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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 36 — Sonnabend, den 11. Februar 1933 Tagesspruch. Weit in nebelgrauer Ferne Liegt mir das vergang'ne Glück; Nur an einem schönen Sterne Weilt mit Liebe noch der Blick. Schiller. Bon innen her. Joh. 6, 63: Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch ist kein nütze. Am 23. Februar ist Richard Wagner fünfzig Jahre tot. Dankbar gedenken seiner viele Tausende, die er durch seine Werke erquickt und erhoben hat. Hier soll heute nicht von ferner Musik gesprochen werden. Das tun Berufene hin reichend und besser. Aber auf den Menschen soll hin gewiesen werden, aus dessen Innerstem heraus die Wunderwelt seine Werke in Wort und Ton sich heraus gestaltet hat. Hierbei wollen wir verweilen. Jeder Künst ler mutz, bevor er seine Werke äusserlich darstellt in Wort und Musik, in Farbe oder Stein, sie erst in sich geschaffen haben. Und wie er selbst sich innerlich gestaltet hat, so wirk fein Werk: nur ein grotzer Mensch kann ein grotzer Künstle; fein, nur ein edler Mensch kann edle Werke schaffen. Dei Geist gestaltet von innen her. Mit herber Klarheit hat das Richard Wagner einmal so gesagt: „Von innen wird dem Edlen die Welt gestaltet; nur dem gemeinen Toren entsteht sie von außen." Dieser gemeinen Torheit aber, datz die Dinge außen herum die Hauptsache seien, daß wir aus ihnen allein unser Leben gestalten könnten, — dieser gemeinen Torheit hat die Welt im letzten Halbjahrhundert gehuldigt. Das Ergebnis ist der Trümmerhaufen, in dem die Welt jetzt ratlos steht. Es wird Zeit, datz wir uns wieder entschlossen dem Edlen zuwenden: daß wir den Geist Gottes von innen her unsern Gei st bilden lassen, damit dann durch den schaffenden Geist die Welt um uns neu gebildet wird. Daran dürfen und sollen wir alle mitschaffen: Künstler von Gottes Gnaden. Wir sehen dabei auf den eine?, der es gewagt und geschafft hat, ganz und gar nur aus dem Geist von innen her zu leben, der damit die Ge walt gewonnen hat, die Welt umzugcstalten, und der un vergänglich lebendig dasteht: ein Bild, dem keins gleicht — Jesus Christus. Kurze politische Nachrichten. Tie Nationalsozialistische Korrespondenz bringt eine Verfügung Adolf Hitlers. Darin ernennt Hitler Minister Dr. Frick zum Wahlleiter für die Reichstags wahlen, den Fraktionsführer Wilhelm Kube zum Wahl lei ter für die preußischen Landtags wahlen. Gleichzeitig wird Kube bevollmächtigt, die Arbeiten für die preußischen Provinziallandtagswahlen durchz.uführen. * Wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, hat die Reichsregierung zu der Durchführung des von der vorigen Reichsregierung beschlossenen Beimischungs zwanges von Butter zur Margarine noch keine Stellung genommen. -r- Carl Fürstenberg, der Senior derBerliner Handelsgesellschaft, ist im 82. Lebensjahr ge storben. Er ist an dem Tage entschlafen, an dem er das fünfzigste Jahr seiner leitenden Tätigkeit bei seiner Bank vollendete. Fürstenberg war an einer Lungenentzündung erkrankt. * Der Oberpräsident von Hannover, Noske, tritt, wie verlautet, voraussichtlich Mitte nächster Woche einen längeren Urlaub an, der sich bis zur Erreichung der Altersgrenze des Oberpräsideuten am 1. Oktober er strecken dürfte. Noske hat ein entsprechendes Gesuch in Berlin eingereicht. Nm Wege her MsWyMiß. Milderung der Aenlenkörzusgeo. Ausdehnung des Arbcitsbeschaffungsprogramms? Wie verlautet, ist in Kürze mit der Wiederaufhebunc eines Teiles der seinerzeit erfolgten Rentenkürzun gen zu rechnen. In allen besonders krassen Fällen soll eine Milderung erfolgen." Wie hoch der hierfür bereit zustellende Betrag sein wird, steht noch dahin. Jedenfalls dürfte angesichts der immer noch angespannten Finanz lage ein Betrag von 80 Millionen, wie das eine Zeitung behauptete, kaum in Frage kommen. Der Kabinettsausschuß für die Arbeitsbe schaffung hat in letzter Zeit fast täglich Sitzungen gehabt. Dabei hat sich das Bestreben geltend gemacht,, nach Möglichkeit über den ursprünglich vorgesehenen Betrag von 500 Millionen Mark hinauszugehen, wobei als Kreditunterlage u. a. auch an den Fonds für oie Beschäftigungsprämien gedacht wird. Dieser Fonds ist für seinen eigentlichen Zweck bisher für rund 40 Millionen Mark in Anspruch genommen worden. Nachdem seinerzeit für das Gereke-Programm 300 Mil lionen zur Verfügung gestellt worden sind, ist ein Retz von ungefähr 360 Millionen verblieben. Sollte nun auf diesen Fonds zurückgegriffen werden, um die Arbeits beschaffung über das zunächst gesteckte Ziel hinauszu treiben, so bedeutet das allerdings noch nicht, datz von dem Beschäftiguugsprämiensystem künftig Abstand ge nommen werden soll. Man ist im Gegenteil der Ansicht, daß es vorwiegend politische Gründe gewesen find, Vie das Prämiensystem bisher nicht zur vollen Geltung kommen ließen. Eine Beruhigung der innendeutschen Politik, die zweifellos auch günstigere Wirtschaftsver hältnisfe zur Folge haben würde, dürfte auch eine stärkere Inanspruchnahme des Prämienfonds als bisher nach sich ziehen. Es muß hinzugefügt werden, daß die Beratungen des Arbeitsbeschaffungsausschusses hinsichtlich der In anspruchnahme des Prämienfonds noch nicht abgeschlossen sind. Warum Zollerhöhungen? Die Notlage der deutschen Viehwirtschaft. Im Hinblick auf die Auseinandersetzungen, die in einem großen Teil der Öffentlichkeit durch die neuen Zollerhöhungen ausgelöst worden sind, werden von unterrichteter Seite nähere Zahlen über das Ausmaß der Notlage in der Viehwirtschaft mitgeteilt. Es wird dar auf verwiesen, daß der Marktpreis für Schweine von 200 bis 240 Pfund am 7. Februar nur noch 36 bis 38 Mark je Doppelzentner betrug (1930: Richtpreis 75 bis 60 Mark), für Rindvieh betrug der Preis 26 bis 29 (Januar 1930: 55) Mark, für Kühe 18 bis 21 (Januar 1930: 35,40) Mark. Die deutschen Viehbestände sind gegenüber dem Kriege erheblich gewachfen, der Nindviehbestand um 650 000, der Schweinebestand um 310 000 Stück. Bei Schmalz ist die Einfuhr von 1930 bis 1932 von 788 000 Doppelzentner auf eine Million Doppel zentner gestiegen. Der Schmalzpreis sank von 56,8 Pfennig im Durchschnitt des Jahres 1930 auf 30,7 Pfennig im Jahre 1932. Keine weitere Einfuhr zollSegönstigler Zuttergerste. Amtlich wird mitgeteilt: „Die Lage der einheimischen Futterversorgung macht im laufenden Getreidewirtschafts jahr die Einfuhr von Futtergerste überflüssig. Die inländischen Vorräte an Futtergetreide, kohlehhdrat- haltigen Kraftfuttermitteln und Kartoffeln werden zur Deckung des laufenden Bedarfs ausreichen. Auf Vor schlag des Reichsministers für Ernährung und Landwirt schaft Dr. Hugenberg wird deshalb die Reichsregierung eine weitere Einfuhr zollbegünstigter Futtergerste bis zum Schluß des laufenden Getreidewirtschaftsjahres nicht mehr zulassen. Bekämpfung der Schwarzarbeit und Einschränkung der Gewerbesreiheit. Vorschläge des Handwerks. Der Neichsverband des deutschen Hand werks nimmt in einer persönlichen Eingabe an den Reichspräsidenten seinem in der letzten Be sprechung geäußerten Wunsche zufolge noch einmal Stellung zu den ihm vor kurzem vorgetragenen Vor schlägen des Handwerks zur Bcfserung seiner Lage. In erster Linie handelt es sich hierbei um die Bekämpfung der Schwarzarbeit, die einen derartigen Umfang angenommen hat, daß dem immer weiteren Anwachsen nur durch eine Notverord nung entgegengetreten werden kann. Eine solche Not verordnung müßte ein ausdrückliches Verbot der Schwarzarbeit aussprechen, als welche die Ausführung von gewerblichen Leistungen oder Lieferungen durch Per sonen zu erfassen ist, die ihr Gewerbe nicht vorschrifts mäßig angemeldet haben. Neben einer Bestrafung des Schwarzarbeiters selbst müßte auch die des Auf traggebers, mindestens in Form einer subsidären Haftbarmachung, vorgesehen werden. Auch der vom Reichsverband des deutschen Hand werks aufgestellte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Handwerkerkarte wurde dem Reichspräsidenten in Verfolg der gehabten Aussprache zugestellt. Nach diesem Entwurf soll künftig nur noch derjenige zum Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe zugelassen werden, der eine Hand werksmeisterprüfung bestanden hat. Auf diese Weife soll die Geschlossenheit des handwerklichen Berufs standes gewährleistet werden, die unter den derzeitigen Verhältnissen bei der Möglichkeit des Zuströmens der ver schiedenartigsten berufsfremden Elemente zum Handwerk nicht erreicht werden kann, die aber als Voraussetzung für eine echte Berufsstandsgemeinschaft unerläß lich ist. Der neue Sturz der Vuiterpreise. Milchwirtschaft fordert schnelles Handeln der Neichsrcgierung. Ter Vorsitzende des Deutschen Milchwirt - schaftlichen Reichsverbandes, Reichs- und Staatsminister a. D. Professor Dr. A. Fehr, hat an den Reichskanzler und den Reichseruähruugsminister folgen des Telegramm gerichtet: „Erneuter Butter preissturz und weitere Marktlage bringen deutsche Milchwirtschaft nunmehr vollkommen zum Erliegen. Im Lande überall besorgniserregende Verzweif'lungs- stimmung. Die vom Deutschen Milchwirtschaftlichen Reichsverband gegen unnötige Buttercinfuhr geforderten Schutzmaßnahmen stehen immer noch aus. Der Ernst der Lage verlangt sofortiges Handeln." Zur Pressenotverordnung. Die Reichsarbeitsgemeinschaft der deutschen Presse, der Verleger und Redakteure an gehören, hat dem Reichsinnenminister die Stellungnahme zur Pressenotvcrordnung übermittelt. In der Ent schließung, die das Recht zum Vorgehen gegen Miß brauch der Pressefreiheit anerkennt, werden auch Be denken gegenüber gewissen Gefahren der neuen Ver ordnung geäußert. Es wird die Erwartung ausgesprochen, saß keine Eingriffe in die Pressefreiheit vorgenommen werden, die dem Interesse des Volksganzen entgegen stehen. Handwerksvertreter bei Hugenberg. Reichsminister Dr. Hugenberg empfing Vertreter des Handwerks und des Einzelhandels zur Besprechung über die notwendigen Maßnahmen für den Mittelstand. Tie Besprechung dauerte zwei Stunden. Oop^rigbt dlortio lloucbtvvanZsr, Halls (Laois) s39 Als August nachts in seinem Hotelzimmer seine Akten tasche öffnen wollte, um sein Nachtzeug auszupacken, ließ sich das Schloß nicht öffnen. Komisch — August wußte genau, daß er seine Tasche nur zugeklappt und nicht ver schlossen hatte. Der Hotelportier hatte zufällig einen passenden Schlüssel. Die Tasche war offen. Perplex starrte August auf den Inhalt der Tasche. Kein Schlafanzug, kein Necessaire waren zu sehen. Nichts als Papierzeug und einige Zigarettenschachteln. Jäh kam Richter die Erkenntnis, daß seine Tasche mit der Titus van Jolliets verwechselt worden war. Was sollte er nun machen? Als er noch grübelte, sah er ein beschriebenes Blatt zwischen dem anderen Kram. Unwillkürlich zog er das Blatt heraus. Er war schon immer ein wenig neugierig gewesen, etwas über diesen seltsamen Reisegenossen zu erfahren. „... sofort geh' in Deine Kabine. Ueberzeuge Dich, wo Doktor Richter ist. Ich habe den Schlüssel. Tipp mamsell ist vertrauensselig. Heute gelingt der Fang. Entferne Dich unauffällig. Joe.. Was war das? Hatte ihn seine Ahnung nicht be trogen? Er hatte den beiden von Anfang an nicht recht getraut. Die vielen unangenehmen Vorfälle auf dem Schiff? Sollten die Geschwister daran beteiligt sein? Nasch leerte er jetzt den Inhalt der Tasche auf dem Tische aus. Banknoten kamen Lum Vorschein, Scheck bücher, Urkunden und ein Ausweis für Fräulein Magda lene Winter, geboren zu Leipzig ... August Richter wirbelten die Gedanken im Kopfe herum. Magdalene Winter hieß sie also und war aus Leipzig. Nicht Madelon Wintere — keine Französin. Wie hatte er sich auch so täuschen lassen! Jetzt wußte er auf einmal, daß ihn der deutsche Akzent in ihrem Französisch immer irritiert hatte. Sie hatte erzählt, ihr Großvater sei Deutscher gewesen; aus Dresden. Man habe bei ihnen zu Hause viel deutsch gesprochen, und sie habe viele Monate bei ihrem Groß vater in Deutschland gelebt, deshalb sei ihr das Deutsche» fast so geläufig wie das Französische. Warum aber hatte sie ihre deutsche Abstammung ver leugnet? Sie sah so ehrlich und so treu aus. Sicher steckte diese Joe Nowakowska dahinter, die Gesellschafterin und Freundin. Solche Hinterhältigkeiten sahen ihr ähnlich. Und Magdalene hatte es nicht einmal schwer gehabt, die Fiktion aufrechtzuerhalten; ihr Aussehen glich eher dem einer Romanin als dem einer Deutschen. Ein plötzlicher Ernst legte sich auf August Richters Züge, als er noch einmal den Inhalt der Aktentasche musterte. Die Zigarettenschachteln enthielten Schmuckstücke aller Art: Ringe, Ketten, Armbänder. Das war indes Nebensache. Die Hauptsache waren diese Papiere, die das Vermögen Magdalenes ausmachten. Aus ihnen ersah August, daß Magdalene Winter am siebzehnten März ein Bankguthaben eröffnet hatte — ein ziemlich großes Bankguthaben. Er ersah indes auch aus den Belegen, daß sie in dieser kurzen Zeit schon eine un geheure Summe verbraucht hatte. Sie mußte sehr leichtsinnig mit dem Geld um gegangen sein, ein Vermögen unnütz verschleudert haben. Hatte sie denn keinen Menschen, der sich um sie kümmerte? Der das junge Geschöpf auf den richtigen Weg führte? Sie war sicher nicht schlecht, das wußte August Richter. Soweit kannte er die Menschen. Sie war unerhört leicht sinnig und batte sich ganz in die Lände dieser beiden ver antwortungslosen, zweifelhaften Menschen gegeben, mit denen sie in der Welt umherreiste. Und jetzt hatten sie diese Banditen um ihr ganzes Vermögen betrogen, hatten sich in den Besitz aller Urkunden gesetzt, so datz Magdalene völlig mittellos war. Freilich, auch die Gauner hatten jetzt das Nachsehen, wo sich der Zwischenfall mit der Tasche ereignet hatte! Das änderte aber nichts an der Tatsache, datz Magda lene ziemlich mittellos dastand und datz sie sich Wohl nicht zu helfen wußte. Eine kleine Strafe verdiente sie ja; aber sie durfte nicht zu lange dauern und mußte nach Möglichkeit abgekürzt werden. Seine heiße Liebe zu dieser Frau überfiel ihn mit neuer Macht, und er war sich klar darüber, datz er ihr sofort zu Hilfe eilen mußte. Er mußte zurück; der Kapitän und die Polizei mußte benachrichtigt werden. Die beiden Komplicen waren sicher nicht mehr an Bord zurückgekehrt; halten von Barcelona aus das Weite gesucht. Man mußte alles daran setzen, sie zu erwischen. Vor allem aber handelte es sich darum, Magdalene zu beruhigen. Der Erpreßzug ging erst am anderen Morgen. Warum er sich kein Flugzeug gemietet^hatte — diese Frage be schäftigte August noch lange später in seinen Träumen, ohne datz er damit den Schaden hätte gutmacheu können. Als er, nach einer qualvollen Fahrt, in Barcelona ankam, mußte er zu seinem Entsetzen erfahren» daß der Dampfer vor einer Stunde den Hafen verlassen hatte. In seinem Kopfe jagten sich die Gedanken. Das eine stand fest: er mußte das Schiff zu erreichen suchen. Zunächst ließ er sich die Liste derjenigen Personen geben, die in Barcelona das Schiff endgültig verlassen halten. Außer dem seinigen, fand er noch die Namen der spanischen Offiziere und einiger ihm unbekannter Passa giere. Die der Geschwister fand er nicht darunter. Also weilten sie noch an Bord, also hatte wohl auch Magdalene noch nichts von ihrem Verlust erfahren, /^artk. wlatl