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MlSdrufter Tageblatt 8 2. Blatt Nr. 88 — Donnerstag, den 13. April 1933 I Golgatha. Brennen nicht in uns die Wunden Heute, die dem Herrn man schlug, Drückt die Stirn nicht dorndurchwunden Heut die Krone, die er trug? Wollen nicht die Male schmerzen Heut in unsrer eignen Hand, Da nun wieder in den Herzen Jesu Bild am Kreuz erstand? Fühlt ihr, welche Liebe lohte, Die, vom Dornenkranz gekrönt, Gott in ihrem Opfertode Mit der Menschheit ausgesöhnt! Fühlt ihr, was der Herr getragen Sterbend auch für uns noch, da Blinder Haß ans Kreuz geschlagen Gottes Sohn auf Golgatha? Jesu heldisch Ueberwinden Nahm von uns die bange Not: Auch für alle unsre Sünden Rang am Kreuz er mit dem Tod! Auch für uns hat er zerbrochen Dort am Kreuz des Todes Macht, Auch für uns das Wort gesprochen, Als er schied: Es ist vollbracht! And so will im Kreuz uns klingen Gottes herrlichstes Gebot, Daß durch Liebe wir erringen Ans das ewige Morgenrot, Daß des Heilands opfernd Sterben Frei von unsrer Schuld uns spricht And durch ihn wir einst erwerben Heimkehr uns ins Sonnenlicht! Felix Leo Göckeritz. Karfreitag. Der Zug zum Kreuz. Matth. 10, 38: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner mcht wert. Dies beides war immer in Jesus vereint: daß er aues gab, sich selbst ganz hingab, aber daß er auch alles forderte und den ganzen Menschen verlangt. Darum ist das Christentum nicht eine Religion des bloßen Be trachtens und Genieß ens, sei es auch Genuß der Seligkeit: es muß immer zugleich Religion der Selbsthin gabe, der Tat, des Opfers sein. Darum ist die Bot schaft des Evangeliums, die frohe Botschaft des Friedens, immer, wo sie recht verstanden und wirklich ganz aus genommen wird, zugleich Erregerin desKampfes. Der selbe Herr, der da sagt: „Den Frieden laß ich euch, meinen Frieden geb' ich euch", der sagt auch: „Ich bin nicht ge kommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert." So ist sein Kreuz zuerst ganz gewiß das Zeichen der Ver söhnung, der Versöhnung Gottes mit uns, das Zeichen res Friedens im Herzen, des Friedens untereinander. Aber zugleich ist es das Zeichen des Kampfes: des Kampfes gegen alles, was gegen Gott ist — und da ist es zugleich das Zeichen desSieges. So steht Karfreitag das Kreuz da mit der besonderen Forderung: trag' du mich hinein — ja, wo hinein? Diese Frage ist ernster, als viele meinen. In der Geschichte der Christenheit gibt es eine Zeit, die uns besonders zeigt, wie der heilige Eiser, das Kreuz zu tragen, mit dem Kreuz zu kämpfen, irren kann. Das ist Sie Zeit Ler Kreuzzüge. Viel Inbrunst, diel Wille zu Dienst und Hingebung ist da glühend lebendig gewesen. Und doch war alles umsonst, ja, zum Schaden. Während man dort draußen die alten Stätten zu gewinnen suchte, ging hier in der Heimat das Leben in die Brüche. Hier st in einem tieferen Sinn die Frage am Platze: „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?" Der Zug züm Kreuz war da, der Wille, mit dem Kreuz zu streiten, war lebendig — woran lag der Fehler? Man trug das Kreuz hinaus, in die Ferne, anstatt es hin einzutragen ins eigene Leben. Das Kreuz will im Alltag stehen, im eigenen Herzen, in der eigenen Familie, im eigenen Land und Volk. Gewiß werden besonders Berufene es hinaustragen in alle Welt — aber wir, die Menge, seine Gemeinde, wir sollen es in unser Leben stellen, sollen die uns von Gott durch Geburt und Volks zugehörigkeit auferlegten Pflichten in Arbeit und Kampf da mit dem Kreuz erfüllen, wo er sie uns zur täglichen Pflicht macht: in unserer täglichen Umgebung. Das ist nicht so romantisch und — nicht so leicht wie das Wirken wollen in fremde Kreise hinein, aber es ist im eigentlichsten Sinne „christlich", d. h. aus dem Geiste Jesu Christi, der so in seiner Heimat für die Seinen lebte, litt und starb. So erst wird das Kreuz zur Gotteskrast: weckt und warnt, mahnt und fordert, tröstet und stärkt. So nehme jeder sein Kreuz auf sich! Taris- M MMskWn, GewerWasttmonovol. Amtliche Mitteilung der NcichSrcgicrung. Amtlich wird unter anderem mitgeteilt: Wie der Neichsarbeitsminister in zwei Rundschreiben mitteilt, ist die Reichsregierung entschlossen, die deutsche Arbeits- und Wirtschaftsverfassung grundlegend neu zu ordnen mit dem Ziel, alle an der nationalen Wirtschaft Beteiligten zu wahrer Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzufassen. Bei den vielfachen Verflechtungen des deutschen Wirtschafis- und Arbeitslebens kann aber die Ablösung des bisherigen Systems nicht mit einem Male erfolgen. Für die notwen dige Übergangszeit müssen die bestehenden Lohn- und Arbeitsbedingungen in Geltung bleiben. Tie Neichsrsgie- rung hält es für die Pflicht aller Beteiligten, die in den Tarifverträgen getroffene Regelung, soweit sich ihre Än derung nicht als unumgänglich notwendig erweist, zunächst aufrechtzuerhalten und Verminderungen der Belegschaften, soweit wie irgend möglich, zu vermeiden. Bei unvermeid baren größeren Entlassungen ist mit den zuständigen Be hörden Fühlung zu nehmen. Weiterhin hält es die Reichsregierung für erforder lich, schon in der Übergangszeit die Himer ihr stehenden Arbeitnehmerkreise maßgebend zu beteiligen. Mit dem Ge setz über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen sowie dem Gesetz über den Rcichswi.l- schaftsrat ist das gesetzliche Monopol bestimmter Arbeil- nehmervereinigungen beseitigt. Auch die tatsächliche Mono polstellung dieser Gewerkschaftsrichtungen, die sich aus der verschiedenartigen Auslegung des Begriffes der wirt schaftlichen Vereinigung seitens der Verwaltungsbehörden und des Reichsarbeitsgcrichtes ergab, müsse aushören. Bis zur endgültigen Regelung des Rechts der wirtschaftlichen Vereinigungen müssen die vom Reichsarbeitsgericht zum Begriff der wirtschaftlichen Vereinigung entwickelten Grundsätze auch von den Verwaltungsbehörden des Reiches und der Länder zur Grundlage ihrer Entscheidun gen über die Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Verbandes als wirtschaftliche Vereinigung genommen werden. Soweit ein Verband hiernach als wirtschaftliche Vereinigung anzusehcn ist, steht ihm auch die Prozeß- Vertretung vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten zu. Wiederherstellung des Verussbeamtentums. Säuberungsbestimmungen des Gesetzes. Im Reichsgesetzblatt wird die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Be- russbeamtentums veröffentlicht. Die Verordnung besagt: 1. Ungeeignet sind alle Beamten, die der Kom munistischen Partei oder kommunistischen Hilfs- oder Ersatzorganisationen angehören. Sie sind daher zu ent lassen. 2. Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Grotzelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat. Wenn ein Beamter nicht bereits am 1. April 1911 Beamter gewesen ist, hat er nach; uw eisen, daß er arischer Abstammung oder Frontkämpfer, der Sohn oder Vater eines im Weltkriege Gefallenen ist. Der Nachweis ist durch die Vorlegung von Urkunden (Geburtsurkunde und Heiratsurkunde der Eltern, Mili- tärpcwiere) zu erbringen. Ist die arische Abstammung zweifelhaft, so ist einGutachten des beim Reichsministerium des Innern bestellten Sachverständigen für Rasseforschung einzuholen. 3. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des K 4 Satz 1 gegeben sind, ist die g e s a m t e p o l i t i s ch e B e - tätigung des Beamten, insbesondere seit dem 9. November 1918, in Betracht zu ziehen. Jeder Beamte ist verpflichtet, der obersten Reichs- oder Landesbehörde auf Verlangen Auskunft darüber zu geben, dieAMeMichael die ihr an vonkocn-«cctWsc»urr ouacn osn^ir «risre« (50. Fortsetzung.) „Ich bin kein Stück Stein, Herr Richter," rief ihm Wer ner zu und warf den Kopf stolz zurück. „Ich will das Gute und bin wie mein Bruder ohne Schuld. Da soll ich ruhig bleiben, wenn ich diesen Schurken sehe!" Da fiel ihm Klaus ins Wort. Hart und kalt, kein Auge von dem Stiefbruder wendend, sprach er: „Gott wird dich schlagen!" Andreas Michael hörte dis Worte und stützte sich schwer atmend auf die Sessellehne. Dann kam ein Zittern in seine Gestalt, und er murmelte für sich: „Gott — wird !" Heinicke half ihm beim Niedersetzen Das Publikum sah seine Hinfälligkeit, und leises Mitleid keimte in vielen Seesen am Gespannt beobachtete man jede der Bewegungen des Kom merzienrats und atmete auf, als der Vorsitzende endlich die Verhandlung weiterführte. Nach Erledigung der Fortnalitäten und Beantwortung einiger Personalfragen richtete der Vorsitzende an den Zeu gen die entscheidende Frage: „Sie haben Ihre Stiefbrüder des Mordes an Ihrem Sohn Erich angeklagt?" „Ja" Der Vorsitzende ließ sich daraufhin das Protokoll geben und las es selbst laut vor. Dann begann er Fragen zu stellen. „Sie beschuldigen die Brüder Michael also des gemein samen Mordes, um sich in den Besitz Ihres Vermögens und dann mittels Ihres Geldes wieder in den Besitz des Michaelshofes zu setzen. Sie behaupten, daß besonders Stiefbruder Klaus mit fanatischer Leidenschaftlichkeit dem Gute des Vaters hing. Stimmt alles so?" „Ja." Kaum hörbar kam es heraus. „Erzählen Sie uns einmal genauer die Grunde, die Feindschaft zwischen Ihnen und den Angeklagten schuf." Der Kommerzienrat schwieg- Da stand Werner auf. »Wollen Sie uns hören, Herr Richter? „Ja." Der Oberlandesgerichtsrat lehnte sich zurück „Er zählen Sie uns von der Feindsth-'! d die Brüder Michael trennte." Und Werner sprach. Vom Kampf um die Heimat r Was Werner erzählte. 1. Unser Leben währet siebzig Jahre. Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Wenn das Vibelwort auf einen Menschen zutraf, dann auf den Doktor Michael, der vor rund vierundzwanzig Stunden in Gegenwart seiner Söhne das Zeitliche gesegnet hatte. Jetzt saßen die Brüder zusammen im großen Herrenzim mer und sprachen über dies und jenes. Gedämpft unter hielten sie sich und sahen einander fragend an. Da war der Kommerzienrat Andreas Michael, der älteste Sohn, ein Mann, Mitte der Vierzig, mit langem, schwarzem Vollbart, den er sich ständig und wiederholt strich. Er war in Berlin durch Kriegslieferungen groß geworden und mimte jetzt den Brüdern gegenüber den feudalen Herrn. Max Michael, seines Zeichens Postinspektor, ein Jahr jünger als der Kommerzienrat, ein glatzköpfiger Herr mit einer merkwürdig trockenen Stimme, saß ihm mit verkniffe nen Lippen gegenüber. Sie unterhielten sich beide, und doch hörte keiner so recht auf den anderen, denn jeder hatte eine Frage auf den Lip pen und scheute sich, sie auszusprechen. Der dritte der Brüder, wiederum auch nur ein Jahr an Alter gegen den Postinspektor zurück, stand am Fenster und sah auf den verschneiten Wald. Verschlossen und herb mar sein Antlitz. Manchmal schien er wie ein Träumer, der halb nachtwandelnd durchs Leben geht, dann wiederum hatte man das Gefühl, als ob Heimlichkeit und Tücke in seinen Zügen sich versteckte. Er lebte mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern isoliert von den Brüdern, einsam auf seinem Gut in der Nähe von Rauta. Das waren die Söhne aus der ersten Ehe des Doktor Michael- Mit fünfundvierzig Jahren vermählte er sich zum zweiten Male mit einem zarten, stillen Mädchen. Dem Liebesbunde entsprossen zwei Knaben, Zwillinge, nach deren Geburt die junge Frau starb. Doktor Michael trug schwer am Tode seines jungen Wei bes. Er wurde ein scheuer Sonderling, der nur noch seinen beiden Knaben lebte, die wiederum alle Liebe ihrer jungen Seelen auf den Vater übertrugen. Sie hatten nie Mutterliebe erfahren, die beiden schlanken, jetzt dreiundzwanzig Jahre alten Menschen, die auf dem terrassenförmigen Anbau am Hause standen und schweigend auf die weiße Landschaft sahen. Werner Michael, Student der Jurisprudenz und sein Bruder Klaus Michael, der seines Vaters umfangreiches Gut bewirtschaftete. Klaus war mit Leib und Seele Landwirt. Die Brüder sahen sich heute, wo der Ernst des Ereignisses eine ehrliche Trauer auf ihre jungen Gesichter gebannt hatte, äußerst ähnlich. Werner, der lebhaftere von den beiden, sah den fast angst erfüllten Blick, den Klaus auf die in tiefen Schnee gebettete Berglandschaft warf. „Was sinnst du, Klaus?" fragte er den Bruder. Klaus schreckte auf, eine heiße Angst sprach aus seinen Worten: „Was wird werden, Werner?" „Was soll werden! Du bewirtschaftest das Gut weiier. Vater hat es doch im Testament so bestimmt." „Vater will es. Ich weiß es, Werner, und doch liegt der Gedanke wie ein Alp auf mir, daß ich das Stück Erde, das ich so liebe, an dem ich hänge mit aller Kraft meines Her zens, einmal verlassen muß." Erschrocken sah Werner den Bruder an. „Wer könnte dich von der Heimat verjagen?" Klaus schwieg eine kurze Weile, dann hob er den rassigen Kops: „Unsere Brüder aus Vaters erster Ehe, Werner." Werner wehrte ab: „Nein, Klaus! — Daß sie uns nicht lieben, das weiß ich Aber Vaters Bestimmung im Testa ment werden sie gewiß respektieren." „Es ist keine Bestimmung, Werner. Lediglich die Bitte spricht er aus. Wenn nun die Brüder auf Auszahlung dringen?" Werner schwieg. Die Sorge des Bruders ergriff ihn in gleichem Maße. Klaus fuhr fort: „Daß ich nicht zehntausend Mark auf nehmen kann, das weißt du, geschweige denn hunderttausend Mark, die mindestens erforderlich wären. Die Geldknappheit ist zu groß." Werner raffte sich auf und legte den Arm herzlich auf des Bruders Schulter. (Fortsetzung folgt.)