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Hilda reichte ihm stumm die Hand — ihr brennender Blick suchte Albert. Sie hätte ihm um den Hals fallen mögen, aber sie wagte es nicht. Er vermied es, ihrem Blicke zu begegnen. Frau Sidonie winkte der Josephine, eine Theeschale zu bringen. „Komm, Hilda — setz Dich zu uns — es geht Hertha ja besser — Dein Mann giebt Hoffnung." Als Frau Sidonie dies sagte, übermannte es Rudolf. Er schluchzte jäh auf und lief aus dem Zimmer. Ueber Frau Sidoniens Wangen tropften dicke Thränen. Hilda streichelte ihr die Hand. „Ja, Hilda, diese schreckliche Nacht und dabei Rudolfs Verzweiflung!" „Seid nicht so außer Fassung," sagte Albert, „freut Euch, daß es jetzt vorüber ist, wenn keine Wiederholung ein tritt, ist alles gut." „Gott geb's!" Frau Sidoniens Nerven waren so er schüttert, daß sie nun doch ordentlich weinen mußte. „Leg Dich etwas nieder, Mama Ouenstett," redete Albert zu, „Du bist von der Nachtwache ermüdet. Hertha wird Dich jetzt nicht nöthig haben, sie schläft fest." „Da kennst Du mich schlecht, Albert, wenn Du meinst, daß ich mich zur Ruhe begeben könnte. Nein, nein, ich bleibe schon auf meinem Posten; schau nur, daß Du Rudolf dazu bringst, sich niederzulegen — der arme Mensch, er barmt mich." „Laß ihn, er ist ein Manu — er muß auch mehr er tragen können, als das." Die Worte klangen abstoßend hart. Frau Sidonie starrte den Sprecher an. Hilda fühlte das Blut ins Gesicht steigen — Albert hatte die Worte auf sie bezogen. Unwiderstehlich getrieben stand sie auf, rückte Rudolfs leeren Stuhl dicht an Alberts Seite und lwß sich nieder. Sie berührte ihn mit ihrem Arm. Frau Sidonie empfand, daß zwischen den Beiden nicht alles in Ordnung sei. Es fiel ihr auch wieder ein, daß Albert gestern Abend nicht erlaubte, Hilda von seinem Aus bleiben zu benachrichtigen. Ja, ein Wunder war es nicht; so wie Hilda es trieb, daS übersteigt denn doch schon alle Grenzen, das war schon nicht mehr schön. Aber die Eindrücke der letzten Nacht hatten Frau Sidoniens Gemüth zu sehr er schüttert, sie war weich geworden, von Zorn konnte keine Rede sein. Lieber hätten sie sagen mögen: „Kinder, scherzt nicht mit deni Glücke — seht, wie leicht es zerbrechen kann, und haltet fest zu einander," aber so unaufgefordert konnte sie sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen. Sie hielt es für das Klügste, die Beiden allein zu lassen. Als Frau Sidonie aus dem Zimmer war, griff Albert nach einer Cigarre. Er rückte seinen Stuhl auch etwas von Hilda ab. „Albert, Du bist mir böse! Schau liebes Herz, ich hab' Dich doch nicht kränken wollen." Sw legte ihre verschlungenen Hände schwer auf seinen Arm. Albert wandte das Auge nicht zu ihr — er starrte finster auf den Tisch — seine Züge hatten ihren milden Ausdruck gänzlich verloren. Hildas Gesicht neigte sich auf seine Schulter, schmiegte sich fest an ihn. „Schilt mich Albert — mach mir Vorwürfe— thue mit mir, was Du willst, nur sitz nicht so unbarmherzig kalt da, als ob ich Dich nichts anginge! Schau, diese Nacht, wo Du mich allein gelassen hast, die war — die war — ja, daß ich's nicht nennen kann. O, warum hast Du mir das gethan!" „Geh, Hilda, Du hast kein Gefühl," er wollte Hildas Hände von seinem Arm schütteln, aber sie rückte noch näher an seine Seite. „Toch, ich hab' Gefühl, und Du weißt's auch — ich habe warmes, tiefes Gefühl — ich habe Dich unsagbar lieb." Albert lachte bitter auf. „Das sagt eine verheirathete Frau, die ihrem Manne das Bekenntniß ins Gesicht geschleudert hat, daß sie es als Unglück empfände, Frau zu sein; das sagt Eine, die sich von Mann und Haus trennt und ihr ganzes L-innen und Trachten auf ein Gebiet konzentrirt, welches ihren nächsten Pflichten fern liegt, und für das ihre Anlagen doch nicht ausreichen. Verfolge nur Deine Wege, Hilda; ich hindere Dich nicht, aber ich prophezeie Dir, daß Du es bitter bereuen wirst, Dich an Dir und mir versündigt zu haben!" „Versündigt an Dir und an mir —" sprach Hilda erschüttert nach. Sie sank auf ihren Stuhl zurück — schlaff, kraftlos. Albert stand auf. Er wollte gehen — Hilda allein lassen, aber es ging nicht — sie that ihm leid. Sie sah abgehärmt und blaß aus — sie bestand doch wohl innere Kämpfe — sie litt. „NimmDich zusammen, Hilda. Du gehst einen beschwerlichen Weg, Du brauchst Deine Kraft; um mich kümmere Dich nicht." Hochaufgerichtet vertrat ihm Hilda den Weg. Aus ihrem Auge brach eine leidenschaftliche, flammende Sprache: Liebe — Schreck — Entschlossenheit. „Nimm den Ausspruch zurück, Albert!" ihre Hand streckte sich ihm entgegen. „Ich hab's nicht unbedacht gesprochen." „Aber im Jrrthum, Albert. Denke, daß Du mein liebstes Gut auf Erden bist, und daß ich mit jeder Faser meines Herzens an Dir hänge!" „Du hängst nur an Deinen Büchern." „An Büchern hängt man nicht wie an Menschen. Großer Gott, was sind meine Bücher gegen Dich? — Gar nichts; wenn Du willst, rühre ich sie nicht mehr an, aber bisher hast Du mir nicht bewiesen, daß Du meinen Bestrebungen entgegen bist. Ich fühle mich eines Sinnes mit Dir — Deine tiefsten Interessen waren die meinigen, ich muß nur eifriger arbeiten als Du, weil Du mir unmeßbare Längen voraus bist." „Ich habe Deine Studien nicht gehindert, so lange die selben sich in einem zulässigen Rahmen bewegten. Ich hätte mich auch darein gefunden, wenn Du Deine Praxis wie früher ausgeübt hättest. Du aber bist von dem Wahne befallen, es den tüchtigsten von uns Männern gleich thun zu müssen, und darüber bist Du auf einen Abweg gerathen. Dir gilt es nichts, einen Mann zu haben, der Dich auf Händen trägt! Du möchtest lieber selbst ein Mann sein, frei von jeder Fessel — Du willst den Wettkampf mit Männern, für eine solche Frau ist der Gatte Nebensache, über den sie hinwegschreitet, um zu ihrem Ziele zu kommen." „Der Schein ist gegen mich, Albert. Mir handelt es sich nicht um den Wettstreit. Ich habe nur die Halbheit verschmäht; mich spornte mein Gewissen, nicht als unverläßlicher Arzt zu den Kranken zu treten. Ich fühle mich von dem Drange erfaßt, meine Kräfte zu ihrer höchsten Leistung anzuspannen. Mein Wunsch, ein Mann zu sein, entsprang der verzweiflungs vollen Einsicht, daß sich vor der Frau ungerechtfertigter Weise Hindernisse aufthürmen, die der Mann nicht kennt, die er nicht zu überwinden hat. — Wenn ich es recht bedenke, so wollte ich lieber, ich wäre eine Fran, wie andere, ohne dieses Sehnen nach Erforschung der Dinge, die uns umgeben." „Das klingt vernünftig Hilde — um diesen Ausspruch will ich Deine gestrigen Worte vergeben. Sprich so etwas nicht wieder; denke doch, wie Du dadurch Dein Verhältniß zu mir stempelst." „Daß Du mich aber nicht besser kennst, mein Alter! Sieh, Du weißt doch, daß Du mein Alles bist!" „So, nun laß mich los" — er küßte sie noch einmal — „die hier brauchen's nicht zu wissen, daß zwischen uns eine trübe Nacht gelegen hat." * » „Ein Mutterherz ist tief wie das Meer. Schau, Hilda, als Hertha heirathete, habe ich zur Muttergottes gebetet, daß sie mein Kind noch lange davor behüten möge, einem Wesen das Leben zu schenken, und jetzt danke ich ihr früh und spät und zu jeder Stunde, wo ich mein Herz zu ihr erhebe, daß sie Herthas Hoffnungen erhalten hat. — Eine Woche ist nun schon seit Herthas Falle verstrichen, und Albert ist sehr zu frieden mit ihr, da bin ich denn auch wieder auf dem Punkte, wo ich darüber nachdenken kann, daß man aus den traurigen Stunden Lebensweisheit schöpfen soll. Die Lehre, die ich aus Rudolfs Verzweiflung um Herthas Zustand gezogen, habe ich mir hinters Ohr geschrieben. Jetzt pfusche ich dem lieben Gott mit meinen Wünschen nicht mehr ins Handwerk. (Fortsetzung folgt.)