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Nationales verulsbeamtentum Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 85 — Montag, den 10. April 1933 Sinnspruch. Das Leben zeigt uns ost, daß man sich selbst mit falschem Maße mißt, daß man sich dort als „Größe" fühlt, wo man's am allerwenigsten ist. Schreiber. Norman Davis beim Reichskanzler. Der amerikanische Sonderdelegierte für Europa, Norman Davis, hat mit dem Reichskanzler Adolf Hitler eine längere Unterredung in Gegenwart des Neichsautzenministers, Freiherrn vonNeurath, gehabt. Die Unterhaltung zwischen Norman Davis, dem Reichs kanzler und dem Reichsautzenminister hatte den Zweck der Unterrichtung der deutschen Regierung über die außen politischen Absichten des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Im Mittelpunkt der Unterhaltung standen die Abrüstungsfrage und der Plan der Weltwirl - fchaftskonferenz. Angesichts der Teilnahme Deutschlands an der V o r » konferenzin Washington ist eine Erklärung des amerikanischen Außenministers Hull bemerkenswert. Er betonte, daß die Regierung der Vereinigten Staaten be absichtige, die 13 Jahre lang betriebene Politik der wirt schaftlichen Isolierung aufzugeben. Dadurch hoffe man, gleichzeitig die anderen Länder zur Herab- setzung der Zollschranken zu ermutigen. Hull verspricht sich von dieser Maßnahme eine Erhöhung des Welthandelsumsatzes um 50 bis 60 Milliarden Dollar. Norma« Davis nach seinem Besuch beim RetchsprSstdenlen. Unser Bild zeigt den Bevollmächtigten der amerikanischen Regierung zur Abrüstungskonferenz, Botschafter Norman Davis itiukslderin Berlin weilte, um mit dem Reichs außenminister Freiherrn von Neurath (rechts) über die Abrustungsfrage und über die Vorbereitungen zur Weltwirtschastskonferem zu sprechen. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Vemfsbeamientums. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamten tums, das vom Kabinett beschlossen worden ist, ist in Kraft getreten. Als Zweck des Gesetzes wird die Wiederherstellung des nationalen Berufsbeamtentums bezeich net. Unter das Gesetz fallen alle unmittelbare Beamte des Reiches, der Länder,der Gemeinden usw., ferner die Dienstträger der S o z i a l v er s i ch e r un g e n. Nicht ausgenommen sind die Richter und die Lehrer an den Hochschulen. Beamte im einstweiligen Ruhestand werden als Beamte im Sinne des Gesetzes angesehen. Die Reichs bank und die Deutsche Reichsbahngesellschaft sind durch Gesetz ermächtigt worden, für ihren Bereich entsprechende Anordnungen zu treffen. Die M 2 bis 6 bezeichnen die Beamten-Grup- pen, die vom Gesetz erfaßt werden, und zählen die einzelnen Maßnahmen auf, die gegen die Beamten in den verschiedenen Gruppen möglich sind. Diese Maßnahmen sind abgestuft. Als sch tv e rste Maßnahme ist die Entlassung aus dem Dienst, als leichteste die Versetzung in den Ruhestand mit allen Ehren und vollen Pensionsbezügen angeordnet. Die schwerste Maßnahme richtet sich gegen die sogenannten Parteibuchbeamten, die seit dem S. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetreten sind, ohne die für ihreLaufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung zu haben oder ohne die für ihr Amt fonstige Eignung zu besitzen. Diese Beamte erhalten drei Monate lang nach ihrer Entlassung ihre bis herigen Bezüge. Ein Anspruch auf Ruhegeld oder Hinter bliebenenversorgung und Weiterführung der Amtsbezeich nung, Titel, Dienstkleidung oder Dienstabzeichen steht ihnen nicht zu. Nur im Falle der Bedürftigkeit kann solchen Beamten, besonders wenn sie für mittellose Angehörige zu sorgen haben, eine widerrufliche Rente bis zu einem Drittel ihres Grundgehalts bewilligt werden. Die Vorschrift erstreckt sich auch auf Ruhestands beamte. Beamte nichtarifcher Abstammung sind in den Ruhestand zu versetzen. Soweit es sich um Ehrenbeamte handelt, sind sie aus dem Amtsverhältnis zu entlassen. Das betrifft vor allem jüdische Beamte. Sie werden aber mit vollenEhren und auch mit vollen Pensionsbezügen entlassen. Bei Pensionsbezügen tritt eine gewisse Einschränkung ein. Ausnahmen von diesen Bestimmungen gelten für die Vorkriegs- beamten nichtarischer Abstammung. Für Beamte, die am 1. August 1914 bereits Beamte waren, soll eine Nachprüfung nicht stattfinden. Eine zweite Aus nahme gilt für diejenigen nichtarischen Beamten, die im Weltkriege an der Front für das Deutsche Rech oder seine Verbündeten gekämpft haben, und für solche, deren Väter und Söhne im Weltkrieg gefallen sind. Politisch unzuverlässige Beamte, d. h. Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betäti gung nicht die Gewähr bieten, daß sie jederzeit rückhalt los für den nationalenStaat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. Werden sie entlassen, so behalten sie drei Monate lang ihre Bezüge. Danach tritt Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung in Kraft. Nach den wetteren Bestimmungen können Beamte in ein anderes gleiches oder auch geringeres Amt versetzt werden. Sie behalten jedoch ihre bisherige Amtsbezeichnung und Diensteinkommen. Beamte, die hiermit nicht einverstanden sind, können innerhalb eines Monats ihre Versetzung in den Ruhestand verlangen. Zur Vereinfachung der Vermattung können Beamte in den Ruhestand versetzt werden, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind. Ihre Stellen dürfen dann nicht mehr besetzt werden. Zuständig für die Durchführung der Maßnahmen ist lediglich die oberste Reichslandesbehörde. Nur sie darf die Ent lassung aus dem Dienste, die Versetzung in ein anderes Amt oder in den Ruhestand aussprechen. Diese Verfügungen müssen bis zum 30. September 1933 den betreffenden Beamten zugestellt werden. Damit kommt der vorübergehende Charakter des Gesetzes besonders zum Ausdruck. Die Fachminister Haven cs in der Hand, in ihrem Bereich die Maßnahmen schon früher durchzuführen. Das wird sich vor allem bei Richter u und leitenden Beamten auswirken, wo eine bal dige Entscheidung erwünscht wird. Sobald ein Fach minister die Beendigung der Maßnahmen mittcilt, ist f lr die hetreffende Verwaltung die Durchführung des Ge setzes erledigt und es treten wieder die normalen Vor schriften in Kraft. Für Beamte nicht arischer Abstammung und für politisch unzuverlässige Beamte ist ausdrück lich hervorgehoben, daß sic kein Ruhegeld erhalten, wen» sie nicht mindestens eine zehnjährige Dienstzeit zurück gelegt haben. Ausnahmen sind zugelassen, wenn ein Beamter infolge eines Unfalls früher dienstunfähig wir». Weiter werden durch das Gesetz die Mißstände be seitigt, die sich daraus ergeben haben, daß vielfach Be amten, die nicht als Berufsbeamte, sondern von der Parteigunst in ihr Amt gebracht worden sind, ihre frühere Tätigkeit als Nichtbeamtcr auf ihre Dienstzeit angerechnet worden ist. Ähnliches gilt bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Die Festsetzungen von ruhegehaltsfähiger Dienstzeit, die diesen Anordnungen entgegenstehen, treten außer Kraft. Die Vorschriften über die Anrechnung der Ruhegehaltszeit finden auch auf Beamte Anwendung, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in den Ruhestand gesetzt worden sind. Weiter werden in dem Gesetz die überhöhten Bezüge und Ruhebezüge der Kommu nalbeamten geregelt. Es gelten die Richtlinien der preußischen Spar verordnung vom Jahre 1931, die bisher vom Staats gerichtshof beanstandet wurden und infolgedessen nicht durchgeführt werden konnten. Eine besondere Stellung nehmen die Reichsminister ein. Frühere Reichsminister, soweit sie seit November 1918 ernannt worden sind, und die Landesmini st er werden auf die Bezüge des Reichsministergesctzes zurück- geschraubt. Bezüge, die hiernach seit dem 1. April 1932 zuviel bezogen worden sind, müssen zurück gezahlt werden. Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung auf die Hinterbliebenenbezüge. Aus Grund des Gesetzes können gegen solche Beamte, die bereits entlassen oder in den Ruhestand versetzt wor- den sind, nachträglich Dienststrafverfahren ein- geleitet werden mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhe geldes, der Hinterbliebenenversorgung usw. Derartige Maßnahmen müssen bis zum 31. Dezember 1933 erfolgen. Auf Angestellte und Arbeiter finden die Vor schriften des Gesetzes sinngemäß Anwendung. Die Ausführungsbestimmungen werden vom Reichs- Minister des Innern im Benehmen mit dem Reichsminister der Finanzen und den obersten Landesbehörden erlassen. Die Ausführungsbcstimmungen werden auch über den Vollzug Anordnungen treffen und insbesondere aus- sprechen, daß dieses Gesetz nicht bestimmt ist für die g r o ß c breite Masse aller Beamten, sondern datz es SieWöerMchael «»«esek-kecniLLMurr ouircu vearLL neisrca v/eno^u <43. Fortsetzung.) »Du lieber Gott! Wie kommt denn der dazu?" „Ganz einfach. Die Brüder weigerten sich, einen Anwalt zu nehmen, daraufhin bestimmten wir den Iustizrat als Ver- leidiger." „Würden die Brüder gegen eine Kaution von, sagen wir mal, zwei Millionen Goldmark auf freiem Fuße belassen werden?" „Nein. Sie auf freiem Fuße belassen ist unmöglich." Daraufhin empfahl sich der Industrielle und fuhr zu Iustiz- rat Leverkom. Der alte Herr, aufgemacht wie ein Modegigerl, empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit. „Ich hätte gern einmal mit Ihnen über die Brüder Michael gesprochen." Der Iustizrat erhob sich ungestüm. »Auch Sie! Sie sind nun schon der siebente heute." »Ich verstehe Sie nicht recht, Herr Iustizrat." „Ganz verrückter Zustand ist das. Rein närrisch gebärden sich zahlreiche Freunde der Michaels, haben mich himmel hoch gebeten, alles zu tun, um die Unschuld der Brüder Michael nachzuweisen. Einer verstieg sich sogar, mir zehn tausend Mark zu bieten, wenn ich die Brüder freibekomme. Halb verrückt vor Besorgnis sind alle um sie, und das tollste ist — die Brüder Michael lehnen jede Orientierung, über haupt jede Verteidigung ab. Sie verweigern jede Auskunft Ich kann mich nur nach den Akten richten." Der Industrielle ließ den Erguß des Iustizrates über sich ergehen, ohne ihn zu unterbrechen. Dann griff er ein und fragte höflich: „Was halten Sie denn davon, Herr Justizrat?" Ohne Besinnen sagte der alte Rechtsanwalt: „Ich halte die Angeklagten für unschuldig, das muß ich freiweg gestehen, obwohl ich ihnen eigentlich recht böse bin." „Das ist ein gutes Wort, Herr Iustizrat, und dafür will ich Ihnen zu Hilfe kommen. Hören Sie folgendes: Meine Nichte liebt Klaus Michael, und Klaus Michael ist ihr herz lich zugetan. Halten Sie es für wahrscheinlich, daß er einen Mord um Geldes willen auf sein Gewissen nimmt, er, der durch die Verbindung mit meiner Nichte mindestens zwan zigfacher Millionär wird? Sie werden vielleicht auch schon gehört haben, daß Hanna Eschler, in Wirklichkeit Hanna Eschler-Koldeweg, eine der reichsten Erbinnen Deutschlands ist, vielleicht die reichste — denn auch mein Vermögen wird auf meine Nichte übergehen, da wir kinderlos find." Der Iustizrat staunte und wußte eine Weile gar nichts zu sagen. Dann sprang er auf und strich sich erregt die Glatze. „Herr Eschler-Hochheim, das ist eine Mitteilung, die nicht mit Gold zu bezahlen ist! Mit diesen Argumenten schlagen wir auch den Staatsanwalt Wälfung, der Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchte, damit die Brüder Michael ver urteilt werden." „Wie ist das möglich?" „Tscha! Er haßt sie jedenfalls wie der Tod und hat es einzurichten vermocht, daß er die Sache übertragen erhielt. Er ist unser schärfster Staatsanwalt." „Kann man ihn denn nicht als befangen ablehnen?" „Das dürfte unmöglich sein." Die Herren unterhielten sich noch zwei Stunden lang. Als Herr Eschler-Hochheim am Abend seiner Nichte gegen übersaß, sagte er zu ihr in warmem, herzlichem Tons: „Hanna, ich mache morgen im Untersuchungsgefängnis einen Besuch. Willst du mitkommen?" Hanna starrte ihn hilflos an- „Zu — Klaus?" fragte sie ganz leise. Er nickte nur. Da faßte sie seine Hand und drückte sie. „Hab' vielen Dank. Du bist gut, Onkel." „Ich kann doch unser Töchterchen nicht im Stiche lassen." Es sollte scherzhaft klingen, aber der Ton war doch so innig und herzlich, daß ihn Hanna immer verwunderter an sah „Was schaust du mir denn so in die Seele, Kindchen? Hast wohl gedacht, ich hab' nur immer Geschäfte im Kopf. So schlimm ist dein Onkel nie gewesen. Kind. — Sieh, wir wünschten uns so gern ein Kindchen, aber der Himmel wollte es nicht. Das schreckliche Unglück, das deinen Eltern das Leben kostete, wurde nun für uns ein großes Glück, so selt sam es auch klingen mag." So lange hatte der Onkel noch nie gesprochen. Aber sein Redestrom war noch nicht versiegt. Zärtlich strich er dem Mädchen über den braunen Scheitel und sagte: „Soviel Glück ist durch dich in unsere Ehe gekommen — da wäre es doch wahrlich schlimm, wenn wir für unsrer Hannas Glück uns nicht ein wenig rühren wollten." 13. Der einstige Farmer Ottensce saß im D-Zug und erwar tete sehnsüchtig den Augenblick, da sein Ziel, Berlin, erreicht war. Alles in ihm war zum Zerreißen gespannt, und immer wieder mußte er an den Brief der Dienerin denken, der das erste Lebenszeichen von seinem Kinde war. Wie eine Ab rechnung waren die wenigen Zeilen, die ihn aufforderten, zu kommen. „Ueber zwanzig Jahre haben Sie sich nicht um Ihr Kind gekümmert, es dem Schicksal überlassen und nicht gefragt, was mit ihm geschah. Kommen Sie rasch und geben Sie Ihrem Kinde die Heimat." Immer wieder tauchten die Zeilen vor feinen Augen auf und peinigten ihn. Erlöst atmete er auf. als Berlin endlich erreicht war. Ein Auto brachte ihn rasch zu seinem endgültigen Ziel. „M. von Syrtinghall." las er Das Herz schlug ihm heftig, als er läutete. Eine Ewigkeit dünkte ihm der Augenblick des Wartens. Es wurde geöffnet. Frau Maya selbst stand im Rahmen der Tür. Toten bleich wurde sie. als sie den Mann sah. Sie wußte sofort, daß ihr Vater vor ihr stand Des alten Mannes Augen hingen an dem schönen, jungen Weib. Regungslos stand er und starrte sie an. „Ich möchte — zu Frau von Syrtinghall." brachte er endlich hervor. Mit stummer Gebärde lud sie ihn ein, näherzutrsten. Willenlos folgte er ihr. Als sie im großen Wohnzimmer einander gegenübersaßen, sagte Frau Maya: „Ich selbst bin Frau von Syrtinghall." Er hatte es geahnt vom ersten Augenblick an, und bei ihrem Anblick war seine Seele voll Staunen. Sprechen wollte er und fand doch keine Worte. Er sehnte sich, sie Tochter zu nennen und scheute sich davor. Sein Herz pochte ungestüm, und eine heiße Angst war in ihm, als Frau Mana jetzt ihre Augen ihm voll zuwandte. Voll unendlichen Wehs waren diese Augen. Ein unsäg liches Leid, kein Grollen, das Weinen eines verlassenen Kindes schrie aus ihnen So hatte ihn sein Weib voll heißer Angst m der Todes stunde angesehen. „Ich bin Ottensee — ich — ich bin gekommen —" Er brach jäh ab. Ein Würgen war in seiner Kehle. Heiß faßte er nach ihren Händen, . (Fortsetzung folgt.)