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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 20 — Dienstag, den 24. Januar 1933 Tagessprncb Schön sind die Tage der Jugend, Und nichts ersetzt schwellender Kraft Tatenlust; Aber ein herrlich Teil auch ist's, Mit Würden alt und geehrt, Bon vielen, voriger Stürme gedenk, Des Friedens Segnungen kosten. Cisfischerei. Don Dr. Fritz Slowronnek Nicht der Sommer ist die Erntezeil für den Berufs- fischer, sondern der Winter. Denn in der eisfreien Jahres zeit kann nur mit kleinem Gezeug gefischi werden, mit Säcken, Reusen, Legeschnüren, Stellnetzen und kleinen Zug garnen, die bei reichlicher, den ganzen Tag ausfüllendei Arbeit nur verhältnismäßig geringe Beträge liefern. Erst im Winter, wenn die Eisdecke stark genug ist, um ein schweres Netz und die zu seiner Bedienung erforderlichen Männer zu tragen, kann ein Gezeug angewendet werden das mit einem Zug mehrere hundert Zentner Fische alle: Art liefert, weil es nicht nur einen großen Raum um schließt, sondern auch vom Grund des Gewässers bis zu: Eisdecke reicht, so daß kein Fisch über die obere Simm« entweichen kann. Auch der Sack, der mit weiter Öffnung zwischen den Flügeln hängt, ist von bedeutender Länge so daß die instinktmäßig nach der Tiefe fliehenden Fisch« nicht mehr herausfindcn. Wie ist es nun möglich, solch ein Ungetüm von Netz nicht nur unter das Eis zu bringen, sondern darunter mehrere hundert Meter weit vorwärtszuziehen? Dazu müssen vorerst Löcher in großer Zahl in die meist schon fußdicke Eisdecke geschlagen werden. Zuerst eine drei Meter lange und ein Meter breite Wuhne, die dadurch entsteht, daß man ringsum den Rand aufhackt und die freigelegte Tafel nach rückwärts unter das Eis schiebt. Nun werden nach beiden Seiten in gerader Richtung kleine runde Eislöcher geschlagen, die etwa zwölf Meter von einander entfernt sind. Jetzt kann mit dem Aufstellen der Flügel begonnen werden. Dazu dient eine dreizehn bis vierzehn Meter lange Stange, die von der Wuhne zum nächsten Eisloch geschoben wird. Wenn ihre Spitze dort anlangt, wird sie mit einer großen Gabel ergriffen und durch kurze Rucke nach dem nächsten Loch weitergeschoben. An ihrem Ende trägt sie eine lange Leine, die am Flügel befestigt ist. Bon Zeit zu Zeit wird sie mit einem Haken durch das Eisloch emporgeholt und auf die Winde eines aus dem Eise verankerten Schlittens gelegt, mit der der Netzflügel unter dem Eise nachgezogen wird. Sind beide Flügel auf diese Weise in gleicher Linie ausgespannt, dann wird die Stange mit der Gabel im rechten Winkel nach dem Ufer zu gedreht, bis sie mit ihrer Spitze das nächste Eisloch findet, deren Linie jetzt auf die am Ufer liegende zweite große Wuhne zuführt, aus der das Netz heraus gezogen wird. Nun kommt die schwerste Arbeit: Das Vorwärts ziehen des ganzen Netzes unter dem Eise. Das geschieht auf beiden Flügeln gleichzeitig und gleichmäßig dadurch, daß die Leine nach jedem dritten oder vierten Loch hinter der Treibstange herausgeholt und auf die Winde gelegt wird, deren Kraft erforderlich ist, das schwere Netz vor wärtszubewegen. Unterdessen sind die Treibstangen von beiden Seiten her an der weiten großen Wuhne ange langt, wo sie herausgehoben und die Leinen zum letzten mal auf die Winde gelegt werden. Inzwischen haben sich die Fischer hinter der Wuhne versammelt, ergreifen den Netzflügel und ziehen ihn auf das Eis heraus. An jedem Flügel steht als vorderster Mann der Garnmeister, der vor allem darauf zu achten hat, daß nicht nur Ober- und Umersimme seines Flügels, sondern auch beide Flügel gleichmäßig cingeholt werden. Das erkennt er an den farbigen Zeichen, die in kleinen Zwischenräumen an allen vier Simmen angebracht sind. Ter Raum zwischen der Wuhne, den beiden Flügeln und dem Sack ist jetzt von einer großen Menge Fische ungefüllt, die hin und her schießen. Sie werden durch heftige Stötze mit einem Sturgel in den Sack gescheucht. Bei einem grotzen Fang stoßen ganze Schwärme kleiner Fische auf die Flügel. Teils bleiben sie mit dem Kopf in einer Masche hängen, teils werden sie von den Falten des Netzes bedeckt und herausgezogen. Das ist ein Gewinn für die Fischer, denen alle in den Flügeln gefangenen Fische gehören. Gewöhnlich ziehen an jedem Flügel acht Mann. Es kommt aber recht ost vor, daß ihre Kraft nicht ausreicht, die schwere Arbeit zu bewältigen, wenn das Netz aus weichem Grund zu tief einschneidet und der Sack sich mit Moder und Kraut füllt. Dann sind aber unter den Zu schauern stets hilfsbereite Kräfte vorhanden, die gern ein springen, um sich ein Gericht Fische zu verdienen. Schließlich ist der Sack an der Wuhne angelangt. Er wird ringsum auf das Eis gehoben und langsam aus- gekrempclt. Schon sieht man in dem trüben Wasser die dunklen Rücken großer Fische anftauchen, von denen manch einer durch einen Luftsprung die Freiheit zu gewinnen sucht. Immer dichter wird das Gewimmel und Getümmel in dem umschlossenen Raum, jetzt sieht man auch schon die weiße Farbe der Leiber aufblinkcn. Nun werden mit großen Käschern die Fische herausgchobcn. Die kleineren werden auf das Eis ausgeschüttet, wo sie schnell absterben und erstarren. Die großen werden heraus gelesen und lebend in grotzen Wasserfässern geborgen. Der erste Zug dauert auf den großen Seen, wo das Ungetüm von Netz einen Weg von zwei bis drei Kilo meter unter dem Eise zurückgelegt hat, vier Stunden, der zweite und die folgenden erfordern weniger Zeit, weil inzwischen schon die Wuhnen und Löcher für den nächsten Zug gehackt sind. Das nasse Netz wird aus zwei anein andergekoppelte Schlitten gepackt und zur nächsten Einlaß- wuhne gefahren, wo die Arbeit sofort von neuem beginnt. An der verlassenen Stelle bleiben nur Haufen von Schlamm und Kraut zurück, auf die sich Scharen von Krähen stürzen, die schon lange aus den Uferbäumen aus das Verschwinden der Menschen gewartet haben. Sie finden reichliche Nahrung an den Schnecken und kleinen Fischen, die mit dem Kraut berausgezogen worden sind. Auf den großen tiefen Seen bringen die ersten Züge stets nur einen kärglichen Ertrag Der Fischer erwartet auch nichts anderes. Denn diese Züge dienen nur dazu, die Fische, die sich zur Winterruhc in der Tiefe der Ge wässer versammelt haben, aufzuschenchen, und in die Tie Hochzeit vcä Fürsten zu Stolberg, Fürst Wolf Heinrich zu Stolberg-Stolberg vermahlte sich jetzt mit einer Bürgerlichen, Fräulein Irma Ersert. Aus unserer Aufnahme verläßt das junge Paar die Schlotzkirche zu Stolberg nach der Trauung. flachen Buchten zu treiben, wo sie dem Netz nichtz entweichen können. Am ertragreichsten werden die Züg« gegen das Frühjahr hin, wenn die Eisdecke durch ge schmolzenen und wieder gefrorenen Schnee völlig undurch sichtig, und es im Wasser so finster geworden ist, daß die Fische selbst eine vorhandene Möglichkeit, zu entweichen, nicht wahrnehmen können. Sachsen wieder einmal das Stiefkind. Ungenügender Anteil an den Hausreparaturzuschüssen. Da der bisherige Verteilungsschlüssel für die Häus- reparaturzuschüsse aus dem 50-Millionen-Fonds nach der Bevölkcrungszahl für den Freistaat Sachsen n achteilig war im Verhältnis zu anderen Ländern, sind die zuständigen Stellen bei der Neichsregieruug vor stellig geworden, eine andere Verteilungsort zu finden. Sachsen erhielt von den ersten 50 Millionen Mark 4 (in Worten: vier) Millionen Mark Zuschuß. Es muß erwartet werden, daß der Freistaat Sachsen von dem zweiten 50-Millionen-Fonds einen entsprechend höheren Betrag bekommt. Wünsche auf Einführung von Motorblitzzügcu. Im Landtag hat die staatsparteiliche Fraktion eine Anfrage wegen der Einführung von sogenannten Motor- blitzzügen durch die Deutsche Reichsbahngesellschaft cin- gebracht. Die Regierung wird gefragt, ob sie bereit sei, eine Benachteiligung des mitteldeutschen Bezirkes zu ver hindern, und dafür einzutreten, daß Motorblitzzüge auch im Freistaat Sachsen — etwa auf den Strecken Dresden- Leipzig, Leipzig—Berlin usw. — schon für den neuen Sommerfahrplan vorgesehen werden. (Es ist bezeichnend, daß es einer solchen Anregung erst bedarf und die Reichs bahn nicht von selbst an Sachsen denkt! D. Schriftltg.) Die AtemWrachen ln Sachsens höheren Schulen. Französisch statt Englisch als erste Fremdsprache. Das Ministerium für Volksbildung hat sich ent schlossen, vom 1. April 1934 ab für die höheren Schulen als erste neuere Fremdsprache anstelle des Englischen das Französische einzuführen. Nach einer unter Vermittlung des Reichsministtriums des Innern zustande gekommenen Vereinbarung der Länder sollte Französisch schon von Ostern i933 ab erste neuere Fremdsprache sein. Sachsen hat mit seinem Beitritt bisher noch zurückgehalten, weil es erst Ostern 1926 das Englische als erste neuere Fremd sprache vorgeschrieben hatte und weil es zunächst abwarten wollte, ob alle die Länder, die der Vereinbarung bei getreten waren, diese zum festgesetzten Zeitpunkt auch wirklich durchführen. Da dies der Fall ist, ist .um auch Sachsen der Vereinbarung beigetreten und hat damu den von vielen Seilen geäußerten Wünschen entsprochen. Die Gemeinsamkeit der ersten Fremdsprache bedeutet einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung des gesamten deutschen höheren Schulwesens. Kurze politische Nachrichten. In dem Amte Oberbruch (Rhld.), zu dem die Ge meinden Hülhoven, Porselen und Oberbruch gehören, wurde die neue Amtsvertretung gewählt. Die Wahl beteiligung ging gegenüber den letzten Reichstagswahlen sehr zurück, und zwar von 82 auf 62 Prozent. Das Zen- trum erhielt in den drei Gemeinden 921 Stimmen gegen 1433 bei der letzten Reichstagswahl, die Stimmenzahl der Arbeiterpartei (SPD.) fiel von 119 auf 89, die der K o m m u n i st e n von 115 auf 62, die der Deutschen Volksgemeinschaft (Nationalsozialisten) dagegen stieg von 218 auf 360 Stimmen. * Zu der Meldung, daß Oberpräsident Noske die Ab sicht habe, bereits vor der Erreichung der Altersgrenze in den Ruhe st and zu treten, wird von zuständiger Stelle mitgeteilt, daß diese Gerüchte jeder Grundlage entbehren. Der Kommissar des Reiches für das preußische Innen ministerium bedauert, daß durch derartige Meldungen der Eindruck verbreitet werde, es sei beabsichtigt, einen Wechsel im Oberpräsidium Hannover eintreten zu lassen, bevor der Oberpräsident Noske die Altersgrenze erreicht habe. OopvAsbt bz« dwrtin ?eocbtvkMl;sc, Holla (8aaie) Der Morgenwind pfiff durch die Straßen, kam um die Ecken gefegt und traf erbarmungslos die Menschen, die schon so früh ihrer Arbeit nachgehen mußten. Fröstelnd zogen sie die Ueberkleider enger um den Körper; dieser Wind ging einem durch und durch. Seit acht Tagen hatte man sich über die warme Witterung gefreut, hatte das Nahen des Frühlings ge ahnt, hatte aufatmend die ersten warmen Sonnenstrahlen begrüßt. Und jetzt auf einmal, über Nacht, war es wieder bitter kalt geworden, war der schreckliche Winter zurück gekommen. Hastig jagten die frierenden Menschen dahin oder trippelten an den Haltestellen der Elektrischen ungeduldig hin und her. Die Tür eines Miethauses öffnete sich; ein junges Mädchen kam heraus. Die kleine Baskenmütze saß schief auf dem rechten Ohr und ließ einen tiefschwarzen, gut geschnittenen Pagenkopf sichtbar werden. Erschauernd zogen zwei kleine, mit billigen Hand schuhen bekleidete Hände den dunkelblauen Trenchcoat fest am Hals zusammen, um dann schnell wieder in den Manteltaschen zu verschwinden, wobei die mit Brot schnitten und Thermosflasche vollgestopte Aktentasche unter dem Arm fest an den Körper gepreßt wurde. Mein Gott, was war das für eine Kälte! Die Tränen schossen dem jungen Ding in die Augen, die Nase war in den wenigen Augenblicken schon ganz rot geworden. Magdalene Winter schüttelte sich, als jetzt ein Windstoß daherfegte und den Rock hochwarf, so daß man die in feinen Seidenstrümpfen steckenden Füße bis zum Knie sehen konnte. Warum war auch gerade sie dazu verdammt, jeden Morgen um dreiviertel acht ins Büro wandern zu müssen, während so viele andere junge Mädchen weiß Gott wie lange in den Federn liegen und sich ausruhen konnten? Ein tiefer Seufzer entfloh den roten Lippen Magda lenes. Dabei trabten die Füße eilig über das Pflaster. Das Geschäft, in dem sie als Schreibmaschinenfräulein angestellt war, war ziemlich weit entfernt; der Weg streckte sich mächtig, besonders wenn man verschlafen hatte. Frau Hahn, ihre Wirtin, hatte heute selbst verschlafen, und alles war heidi gegangen. Der Kaffee war so heiß gewesen, daß Magdalene ihn kaum halte trinken können, und daß sie sich den Mund dran verbrannt hatte. Sie halte heute auch nur flüchtig Toilette machen können. Das Waschwasser war eisig kalt gewesen. Sonst, wenn Hähnchen nicht verschlief, bekam sie immer ihren Bottich mit warmem Wasser; aber heute hatte es dazu natürlich nicht mehr gereicht. Ach, ein armer Mensch war wirklich beklagenswert. Und dabei halte sie gerade heute so schön geträumt, so daß sie Frau Hahn ganz entgeistert angestarrt hatte, als sie sie unsanft weckte. Also war das alles wieder einmal nur ein Traum gewesen; ein Traum, daß sie reich und glücklich war — nichts als ein Traum! „Lene, hallo! Willst du mich nicht mitnehmen?" Magdalene Winter rümpfte die hübsche Nase, als sie diesen Anruf hörte, und schnippisch sah sie dem jungen Mann entgegen, der gerade über die Straße herüber kam und aus sie zueilte. Es war Arnold Becker, der zusammen mit ihr als Kontorist bei der Firma Teutobert Fischer, Drahtgitter- und Eisenwarenfabrik, angestellt war. „Guten Morgen, reizende Kollegin!" „Red' nicht so viel Unsinn am frühen Morgen", war Magdalenes unwirsche Antwort. „Na, was ist los, Lene? Mit dem verkehrten Fuß aufgestanden heute?" „Ich heiße nicht Lene, sondern Magdalene, wie ich dir schon des öfteren gesagt habe." „Oh, Pardon, liebwerte Kollegin — ich vergaß ..." Er mußte ein Lächeln unterdrücken. Ja, das war so eine Schwäche von der Magdalene. Man siel sofort in Ungnade, wenn man sie mit Lene anredete, wenn man ihren langen Namen auf diese Weise abkürzen wollte. Sie wollte das nicht hören. Das sei albern und altmodisch, wie aus Großmutters Handkörbchen. Man könne viel leicht Magda zu ihr sagen, das ließe sich noch hören. Ueberhaupt, daß sie so einen langweiligen Namen mit auf den Lebensweg bekommen hatte — Magdalene Winter ausgerechnet —, damit war sie gar nicht einverstanden. Im Büro lächelte man über diese Schwäche der Kleinen, die sonst ein lieber und vernünftiger Kerl war. Sie hatte ein hübsches Gesicht, große, graue, schwarz-- umwimperte Augen, die schon manchen Jüngling angelockt hatten. Diese Anbändeleien blieben indes immer nur von kurzer Dauer. Das kleine Fräulein stellte zu grotze An sprüche an ihre Verehrer. Sie wollte nur in vornehme Lokale und Vergnügungs stätten geführt werden; gewöhnliche Kaffeehäuser oder einfache Bierlokale waren nicht nach ihrem Geschmack. Im Theater saß sie auch nicht gern auf einem billigen Platz; Stehparterre oder dritter Rang kamen schon gar nicht in Frage. Magdalene Winter war ganz auf Vornehmheit ein gestellt, und deshalb waren ihr alle diese jungen Herren nicht recht, die sich um ihre Gunst bemühten. Meistens kam sie schon das zweite Mal nicht mehr zum Rendezvous. Das alles hatte ja keinen Zweck! Dabei kam sie nicht weiter. Sie wollte ihr Leben genießen; aber nicht auf sr billige und gewöhnliche Weise wie ihre Kolleginnen. Wenn es nichts anderes für sie gab, dann blieb sie lieber zu Hause. (Fortsetzung folgt.)