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— 4 Und Komtesse Maria streichelte, während sie so sprach, der Alten zärtlich die braunen Wangen, schob dabei auch die Haube von einem Ohr aufs andere und bemühte sich, auf diese Weise das gefährdete Gebäude wieder in die richtige Stellung zu bringen. Die Erinnerung an die unglückliche französische Königin beschwor indessen nur einen neuen Sturm herauf. „Ja, mein Täubchen," schluchzte die Alte plötzlich zu Komtesse Marias Schrecken auf. „Ja, mein Täubchen, ich weiß es noch recht wohl, und 's ist die Haube und 's sind auch noch dieselben Bänder und dieselben Spitzen! Expreß von Brabant ließ sie damals die Frau Königin für mich ver schreiben, und die Kammerfrau, o ich weiß es noch ganz genau, und ich werde es niemals vergessen, ja die Kammer frau, Madame de Rambam war's, die mußte mir alles an die Haube nähen wie für die Frau Königin selber! — Und ich hab' auch noch ein Schleifchen, das der kleine Louis Charles damals in der heiligen Taufe an seinem Häubchen trug! — Und das herzige Gesichtchen mit den runden Bäckchen, ach, ich sehe es noch wie damals! — Und ich seh' auch noch die Frau Königin, wie sie die kleinen Fäustchen streichelte und küßte, und wie sie Mund und Bäckchen küßte und . . ." Weiter kam die gute Alte nicht. Sie weinte und schluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. „Christiane, liebe Christiane!" sprach Komtesse Maria wieder liebkosend auf sie ein, doch der Thränenstrom war nicht zu dämmen, alle Schleusen schienen offen! „Kindchen," klang es zwischendurch, „laß die alte Christiane, laß sie sich mal redlich ausweinen! Ach, das Unheil! Ach, ich ahnte ja schon all' das Schlimme damals, und Dein seliger Herr Vater ahnte es auch — damals — als der mechante Post meister, der Drouet, in Varenne uns anhielt. — „,Der König ist's und die reizende Frau Königin auch!" rief der Schurke. „Ei, die lieben Mäuslein wollten uns aus der Falle schlüpfen!" lachte er. „Schade, daß das nette Stückchen nicht nach Wunsch gelungen ist! — Scheint mir auch ein schlechter Kutscher, der den Herrn König kutschirt! Nur her unter, Monsieur Kutscher! Immer herunter vom Bocke! Könnt Euch als Fahrlohn die alte Hexe da mit auf den Werdi ff. Weg nehmen!' Ich — ich wurde — alte Hexe schimpfirt! Und Dein Herr Vater, Herzchen, der gnädige Herr Graf, Gott hab' ihn selig, der in den Kutscher kleidern steckte und selber des Königs Wagen führte, mußte expreß herunter, und ich mußte auch partout herunter, und dann wandten sie die Karosse — die Hallunken — und der Kies knirschte unter den Rädern — ach so schrecklich — ach, ich hör' ihn jetzt noch knirschen!" — Wieder erstickte der Redestrom der guten Christiane in Thränen, und die Alte schüttelte sich förmlich vor Grauen, dann fuhr sie nach einer kleinen Pause etwas gefaßter fort. „Dein Herr Vater, der hochselige Herr Graf, mein Täubchen, der nahm mich damals mit sich zur Frau Gräfin, die fragte mich freundlich, ob ich ihres Kindchens warten möchte? Du warst damals noch ein gar winziges Püppchen, und wie mich Deine klaren Aeuglein anlächelten, da sagte ich „ja". Ach, wer hätte es damals ahnen können, daß . . ." „Still, Christiane, still!" unterbrach hier Komtesse Maria ängstlich. „Ich kann das Schreckliche nicht wieder hören! Laß die Todten ruhen! Jene schmerzerfüllten Bilder standen mir all die bange Zeit hindurch vor der Seele. Immer und immer hörte ich es in den Ohren brausen wie Meeresbrandung, und wachend und träumend wußte ich, daß es des Volkes wild tobender Haß sei, der in blindem Wahnwitz durch die Straßen raste und mir — und uns — den theuren Vater raubte! — Und ich sah " — Komtesse Maria bedeckte von Schmerz überwältigt das Gesicht mit beiden Händen. „Nichts — nichts sah ich!" suhr sie dann sich ermannend fort. „Ich will die Wunden, die ich Dir zu schonen gebotz nicht selber schmerzhaft berühren! — — Siehe, seit wir hiev oben, fern von den Wohnungen der Menschen ein Asyl fanden,! fühle ich das Herz leichter! Die Erinnerung malt mir auch zuweilen wieder hellere Bilder aus längst vergangenen frohen! Tagen vor die Seele, und es scheint mir fast, daß auch di^ Augen der Mutter minder traurig blicken! Auch sie athmet! wohl freier in der frischen freien Bergluft! Also, Christiancheu/ laß mir meinen schönen Gleisberg in Frieden und auch meinen Lieblingsplatz! (Fortsetzung folgt.) t Wnterm Wegen schirm. Novelle von V. Battier. I- a, na, sammeln wir ein wenig unsere Erinnerungen! Ich bin wirklich ganz verblüfft! Wie, ich, Anatole, den alle seine Freunde den Unwiderstehlichen nennen, ich sollte .. . Aber nein! . . Ich habe geträumt. Sammeln wir unsere Erinnerungen. Ich habe übrigens Zeit genug dazu. Es hat noch nicht Mitter nacht geschlagen, und ich kann doch nicht so früh zu Bett gehen. Ich möchte lieber noch 'mal in den Klub gehen — ach, ja, tausend erstaunte Bemerkungen hören, auf ! tausend alberne Fragen antworten . . . Nein, ich bleibe! Der Regen strömt noch immer Her nieder. Und grade dieser Regen jagt meine Gedanken so durcheinander. . . Ich hatte heute Nachmittag um 2 Uhr eine sehr wichtige Verabredung . . . Ich sollte nämlich mit meinem Busenfreunde Leon bestimmen, welches Kostüm wir auf dem nächsten Maskenball der Fürstin Kramiskroff tragen sollten. Das ist eine sehr ernste Sache, denn die Fürstin, die Verkörperung der raffi- nirtestcn Eleganz, versteht es, ihren Gästen ihre Zufriedenheit oder ihr Mißfallen in ganz eigenthümlicher Weise fühlbar zu machen. Ich wollte aufbrechen. Erstes Pech: mein Pferd ist krank. Ich entschließe mich, einen Fiaker zu nehmen. Auf der Straße kommt mir eine Idee! es ist mir empfohlen (S. ?.) worden, ich solle mir Bewegung machen,' ich werde also gehen, obwohl der Weg vom Boulevard Malesherbes bis zur Rue de la Chaise, wo Leon wohnt, ziemlich weit ist. Ich beschleunige meine Gangart und komme etwas ermüdet an. Zweites Pech: Leon hatte unsere Verabredung vergessen,' der Diener theilt mir mit, sein Herr wäre fortgegangen, um einer Schwurgerichtssitzung beizuwohnen ... Ist das eine Idee! Fluchend und schimpfend schlage ich wieder den Weg nach dem Boulevard Malesherbes ein. Was mit dem Tage anfangen? Und nun beginnt der Regen, ein eisiger Regen hcrnieder- zuströmen. ES muß doch hier irgendwo ein Fiakerhalteplatz in der Nähe sein. Da ist der Halteplatz, aber kein Fiaker läßt sich sehen. Drei Omnibusse fahren vorüber. Aber alle drei sind besetzt. Gehen wir schneller! Da plötzlich erblicke ich einen Laden, aus dessen Schaufenster mir Stöcke, Sonnen- und Regenschirme entgegenblinken. Ich gehe schnell hinein, kaufe mir einen Regen schirm und wandere weiter. So ein Regenschirm ist doch eine reizende Erfindung. Er schützt zwar die Kleider absolut nicht, da das Wasser sehr bald durchdringt', er hindert eilige Leute auf ihrem Wege, denn man muß ihn bald nach rechts, bald nach links drehens doch dafür schützt er — manchmal — den Hut. Diese Betrachtungen stellte ich an, während ich durch die zum Glück wenig belebten Straßen des Faubourg Saint-Germain schritt und Leon ebenso verwünschte, wie den Regen. II. Plötzlich bemerke ich, in entgegengesetzter Richtung von meinem Wege, ein junges Mädchen, dem ein großes, in schwarze Leinwand