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Beilage zu Nr. 140. Dienstag, den 26. November 1901. I »I I WMIVilV ! »M iWNIIWINVMW! !! NW!I !iWst > !I «j ll! iIMIII!W!IIM»WWM>»»WIWMMWWIWMWWWMIiDWM»WW»IM!!! >M» I il!! i!MW»»»W«!IMWWWMWWWWMWWWMMWWN Die Angst vor -er Influenza. Von Dr. msä. Ebing. (Nachdruck verboten.) Ihr zehnjähriges Jubiläum könnte die böse Influenza feiern, denn im Winter 1891 trat sie urplötzlich mit großer Gewalt auf und hat uns heute noch nicht verlassen. Dieser anhaltende Epidemiezustand hat in allen Schichten der Bevölkerung eine große Angst vor der Influenza gezüchtet. Man fürchtet aber weniger die Krankheit selbst, als die schlimmen Nachwirkungen. Diese Angst wurde noch ge steigert, als es in den Tagesblättern hieß, der Präsident Mc. Kinley sei seiner Verwundung nur erlegen, weil er durch einen Influenza-Anfall so geschwächt worden war. Diese Furcht vor einer Krankheit ist oft schlimmer, als die Krankheit selbst. Das ist keine Uebertreibung. Schon die Morgenländer, bei denen Epidemien heimischer sind als bei uns, haben eine alte lehrreiche Fabel, die also lautet: „Ein Weiser verläßt eines Morgens seine volkreiche Vaterstadt, um auf die Wanderung zu gehen. Vor dem Thore begegnet ihm eine sonderbare Gestalt, die er vor Verwunderung und Bangen mit der Frage aufhält, wer sie sei. „Ich bin die Pest," antwortet die Gestalt und fügt hinzu, „ich will Deiner Vaterstadt einen Besuch abstattcn." Der Weise bittet um Gnade für seine Vaterstadt, aber die Gestalt geht stumm und achselzuckend auf die große Stadt zu. Nach einem Jahre kommt der Weise von seiner Wan derung zurück und er begegnet wieder der düsteren Gestalt, die eben seine Vaterstadt verlassen hat. „Wie viele hast Du getödtet?" fragt der Weise voll banger Ahnung. Die Erscheinung antwortet: „Ich selbst nur fünftausend, die Angst aber hat fünfzigtausend umgebrocht."^ Es liegt in dieser Antwort ein so tiefer und wahrer Sinn, daß sic nicht oft genug mitgethcilt, nicht weit genug verbreitet werden kann. Die Angst schwächt und macht empfänglicher für schäd liche Einflüsse, das ist nicht zu leugnen. Die Angst ist bei allen ansteckenden Krankheiten sehr zu fürchten. Die In fluenza aber ist auch eine ansteckende Krankheit wie Cholera und Pest. Ihr Bazillus wurde im Jahre 1892 von Berliner Aerzten entdeckt. Wie alle ansteckenden Krank heiten beginn: auch die Influenza mit Fiebererschein- ungen, sogar meist mit sehr starken. Charakteristisch sind für die Influenza auch die starken Schmerzen am Kopfe und an den Augen. Das allgemeine Befinden des Kranken ist meist ein sehr elendes, es steht in einem auffallenden Mißverhältniß zu dem objektiven Befunde der ärztlichen Untersuchung. Es ist dem Kranken oft zu Muthe, als ob er sterben müsse, so groß ist die Mattigkeit in allen Gliedern. Und doch ist die Sache nicht so schlimm. Es hat Influenza-Epidemien gegeben, die ohne Todesfall verliefen. Die kräftigen Personen überstehen die Influenza meist ohne Schaden nach acht bis vierzehn Tagen. Bei schwachen Menschen kann sie sich freilich monatelang hin ziehen, wenn auch in abgeschwächter Form. Solchen schwachen Personen, ob jung oder alt, ist sie dadurch gefährlich, daß Komplikationen eintreten. Meistens sind es Lungenerkrankungen, und zwar vorzugs weise Lungenentzündungen, von denen die an Influenza leidenden Menschen, namentlich im Beginn der Wieberge- nesung, heimgesucht werden. Der voraufgegangene Katarrh der Schleimhäute der Lnftröhrcnoerästelungen macht eben die Lunge sehr empfänglich für Entzündungen, namentlich bei hinfälligen Menschen. Es ist also gerade in der Re konvaleszenz die größte Vorsicht und Schonung geboten. Der beste Schuh aber gegen jede Krankheit ist das Vor beugen, das Verhüten derselben. Wie aber verhütet man Krankheiten und insbesondere die Influenza? Durch natur gemäßes Abhärten und Stärken des Körpers, durch ge sundes Blut. Dieses erlangt man auch einfach und sicher durch vernünftiges Leben, durch zweckmäßige Ernährung. Der beste Schutz gegen jede Epidemie, also auch gegen die Influenza, ist gesundes Blut. Dieses vernichtet näm lich die gefährlichen Bazillen, die der Körper ausgenommen bat. neuere Wissenschaft nennt diese „Schutzstoffe des Blutes" Antitoxin, das heißt Gegengift. Diese Her- o, 'M diese Erzeugung der Schutzstoffe ist ein Theil der ^evensfunktioncn der Zellen, also ein natürlicher, fortge- Wcr Vorgang jm 'menschlichen Organismus. Diese «LchMtosfe des Blutes sind Stoffwechsel-Ergebnisse des lebendigen Zcllenleibes. Eine neue Theorie, die an die „zellularphysioloM und zellularpathologischen Lehr- sätzc" des Altmeisters Virchow anknüpft. Der Mechanismus dieser Zcllentheoric setzt die An- nahme gewiss r Stoffe voraus, die gewisse Beziehungen zu den Giften haben, und die jene Stoffe befähigen, sie zu binden und unschädlich zu machen. Es wäre wirklich au der Zeit, der so wett verbreiteten Bazillcnfurcht ein Ende zu machen. Bazillen hat xZ beim Beginn der Erde gegeben und wird cs geben bis zu deren Ende. Im menschlichen Organismus haben stets Bazillen geherrscht, müssen dort herrschen. Unser Magen- und Darininhalt enthält stets eine Menge von Bazillen oder Bakterien der verschiedensten Art. Sie sind theils harmlos, unschädlich, lheils von großem Nutzen, indem sie zur Verdauung bei tragen. Also die Bazillen sind durchaus nichts Neues; unsere Ur-Vorfahren haben sie so gut im Organismus gehabt wie wir. Wir haben es ganz in unserer Hand, durch eine richtige Diät immun, das heißt unempfänglich für schädliche Bazillen zu werden. Kann man durch irgend welche Umstände nicht immer ganz naturgemäß leben, und wird man daher von der In fluenza ergriffen, so lege man sich sofort in's Bett und suche durch reichliches Trinken von warmen Getränken die Hautausdünstung zu befördern. Es ist bekannt, daß ge rade durch die Hautausdünstung viele giftige Stoffe aus dem Körper entfernt werden. Gegen die empfindlichen Schmerzen im Kopfe oder in den Gliedern hilft eine Gabe von 0,5 Antipirin oder Phe nacetin, dreimal täglich. Greise und hinfällige Personen müssen täglich mehr mals kräftige Fleischbrühe und ein Glas starken Wein zu sich nehmen, damit sie etwaigen Komplikationen wider stehen können. Aus Iulianenhsh. Roman von Emilie Heinrichs. (28) (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Eilers verbeugte sich zustimmend und entfernte sich dann eiligst. Was er befürchtet, traf bereits ein, man hatte die schöne Fremde gesehen und einige Herren sie sogar am Fenster seines Wohnzimmers beobachtet. Nun bestürmte man ihn bei Tisch mit Fragen, die er sehr schlau durch Achselzucken und unbestimmte Antworten zu pariren suchte. „Was meinen Sie? — Nähere Bekanntschaft? Keine Ahnung! — Sie ist von einer befreundeten Familie hier- her empfohlen worden als Haus-Dame für Dr. Jonas, der, wie Sie wissen, schwer erkrankt ist. — Ein Brief, den sie mir gebracht, bittet um nähere Auskunft. Das ist Alles, meine Herren!" „Sie wird die Stellung natürlich nach Ihrer Aus kunft annehmen, lieber Doktor!" bemerkte ein Referendar, spöttisch lachend, „Sie sind ja intimer Freund des Ver unglückten und werden mit seinem Lobe nicht zurückhaltend sein." „Ich wüßte in der Tbat auch nicht, weshalb ich ihm Böses nachsagcn sollte, Herr Referendar!" erwiderte Eilers sehr ernst. „Natürlich nicht, für persönliche Zu- oder Abneig ungen kann man nicht verantwortlich gemacht werden," sagte der Referendar, „übrigens habe ich die Dame, die mir hier vor unserm Gasthof begegnete, höher ein- gcschätzt." „Im Alter vielleicht?" „O nein, das nicht, ich habe sie in ihrer ganzen Er scheinung und vornehmen Haltung nach zu unserer Ge sellschaft gezählt." „Dabei können Sie auch fernerhin getrost beharren, Herr Referendar! Fräulein Alberti gehört der besten Familie an, ihr Vater war Medizinalrath, sie hat diese Stellung nur auf die Bitte jener befreundeten Familie einstweilen aus Gefälligkeit übernehmen wollen, bis ein Ersatz für das entlassene Fräulein gefunden worden ist." „So, so, dann bitte ich um Entschuldigung, Herr Doktor, obwohl es mir und wohl vielen meiner Freunde angenehm gewesen wäre, wenn sie unsere Kreise ver schönert und belebt haben würde." Dieser Wunsch fand allgemeine Billigung, was unsern Dr. Eilers sehr nachdenklich stimmte. Als er nach Tisch der jungen Dame, die ihm jetzt durch eigene Schuld, durch eine unübersteigliche Schranke entrückt worden war, den wiederholten Besuch machte und er beim Kaffee und einer Zigarre, die sie ihm sofort freiwillig gestattete, ihr die Tragödie von Julianenhöh' ausführlich erzählte, da wurde ihm bei der Spannung, die sich auf ihrem schönen geistreichen Gesicht ausdrückte, sowie dem lebhaften Mienenspiel recht weh um's Herz und er verwünschte den Rath des verunglückten Freundes, sowie sein eigenes Streberthum, das ihn zu dieser er bärmlichen Handlung, wie er sich selber eingestehen mußte, verleitet hatte. „Glauben Sie an die Schuld des Neffen?" fragte sie, als er seine Erzählung beendet hatte. „Man muß wohl daran glauben, da der Grund zu handgreiflich ist und kein Raubmord vorliegt. Ich bin davon überzeugt, daß kein einziger Mensch in Schlestädt den jungen Mann für schuldlos hält. Schade um ihn, er ist ebenso liebenswürdig als genial, wie sein Sieg in der Preisbewerbung beweist." „Ja, schade wär's in der That, wenn er verurtheilt würde," erwiderte die junge Dame nachdenklich, „da er doch den starken Milderungsgrund einer wahrhaft kind lichen Einfalt für sich hat. Ein Mensch, der sich mit einer derartigen verbrecherifchen Handlung trägt, würde doch für einen Alibi-Beweis gesorgt und nicht die fürchterliche Nacht unter dem Dache seines Opfers zugebracht haben." Dr. Eilers sah sie überrascht an. „Dieser Gedanke hat allerdings etwas für sich," meinte er, „doch dürfen wir nicht vergessen, daß er kein Verbrecher von Berus, und von einer planmäßig überlegten That somit keine Rede sein kann." „Das Motiv des Verbrechens und seine Ausführung werfen diese Logik über'n Haufen," bemerkte sie ruhig- „Ist er schuldig, dann hat er auch planmäßig gehandelt, abgesehen von der Thatsachc, daß der Gedanke ihm in der Erregung des Augenblicks gekommen ist. Immer seine Schuld natürlich vorausgesetzt, so wäre doch auch im letzteren Falle die Frage von Bedeutung, woher er in dieser kurzen Zeit das Gift hat beschaffen können." „Man fand das Fläschchen in einem Geheimfach seines Schreibtisches," bemerkte Eilers mit starker Betonung. Die junge Dame blickte ihn überrascht an. „Er hat es als sein Eigenthum anerkannt?" ,,O nein, so dumm ist er nicht gewesen, im Gegentheil, er will das Fläschchen niemals gesehen haben, obwohl sein Name sich sogar daran befinden soll. Na, das Leugnen wird ihm wenig helfen, da die Beweise ja geradezu über wältigend sind." „So kennt nur er allein das Geheimfach?" fragte sie nachdenklich. „Na, die Tante wird's zweifellos gekannt haben, da der Schreibtisch ein altes Familien-Erbstück ist, das seine verstorbene Mutter ihm geschenkt haben soll." „Ack so, als der Stiefvater ihn zu der Tante trieb," warf sie leicht hin, „nun, mir kann's ja am Ende ganz gleich sein, ob der junge Mann verurtheilt oder freige- fprochen wird. Wir leben am Jahrhundertschluß freilich eine Art Doppelleben, weil sich die Außenwelt uns so mächtig, ja gewaltsam aufdränat, daß darüber oft die eigene Persönlichkeit mit ihren nächsten Interessen momentan zurückgedrängt wird. — Fühle ich mich doch selbst in diesem Falle gleichsam indentifizirt damit, obwohl mein persönliches Interesse mich hier in diesem Raume und Ihnen gegenüber nur einzig beherrschen' und erfüllen sollte." Dr. Eilers befand sich seiner Verlobten gegenüber in keiner beneidenswerthen Lage, da er nicht wußte, wie er ihre Worte auffassen sollte. War alles bitterer Spott, auch ihr Entschluß, die Stellung im Jonasschen Hause anzunehmen? Immerhin war diese angenehmer, als ihr bisheriges Gouvernantenthum. Sie spielte sich freilich mit ihren Geldmitteln auf, lieber Gott, die Ersparnisse einer Erzieherin! — Eilers mußte bei diesem Gedanken, der ihm mit den übrigen wirr durch's Gehirn zog, unwill kürlich lächeln. Sie sah es und ein drohender Ausdruck trat in ihre Augen. Dann erhob sie sich. „Ich danke Ihnen für die interessante Geschichte," sagte sie vollkommen ruhig. „Sie können mir Bescheid fenden, wann ich meine Stellung beim Dr. Jonas anzu treten habe —" , „Vielleicht erlauben Sie, daß ich Sre dem jungen Herrn Jonas persönlich vorstelle?" fragte er zögernd. „Wie alt, sagten Sie, sei der junge Herr?" „Sechszehn Jahre erst, doch schon gereift wie ein Mann -" Die junge Dame lachte spöttisch auf. „Diesem Knaben werde ich mich schon allein vor stellen können, mein Herr Doktor! — Melden Sie ihm, da leider kein anderer Hausherr vorhanden ist, mein Kommen, das Uebrige wird sich finden." Dn. Eilers verbeugte sich schweigend, worauf er sich ohne weiteren Gruß entfernte. Sie sah finster nach der Thür, durch die er verschwunden war. „Das kann noch immer hübscher werden," dachte Eilers, als er den Gasthof verlassen hatte, „wenn ich hätte ahnen können, daß sich die sanfte, zärtliche Helene in ein solches energisches Weib umwandelte, dann wäre keine Verlobung zu Stande gekommen. Aber trotz alledem be reue ich meine Vernachlässigung, da sie mir heut viel be- gehrenswerther, viel schöner erscheint, — eine Dame von Welt, mit tadelloser Haltung und vornehmen Allüren! Ich war ein Dummkopf, ein Narr, — einen solchen Edel stein wie einen werthlofen Kiesel von mir zu werfen. — Meine Rene kommt zu spät, ein solches Weib läßt sich nicht wiedergewinnen." Dr. Eilers unterdrückte einen Seufzer und schritt grübelnd durch die menschenleere Straße. Dann hob er trotzig den Kopf, knöpfte seinen Ueberzieher zu und begab sich in das Haus seines jetzt werthvollsten Patienten, um die neue Hausdame anzumelden und sich des Knaben Karl Dank zu holen. Seine anderen Patienten — es waren deren nur wenige — hatten heute vergebens auf ihn ge wartet. 14. Dr. Jonas hatte die gefahrvolle Operation insofern glücklich überstanden, als der Verlauf der Krankheit den Voraussetzungen des Physikus bislang zufriedenstellend entsprochen hatte. Mit dem Eintritte des Fiebers schien sich aber eine Krisis vorzubereiten, die eine bedrohliche Wendung befürchten ließ, da die Unruhe des Kranken jeder Vorsicht und Bewachung spottete. Daß unter diesen Umständen Wohlfart's Anerbieten, das Wächter- und Pfleger-Amt für die Nacht mit zu übernehmen, von ärztlicher Seite freudig angenommen wurde, läßt sich leicht ermessen, und es erschien auch als ein Freundschaftsdienst für den Kranken sowohl dem Dr. Eilers als auch dem Sohne und dem Dienstpersonal ganz selbstverständlich. „Hören Sie mal, mein bester Herr Wohlfart," sagte