Volltext Seite (XML)
IV. " Am Dienstag war Eugen v. Ravens im Schlosse eingelroffen und hatte zur unangenehmen Ueberraschung Albrechts Lilly Kronach, die jüngere Schwester der Baronin, mitgebracht, eine üppige kleine Brünette mit rundem, frischem Gesicht und lachenden braunen Augen, aus denen der Schelm blitzte; elegant gekleidet, von übermütiger, etwas lärmender Lustigkeit unter der Maske einer gewissen kindlichen Naivität, die ihr gestattete, die Grenzen des Erlaubten den Männern gegenüber ein klein wenig zu übertreten, obgleich Lilly sonst — als flotte Verkäuferin von den besseren Modehandlungen Berlins gesucht — sich eines durchaus anständigen Rufes rühmen durfte. „Kinder, da bin ich, was sagt Ihr? Ich hatte einen mächtigen Krach mit dem Chef, das ließ sich nicht ver meiden," erklärte Lilly, noch ganz tugendhafte Entrüstung. „So was! Wurde der Mensch mit einem Male zärtlich — sollte sich doch schämen, der verheiratete Mann; na, bei mir kam er natürlich an die Unrechte — ich bin so fort gegangen. Nun mag er sehen, wie er fertig wird, denn so was lasse ich mir partout nicht bieten." Julie hieß die Schwester mit aufrichtiger Freude will kommen, denn abgesehen davon, daß sie mit Lilly nach Herzenslust von den Zeiten ihres zwanglosen, lustigen Bühnenlebens plaudern konnte, erhielt sie auch durch ihre Anwesenheit einen mehr gefestigten Halt von ihrem eigenen Standpunkt aus dem Gatten gegenüber; zogen sie beide gegen ihn und seine aristokratischen Anschauungen in's Feld, so wurde er überstimmt und einfach zum Rückzug gezwungen. Oft schon hatte Julie sie deshalb gebeten, für immer bei ihn n zu leben, doch erstens pflegte das gute Einverständnis zwischen den Schwestern nicht lange zu währen und zweitens konnte Lilly sich nicht entschließen, dem immerhin freien Leben eines alleinstehenden Mädchens zu entsagen, um dafür in Abhängigkeit von Julien's Gnade zu treten. Eine Zeitlang freilich hatte sie sich nicht ab geneigt gezeigt, den Vorschlag anzunehmen, und das war vor ein par Jahren gewesen, als sie beide der kühnen Hoffnung Raum gegeben, Eugen v. Ravens werde sich vielleicht, verlockt durch Lilly's Reize, die er in der That zu schätzen wußte, entschließen, ihr seine Hand zu reichen, bis sie zu der niederschlagenden Einsicht gelangt waren, daß der Leutnant, welcher sich nur schwer mit der Heirat seines Bruders ausgesöhnt — nicht im entferntesten daran dachte, eine Ehe mit der Verkäuferin im Geschäfte von Steinbeck u. Co. einzugehen. An der schwärmerischen Verehrung, die Lilly ihrem Schwager widmete, änderte diese Enttäuschung allerdings fast nichts, ihr Herz gehörte ihm nach wie vor zum Aerger Julie's, welche behauptete, sie verderbe sich durch diese verrückte Neigung alle übrigen annehmbaren Partieen. — Eugen v. Ravens, der den linken Arm noch in der Binde trug, war in seinem Zimmer beschäftigt, die Spuren d°r Ermüdung, welche die R.iss hinterlassen, durch Hilfs mittel der Toilette aus seinem blaffen Gesichte zu ver wischen; es war kein schönes, aber ein interessantes und zugleich kaltes Männerantlitz, welches dem aufmerksam sich Prüfenden aus dem Spiegel entgegenblickte. Ein adler scharfes Profil, dessen Reiz ein schwarzer, herabhängender Schnurrbart erhöhte, dunkle, stechende Augen, die zurück weichende Stirn von glattem, schwarzen Haar umrahmt, über der ganzen, mittelgroßen Gestalt der undefinierbare Hauch des blasierten Weltmanns, der den Becher aller Lebensfreuden bis auf die Hefe geleert und jetzt den bitteren Nachgeschmack empfindet. — Er war verdrießlich; denn wenn ihn auch eine gewiße Neigung zu der feschen, lustigen Lilly hinzog, mit der er manche vergnügte Stunde bei Kranzler oder Hiller verbracht hatte, so war ihm doch die gemeinschaftliche Reise von Berlin aus höchst fatal gewesen. „Schauderhaft unangenehme Situation das," äußerte er gegen Albrecht, der inzwischen hereingekommen, „hatten sich am Bahnhof noch dazu die Kameraden eingefunden und anstandshalber konnte ich voch nicht anders, als ein Billet erster Klaffe auch für sie zu lösen; die kleine Person besitzt eine Unverfrorenheit, sich den Leuten an den Hals zu hängen, die wirklich großartig ist." „Sie hatte jedenfalls Wind von Deiner Abreise er halten und richtete sich danach ein," erwiderte Albrecht mißgestimmt. „Aber was hilft's, man muß sich fügen; es bleibt ja doch nichts anderes übrig." „Den Teufel auch," stieß Eugen brüsk hervor, „solch' Ergebungstheorie p ißt mir denn doch sehr wenig. Natür lich, wer einmal so thöricht war, wie Du, sich auf diese Weise für's Leben zu binden, der mag ja recht haben, sich's gefallen zu lassen, aber wie miserabel es Dir dabei zu Mute ist, sehe ich aus Deiner verzweifelten Miene; es geht Dir wohl wieder einmal hundeschlecht? „Leider," sagte Albrecht, düster vor sich hinblickend. „Ob sie allein die Schuld daran trägt, ich weiß es nicht — soviel aber ist mir klar, daß ich an den Folgen dieser Ehe zu wirken habe, bis ich daran ersticke." „Das war vorauszusehen; was haben wir alle Dir gesagt? Es mußte ja so kommen. Aber wenn es gar- nicht mehr zu ertragen ist, warum läßt Du Dich nicht scheiden?" entgegnete Eugen leichthin. „Darin würde sie nie willigen; es sind auch keine ausreichenden Gründe vorhanden." Der Offizier zuckte die Achseln. „Da mußt Du eben sehen, wie Du fertig wirst mit der selbsteingebrocktm Suppe." Als die vier später in dem alt deutschen Speisesaal zum Mittagseffen versammelt saßen, erzählte Julie in bester Laune ihrem Schwager, daß ihm zum morgenden Abend eine ungewöhnliche Ueberraschung bevorstehe; sie habe die Familie Pastor Erichsens kennen gelernt und neben ein paar anderen Bekannten aus de: Nachbarschaft seine beiden Töchter eingeladen; sie kämen allein, denn glücklicherweise hat das alte Fräulein, Jutta Erichsen — die man xro korina doch hätte miteinladen müssen — so viel gesunde Vernunft bewiesen, um abzusagen. „Wird was rechtes sein — die Pastorentöchter vom Dorfe, kenne die Sorte," bemerkte Eugen gelangweilt in wegwerfendem Tone, während er im Stuhl zurückgelehnt mit der feinen weißen Hand seinen Schnurrbart strich. „Ganz recht," rief Julie belustigend, ihrem Gatten ausdrucksvoll zublinzelnd, „aber diesen beiden Monstrums an Häßlichkeit und Beschränktheit wirst selbst Du Deine Bewunderung nicht versagen können, denn bekanntlich ver dient alles ungewöhnlich Großartige in seiner Art den Ehrenpreis! Selbstverständlich wirst Du den Triumph Deines: „ich kam, ich sah und siegte" genießen, und zwei von Amors Pfeil durchspießte Menschenherzen werden blutend zu Deinen Füßen liegen, mein Herr Don Juan!" „Ich kann Dir sagen," warf Lilly, mit einem Glut blick auf den Leutnant ein, „daß Baron Eugen sich sehr wenig daraus macht, ob er zwei gebrochene Herzen mehr oder weniger in seinem langen Sündenregister zu ver zeichnen hat." „Sie sprechen wohl aus Erfahrung, Lilly, wie?" gab er halb scherzend, halb spöttisch zurück. „Uebrigens hättest Du Dir die Pastorentöchter sparen können, Julie; nach Deiner Beschreibung wird sicher schon ihr Anblick mich deratig entsetzen, daß ich ihnen den ganzen Abend be harrlich den Rücken kehre." Die Baronin wollte sich totlachen. „Und für Dich, Lilly, habe ich ebenfalls etwas Be sonderes in xstöo, Du kannst das Geschütz Deiner schönen Augen auf das zweifellos ganz ungewappnete und jungfräuliche Herz des jungen Pastors Berg richten — er ist noch zu haben; ich lud ihn ein und er hat zu gesagt." „Nimm mir's nicht übel," sagte Eugen, „aber das ist ja eine gräßlich langweilige Gesellschaft, die Ihr da zu-