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MM» Id WMß 1. Beilage zu Nr. 135 Sonnabend, den 14. November 1903 Ium 23. Sonntag n. Trinitatis. Ebr. 9, Vers 27. Die letzten Sonntage des Kirchenjahres weisen auf die letzten Dinge, Tod Gericht, Auferstehung und ewiges Leben oder ewige Verdammnis. Aber gibts denn einen Himmel? gibts eine Hölle? Letztere hat man ja längst abgetan und mancherlei Gründe werden vorgebracht, warum es eine Hölle nicht geben könne. Man leugnet eben, was man nickt wünscht. Es wäre doch schrecklich, Wenns eine Hölle gäbe; darum darss keine geben, so schließt das törichte Wünschen des Menschen unter dem Drucke des bösen Gewissens. Ja, Wenns nur auch keinen Tod gäbe! Aber den gibts! Den kann niemand leugnen, der" steht allen vor Augen. Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben. Und dann? Die Schrift sagt: Darnach das Gericht. Wozu das Gericht? Da werden alle Werke offenbar, sie seien gut oder böse; da werden alle Men schen offenbar, wie sie sind, sie seien gut oder böse. Ja, wenn der Mensch sterben könnte, und darnach wäre es vorbei, das wäre erwünscht, o wie Vielen erwünscht! Gerade heutigen Tages! Das wäre für die Wollüstigen, die mit Gesundhelt, Ehre und Leben des Nächsten spielen, das wäre für die Meineidigen, die der Wahrheit ins Gesicht schlagen, für die Unterdrücker der Unschuld, die Verleumder, die Gotteslästerer recht erwünscht und bequem; das wäre für die, welche sagen: „Lasset uns essen und tunken, denn morgen sind wir tot", sehr passend, denn dann wären sie ja im Rechte und die Gescheiten! Aber — die Toren sprechen in ihrem Herzen; es ist kein Gott, kein Gericht, keine Ewigkeit, keine Hölle! Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach das Gericht. So ist es, und es muß so sein. Da hilft alles Leugnen nichts. Es ist das aber eine sehr ernste Sache, geeignet, uns nachdenklich zu machen über uns, unser Wesen, über unser Leben und Treiben, Handeln und Wandeln. Auch wir sterben einmal. Darnach das Gerickt. Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhle Christi. Werden wir bestehen? Ja, wir werden bestehen, so wir glauben an den Sohn Gottes, den Richter der Lebendigen und der Toten. Christi Blut und Gerechtigkeit, Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, Damit will ich vor Gott bestehn, Wenn ich zum Himmel werd' eingehn. Vermischtes. * Auf demHimalaya. Wie bereits gemeldet, sind die piemontesischen Bergführer Petigax, Vater und Sohn, und Savoye, welche den Herzog der Abruzzen auf seiner Fahrt nach Alaska und dem Nordpol begleitet hatten, von einer Expedition auf dem Himalaya gesund und munter in die Heimat zurückgekehrt. Die Expedition war von der bekannten Alpinistin Fanny Bullock Workman organisiert Worden und hat etwa 70000 Lire gekostet. Außer Frau Workman, Or. Workman und den italienischen Berg führern, die jetzt ihre Erlebnisse erzählen, beteiligten sich an der kühnen Tour ein Regierungskommissar, 60 Träger, zwei Soldaten und ein Dolmetscher. Zur Verprovian tierung nahm man eine kleine Herde Schafe und mehrere Milchziegen mit, so daß man ständig frisches Fleisch und gute Milch hatte. Man fand die herrlichsten Weidetriften noch in einer Höhe von 4500 Meter. Für Abwechslung in der Küche sorgten aber auch wahre Riesenexemplare von Steinböcken und Gemsen, die zur Strecke gebracht wurden. Man fand zahlreiche Spuren von grauen und roten Bären und erlegte im Gebiet von Kolmar auch Jaguare. Die Expedition verließ am 26. Mai Srinagar, überschritt das Tal des Indus, berührte Skardu, die Hauptstadt von Baltistan, und ging durch das Tal des Shigar auf den Hochgletscher, wo das erste Lager auf. geschlagen wurde. Man wandte sich darauf nach Arondu zu, überschritt bei schlechter Witterung das 90 Kilometer lange Gletscherfeld Koro Loogla und mußte 30 Tage lang in Höhen von 4050—6000 Meter besseres Wetter ab warten. Am 12. August strahlte die Sonne wieder. Man erstieg zuerst einen Berg von 6637 Meter Höhe, dann einen zweiten von 6880 Meter. Hier verzichtete Frau Workman, die sich im Alter von einigen 50 Jahren be findet auf den Weitermarsch. Or. Workman und die piemontesischen Führer erreichten aber noch nach großen Mühen die bisher noch von keinem menschlichen Fuße er stiegene Höhe von 7131 Meter. Darauf trat die Expedition den Rückweg an. Man wollte noch den Runs Kilkdla auf Koro Loogla erreichen, aber die indischen Träger weigerten sich, der „Burg der Götter" sich weiter zu nähern. Die Expedition langte darauf wohlbehalten in Bombay an, und die Führer wurden mit der Versicherung entlassen, daß Frau Workman sie im nächsten Jahre zu einer Partie auf den Gaurisankar (8840 Meter) eintaden würde. * Zwanzigtausend Mark für ein Ohr. Ein Neuyorker Arzt sucht einen gesunden, kräftigen Menschen, gleichviel ob Mann oder Frau, der bereit ist, eines seiner Ohren für 20000 M. zu verkaufen. Jener Arzt hat einen reichen Patienten, dem im „Wilden Westen" auf irgend eine Weise eines seiner Ohren abhanden gekommen ist, und der nicht länger entstellt umhergehen möchte. Wenn sich ein Verkäufer eines Ohres findet, so wird folgende Operation vorgenommen werden: Das Ohr des Gesunden wird zur Hälfte vom Kopfe losgelöst, herumgedreht und am Kopfe des Käufers angenäht. Sieben Tage lang müssen dann die beiden als „siamesische Zwillinge" mitei nander ausharren, damit das halbe Ohr am Kopfe seines neuen Eigentümers anwachsen kann. Ist dies geschehen, so wird die Operation als geglückt betrachtet. Wenn aber das halbe Ohr in den sieben Tagen nicht festwächst, so wird es seinem ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben, d. h. es wird an feinem Kopfe wieder angenäht werden. Aber auch in diesem Falle erhält er die vereinbarte Summe. * Ueber den Löwenfang in Lindi in Deutsch. Ostarika wird gemeldet, daß das dortige Bezirksamt inner halb drei Wochen fünf ausgewachsene Löwen gefangen hat. Der eine war 3 Meter lang und wog 4^ Zentner. * Zu dem Aufstand im Süden von Deutsch- Südwestafrika erhalten die Berl. N. Nachr. von einem Deutschen, der an Ort und Stelle als großer Farmer Erfahrungen gesammelt hat, eine Zuschrift, in der es heißt: Der Stamm der Bondelzwarts mit dem Hauptort Warm bad ist der größte der Hottentotten, ihr Gebiet das aus gedehnteste. Ebenen wechseln mit unzugänglichen Gebirgen, die sich zum Kleinkrieg, wie ihn die Hottentotten lieben, vorzüglich eignen. Das große Land ist vom landwirt schaftlichen Standpunkt äußerst arm, denn der Regenfall ist meist unzureichend. Gerade jetzt hat Warmbad eine harte Zeit zu bestehen; drei Jahre lang ist kein hin reichender Regen gefallen. Mit dem Gummi der Akazien, dem Fleisch gefallener Tiere, ja selbst den geklopften und gekochten Fellen der Rinder und Ziegen fristen die Hotten totten notdürftig ihr Leben. Das Vieh ist erschreckend mager. Früher lebten die Hottentotten großenteils von der Jagd, doch seit das Gouvernement den Munitions verkauf aus naheliegenden Gründen möglichst erschwert und verteuert hat, kommt dieser Teil des Lebensunterhalts weniger in Betracht. Die Hottentotten leben auch vom Fischfang, ferner stellen ste den Perlhühnern nach, den Gänsen und Enten, dem Klippdachs, einer große Natten- art und dem Leoparden, dessen Fleisch sie leidenschaftlich lieben. An sich sind es friedliche Menschen, die keinem ein Haar ohne Ursache krümmen. Es läßt sich leben mit den Hottentotten, auch mit den Bondelzwarts. . . Es kommt nicht sowohl auf die direkte Veranlassung, als viel mehr auf die tiefer liegenden Ursachen des Aufstandes an. Da müssen wir uns stets der Pflichten bewußt bleiben, die wir als kolonisierende Macht haben. Dies ist aber unmöglich mit Beamten, die unzureichend vorgebildet sind und die versetzt werden, oft bevor sie sich noch genügend haben einarbeiten können. Ebenso stark ist der Wechsel unter den Offizieren. Darf es da wunder nehmen, daß unter Weiß und Farbig Unzufriedenheit herrscht? Selbst die tüchtigsten Beamten können unter diesen Umständen ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. — Dagegen schreibt Leutnant a. D. Gentz, daß die Bondelzwarts der wider spenstigste, faulste, verlogenste und vertrunkenste Hotten- tottenstamm sind. Sie leben zumeist von Plünderungen und Viehdiebstählen. Der atte, verständige Kapitän Willem Christian ist tot, sein Nachfolger ein der deutschen Herrschaft sehr unfreundlich gesinnter Geselle. Gouverneur Leutwein meldet, daß er eine Bestätigung der englischen Nachrichten nickt erhalten hat. Wie der deutsche General konsul in Kapstadt mitteilt, sind die Bondelzwarts in die Kapkolonie eingefallen; es fand ein Kampf mit der dor tigen Polizei statt. * Sich selbst totgesagt. Ein sehr sonderbarer und nicht gerade gefühlvoller Herr muß der in Lyon wohnende Leiter einer Privatschule, Broussard, ein einstiger Kongre gationalist, sein. Er hatte sich eine geringfügige Ueber- lretung des Vereinsgesetzes zuschulden kommen lassen, wollte aber jeder gerichtlichen Verfolgung aus dem Wege gehen und machte kurz entschlossen selbst einer Zeitung die Mitteilung, daß er nicht mehr unter den Lebenden weile. Denn einem Toten kann doch auch der strengste Richter nichts mehr anhaben. Der beabsichtigte Erfolg trat aber nicht ein, Herr Broussard wurde der Publikation zum Trotz als ganz und gar lebendig festgestellt und nunmehr vom Zuchtpolizeigericht in Lyon zu einer Geldbuße von 50 Frank verurteilt. * Sein Sohn ist kein Kaninchen! Wir lesen in der „Wiener Allgemeinen Zeitung": Wie tief die Hetze gegen den Aerztestand, mit welcher der niederösterreichische Landtag in Wien seine diesmalige Session ausfüllt, bereits ins Volk gedrungen ist, und zu welchen beklagenswerten Folgen sie führen muß, beweist der im nachstehenden er- HoLdener Woden. 16 Roman von M. Friedrichstein. Ein Tuch um den Kopf gegen die Unbill des Wetters, mit dein Strick in der Tasche, schritt sie dem nahen Walde zu, in welchem sie an einem stillen Weiher ihren Lieblings ort aufiucheu wollte. Der Mond ging ans, verdrängte die trüben Regenwolken ' und beleuchtete den Psad vereinsamen Wanderin, deren Schritte in dem gefallenen Laub unheimliches Rascheln Hervorriesen, s «Zeilen stöhnte Hermine leise ans und wurde von ner- rmnn Zittern betallen, aber willensfest raffle sie immer von neuem ihre Kräfte zusammen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Kronen der mächtigen Baume rauschten, vom Winde beweT sie Mt'ellcn ihre Wipfel und reckten die kablen Aeste wie drohend in die Nacht hinein, als seien sie unzufrieden I mtt dem Vorhaben des jungen Menschenkindes, welches unter! '"d trauert , f Als Her»,ine den stillen See erreicht hatte, setzte sie sich l auf einen moosbewachsenen Stein am Ufer nieder und blickte M ^hb^er Stiwniung aus das Wasser. Sollte sie lieber all' ihren Jammer in seine Tieie ver senken ( — Em beherzter Sprung, und die Wellen schlugen über rhrer schände zuwmwen. Dann war sie niemand mehr hinderlich. Hermine schauderte. Sie wagte einige Schritte in den moorigen Boden, aber zitterns kehrte sie zurück. Nein, sie fürchtete sich zu sehr' Dann lieber den Strick um den Hals. Ein Ruck, und - fort war sie. Uber schnell ans Werk, bevor man sie zu Hause vermißte. Biit bebenden Fingern bosie sie den Strick aus ihrer Tasche und machte eine schlinge hinein. Dann stieg sie auf den Stein, welcher ihr bisher als Sitz gedient hatte, und befestigte den Strick an dein untersten Aste der Linde. Weinend faltete sie die Hände und betete: „Lieber Gott, vergieb mir meine Tat, und nimm mich doch in Dein Himmelreich aus!" Danach legte sie beherzt die Schlinge um den Hals und trat von dem Steine herunter. Die Schlinge zog sich zu sammen und dem armen verstörten Wesen schwanden die Sinne. Da knackte der Ast, an welchem die Lebensmüde hing, und brach; seine Last glitt langsam zu Boden. In ibrer Hast, aus dein Leben zu fliehen, hatte Hermine die Tragkraft des Astes überschätzt. Nun lag sie bewusstlos, mit der Schlinge um den Hals, in die feuchten Blätter gebettet, welche der Wind zusammengetrieben hatte, neben ihr der gebrockene Ast. — — Indessen war Frau Klinger zu Göpelmann in die Werk stätte geeilt und hörte ihn noch fleißig mit dem Hobel hantieren. An den glänzend erleuchteten Fenstern ihres Sohnes war sie mit bekümmerter Miene vorübergegangen. Aus ihr Klopfen erfolgte die Aufforderung, ein zntreten. „Guten Abend, Göpelmann! Sie sind noch so fleißig und allein? Das ist mir lieb!" sagte die Witwe. „Guten Abend, Frau Klinger! Ja, die Gesellen sind schon fort. Die haben immer Eile, sobald es Feierabend ist. Ich bin gerade an dem letzten Stück zu einer Ausstattung, die bald fertig sein muß, des halb blieb ich noch eine Welle an der Arbeit. Aber woraus setzen Sie sich denn nur? Ich habe nicht einmal einen Stuhl hier!" „Auf die Hobelbank setze ich mich, es soll nicht lauge dauern." „Was wünschen Sie, Frau Klinger?" Der Schreiner legte seinen Hobel hin und sah den späten Gast erwartungsvoll an. Als seine dereinstige geheime Woll täterin ihr verhüllendes Tuch vom Kopse nahm, erschrak der Handwerker über die Veränderung, welche in der letzten Zeit mit ihr vorgegangen war. Das sonst w blühende, wetterharte Antlitz der Frau war abgemagert und ihr dunlet blondes Haar begann zu ergrauen, ihre ehedem ,o resolut auigerichttte Gestalt war gebeugt, als vermöge sie die Last der Sorge nicht zu tragen. Tiefes Mitleid ergriff den Schreiner. Mit unsicherer Stimme begann Frau Klinger: „Göpelmann, es steht schlecht mit Georg!" „Ja, leider Gottes. Ich weiß es Frau Klinger, aber tS war vorausznsehen." „Und doch haben Sie fortwährend Geld sirr ihn hingegeben!" Der Schreiner steckte die Hände unter die Arbeitsschürze und klopfte die ihr anhaftenden Hobelspäne ab. Tann erwiderte er mit energischem Aufleuchten seiner ehrlich blickenden grauen Augen: „Frau Klinger, ich gab Ihnen mein Wort, zu helfen, und habe es gehalten l>is zum Aeußersten; aber jetzt ist es alle damit. — Ich kann mich nicht selbst in Ungelegenheiten bringen. — Sie sehen, ich arbeite mich fast zu Schanden — und der junge Herr verpraßt mein sauer Erworbenes mit Sausen und Spielen! Nein, das geht nicht länger." Erregt schritt Göpelmann in der Werkstätte auf und nieder, so daß die Hobelspäne unter seinen Füßen raschelten und die Flamme in der Lampe an der Wand hoch aufflackerte. „Er steht vor dem Bankerott!" sagte die geängstigte Mutter. „Immerhin!" „Aber es droht ihm Gefängnis!" „Nur zu! Da kann erlernen, das man arbeiten muß, um ehrlich durch die Welt zu kommen, nnd daß Arbeit der goldene Boden ist, aus dem man sich Spiegelscheiben erwirbt." „Aber ein Klinger! Mein einziger Sohn im Gefängnis! Meines Mannes unbescholtener Name gebrandmarkt. Ich überlebe es nicht." Frau Klinger schluchzte auf. Ter Schreiner blieb vor ihr stehen und fragte: „Ja, wissen Sie einen Ausweg?" „Der einzige Ausweg wäre das Kapital von Hermine." „Aber der Vormund wird sich Hillen, cs herauSzurücken, und es wäre ja auch verloren." . .