) Funksprüche gewährleistet sein soll. Auf die technischen Einzelheiten kann natürlich hier nicht eingegangen werden. Aber eins sei gesagt: auch hier klirren die Fesseln des Versailler Vertrages. Auch hier spürt man dis „Großzügigkeit" der Leute, die die Abrüstung des deutschen 30. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Sehr verbunden.- Bertsch lächelte leicht vor sich hin, immer noch, als nähme er diese ganze Sache nicht ernst. Dann aber richtete sich sein Blick auf den Wirt, und plötzlich ward dieser Blick kalt und scharf. „Und nun die Hauptsache: Was soll herausspringen für Sie bei diesem Geschäft? Denn mir zuliebe tun Sie's doch wohl nicht?" „Natürlich nicht — aber im Interesse unserer Ge werkschaft. Ich sehe mehr Vorteil bei einem Zusammen gehen mit Ihnen, als wenn wir jahrelang einen Pro zeß am Halse haben." t „Ohne Zweifel. Aber trotzdem — ich kenne Sie doch, lieber Reusch. Sie waren ja immer ein tüchtiger Rech ner. Also nur heraus damit: Was soll für Sie abe fallen?" „Ich beanspruche keine besondere Vergütung, aber wir können vielleicht ein Geschäft miteinander machM, bei dem wir beide unseren Nutzen hätten." „Aha!" : „Nun ja. Sie wollen sich baulich ansdehnen, auch über Tag, und nach der Zusammenlegung beider Gru ben würde das erst recht nötig werden. Da könnten Sie meine Wiesen und Aecker gebrauchen, droben am Wald. Der Raum wird Ihnen jetzt schon knapp an der Halde. Also — ich wäre bereit, Ihnen das ganze Areal da oben freihändig zu verkaufen." „Und der Preis?" - „Hunderttausend." „Sie scherzen, für dre paar Morgen!" „Es sind fast fünf Hektar. Und Sie vergessen, die Bodenpreise werden in die Höhe schnellen, sobald Sie erst da oben zu bauen anfangen. In ein paar Jahren müssen Sie weit mehr geben. Und Sie brauchen das Gelände. Sie ünden einfach nichts anderes da oben" Ms lassMSie'MineSoM feist;'RM Aber ich will die Sache nicht so ohne weiteres von der Hand weisen. Es ließe sich vielleicht darüber reden. Doch, nun einmal ernst gesprochen — was Sie mir da eben sagten, ist es Tatsache? Sie können eine solche Mehrheit bestimmt zusammenbringen?" „Ich sagt's Ihnen ja." „Und Herr von Grund?" „Wir stimmen ihn nieder, Westn's darauf ankommt." „So — na, da könnten wir ja der Sache einmal nähertreten." Bertsch erhob sich und ging zum Schreibtisch. Nun brach es für einen Moment doch aus seinen Augen: Am Ziel! Aber wie er mit dem Schreibzeug und einem Bogen Papier zurückkam, war er wieder ganz kühle Ruhe. „Wir wollen einmal alles schriftlich fixieren und dann weiter sehen." Bis zu später Stunde saßen die beiden noch zu sammen. Als dann Reusch das Zimmer verließ, sah Gerhard Bertsch noch einmal auf das Schriftstück in seiner Hand nieder, das Reuschs Unterschrift trug. Und tief atmete er auf. Das war der Sieg! „ Solch eine Gewerkenversammlung hatte der Erb stollen in den ganzen Jahren seines Bestehens nicht erlebt wie dis, von der man heute im Rauhen Grund sprach, bis hinauf in den letzten Hof droben am Berg kamm. Wilde Dinge wurden da erzählt. Der Herr vom Adligen Hause, als er merkte, wo die Sache hinauswollte, mußte ja getobt hab^n wie ein grimmer Eber, den die Meute gestellt hat. Einen Hundsfott von Verräter hatte er den Hannes Reusch geschimpft und hätte wohl gar Hand an ihn gelegt in seinem Rasen, wenn nicht die andern dazwischengesprun gen wären. Und als sie ihn dann beschwichtigen woll ten — es wär' ja nun doch mal das beste, sich zu eini gen mit dem Gegner —, da hatte er aufgeschäumt von neuem. Erne abgekartete Geschichte, ein elender Scha cher wäre das Ganze! Aber sie sollten sich nicht ein- bilden, daß er mittäte. An die dreihundert Jabre seien die vom Grund beteiligtem ErLstollen, sie hät ten einfach zusammengehört — doch nun sei es am Ende. Vor die Füße würfe er ihnen den ganzen: Vettel. Es möge i»n nehmen, wer Lust hält'. Damit war er aufgesprungen. Wie sie da noch alle verlegen stillgeschwiegen — es war doch ein seltsam Ding, daß der von Grund und der Erbstollen nichts mehr zu schaffen haben sollten miteinander — hatte sich Hannes Reusch erhoben und den vom Adligen Hause noch auf der Schwelle ge fragt, ob das sein Ernst sei. Blitz und Donnerfchlag! Ob er ein Hansnarr sei, der leeren Wind rede, hatte der andere dagegengewettert und die Tür zugekracht. Da hatte sich der Hannes Reusch ganz ruhig an dem anwesenden oNtar gewandt, er möcht auch das zu Protokoll nehmen, daß der Gewerke von Grund eben seine Grubenanteile zum Kauf angeboten habe. Und als es geschehen, war er wieder aufgestanden und hatte erklärt, er selber übernähme diese Anteile! Was hatten sie da für Augen gemacht! Der Hirsch wirt die vierzig Kuxe ,vom Adligen Hause? Er hatte ja ein schön Stück im Sack, doch daß es dazu langte, hatte keiner geahnt. Aber das Wunder hatte sich bald hinterher aufge klärt. Auch hier hatte der Amerikaner seine Hand im Spiel. An alles hatte er gedacht, auch daß es so kommen könnte! Und war noch am Tage vor der Ver sammlung in der Stadt gewesen. Dort war es ausge macht worden zwischen ihm und der Landesbank. Ein«! Vollmacht hatten sie ihm ausgestellt für den Fall, und als der Herr von Grund in blind aufschäumender Wut seinen Kram hingeworfen, da hatte der Hannes Reusch eben straks zugegriffeu — im Auftrage des Ameri kaners. > Darauf war denn die Sache ohne sonderliche Schwie rigkeit weiter vonstatten gegangen, und die Leidest größten Gruben, die ein jeder kannte im Rauhen Grund, solange man denken konnte, waren fortab nur noch eine unter dem Namen: „Bereinigte Chri stiansglück". Vom Erbstollen würde nun keines mehr reden. Das war einmal gewesen. -