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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 63 — Mittwoch, den 15. März 1933 TageSspruch. Dieses Leben ist mit seiner Lust ein eiliges, Mit allen seinen Freuden ein einstweiliges. Das G'nügende zum Abschluß fehlt, und immer sucht Zu seinem Heil der Geist ein ew'ges Heiliges. Friedrich Rückert. Lahre Deutsches Reich. Heinrichs l. Sieg über die Ungarn. Am IS. März 933 schlug Heinrich l., König der Deutschen, bei Riade (wahrscheinlich Ritteburg bei Artern an der Unstrut) die Ungarn, die mit großen Reiterscharen in Thüringen und Sachsen eingefallen waren, und machte durch diesen glänzenden Sieg das Deutsche Reich für lange Zeit frei und unabhängig. Ungarische und slawische Heerscharen halten bis dahin das Reich immer wieder verwüstet, und den Ungarn mutzte schlietzlich ein jährlicher Tribut zugesagt werden. Dieser Tributzahlung machte Heinrich durch den Sieg und durch einen kräftigen Grenz schutz — er schützte durch umwallte Zufluchtsplätze, durch Burgen, vor allem die am meisten bedrohten Marken vom Harz und der Oker bis zur Elbe — ein Ende, und da er außerdem durch eine kluge, vorsichtige Politik dem drohen den Zerfall des Reiches vorgebeugt und die auseinander strebenden deutschen Stämme, die Franken und Sachsen, die Schwaben und Bayern und Lothringer, geeinigt hatte, hat man ihn nicht mit Unrecht den eigentlichen Begründer der Reichseinheit genannt. Man kennt diesen Heinrich (der Name bedeutet „Fürst des Hauses", Heimrich) in der Geschichte unter dem Namen Heinrich der Vogler oder der Finkler. Er soll mit dem Vogelfang beschäftigt gewesen sein, als die fränkischen Großen zu ihm kamen, um ihm die Krone anzubieten („Herr Heinrich saß am Vogelherd..."). Noch jetzt heißt der Ort in der Nähe von Quedlinburg, wo dies geschehen sein soll, „der Finkelherd". Es handelt sich hier aber wahrscheinlich um eine Sage, die erst im 12. Jahrhundert ausgezeichnet wurde. Siebzehn Jahre lang hat Heinrich über Deutschland regiert. Am 2. Juli 936 ist er in Memleben an der Unstrut gestorben. Seine Gemahlin ließ ihn in der Kirchs des von ihm selbst ge gründeten Klosters zu Quedlinburg beisetzen. Durch die Einrichtung der festen Burgen, von denen viele später Städte geworden sind, so daß man Heinrich auch den „Städtegründer" genannt hat, durch die Neubildung eines neben dem alten Heerbann rasch aufzubietenden Reiterheeres und durch die Abschaffung der schmachvollen Tributzahlungen hat sich dieser König der Deutschen um Deutschland unvergängliche Verdienste erworben, Ver dienste, an die anläßlich der 1000. Wiederkehr des ruhm reichen Schlachttages von Riade erinnert werden mußte. Zur Nachahmung empfohlen! Kommunisten verbrennen ihre Fahne. Unter außerordentlich starker Beteiligung der Bürger schaft fand auf dem Marktplatz von Berlinchen (Neu mark) ein feierlicher Akt statt, der in seiner Art etwas ungewöhnlich ist. Vor der Front der SA. und SS. und des Stahlhelm hatte sich die frühere kom- munistifcheFahnengruppsmit ihrer zusammen gerollten, gesenkten Fahne aufgestellt. Nachdem der Stahl helmführer eine Ansprache gehalten hatte, in der er auf die Bedeutung dieser Stunde hinwies und seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß die verführten Landsleute den kommunistischen Irrsinn eingesehen haben und wieder in die Gemeinschaft deutscher Menschen ausgenommen werden wollten, entrollten die Kommunisten ihre rote Fahne, tränkten sie mit Spiritus und zündeten sie an, worauf das Deutschlandlied und das Horst-Wefsel- Lied gemeinsam gesungen wurden. Vie vegierungsumbiMung in preutzen Wer wird preußischer Mnister- prüsidenl? Die Vorbereitungen zur Reichstagseröffnung. Die Vorbereitungen zur Eröffnung der Reichstags sitzung in Potsdam sowie anschließend daran in der Kroll- Oper sind in vollem Gange. Das Programm für die Reichstagssitzung in Potsdam am 21. März sieht vor, daß die Gottesdienste in der Nikolaikirche und in der katholischen Stadtpfarrkirche von ^11 bis 1L12 Uhr stattfinden. Nach Schluß der Gottes- dunste ziehen die Abgeordneten unter dem Glockengeläut sämtlicher Potsdamer Kirchen zur Garnisonkirche, wo sie um 2412 Uhr eintreffen. Professor Becker begrüßt die Ab geordneten mit einem stündigen Orgelspiel, dem Prälu dium L-Moll von Bach. Während der Staats- und Dom chor aus Berlin „Nun lob' mein Seel' den Herrn" singt, betritt um 12 Uhr Reichspräsident von Hindenburg die Garnisonkirche. Er richtet an die Reichsregierung und die Abgeordneten die Ansprache, auf die der Reichskanzler mit einer längeren Rede erwidert. Darauf singt wieder der Domchor, worauf sich der Reichspräsident mit seinem Adjutanten zur Gruft Friedrichs des Großen begibt und dort einen Kranz niederlegt. Professor Becker wird mit dem Niederländischen Dankgebet und dem machwollen „Herr, mach' uns frei" die Weihefeier in der Garnison kirche beenden und mit einem Orgelnachspiel die Festver sammlung aus der Kirche geleiten. Reichskanzler Hitler weilte dieser Tage in München und wird spätestens für Mittwoch wieder in der Reichs hauptstadt zurückerwartet. Der Reichskanzler beabsichtigt nach seiner Rückkehr den Reichsbankpräsidenten Luther zur Fortsetzung der in der vergangenen Woche begonnenen Aussprache über die Reichsbankpolitik zu empfangen. In politischen Kreisen Wender sich jetzt wieder das Interesse der Entwicklung in Preußen z«. Der Vorstand der nationalsozialistischen Landtags fraktion hat sich in seiner letzten Sitzung mit der Frage der Wahl des neuen Ministerpräsidenten in Preußen be faßt. Bei den Beratungen kam einmütig die Auffassung zum Ausbruch, daß nur ein Nationalsozialist Minister präsident in Preußen werden könne. Allgemein wird aus diesem Beschluß gefolgert, daß die Nationalsozia listen im Preußischen Landtag Vorschlägen werden, Hitler zum preußischn Ministerpräsidenten zu wählen. Es würde dann also wieder politisch der Zustand eintreten, wie er vor 1918 bestand, daß nämlich der Reichs- Das Kroll-Theater wird Reichstag. Unser Bild gibt einen Blick in den Theaterraum der früheren Kroll-Oper in Berlin, wo die Plenar sitzungen des Reichstages stattsinden werden. Wie man sieht, ist der Umbau in vollem Gange: hier werden die Pulte für die Abgeordneten an den Sesseln im Zuschauer raum angebracht. kanzler zugleich preußischer Ministerprä sident ist. In politischen Kreisen wird weiter an genommen, daß Vizekanzler von Papen der neuen preu ßischen Regierung als Vizepräsident angehören wird. Auch diese Einrichtung hat es vor dem Kriege in Preutzen zeitweilig gegeben. Endgültige Beschlüsse über die Per son des neuen preußischen Ministerpräsidenten sind in dessen noch nicht gefaßt worden. Nach der Wahl der neuen preußischen Regierung werden selbstverständlich die Reichskommissare in Preußen überflüssig sein. Es ist an zunehmen, daß die Persönlichkeiten, die heute die Reichs kommissariate in Preußen verwalten, künftig ihren Ministerien als preußische Minister vorstehen werden. Im Preußischen Landtag ist beabsichtigt, daß die bis herigen kommunistischen Plätze von den anderen Frak tionen mitvcrwendet werden sollen. Den Kommunisten sollen in Zukunft keine Diäten ausgezahlt, es sollen ihnen auch die parlamentarischen Ausweise und die Freikarten der Reichsbahn nicht ausgestellt werden. * Eine Sitzung der preußischen Landkagsfraktion der NSDAP, am Donnerstag. Die nationalsozialistische Fraktion des Preußischen Landtages tritt am Donnerstag zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Die neugewählten Abgeordneten wer den in dieser Sitzung auf den Führer der NSDAP. Reichs kanzler Adolf Hitler, der sein Erscheinen zugesagt hat, verpflichtet werden. Die Landtagsfraktion hält am 22. März, dem Tage der P l en ars i tz u n g, um 11 Uhr einen G o tte s d i e n st für die protestantischen Mitglieder in der Christuskirche Stresemannstraße ab. Die Predigt hält Pfarrer Hossenfelder. Durchsuchung der kommunistischen Fraktionsräume. Wie der preußische Pressedienst der NSDAP, mitteilt, erschienen am Dienstag im Preußischen Landtag mit Ge nehmigung des Landtagspräsidentrn Kerrl Polizeibeamte, um die bisherigen kommunistischen Arbeits zimmer und den Fraktionssaal der Kommunisten einer polizeilichen Durchsuchung zu unterziehen. Man fand Druck sachen und anderes Material, das beschlagnahmt wurde. * Ausruf Dr. Goebbels' an die Amtswalter der Propaganda der NSDAP. Reichsminister Dr. Goebbels veröffentlicht an die Amtswalter der Propaganda der NSDAP, einen Aufruf, in dem gesagt wird: Ich möchte allen Amtswaltern der Propaganda meinen tiefempfundenen Dank für die tatkräftige Mit hilfe, die sie der Reichspropagandaleitung so oft geleistet haben, zum Ausdruck bringen. Auf Wunsch des Führers behalte ich die Reichspropagandaleitung der Partei weiter hin bei; ich hoffe, daß es uns gelingen wird, in abseh- harer Zeit durch eine vorbildliche Aufklärungsarbeit so wohl von feiten des Staates als auch der Bewegung das ganze deutsche Volk für die Idee der nationalen Revo lution zu gewinnen. Heil Hitler! gez. Dr. Goebbels, Reichspropagandaleiter der NSDAP. * Aufsehenerregende Verhaftungen tn Mnchen. Unter dem Verdacht bolschewistischer Umtriebe Ist der Hauptschriftleiter der „Münchner Illustrierten Presse", Lorand, verhaftet worden. Der Verhaftete besitzt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Weiter ist der Direktor Fal kenberg des Münchner Schauspielhauses unter dem Ver dacht, bolschewistischer Verbindungsmann zu sein, in Haft genommen worden. Seine Mitdirektoren Geller und Fischer sollen nach Karlsbad und Prag entflohen sein. MGNMkoscrkttM Oopxrigkt bx dlartio ksuolltvaagsr, Halls (Laake) s50 „Dann fahren Sie mich sofort in die Stadt. Ich kenne den Herrn Grafen persönlich und werde morgen tele phonisch mit ihm sprechen." „Jawohl!" Bald darauf fuhr Frank Dahlmann vor seiner Villa vor. Er gab dem Chauffeur einen hohen Betrag. „Hier, für Sie, und melden Sie Ihrem Herrn noch heute abend, daß ich den Wagen benützt habe." Doktor Dahlmann sah zu den Fenstern hinauf, die zu Lores Zimmern gehörten. Wie nun, wenn sie nicht hier war? Er war doch auch seinem Wagen nicht begegnet? Der konnte zufällig ein paar andere Straßen im Stadt- innern entlang gefahren sein, ehe er die Landstraße nach Loringen zu wieder benützte, denn der Chauffeur würde ja unverzüglich wieder weggefahren sein. Zorn und Sorge waren im Herzen des Mannes. Wenn er nur erst wüßte, ob Lore hier war! Endlich war er oben. Alles blieb still. Die Diener schaft schien zu schlafen. Also mutzte Lore, wenn sie hier war, sehr vorsichtig gegangen sein. Frank betrat das Zimmer Lores und machte Licht. Hastig sah er sich um. Nichts. Er schritt weiter — kam in ihr Schlafzimmer. Die Ampel brannte matt und sandte ihr Licht über alle Gegenstände, mild, verschleiert. Im Sessel am Fenster kauerte eine schmale, feine Ge stalt und schluchzte wild. Lore! Sie hatte vielleicht nicht einmal sein Kommen gehört. LvrL.hlWtz.aRch nicht aus. Da glaubte Frank, sie zu verstehen. Sie hatte das große, wahre Glück der Schwestern mit ansehen müssen, und nun war sie eben fortgelausen, weil sie nicht länger unter all den fröhlichen Menschen weilen konnte. Weil sie selbst nicht glücklich geworden war. Frank Dahlmann schien es plötzlich eine übergroße Ueberhebung, daß er hatte glauben können, sie finde sich langsam zu ihm. Ganz ratlos mochte dieses junge Menschenkind sein. Seelisch vollkommen zermürbt. Und nun wollte er ihr vielleicht noch Vorwürfe machen? Leise trat er näher. „Lore!" Sie blickte auf, aber gleich sank ihr blonder Kopf wieder auf die Seitenlehne des Sessels. Der Mann trat noch näher, beugte sich zu dem jungen Weibe. „Lore! Wie konntest du fortlaufend Bin ich nicht dein Freund? Weshalb kommst du nicht zu mir, wenn dich etwas kränkt? Hast du vergessen, was ich dir gesagt habe?" Lore stand auf. Groß und traurig blickten ihre Augen ihn an. „Ich habe nichts vergessen; aber es geht über meine Kraft, dieses Leben. Darf ich bald nach Berlin?" „Aber gewiß. Jetzt ist diese Doppelhochzeit ja vorüber. Nun steht deiner Abreise nichts im Wege." „Nächste Woche, Frank?" „Ja! Ganz wie du willst! Je schneller, desto besser ist es Wohl für dich. Eigentlich, wenn ich es mir überlege, paßt dein heimliches Fortgehen doch zu unserem Plan, der Oeffentlichkeit zu sagen, du seiest krank und müßtest in Berlin dauernd in Behandlung bleiben. Manchmal hat solch eine kleine, trotzige, unüberlegte Frau doch noch etwas Gutes angerichtet." Er ging zur Tür. „Jetzt lege dich hin, Lore. Es waren reichlich viele Feststunden — das übermüdet. Und deine Nerven sind wirklich nicht ganz in Ordnung," Regungslos stand sie da; die Arme hingen am Körper herab, der schöne blonde Kops war zur Seite geneigt in Schmerz und Verachtung. Franks Hand umkrampfte den Griff der Tür. Ein kurzer Kampf — dann verließ er das Zimmer. Lore aber stöhnte: „Jetzt weiß ich es endlich, weshalb er mich fort haben will. Jetzt weiß ich es!" Drüben ging Frank ruhelos in seinem Schlafzimmer auf und ab. Lore entglitt ihm weiter und weiter. Das war kein Trotz mehr, es war eine feststehende Tatsache, daß sein Traum von Liebe und Glück sich nicht erfüllen würde. Wenn er geahnt hätte, daß Lore hörte, wie Baron Haberkron zu Horst von Weller sagte: „Was sagen Sie zu Dahlmann? Er kennt die wilde Gräfin von früher, und nun fällt er solch ein abfälliges Urteil?" „Wieso abfällig? Er hat doch recht?! Was aber nicht ausschließt, daß es Methode fein kann. Er gönnt viel- leicht die schöne Orlands keinem anderen? Sie soll es doch ganz offen erzählt haben, daß sie nur um seinetwillen hierher zurückkommt?!" „Donnerwetter! Wie interessant. Erzählen Sie doch noch, Weller", näselte der Baron aufgeregt. „Da gibt es nichts weiter zu erzählen. Sie ist toll nach ihm und leugnet das nicht mal." „Hat eigentlich — hm! — hat eigentlich was be standen?" „Möglich! Wahrscheinlich sogar! Er war doch viel in ihrem Hause." „Tja! Aber jetzt hat er eine Frau! Eine wunder schöne blonde Frau! Ob er da noch Chancen bei der Gräfin hat?" „Als ob Orlands je gefragt hätte, ob ei« Mann ver heiratet ist, wenn er ihr gefällt!" Die Herren hatten sich eine Zigarette angebrannt und waren fortgegangen aus der Fensternische, hinter deren dir ZMU LLSLEZWL. - " -