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MM fN WilÄriisf Beilage zu Nr. 61. Donnerstag, den 23. Mai 1901. Df deuWn Döcn im WM. Reisebriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten.) VI. (Fortsetzung.) Das Zwischendeck-Publikum. — In Haifa. — Die deutsche Kolonie. — Beirut. — Tripoli und seine Vergangenheit. — Aus der Kreuzfahrerzeit. An Bord der „Venus", 16. April. Darf ich die Herrschaften vorstellen? Bitte, bitte, die Damen voran. Da ist Fräulein Rosamunde. Wie sie sonst heißt, wissen wir nicht, wir haben ihr den Namen gegeben, nennen sie kosend aucb Rosamündchen. Alter: o fraget nicht danach. Aussehen: dto. Trägt abwechselnd ein blaues oder rothes Waschkleid und weißen Tropenhnt mit lila Band. Wenn einer ein Plättbrett anzieht, ist es hundertmal graziöser. Sonst lächelt, liest und schreibt Nosamündcheu, und zwar schreibt sie, wie sie es unserer zutraulichen Professorsgattin verrathen, ein großes Werk, in welchem sie nachweisen will, daß sämmtliche Völker des Erdballes, von Sem, Ham und Japhet, den Söhnen Noah's abstammen. Bei geringstem Wellengänge ver schwindet Rosamündchen in ihr Kämmerlein und ringt mit Neptun, aber er bleibt Sieger; Melodie: „Ich hab' mich ergeben." — Dann: „die Lockcnraute." Sehr schön einst gewesen und sehr vornehm. Erregte unserer Damen Neid durch wundervolle, silk erblonde Locken, bis der Sturm kam und — o sbocKmZ — die ganze Geschichte aufhob; seitdem sittsamer Scheitel. — „Die Miesekatze": Gesichts farbe an Seetang erinnernd, soll Jugendfreundin von Nelson gewesen sein, hat eine Miausprache und nimmt Mixpickles selbst in die Suppen. — „Das Goldbergwerk": Gatte der Lockentante. Hat den ganzen Mund voller Gold, spricht aber, als ob man an eine zersprungene Bunzlauer Glocke schlägt. — „Der kalte Missionär": kommt aus Zansibar, wo er kleine Negerkinder unterrichtet, trägt Khakianzug und friert häufig, zieht dann als Schutz mächtige Reiterstiefel an; in der einen Hand die Land karte, in der anderen Hand das Fernrohr, guckt er von früh bis spät nach allen Seiten aus. All' dies sind sonst aber sehr nette Menschen!! — In der zweiten Klasse ist Jung-England untergebracht, Vorstellung nicht uöthig, da man nicht gern die Bekanntschaft mit Flegeln macht. Fesselnd in hohem Grade und stets unterhaltend ist unser Zwischendeck-Publikum, das, abgesehen, von dem Oberdeck und der Kapitänsbrücke, alle übrigen offenen Plätze in Beschlag genommen hat. Es ist wie ein Dorf, mit Zelten, hinter deren flackernden Tüchern die ver schleierten Frauen — die besseren in Seidenmäntel gehüllt und mit modernen Pariser Lackschuhen — schlafen, mit Lagerstätten, Kochplätzen, Versammlungsorten. Einzeln und in Gruppen hucken, liegen, sitzen beturbante und be- fezte Türken, Araber, Bedninen, Neger in bunten, faltigen Gewändern auf ihren weichen Decken und oft sehr schön- gemusterten, alten Teppichen, diese kochen sich ihren Kaffee, jene bereiten sich das einfache Mahl, andere rauchen Tschi- buck oder Zigaretten, ihre Nachbarn träumen, plaudern, lesen, und zu bestimmten Zeiten erheben sich zwei oder vier, oder acht oder zehn, sie breiten sorgsam in der Richtung nach Mekka ihre Teppiche aus und verrichten unter Verbeugungen und Niederknieen, die Suren des Kornn murmelnd, ihre Andacht, mit solch' tiefer Frömmig keit, solch' voller Hingebung, daß man hohe Achtung vor diesen Moslims, die zudem freundliche, friedliche Menschen sind, bekommt. — Die Fahrt, bei bisher — unberufen, unberufen! — günstiger Witterung, bietet der Abwechslungen viele. Jeder Tag bringt einen neuen Anlegeplatz, dem man, wenn es sich nur irgend mit der Zeit vereinbaren läßt, auf fchaukelndem Kahn zustrebt, und jede Stunde neue Bilder, da man stets nahe der Küste bleibt. Jnhügelum- säumler Bucht liegt Haifa, als Hintergrund der bewaldete Karmel, auf dessen einem Vorsprunge nach dem Meer zu sich das schloßähnliche, weißleuchtende Karmeliter-Kloster erhebt. Unterhalb desselben, nahe dem Strande und einen gesonderten Theil der Stadt bildend, zieht sich die deutsche Ansiedlung hin mit sauberen Straßen und hüb schen Häuschen, mit duftenden Gärten und sorgsam be bauten Neckern, mit prächtigen Oliven- und Orangenhainen, überall hallt uns ein deutscher Gruß entgegen und wird uns mit deutschem Willkommen der würzige Rebensaft ge reicht: über sechshundert unserer Landsleute haben hier eine neue Heimath gefunden und fühlen sich, von deutschem Fleiß getrieben, sehr wohl auf fremder Erde. Am gestrigen Morgen ankerten wir vor Beirut — puh, wie eilte Jeder, die enge, dumpfige Kajüte zu ver lassen, um an Land zu kommen. Aber in der staubigen, engen Stadt war's nicht viel besser. Der Chamsin wehte, den wir schon in Kairo zur Genüge kennen gelernt, das Quecksilber im Thermometer kletterte mit affenartiger Ge schwindigkeit empor, und der von den stolzen Häuptern des Hebron hcrunterschimmernde Schnee schien der wahre Hohn zu sein in dieser sengenden Gluth. Fünf Deutsche zusammen, und die sollten nicht ein schattiges Plätzchen und kühles Münchener Vier finden bei einem deutschen Zeitgenossen? Spaß' Erst als unsere „Venus" mit ihrem sonoren Organ ihr drittes und letztes Heulsignal erschallen ließ, nahmen wir Abschied von der gastlichen Stätte. Am Nachmittage neuer Halt vor Tripoli — und ge nußvoller Bummel durch die interessante Stadt, die in zwei durch Orangenwaldungen getrennten Theilen am Ufer liegt. Selten besucht, und daher der Orient in seiner echtesten Färbung. Malerisch für die Augen, empfindsam für die Nasen, schmerzhaft für die Füße. Wer sonst Glück hat, kann ein dauerhaftes Fieber erhaschen, da die Gegend sehr ungesund ist. Berühren die engen Gassen mit ihren Gewölben, ihren Bogengängen, den Karawan sereien, auf deren weiten Höfen Kameelkarawanen lagern, völlig mittelalterlich, so noch mehr die Thürme und Reste uralter Befestigungen und die grauen Gemäuer eines trutzigen Schlosses, das in einzelnen Theilen noch aus der Kreuzfahrerzeit stammt. Fünf Jahre leistete die Stadt, die während der Römerherrschaft mit den präch tigsten Bauten geschmückt war, den stürmenden Rittern Widerstand, und manch' deutscher Held mag hier die Todeswunde erhalten haben, ohne daß er die Zinnen Je rusalems geschaut. Weich' eine Vergangenheit haben diese Nester, wie Tripoli: phönizische Kolomeen, prunkende Residenzen der Seleucidenfürsten, Prachtstädte der Römer, Festungen der Franken, blühende Handelsplätze unter den Nachfolgern des großen Saladin und heute? Die Weltgeschichte hat doch einen infam planmäßigen Gang, der wohl ge legentlich aufgehalten, aber nie endgültig zurückgedämmt werden kann! Der Erbe von Grundhof. Roman von E. Heinrichs. (18) (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Das war brav von Ihnen, mein Herr," rief sie mit leuchtenden Augen, „ich kannte den Grafen Ehren schild nur von diesem Grenzpfahl und hielt ihn deshalb für feig, - ja, ich hielt ihn für recht schlimm und böse, weil er seinen einzigen Sohn verstoßen und enterbt haben soll zu Gunsten seiner bösen Gemahlin. Jetzt nehme ich meine Meinung über ihn zurück und bitte um den Namen eines Mannes, der so ritterlich für einen Todten in die Schranken getreten." Achilles wandte sich heftig ab und ging zu seinem Rosse, während der Fremde sie forschend anblickte, die dargebotene Hand leicht ergriff und küßte und ruhig er widerte: „Ich bin Ihr Landsmann, mein Fräulein, bin auf Grundhof geboren und erzogen worden und kehre jetzt aus Amerika, wo ich seit vielen Jahren gelebt, zu rück, um mich in der Heimath anzusiedeln." „Ihr Name?" forschte Freia unruhig. „Georg Elvers," erwiderte der Fremde ruhig. „Ah, welche Ueberraschung," rief Freia und klopfte fröhlich in die kleinen Hände, „Georg Elvers, der Onkel oder Vetter unserer Hildegard!; — Achilles, — so komme doch und höre, wer dieser Mann ist?" „Sie kennen Hildegardt Elvers?" fragte der Fremde rasch, „wo ist sie? wo kann ich sie sehen?" „Herr Elvers also," sagte Achilles, sich mit seinem Pferde am Zügel wieder nähernd, „wir sind uns völlig fremd, doch heiße ich Sie willkommen auf heimathlichem Boden. Diese junge Dame ist die Tochter des Herrn Barons von Meerheim, jetzigen Besitzers von Grundhof und ich bin Doktor Achilles, Sohn des dortigen Inspek tors, irre ich nicht, Nachfolger Ihres Vaters." „Meines Onkels, berichtigte Elvers, sich vor Freia tief verneigend, „ich bitte ebenfalls um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein, daß diese improvisirte Vorstellung so feindlich beginnen mußte, doch bedaure ich es im Grunde nicht, gab sie mir doch die Gelegenheit, ein edles, groß- müthiges Frauenherz kennen zu lernen und zugleich die Schmach eines edlen Namens in diesem zerbrochenen Pfahl zu enden. Sie erlauben?" Und ein scharfes amerikanisches Messer hervorziehend, hatte er in wenigen Minuten die Kugel aus dem Holze geschnitten, welche er sorgsam in der Westentasche barg. Den breiten, grauen Filzhut tief abnehmend, war er im nächsten Augenblick hinter den grünen Hecken, welche die Felder hier überall durchschneiden, verschwunden. „Wollte er nicht Hildegardt sehen?" fragte Freia, sich hastig zu Achilles umwendend. „Habe nichts davon gehört," versetzte dieser unmuthig, „er schien mir ein frecher Abenteurer, aber nicht der zu sein, für welchen er sich ausgab." „O, fängst Du auch an, zu verleumden," rief Freia vorwurfsvoll, „nein, mein Freund, es war kein Abenteurer, — weißt Du, wofür ich ihn einen Augenblick hielt? — für den enterbten Sohn des Grafen Ehrenschild!" Ueberrascht blickte der junge Mann sie an und dann unruhig nach der Gegend, in welcher er verschwunden war. „Ich werde mich doch ein wenig nach dem Herrn umschauen," sagte er, Freia den Steigbügel haltend, damit sie sich wieder auf den Zelter schwingen könne, während sie sonst gewöhnlich das leichte Füßchen auf seine Hand setzte. „Du bist unartig Achilles," schmollte das reizende Wesen, „geh fort, ich werde mich ohne Deine Hülfe Hinauf schwingen." „Vergieb, süßer Engel," flüsterte der junge Mann, - ihr leidenschaftlich in die Hellen Augen schauend, „dieser Fremde, für welchen Du Dich so lebhaft zu interessiren scheinst, hat mein ganzes Innere in Aufruhr gebracht. Es ist mir, als müsse er störend zwischen uns und unser Glück treten. Und wie lange kann unsere Liebe verborgen bleiben? Wenn jener Amerikaner, in dem ich bereits meinen Feind hasse, vielleicht sehr reich ist, wenn er um Dich wirbt, denn wer könnte Dich sehen, ohne Dich zu lieben? — Was dann, Freia? — Wirst Du den armen Achilles nicht bald vergessen und dem Vater gehorchen, welcher die reiche Verbindung sicherlich wünschen wird?" „Das wird der Vater nicht wünschen," versetzte Freia zuversichtlich, „er liebt mich gar zu sehr und Großpapa will nur, daß ich einen Grafen heirathe. Ist das nicht lustig? — Ich mag keinen Grasen, sondern Dich allein, und nun sei wieder freundlich wie sonst, wenn Du's willst, werde ich's heut noch dem Vater sagen. Komm, laß uns heimreiten, es dämmert schon und Niemand weiß, wo ich geblieben bin." Achilles schaute sie noch immer an in leidenschaftlicher Erregung, heftig riß er die holde, feine Gestalt an seine Brust und bedeckte ihren Mund, ihre Augen mit glühenden Küssen. „Ja ich liebe Dich unaussprechlich," sagte sie, sich ein wenig rückwärts neigend und ihn lächelnd betrachtend, „Du bist viel schöner, als jener finstere Amerikaner mit den schrecklichen Augen und dem wüsten Bart. Glaubst Du, daß Hildegardt den Vetter schön finden wird?" „Das ist mir jetzt gleichgültig, Du Engel," jubelte Achilles, sie auf's Neue umschlingend und im süßen Kosen und Liebesgeflüster flohen die Minuten. Die beiden Rosse grasten gesellig neben einander, sich immer weiter von dem glücklichen Paar entfernend. Sie kannten sich und waren zu klug und wohl dressirt, um auf ungebührliche Art ihre Freiheit zu benutzen und davon zu gehen. Die Liebenden ahnten es nicht, welches furchtbare Gewitter drohend an ihrem Himmel heraufzog, die Luft war so lau und balsamisch, in einem nahen Wäldchen, welches zu Grundhof gehörte, flötete die Nachtigall in zauberischen Tönen ihr göttliches Liebeslied. Langsam kam ein Reiter auf der Landstraße daher. Sein scharfer Blick schweifte forschend umher und haftete dann plötzlich erschreckt aus den beiden bekannten Pferden, welche beim Anblick des Kameraden laut wieherten. „Was ist das?" murmelte der Reiter und sein finsteres Auge flog unruhig umher, „sollte' der Bube es gewagt haben —" Er sprang hastig vom Pferde, band dasselbe vorsichtig an einen dicht am Wege stehenden Apfelbaum und schritt dann geräuschlos im Grase dem nicht sehr entfernten Grenzpfahle zu. Dieser Mann war Baron Meerheim, der sein Kind suchte. Die Sonne war untergegangen, ein schwacher rosiger Schein vergoldete nur noch den Saum des klaren, durch sichtigen Horizontes. In diesem Augenblicke, als der Baron hinter die grüne Hecke trat, welche ihn von den Liebenden trennte, sagte der junge Mann: „So sckwörst Du mir, Geliebte, keinem Andern als mir auf Erden anzugehören, nur treu und eigen zu bleiben im Leben wie im Tode?" Bevor Freia etwas erwidern konnte, trat der Baron rasch hervor und auf die Liebenden zu. „Zurück von dieser Blume, elender Bube, donnerte er in maßloser Wuth, indem er seine Tochter ziemlich un sanft aus den Armen des erschreckten jungen Mannes nß, lohnst Du mit solchem schmählichen Verrath das Ver trauen und die Wohlthaten, welche mein Haus an Dir gethan? Fort, Bube, daß ich Dich nicht hier vor den Augen meines Kindes wie einen Hund züchtige, — lasse Dich nicht mehr auf meinem Grund und Boden sehen, oder ich zeichne Dir für diesen Schimpf, den Du meinem. Namen angeheftet, das Brandmal der Schande auf die Stirn." „Er hat Dich nicht beschimpft, Papa," rief Freia, welche sich zuerst von ihrem Schrecken erholte, und ihre blauen Augen blitzten zornig, „ist es denn ein so großes Verbrechen, daß Achilles, den Du selber immer so gelobt, mich lieb hat? Ich liebe ihn auch, habe ihn sogar zu erst geliebt und will nicht, daß Du ihn deshalb einen Buben schiltst. Soll er fort, gut, dann gehe ich mit ihm in die weite Welt." „Still, unerfahrenes Kind," gebot der Baron hart, „danke Gott, daß ich Dich errette aus den Händen des Verführers. Folge mir!" Er ergriff ihre Hand und zog sie rasch mit sich fort. Freia brach in lautes Schluchzen aus und sträubte sich heftig. Ihr leidenschaftliches Naturell brach sich in diesem Augenblicke in ungezügelter Heftigkeit Bahn. „Rette mich, Achilles," rief sie schluchzend, „ich lasse nicht von Dir. Geh nicht fort, oder ich muß sterben." „Ah, soweit fit es also schon gekommen," knirschte der Baron, „das unmündige Kind versagt dem Vater den Gehorsam. So muß ich also zum Aeußersteu schreiten." Er umfaßte sie, um sie mit starken Arm empor zu heben. Da trat Achilles, welcher bislang, wie von einen un«