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ohne sich zu rühren, in meine Kammer gucken. Einer hat dem Andern den Arm auf die Schultern gelegt, mie's eben gute Freunde machen, und beide gucken und gncken, als ob's an mir Wunder was zu sehen gäbe! — Ich steh' natürlich wie angewurzelt. Die Kehle ist mir auf der Stelle zugc- schnürt, daß partout kein Laut raus kann, aber ich verlier' doch nicht die Courage und sehe mir die Beiden genau an. Und mit einem Male erkenne ich den hochseligen Herrn Grafen, Deinen Vater, Kindchen, und — den unglücklichen armen, den geköpften König Louis! „Jesus!" schrei ich auf, und der Schreck fährt mir jetzt in die Glieder, daß ich in die Knie stürze. Ich schlag' das Kreuz und mach' die Augen fest zu, weil ich gar nichts mehr sehen mag, und wie ich dann nach einer kleinen Weile, in der ich meinen Herrgott angerufen hab', die Augen ruhig wieder aufthu', da schau' ich's leere Fenster. Nur der Mond guckt freundlich hinein, und die Kerze, die ich doch vor wenig Augenblicken erst an- gestcckt hatt', ist sonderbarer Weise bis auss kleinste Stümpfchen ausgebrannt und sogar schon erloschen. Mich selber hat der Schrecken aus der Mitte der Stube justement bis ans Bett geworfen, und so steif fühlt' ich meine Glieder, als ob ich die halbe Nacht auf der harten Diele gelegen wäre! — Heut' Morgen war ich unten in Kunitz. — Weil ich nun der vielen gottlosen Wegelagerer gedachte, die auf einsamen Waldwegen schwachen Weibern auflauern, späht' ich recht vorsichtig in die Büsche rechts und links. Da — Komteßchen, da — stand ich plötzlich wieder wie gelähmt. Wie vom Blitz getroffen, stand ich und könnt' nicht von der Stelle! — Ich fühlt', wie mir der Herzschlag stockt'! Komteßchen! O Du hcil'ge Christiane! Nur wenige Schritt von mir sah ich — sah ich — wieder — wirklich und leibhaftig — den hochseligen König Louis! Diesmal aber waren seine Augen partout nicht starr, sie funkelten mich an wie Feuer! Und eine schreckliche Geisterstimme, die ging mir vollends durch Mark und Bein! Ich sage in meiner Seelenangst laut das Vaterunser her, halt auch geschwind mein goldenes Kreuz dem Gespenst ent gegen, doch — es wollt nicht weichen! Nührt sich partout nicht vom Fleck, lacht nur — lacht so schrecklich, daß es mir noch jetzt in den Ohren gellt!" (Fortsetzung folgt.) Narita von Ankerstrüm an Melanie von Aucher. Novelle von Hermann Heiberg. (Nachdriut verboten.) a Du weißt, daß ich alle Anreden in Briefen detestire, sage ich blos: Guten Morgen Melanie! Und nun geht's auch gleich ans Erzählen. Der Ball bei PräsidentS hat also inzwischen stattgefundcn, und ich habe mich amüsirt. Da Du weißt, daß ich alle Superlative hasse, so sage ich nicht: himmlisch oder wundervoll amüsirt. Das kannst Du Dir selbst denken, wenn Du weiter liest. Bitte lies also weiter, und wenn Du so nicht lesen kannst, setz' eine Brille auf. Ja, mein Gott, ist das nicht ein vernünftiger Vorschlag? Allerlei Mißhelligkeiten waren natürlich vorher dabei. Mania erklärte morgens, sie fühle sich wie gerädert nnd könne nicht mit gehen. Infolge dessen eine kleine Szene zwischen denjenigen, die die Ehre haben, Vater- nnd Mutterstelle bei mir einznnehmen. Papa gewann alle Schlachten, und Mania raffte sich auf. Da keine Droschke erster Klasse zu haben war, runkeltcn wir — verzeih, bestes Menschenkind, diesen Ausdruck Deiner sonst so ästhetisch veranlagten Clara von Ankerström — m einer solchen zweiter, nnd mein Ballkleid sah beim Anssteigen ans, als ob es die Schlacht bei Ladysmith mitgcmacht habe, Tann sprang im entscheidenden Augenblick der Knopf an meinem Handschuh ab, und als ich nacheilen wollte, hörte ich an einem starken Geräusch hinter mir, daß die dicke Stiftsdame, Baronesse von Gühler, ihn mit ihren dicken Elesantenfüßen zertreten hatte. Was thnn? Ich ersuchte die Jungfer bei PräsidentS, mir zu helfen. „Bitte, einen Augenblick, Baronesse. Ich werde Ihnen gleich annähcn!" erwiderte sie nnd lief davon. Ich fand ihr langes Fortbleiben aber zeitraubend und ihre Sprechweise seltsam, bis ich mich erinnerte, daß sie kein Mitglied des deutschen Sprachvereins wäre. Ich ging deshalb — um mich eines ähnlichen Ausdrucks zu bedienen — „ungeknöpst in den Ballsaal" Tiefes Knixen — Handkuß — sehr erfreut! Sehr dankbar u. s. w., und dann reihte ich mich in den reizenden Kranz reizender junger Mädchen ein. Gegenüber standen in der offenen Thür zum Nebenzimmer die Herren wie angckoppelte Jahrmarktspferde. Schrecklich diese Männerverlegenheit, schauderhaft diese Unschlüssigkeit. Endlich machte Baron von Schüttenbrock, der Tanz-Arrangeur, diesem unnatürlichen Gebaren em Ende, reichte, den Tapferen Muth einsprechend, aus seinem Chapeau claque Tanzkarten und veranlaßte einen energischen Frontangriff, der den einst heran stürmenden Schweizern bei Sempach zu vergleichen war. Ich Unglückswurm wurde zum ersten Tanz vom Assessor von Wolfers festgenagelt. Wolfers! Denke Dir! Er ist krankhaft verlegen, stottert und hört schlecht. Natürlich tanzt er wie eine aus dem Geleis gerathene Lokomotive. Was aber weit schlimmer ist, er trägt eine stille Passion für mich hinter seiner weißen, tadellos gesteiften Chemisette. Er verfolgt mich, und wenn das noch fünf Jahre so weiter geht, erliege ich am Ende doch, sagte ich mir. Doch nun wieder zu ernsteren Dingen. Den zweiten, einen Galopp, hatte mir Leutnant von Dlüschkow abgerungcn. Es ist ein gutes, liebes Thier, aber beschränkt, wie ein tauber Apfelkern. Dann folgte wieder ein Walzer. Ihn tanzte ich mit Graf Hue! Weißt Du, Melanie, es giebt Männer, die tanzen nicht, sondern geben uns einen Vorgeschmack von unserm künftigen Flugleben in höheren Regionen. Ich war nahe daran, einen Orden für ihn zu stiften und mich selbst in Ermangelung der Möglichkeit, dem neuen Ritter ein Exemplar gleich zu verabfolgen, ihm selbst um den Hals zu hängen. Wie? WaS meinst Du? — Ja, natürlich gefällt er mir sehr. Er ist groß, dunkel, ungemein elegant gewachsen, gebraucht ein wundervolles Juchtenparfüm, hat blitzende Feueraugen wie Bayard, der Ritter ohne Furcht und Tadel, ist himmlisch und besitzt eine amüsante Unverschämtheit, die bezwingend ist. Er tanzte auch einen Kotillou vor dem Souper mit mir und machte mich ganz besinnungslos. Ich brachte ihm einen Orden, obschon er mein Herr war, und er brachte mir zwei BouquettS hintereinander (unglaublich, wie?) und sagte: „Wenn Sie mir nicht erlauben, Ihnen morgen einen Liebesbrief zn schreiben, schieße ich mich todt." „Ich ziehe Ihren Tod vor, Herr Rittmeister," entgegnete ich — „denn bei solcher Schwärmerei für meine kleine Zierlichkeit werden Sie mich hoffentlich vorher zu Ihrer Erbin einsetzen. Sie sind bekanntlich unheimlich vermögend, und ich möchte gern die nächste Weltausstellung besuchen, besitze jedoch nur für diesen Zweck ein Portemonnaie, das die Tiefe und Leere eines aus gebrannten Kraters beschämt." Nach dieser Douche ließ er sich an diesem Abend nicht wieder sehen. Er soll sich in Champagner bekneipt und geäußert haben: „Die kleine Ankerström ist ein Racker, der nicht zu fassen ist." Assessor Tiefleben trat mir bei einer Franyaisen-Tour die ganze Schleppe, ritsch, ratsch, ab. Ich sah infolge dessen wie ein Kirmeßmädel ans und erhielt noch Schelte von Mama dazu: „Das kann doch auch nur Dir passiren. Du bist so wenig achtsam! Sich' die übrigen jungen Mädchen an!" Ich that's! Die übrigen jungen Mädchen hatten eine Farbe wie Schneemustorten. Sie tanzten durchweg wenig und froren. Ich aber glühte, denn ich hatte bis 11 Uhr schon elf Extratäuze verschenkt. Zu Tisch führte mich Hauptmann von Dürkheim. Er machte mir derartig den Hof, daß die Hochachtung an diesem Abend vor mir selbst in solchem Grade wuchs, daß ich schon gleich bei den Austern zu viel St. Peray trank und einen kleinen Schwips bekam. „Wenn ich blos so etwas höre. Dieser Ausdruck, und die Thatsache selbst! Ein wohlerzogenes junges Mädchen, die sich so wenig zu beherrschen vermag! Schrecklich!" So hörte ich oller Mama im Geiste reden! Dürkheim hat einen hinreißend trockenen Humor: Als ich im Laufe unserer neckischen Gespräche ihn fragte: „Glauben Sie, daß die Maikäfer in den Himmel kommen?" entgegnete er ohne Be sinnen mit einem Gesicht, als ob es sich um eine Leichenrede handle: „Von Elfhuudcrt erreichen es blos Neune!" „Ist das wissenschaftlich sestgestellt?" „Ja allerdings. Professor Alfons Millraud von der Akademie Franyaise hat ein zwölfbäudiges Ouartwcrk in Schwciusleder soeben darüber veröffentlicht. Mit Ihrer Genehmigung sende ich es Ihnen morgen Vormittag per Kreuzband zu, gnädiges Fräulein!" „Darf ich Ihnen nun von dieser vortrefflichen Schnepfen, pastete anbieten?" So endete unser anregendes Gespräch. Zum Schluß wurden noch Kaffeetischc arrangirt, und es bildeten sich allerlei Gruppen. Zu diesem Kaffee wurde ich von Professor Hast — ehe ich ihm ausbiegen konnte, fortgeholt —