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Arkansas City. Der hat unserer zehn Boys engagirt. Mr jede Heimstätte, die wir ihm sichern, zahlt er zweihundert Dollar. Wer einen besonders schönen Platz erwischt, etwa ein Eckgrundstück nahe der Grenze, erhält das Doppelte." Eine lebhafte Bewegung ging in diesem Augenblick durch die Menge. Man schrie und gestikulirte noch lauter als vorher und drängte ungestüm nach vorwärts. Es war halb zwölf Uhr. Der erste Extrazug kam an, die Wagen wurden geöffnet. Ein Schauspiel entstand, wie es Fritz Hammer nie in seinem Leben auch nur annähernd gesehen. Der brutale, rücksichtslose Kampf ums Dasein spielte sich in einer grauenerregenden, nicht mehr menschlichen Wildheit ab. In wüstem Durcheinander stürzten Männer und Frauen unter tosendem Hurrahgeschrei vorwärts. Einer nahm auf den anderen nicht die mindeste Rücksicht. Schonungslos wurden Schwächere zu Boden gestoßen und mit den Füßen getreten. Mehreren Frauen wurden die Kleider in Fetzen vom Leibe gerissen. In jedem dieser Tausenden und Abertausenden von Abenteurern lebte nur der eine Trieb: Der Erste zu sein, der jede andere menschliche Regung verdrängte. Alle Wagen des Zuges, der Gepäckwagen und die Loko motive nicht ausgeschlossen, waren imNu mit einerunbeschreiblich aufgeregt sich gebärdenden Menge besetzt. Ueberall, wo nur irgend ein Mensch festen Fuß fassen oder sich anhalten konnte, erblickte man das triumphirende Gesicht eines Heimstättesuchers. Oben auf den Wagen waren die Passagiere fast ebenso dicht gedrängt, wie in denselben. Der Zug konnte unter geregelten Verhältnissen höchstens zweitausend Menschen anfnehmen, hier aber hatten mindestens ihrer zehntausend Platz gesucht uyd gefunden. Fritz Hammer hatte es aber sehr bald aufgegeben, sich bis zu einem der Waggons durchzukämpfen. Das Blut stockte ihm beim Anblick der Scenen menschlicher Roheit und Zügel losigkeit, die sich vor ihm abspielten. In geringer Entfernung hinter dem ersten Extrazug stand ein zweiter. Aber auch hier kam der zaghafte Deutsche zu spät, auch hier hatte bereits eine Menge von mehreren tausend Menschen jedes Plätzchen mit Beschlag belegt. Fritz Hammer wandte sich kurz entschlossen zurück, um den Wettlauf um die Heimstätten zu Fuß aufzunehmen. Wenn er sich beeilte, konnte er noch rechtzeitig zu Fuß an der Grenze anlangen. Vor zwölf Uhr durften die Eisenbahnzüge nicht abfahren, und er hatte fast eine halbe Stunde Vorsprung. An der Grenze drängte sich eine schwarze Linie von Menschenmassen in unabsehbarer Länge, ungeduldig das Signal der Eröffnung erwartend. Machte Einer den Versuch, aus der Linie zu treten und vorwärts zu drängen, so tneben ihn die Drohungen der Andern rasch wieder zurück. Endlich ertönte ein Kanonenschuß über die, ein buntes Gewimmel von Menschen, Pferden und Wagen zeigende Prärie dahin. Der Militär-Cordon löste sich und in wildem Durcheinander stürmte Alles vorwärts: Reiter, Wagen und Fußgänger. Eine Anzahl weiblicher Personen hielt sogar auf Zweirädern ihren Einzug in den Cherokee Strip. Ein Bach, der wegen seines steil abfallenden UferS nur an einigen Stellen passirbar war, hinderte unweit der Grenze daS raschere Vorwärtsdringen. Unentwirrbare Menschenknäule bildeten sich. Manche von den Reitern wagten den Sprung über den fast zwanzig Fuß hohen Damm hinab, langten im Wasser an und arbeiteten sich glücklich ans jenseitige Ufer. Andere sprangen von den Pferden herab und versuchten ihr Glück zu Fuß. Ein Wagen mit mehreren Insassen stürzte kopfüber hinab. Zwei Männer blieben mit gebrochenenen Gliedern liegen, dir andern rappelten sich auf und setzten ihren Weg fort. Auch die Eisenbahnzüge sausten heran und hielten bei Perry, der Station im „Strip", und nun spielten sich ähnliche Scenen ab, wie beim Einsteigen. Jeder wollte der Erne sein, der aus dem Zuge hinauskam, und mancher wurde in dem wüsten Gedränge von dem Dache eines der Wagen herab- gestoßen und blieb kurz vor dem Ziel schwer verletzt oder gar mit gebrochenem Genick liegen. Die wildesten Scenen spielten sich im „Strip" selbst ab, bei dem Kampf um die Heimstätten. Um manch ein besonders vortheilhaft liegendes Grund stück entspann sich ein erbitterter Kampf, in dem der Revolver den Ausschlag gab. Verwundete und Todte bezeichneten den Kampfplatz. Fritz Hammer hatte längst den Wettlauf aufgegeben. Ein unüberwindlicher Ekel und Widerwillen hatte sich seiner bemächtigt und Thatkraft und Lust, sich an der Jagd nach dem Glück zu betheiligen, in ihm erstickt. Nach dem Fieber der Erwartung war eine grausame Ernüchterung bei ihm eingetreten. Mochten sie ihm zuvorkommen. Er beneidete keinen von ihnen, die hier um des Dollars willen ihre Menschenwürde preisgaben. Wie eine Erstarrung lastete es auf ihm, und mit wogender Brust, von Schauern des Entsetzens überrieselt stand er da, und brennende Scham erfüllte ihn, während er die einzelnen Phasen des wildesten, rohesten Kampfes um den Dollar mit ansah. Endlich riß er sich von dem schaurig-gräßlichen Anblick los und wandte sich um, um von neuem die Wanderung anzutreten. Wohin, er wußte es noch nicht. Nur fort von hier, wo die Bestialität ihre Orgien feierte. Er war kaum eine halbe Stunde unterwegs, als ihm ein sonderbares Gefährt begegnete. Es war ein Arbeits wagen, hochbepackt mit leeren Särgen. Ein Mann mit geld hungrigen Mienen schwang die Peitsche. Fritz Hammer schauderte. Wie die Geier im Kriege den Heeren folgten, um nach stattgehabtem blutigen Kampfe willkommene Beute zu suchen, so zog der spekulative Leichen bestatter den Heimstättesuchern nach, die einander im Kampfe um das Glück zerfleischten. XI. Ueber die einsame, weite Prärie wanderte Fritz Hammer. Er tröstete sich über sein Mißgeschick mit der Hoffnung, daß sich ihm vielleicht unterwegs irgend eine passende Thätigkeit irgendwo bieten und daß mithin seine weite Reise doch nicht vergeblich gewesen sein würde. Im Staate Kansas kam er eines Tages in ein kleines Städtchen. Der Ort machte den Eindruck der Wohlhabenheit. In weitem Umkreise erblickte man bestelltes Ackerland. Hinter jedem Hause befand sich ein großer Obst- und Gemüsegarten. Der Wanderer sprach auch hier nach seiner Gewohnheit um Arbeit an, denn in Amerika bettelt man nicht. Eine Mahl zeit wird jedem Hungernden gewährt, aber man verlangt in den meisten Fällen, daß der Bedürftige sich durch eine Dienst leistung einen rechtlichen Anspruch auf die Gabe erwirbt. Der junge Deutsche war zufällig in das Haus des Bürger meisters gerathen. „Also Arbeit wünschen Sie, junger Mann? Was können Sie denn arbeiten?" Fritz Hammer erklärte sich bereit, irgend eine Arbeit in Haus und Hof verrichten zu wollen. Der Bürgermeister sah dem jungen Mann forschend in die Augen, als wollte er auf dem Grunde seiner Seele lesen. „Sie sehen mir nicht darnach aus, junger Mann," ent gegnete er endlich, „als wenn harte Arbeit Ihr Beruf wäre. Was waren Sie denn in Ihrer Heimath? Denn, daß Sie ein Deutscher sind, höre ich an Ihrer Aussprache, obwohl Sie das Englische vortrefflich sprechen." Der junge Deutsche machte in seiner bescheidenen Manier ein paar nähere Angaben über seine Herkunft und Ver gangenheit. Der alte Herr betrachtete den Jüngling mit einem Ge misch von Tadel und wohlwollendem Interesse. „Sie hätten auch besser gethan, junger Mann " sagte er, „wenn Sie in Ihrer Heimath geblieben wären. Amerika ist nicht das richtige Land für Sie. Sie sind nun mal da," fügte er lächelnd hinzu, „und wir müssen sehen, wie wir Sie hier verwenden. Zuerst setzen Sie sich einmal auf den Stuhl da. So! Und nun wollen wir zunächst mal Ihrem Magen eine kleine Aufmunterung anbieten. Sie sehen nichts weniger als übersättigt aus, Fremder, und ich wette, daß Sie seit acht Tagen kein ordentliches Mittagsbrot ge gessen haben." Der joviale alte Herr stand auf, öffnete die Thür und rief ein lautes „Lea!" in den Korridor hinaus. Das Mädchen