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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 107 — Dienstag, den 9. Mai 1933 Frühling. Nun prangen alle Fluren wieder im frischen, satten Lenzesgrün. Die Vögel singen Frühlingslieder und alle Bäume, sie blühen, sie blüh'n. Der kleinste Strauch, die bescheidenste Hecke zieht an ihr duftzartes Blütenkleid. Durch die ganze Welt geht ein Klingen und Singen s' ist Maienzeit — s' ist Maienzeit! Da drängt's auch mich mit Macht hinaus, zu schauen den blühenden Segen. Frühling, ich breite die Arme aus und ich eile dir jubelnd entgegen! Will an deiner lenzwarmen Brust Sorgen und Leiden vergessen. Will nur schauen Frühlingslust und Freuden unermessen. Mit den Vöglein um die Wett' will singen ich freudetrunken. Frühling, schau' ich deine Pracht ist alles Leid versunken! Charlotte Springsklee. Hitler auf dem Kongreß -er deutschen Arbeitsfront. Er wird ihr Programm mitteilen. Der am Mittwoch im Sitzungssaal des Preußischen Landtages zu Berlin stattfindende Kongreßderdeut- schen Arbeitsfront erhält seine besondere Bedeu tung dadurch, daß auf ihm sämtliche Verbände der deutschen Arbeiter- und Angestelltenschaft zum erstenmal vollzählig vertreten sein werden, und auch dadurch, daß Reichskanzler A d o l f H i t l e r die Schirmherrschaft über diesen Kongreß übernommen hat und das Programm der deutschen Arbeitsfront verkünden wird. Es werden rund SOOVertreter aus dem ganzen Reichskanzler Hitler vor der norddeutschen SA. In Kiel fand ein großer Appell der norddeutschen SA. vor dem Reichskanzler und Obersten SA.-Führer Adolf Hitler statt, von dem unser Bild berichtet: der Führer begibt sich mit seinem Stabe zur Rednertribüne — hinter ihm Stabschef Röhm. Reich zu diesem Kongreß erscheinen. SelbstM' nehmen an diesem Kongreß nicht die bisherigen Vertreter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Afabundes, sondern die dort eingesetzten nationalsozia listischen Führer teil. Oie Vorbereitungen für den Kongreß. Zu dem Kongreß der deutschen Arbeitsfront sind Einladungen an die Führer sämtlicher Gewerk schaften und Verbände der Arbeiter und Angestellten Deutschlands ergangen, sowie ferner an das Diplomatische Korps, an die Mitglieder der Reichsreaierung und der deutschen Länderregierungen, die Reichsstatthaller, Ver treter der Wehrmacht, an namhafte Jndustrieführer usw. Die Vorbereitungen für den bedeutungsvollen Kongreß sind damit im wesentlichen abgeschlossen. Der Sitzungs saal wird . feierlichen Flaggen- und Blumenschmuck erhalten. Die Sitzung wird von dem Reichstagsabgeord neten Schmeer-Köln eröffnet werden. Daran wird sich eine kurze Ansprache des Leiters des Aktionskomitees zum Schutze der deutschen Arbeit, Staatsratspräsidenten Dr. Ley, schließen, worauf Reichskanzler Hitler eins programmatische Rede über Aufbau und Programm der deutschen Arbeitsfront halten wird. Die Veranstaltung / wird auf alle deutschen Rundfunksender übertragen werden. Erlaß Görings gegen unberechtigte Eingriffe. In einer Mitteilung des Amtlichen Preußischen Presse- dienstes läßt der preußische Ministerpräsident Göring mit- teilen, daß in letzter Zeit mehrfach vom Kampfbund, be- sonders vom Kampfbund des gewerblichenMittel» ständes, in nicht rechtmäßiger Weise in Betriebe ein- gegriffen worden ist. In Zukunft werden derartige Ein griffe nicht geduldet und Zuwiderhandlungen bestraft. Nachdem die Nationalsozialisten überall die Regierung übernommen haben, brauchen die Kampfbünde nicht mehr in der Richtung tätig zu sein wie vor dem 30. Januar 1933. Sie haben jetzt lediglich die Aufgabe, innerhalb der Verbände und Vereinigungen dafür zu sorgen, daß die bislang in den Vordergrund gestellte Interessenver tretung zurückgedrängt und durch eine all gemeine Staatsauffassung ersetzt wird. Nicht das Interesse eines einzelnen Gewerbes oder Berufes, sondern das allgemeine Interesse des Volkes und Vaterlandes stebt im Vordergrund. Ehrei Schlageters Andenken! Große Kundgebung in der Golzheimer Heide. Der Gauleiter der NSDAP. Düsseldorf, Florian, erläßt einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „Jede Nation und jede Idee ist so viel wert, als Männer für sie zu sterben bereit sind! Wie groß und wie herrlich ist darum die Idee „Deutschland", für die Mil lionen in heldenhafter Pflichttreue und Opserbereitschast ihr Leben Hingaben. Zu den Besten unter diesen Millionen gehört Albert Leo Schlageter. Vor zehn Jahren floß sein Blut auf der Golzheimer Heide bei Düsseldorf in den Sand. Seine Gebeine ruhen in geheiligter Heimaterde, doch sein Geist lebt und wird leben, solange eine deutsche Stimme klingt und solange deutsche Herzen dem Vaterlande entgegenschlagen. Schlageter lebt! Das wird der große Ge danke der Gedächtnisfeier sein, die die Nationalsozialisten zusammen mit nationalen Verbänden und Vereinen am 27. und 28. Mai an der Richtstätte in der Golzheimer Heide begehen. Deutsche Männer! Nationale Verbände und Vereine! Der Gau Düsseldorf der NSDAP, ruft zu dieser Schla- geter-Gedächtnisfeier 1933, die eine der größten natio nalen Kundgebung des deutschen Westens sein wird." Wegen des Niesenausmaßes der Veranstaltung sind sofortige Meldungen über Beteiligungs- stärke zu richten an: Landeshaus Düsseldorf, Aufmarsch leitung. Spenden für die Gedenkfeier erbeten auf Post scheckkonto L. Kraft Scklaaeter-Feier 1933, Köln 621. auch SsL der NSBO. Für die Nationalsozialistische Betrieb s- zellenorga n-is ation , die bereits einen Mitglieder bestand von über eine Million aufweist, ist nunmehr eine Mitgliedersperre verfügt worden. Es sind die entsprechenden Anweisungen ergangen. Neue Anmeldun gen sind an die Gewerkschaften zu richten, für deren Umformung/Ivie erforderlichen Vorbereitungen betrieben werden. Die Seeleule stellen sich der ALSO, zur Verfügung. Vorstand und Landesvertretung der Arbeitsgemein schaft seemännischer Berufsverbände traten zu einer Tagung in Hamburg zusammen, auf der der Vorsitzende, Kapitän Freyer, erklärte, daß er auf Ersuchen Dr. Leys die bedingungslose Unterstellung der Arbeits gemeinschaft unter die Führung der NSDAP, und ihre Bereitwilligkeit zur vorbehaltlosen Befolgung aller An ordnungen des Aktionskomitees erklärt habe. Darauf ' stellten die bevollmächtigten Vorsitzenden der ange schlossenen Verbände die Ämter ihrer Gesamtvorstände zur Verfügung, um die Gleichschaltung zu erleichtern. Zum Schluß stellte Kapitän Freyer fest, daß die Arbeitsgemein schaft seemännischer Berufsverbände jetzt als einheitliches Organ des gesamten deutschen Seemansstandes bereit- stehe, sich der NSBO. zur Verfügung zu stellen. Unbefugtes Tragen dcS NSBO. Abzeichens wirb verfolgt. Berlin. Die NSBO. Gau Groß-Berlin mach« daraus aus- merksam. daß das NSBO-Abzeichen nur von narionalsozia- listischen BetriebszellenmilgUedern getragen werden darf Fu de- letzten Zeit mehren sich die Fülle, daß Unberechtigte dieses Abzeichen tragen Die NSBO.-Amtswalter sind angewiesen worden, dagegen eventuell unter Heranziehung der Polizei einzuschreiten. Ebenso werden alle Händler aufgesordert, NSBO.-Abzeichen nur an NSBO.-Milglieder mit Ausweisen zu verkaufen. Ein Schandpfahl in Dresden. Die Ankündigung der Deutschen Studentenschaft, an jeder deutschen Hochschule einen Schandpfahl zu errichten, ist an der Technischen Hochschule in Dresden bereits verwirklicht Worden: hier werden Studenten oder Professoren öffentlich gebrandmarkt, die sich gegen den Geist der nationalen Erhebung veraanaen baden. 17. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Stundenlang hatte Gerhard Bertsch beim Schein der Lampe droben über seinen Grubenbildern gesessen. Er hatte sich zu ungestörter Arbeit alles Nötige vom Aechenbüro hier in seine Privatwohnung im „Hirschen" Dringen lasse«. Doch nun sprang er auf. Ein letzter Blick flog zu den Zeichnungen. Aufflammende Kampf- lust — Siegesahnung! Jetzt wußte er's, wo er den Gegner treffen mußte. Und der Angriff sollte nicht auf fich warten lassen. Noch heute nacht sollte er erfolgen. Die Gelegenheit war günstig wie nie: Fast alle die Leute vom Erbstollen, Hannschmidt mit dabei, waren ja drunten znm Fest und kamen erst am Morgen wieder zur Frühschicht. Bis dahin konnte alles schon Leschehen sein- So stand Bertsch noch einen Augenblick. Ganz hoch gespannter Wille. Dann aber folgte langsam die Ent spannung. Er spürte nach dem stundenlangen Berech nen und Kombinieren nun doch ein Verlangen nach Ablenkung. Zudem — sein Auge suchte die Uhr — es galt auch noch über eine Stunde hinwegzukommen, ehe er sein Vorhaben ausführen konnte. Der Schicht wechsel auf dem Erbstollen mußte sich erst vollzogen haben, die Grube drüben leer von Leuten sein, bis auf die paar Reparaturhauer der Nachtschicht. Es war denn wohl das beste, er ging noch nach unten ins Gast zimmer. Bei einer Flasche Wein würde er über diese Zeit des notgedrungenen Wartens am ehesten hinweg kommen. Aber wie Bertsch durch das schon stille Haus nach wüten kam, ins Honorationenzimmer, war zu seiner Ueberraschung hier alles dunkel. Doch sah er noch einen Lichtschein im Nebenraum. So klopfte er denn dort an. Es war das Lamilienzirmner der Reuschs. Die Tür ging auf, das Licht fiel zu ihm heraus, und auf der Schwelle stand Marga. Ein wenig erstaunt sich sie Bertsch. „Sie? Ich glaubte, Sie waren schon oben. Ich habe daher eben hier überall das Licht ausgemacht."' „Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Es ist im übrigen ja auch so spät noch nicht — ich dachte noch eins Flasche Wein bekommen LU können. Doch, wie ich sehe, ist wohl niemand mehr da —" ^'Allerdings — Ler Vater und Hermann sind beide nach der Staats und die Mamsell ist schon Zu Bett." „Das wußte ich freilich nicht. Unter diesen Um standen —" „Deswegen können Sie Ihre Flasche Wein aber doch haben „Oh — ich möchte Sie in der Tat nicht bemühen, Fräulein Reusch." „Und was wünschen Sie zu haben?" Er überlegte einen Augenblick. „Am liebsten — haben Sie Sekt im Hause?" Ein Mcken. „Wenn ich Sie also um eine Flasche bitten darf? Mir wäre heute gerade einmal danach zumute." Schweigend ging sie und trug den Wein herzu. Reichte ihm auch noch den Sektbecher hin, sagte dann aber mit leisem Nachdruck: „Das Weitere muß ich freilich nun Ihnen überlassen." „Selbstverständlich." Er war schon dabei, den Kor! zu lösen. „Sie müssen mir nun noch gestatten, Ihnen meinen Dank abzutragen für diese besondere Liebens würdigkeit. Darf ich Sie bitten, das erste Glas mit mir zu leeren — auf Ihr Wohl?" Und er reichte ihr bereits den schäumenden Kelch dar. Ein kurzes Sichbesinnen, dann nahm sie das Glas entgegen, mit einem leichten Neigen des Hauptes, und streß an mit ihm. Sie nippte auch von dem Wein, aber eßen nur so viel, daß der prickelnde Schaum ihr die Lippen netzte. Dann setzte sie den Kelch auf den Tisch und wollte sich wieder zurückziehen. Aber da bat er: „Würden Sie mir nicht noch ein paar Minuten wenigstens Gesellschaft leisten?1 Sie trat unwillkürlich etwas zurück; doch er fügte hinzu: „Ich habe heute einmal ein Bedürfnis, noch ein Wort mit jemandem zu sprechen." „Wirklich — haben Sie das bisweilen doch?" „Warum zweifeln Sie daran?" „Es war Ihnen bisher nichts davon anzumerken, und Sie leben doch nun schon Wochen hier im Haus." „Wochen voll harter Arbeit, Fräulein Reusch, da muß alles andere zurücktreten." „Das scheint in der Tat so." Er hatte inzwischen ihr Glas neu aufgcsüllt, nun rückte er ihr mit einer einladenden Bewegung einen Stuhl heran. „Bitte — lassen Sie mich heute wenigstens gut machen, was ich in diesen Wochen fehlte." Seine Augen suchten sie dabei. Es war das erstemal, daß er sie so ansah. Wirklich, er konnte also auch lie benswürdig sein. Da ließ sie sich schweigend nieder. Nur ein wenig rückte sie mit dem Stühle doch von. ih m ab. Er lächelte leise dazu und hob dann Las Glas zu ihr hin. „Das ist nett, daß Sie mir Aber diese Stunde hinweg helfen." „Hat sie denn eine so besondere Bedeutung für Sie?" „Ich hoffe es." Und er trank mit einem starken Zuge den Kelch teer. In Marga Reuschs Augen stand ein verwundertes! Fragen, aber er schüttelte den Kopf. „Ich will einmal an etwas anderes denken. Herv» gott, man ist doch auch nicht bloß ein Arbeitstier!" Und er griff mit einer lebhaften Bewegung nach! der Sektflasche. Sie sah ihm zu, wie er den perlenden Schaum langi sam in das schräg geneigte Glas rinnen ließ. Dabek sprach er weiter zu rhr. „Volle zehn Jahre hab' ich ja nichts weiter gekannt^ als Arbeit — nichts als Arbeit. Da kriegt man auch davon einmal genug." Ihr Blick ruhte auf seinen Händen; einem Paar starken, großen Händen. Er gewahrte es und streckte sie ihr lächelnd über den Tisch hin. », (Fortsetzung folgl^