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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 18 — Sonnabend, den 21. Januar 1933 Ohne Brot. Der Schneewind wühlt in übereisten Wäldern; Verweht sind alle Wege in den Feldern. Ein Rabe schreit nach Brot. Müd' winkt ein Kirchturmfinger aus der Weite; Sein spielzeugkleines Katendorf verschneite. Das Wiesenfließ ist tot. Was will im Schnee die zage Spur der Zehen — Der Wind wird eisig lachend sie verwehen. Ein Rabe suchte Brot. Es krächzt, als wär's des armen Raben Ahne, Der Turmhahn — eine rostige Wetterfahne: Ein Dorf — ein Land — in Not! Franz Mahlke. Wieder Betrieb im Wallothaus. Die Parteien, die am 31. Januar im Reichs- Parlament sich wieder versammeln werden, lassen sich jetzt von den Regierungsvertretern unterrichten über die vollzogenen und beabsichtigten politischen Maßnahmen der Reichsregierung. Danach werden sie die Beschlüsse über ihre Stellungnahme in der Vollsitzung fassen. In die seit längerer Zeit ruhig daliegenden Räume des Reichstages ist wieder neues Leben eingezogen. Die Mitglieder des Ältestenrates, des Auswärtigen, des So zialpolitischen und des Haushaltsaus schusses haben sich eingefunden, die N e i ch s m t nister mit ihren Stäben sind erschienen und die Parla mentsjournalisten sind wieder eif«g bei der Arbeit. * Ser Außenminister im Auswärtigen Ausschuß. Deutschlands außenpolitische Lage. Der Auswärtige Ausschuß des Reichs tages trat unter dem Vorsitz des Abgeordneten Dr. Frick (Nat.-Soz.) zusammen. Der Sitzung wohnten Reichsaußenminister Freiherr von Neurath, Reichswirtschaftsminister Warmbold, Staats sekretär von Bülow, Botschafter Nadolny sowie eine Reihe von Ländervertretern bei. Die Tagesordnung sah eine Aussprache über alle außenpolitischen Fragen vor, darunter auch die Behandlung der handelspoli tischen Lage Deutschlands. Die Beratungen wurden mit einer eingehenden Rede des Rcichsaußcnministers Freiherrn von Neu rath cingelcitct. Er erstattete unter Bezugnahme auf das dem Aus schuß wunschgemäß übermittelte Material einen umfassen den überblick über die einzelnen Punkte der Tages ordnung: Tribute und Auslandsschulden, Abrüstungs konferenz, Ostfragen, Schutz der deutschen Minderheiten im Auslande, über die handelspolitische Lage Deutsch lands sowie über den fernöstlichen Konflikt. Auskunst über die Osthilfe. Die rückständigen Landarbeiterlöhne. Im Haushaltsausschuß des Reichstages erklärte bei Fortsetzung der Aussprache über die Ost Hilfe Neichs- ernähruugsminister Freiherr von Braun, daß er bereit sei, dem Ausschuß jede gewünschte Auskunft über die Durchführung der Osthilfe zu geben, daß er es aber für notwendig halte, diese Auskunftserteilungen über die Einzelfälle vertraulich zu behandeln. Bezüglich der Landarbeiterlöhne sei in Aussicht genommen eine Ausdehnung des Zwangsvollstreckungs- und Konkurs vorrechts für rückständige Löhne nach Aufhebung des Sicherunasverfaürenä: nötigenfalls werde Anweisung er- gehen, daß rückständige Landarveiterlöhne auch aus De- triebssicherungsmitteln abzudccken seien. Die Pächter- entschuldung werde mit größter Beschleunigung lediglich aus Reichsmitteln durchgcführt. Nach dem Zweck des Sicherungsverfahrens umfasse der Sicherungsschutz nicht nur den landwirtschaftlichen Betrieb, son dern das gesamte sonstige Vermögen des Be- triebsinbabers; dieser sei verpflichtet, sein übriges Ver mögen für die Zwecke der Entschuldung zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung zu stellen. Minister von Braun teilte daun noch mit, es arbeite in der Ost- Hilfe eine ganze feldmarschmäßige Division. Das sei zweifellos ^ine schwere Belastung. Es seien Bemühungen im Gange, diese Kosten etwas ab zubauen Prüfung der KranlenkaffenSelriebe. Beschlüsse vcs Sozialpolitischen Ausschusses des Reichstages. Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstages nahm nach längerer Ansprache gegen die Stimmen des Zen trums und der Christlich-Sozialen bei Stimmenthaltung der Deutschnationalen einen kommunistischen Antrag an, der die Neichsregierung auffordert, die in derKranken- versicherung durch Notverordnung eingeführten Krankenfchein- und Rezeptgebühren aufzuheben und den Versicherten Krankenkassenhilfe gemäß den Bestimmungen der Krankenversicherung nach dem Stande vom 1. Januar 1930 mit der Maßgabe zu gewähren, daß die nach dieser Zeit vorgenommenen Verbesserungen erhalten bleiben. Die Reichsregierung soll zu diesem Zweck sofort ent sprechende Gesetzentwürfe vorlegen. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde von der selben Mehrheit eine Entschließung angenommen, alle Vorschriften der Notverordnung aufzuheben, die die Ge währung von Mehrleistungen der Krankenkassen unter binden. Annahme fand auch eine nationalsozialistische Entschließung, die die Familienangehörigen hinsichtlich der Krankenkassenleistungcn den Mitgliedern völlig gleich stellen will. Dafür stimmte mit der bisherigen Mehrheit auch der Vertreter der Deutscbnationalen. Mit großer Mchrhclt angenommen wurde auch der Antrag des Zentrums und des Volksdienstes, der den Reichsarbeitsminister ersucht, im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden der Versicherungsträgcr Richtlinien für eine eingehende einheitliche Prüfung der Ge schäftsführung der Krankenkassen festzu fetzen. Diese Prüfung hat sich auch auf die Wirtschaftlich keit der von den Krankenkassen unterhaltenen eigenen Wirtschaftsbetriebe und Ausaabestellen zu beziehen. * GeireideaSlieferung aus Befehl. Neue Vorschriften für die russische Getreideablieferung. Der Rat der Volkskommissare der Sowjetunion und das Zentralkomitee der kommunistischen Partei haben eine Verordnung über die Abführung von Ge treide an den Stactt erlassen. Die Verordnung be stimmt, daß das bisherige System des Abschlusses von Verträgen zwischen den staatlichen Gesellschaften und den kollektiven Bauernwirtschaften aufgehoben werde. An Stelle dieser Verträge wird eine bestimmte Ge treidemenge festgesetzt, die an den Staat ab geliefert werden muß. Eine Herabsetzung des Abfuhrsolls kommt unter keinen Umständen in Frage. Die Leiter der kollektiven Wirtschaften haften dem Staat persönlich für die Ausführung des Getreideplanes. Maßnahmen Mimllen der Siedler. Bereinigung der Zinsrückstände. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hat im Anschluß an die Senkung der Siedlerrenten für die Dauer von zwei Jahren aus dreieinhalb Prozent jähr lich angeordnet, daß unverzüglich eine Bereinigung hin sichtlich der Rückstände der Siedler stattfinden soll. Urner Mitwirkung der Siedlnngst.räger, Sicdlungsbchörden und der Deutschen Siedlnngsbank, sollen innerhalb bestimmter Fristen Vereinbarungen über die Rückstände getroffen iverden. Panzerschiff „Deutschland" auf seiner ersten Probefahrt. > Panzerschiffes „Deutschland" in der Kieler Bucht. Im Unsere Aufnahme schildert die erste Werkstättenfahrt des neuen s Hintergrund sieht man das Artilleriefchulboot „Brems e". 5 //U/l 7 /V' D / K 0 t. Oop^rlgdt dv Barlin ^ell^itivsnLsr. Halls l5a«—, Aber wie stellst du dir eigentlich jetzt die Sache vor. Ich kann doch unmöglich mitfliegen; auch nicht eine kleine Strecke. Erstens einmal habe ich dazu kein Geld, dann — du weißt —, ich mache alles für dich —, aber dein Vor haben — sias ist mir eine riskante Sache.- .Das laß meine Sorge sein. Du stellst mich heute abend nach der „Jedermann"-Vorstcllung vor. Wir treffen uns zufällig im Peierskeller. Wir sprechen von einem Ausflug und so weiter." .Dann — ich habe zu diesen Extravaganzen kein Geld." .Du brauchst doch keins. Du bekommst doch — von mir selbstverständlich — kurz vor dem Aufstieg am Flugplatz ein Telegramm, daß du von deiner Zeitung da oder dort benötigt wirst." »Ja — es haben doch vier Personen im Flugzeug Platz." »Ich bezahle zwei Plätze." »GutI Heute abend elf Uhr Peierskeller." * * Die eleganteste Dame, die in den vordersten Reihen am großen Domplatz saß, war zweifelsohne Thessa Van- zoni. Eine Wolke von Vermutungen umhüllte die Person, die seit einigen Wochen das Gespräch der vornehmen Lebe welt bildete. Man sprach von einer italienischen Gräfin, von einer reichen, geschiedenen Frau, von einer englischen Aristokratin. Das eine war sicher: Thessa Vanzoni war diesen Sommer in Salzburg die umworbenste Frau. Als sie mit ihrem Schriftsteller in ein Nebenzimmer des historischen und weltberühmten Weinlokals zum Peierskeller trat, steckten die Fremden und die Einheimi schen die Köpfe zusammen. Der Schriftsteller streckte die Hände aus. „Ach, dieses Zusammentreffen! Thessa, darf ich dir vorstellen: ein alter Schulfreund, Herr Doktor Sloiben aus Graz." Es entwickelte sich eine zwanglose Unterhaltung. So wohl Dokror Stoiben wie dessen Freund, ein Schauspieler aus vem Reinhardt-Ensemble, waren fröhlichster Laune. Die Sektpfropfen flogen mit Hellem Juchzer an die Decke. Eine animierte Stimmung griff Platz. „Gnädige Frau — was haben Sie für morgen vor?" „Eigentlich nichts! Haben Sie, Herr Doktor, einen ver nünftigen Vorschlag?" „Na!, was heißt vernünftig?! — Hermann, was sagst du dazu: Hast du Schneid, mit der gnädigen Frau eine Luftreise zu machen?" Thessa applaudierte. ' „Glänzende Idee! Hermannle, wir fliegen." „Uebermorgen ist eine Sonderfahrt — ein Flug über und durch die Alpen von Salzburg, um die Zugspitze, durchs Lechtal, hinüber zum Rheinland, Bodensee, Mün chen und zurück." Ganz hervorragend, Hermannle! Komm, laß doch mal einen anderen berichten — mach mir doch die Freude." »Gut! Du besorgst die Karten!" „Selbstverständlich — kein Wort mehr! Die Sache ist abgemacht." Als an diesem Abend Freund Muezzi, der schlanke, lebhafte Ungar, mit Thessa Vanzoni in fröhlichster Laune und einem Blick, der jauchzte: die schönste Frau gehört heute mein! — den Wagen bestieg, griff es Hans ans Herz. Es blieb wahr: er haßte diese Frau und liebte sie den noch — liebte sie, gerade heute, wo sie lachte, plauderte, sich amüsierte — jetzt, wo sein Freund glückstrahlend mit ihr in die Nacht fuhr... Ein Verdacht stieg leise in ihm auf. Sein Freund ge stand ihm offen die Liebe zu Thessa ... Die Salzach rauschte wie grüne Seide durch die mär chenhaft schöne Stadt, Die Kuppel des Doms stand als mächtige Silhouette gegen den Sternhimmel. Hans stand auf der Brücke. Er überlegte: Wäre es am Ende doch nicht besser, den Kampf mit diesem Weibe aufzu- gebcn — ein Sprung in die Fluten — und alles wäre vorbei. Mit der Zeit konnte er auch sein Detektivleben nicht mehr finanzieren. Was hatten all die Bemühungen für einen Sinn? Das Vermögen schwand zusehends. Es mußte bald eine Wandlung eintreten. * -s- * Ueber dem Flugplatz dämmerte rosenrot ein Sommer morgen. Klar und hell summten die Motoren in den jungen Tag. Man merkte es ihnen an, sie wollten nicht mehr lange in süßem Nichtstun auf der Erde stehen, sie wollten ihre Melodie droben in den Lüften singen und klingen lassen. Geschmeidig und blankpoliert wie Flügel aus Gold, blitzten die Propeller, die Schwingen des sieg reichen Jkarius. Tie fahrplanmäßigen Post- und Rciseflugzeuge waren bereits abgefertigt. Eines nach dem anderen startete. Der große Vogel, der heute eine Sonderfahrt zum Bodensee anlreten sollte, wurde aus dem Schuppen ge rollt. Hans schritt nervös auf und ab. Bis zur Abfahrt waren es nur mehr zwanzig Minuten. Verschiedene Formalitäten: Versicherung, Paß, Gepäck, Gewicht mußten noch erledigt werden. Aus dem Büro des kleinen Flugbahnhofes hörte man das Telephon schrillen. Gleichzeitig rief ein Beamter: „Herr Doktor Stoiben wird gewünscht!" Hans krampfte es das Herz zusammen. Er ahnte, was kommen würde. Man hatte ihn verraten. Nervös nahm er den Sprechapparat. „Ich verstehe kein Wort — bitte! — Mit wem hab ich die Ehre? — Ach so! Herr Muezzi abgereist! — Gut! — Gut!" Im gleichen Augenblick ratterte ein Auto zum Flug platz. Hans eilte hinaus. Im rosigen Schein des jungen Tages stand Thessa mi. einem Lächeln vor ihm.