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Zweites Blatt. WlM Mn, Menlehn »nd die Umgegenden. — — ImtsblAÜ für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Horstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1Mk.55Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion Martin Berger daselbst. No. 11«. ZUM 16. Sonntage nach Trinitatis. Joh. 18, 4: Wen suchet ihr? Drei Worte, kurz uud schlicht uud inhaltsschwer, versetzen uns in jene dunkelste aller Nächte, da Er verrathen ward, in jenen Moment, da die Rotte der Feinde, den Verräther an der Spitze, Ihm entgegentrat, Jh" zu sangen. Sie hatten gedacht, Ihn zu überraschen, stcw dessen überrascht Er sie und stellt ihnen die Belchtfrage, die ihre Gewissen hätte erschüttern sollen: Wen suchet ihr? Ich meine diese Frage des HErru zuweilen auch un Gewühl unserer Tage zu hören. Hassen sie nicht heute noch den Nazarener mit unversöhnlichem bitteren Hasse, diese Genußmenschen, denen Seine heilige Stimme im Evangelium die Genüsse stört, die in Seinem Blicke Anklage über Anklage^sehen, denen Sein Marterbild voll Blut und Pein die Seele verletzt? Zwar — es gehört nicht zum guten Tone, die Person Jesu zu lästern! Der „Menschenfreund" hat vorläufig bei der großen Menge, auf die man Rücksicht nehmen muß, noch unantastbaren Nnf. Aber man entschädigt sich, indem man die Zeugen Jesu angreift, schmäht, verfolgt, zu sangen wünscht. Wer aus der Lüge ist, der haßt die Wahrheit uud den, der sic verkündet. Da müssen tausend Vorwände, meist durch sichtig wie ein Spinngewebe, herhalten, um die Zeugen des Lichts zum Schweigen zu bringen, sie stumm und todt zu machen. Im Grunde gilt der wüthende Ansturm nicht ihnen, sondern dem, der hinter ihnen steht, der auch heute Seine Feinde fragt: „Wen suchet ihr?" Doch auch an andere in unserer Zeit ergeht diese Frage; an die vielen Tausende, die Sehnsüchtige sind, die nach einem festen Stützpunkte spähen, wo alles wankt und fällt, die Ruhe im Sturme, Trost im Unwetter haben möchten. Ihrer ist eine große Zahl. Der Materialismus der Weltanschauung, der vor zwanzig Jahren so viele Triumphe feierte,' hat längst Bankerott gemacht. Edlere, tiefer angelegte Gemüther hat er nie befriedigen können; sie lechzen nach Besserem, Höherem, nach Ewigem im Alltäglichen. Die Hinneigung zum Buddhismus, viel mehr verbreitet, als z. B. unsere deutschen Theologen ahnen, erklärt sich aus diesem glühenden Verlangen. Ach, es könnte so leicht gestillt werden, nicht von jener Religion der Weltflucht, aber von dem Manne von Nazareth, der Sein liebendes Herz mit hinaufgenommen hat auf den himmlischen Königsthron, und vom Herrscherstuhle herab die sehnsüchtigen Kinder unserer Zeit fragt: Wen suchet ihr? Hast du lieber Leser, die rechte Antwort dir schon gegeben? Ist es Jesus, den du suchst? Dann bist dn auf dem Wege, der zum Frieden, zur Freude, zum Tröste führt. Du wirst das alles erlangen und noch weit mehr. So K M "0« ganzem Herzen suchet, spricht der HErr, so will Ich Mich von ench finden lassen. Die National-Sozialen. Wir leben in einer Periode der Entstehung neuer Parteien. Es heißt, die alten Parteien hätten sich mehr oder weniger überlebt, mit ihnen die bisherigen politischen Schlagworte und Programme; es gelte, unser Parteileben zu verjüngen nnd neue Parteien zu schaffen, welche mehr den Fordernngen und Aufgaben der Jetztzeit entsprächen und sie verstünden, als die alten Parteien. Ob nun die letzteren wirklich schon derartig abgewirthschaftet haben, daß man sie zum alten Eisen werfen muß, ob sie iu der That nicht mehr den Wünschen und Anschauungen der großen Masse der Wählerschaft entsprechen, dies mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls müssen aber die ver schiedenen Partei-Nenschöpfungen, welche un Laufe der letzten Jahre bei uns entstanden sind, thellweffe wenigstens ihr Recht zum Dasein und ihre Existenzfahigkeit erst noch beweisen, und diese Forderung hat vor Allein auch von der national-sozialen Partei zu gelten. Als dieselbe seiner zeit von den Herren Naumann, Göhre und Genossen aus den Trümmern der ehemaligen christlich-sozialen Partei, welche seit dem Rücktritte des ehemaligen Hofpredigers Stöcker aus dem politischen Leben nur noch dahin vege- Urie, erreicht wurde, da versprachen sich diese modernsten unserer politischen Heilsapostel Wunderdinge von ihrer neuen Schöpfung. Dieselbe solle berufen sein, wirklich Sonnabend, den 2. Oktober sozialen Reformen den Weg zu bahnen und zugleich unter Entfaltung des nationalen Banners die Führung der Massen der Arbeiterschaft an Stelle der Sozialdemokratie zu übernehmen und ebenso die Erbschaft der angeblich absterbenden bürgerlichen Parteien anzutreten — niit einem Worte, die national-soziale Partei sollte nach Ansicht ihrer »Gründer die eigentliche Partei der Zukunft werden. Seitdem ist ein Jahr ins Meer der Vergangenheit gesunken, aber scholl diese kurze Frist hat genügt, um dar- zuthuu, daß sich das hochgesteckte Programm der Herren Naumann und Genossen nimmer verwirklichen wird, daß vielmehr ihre junge Partei schon die Todeskeime in sich trägt. Das heiße Bemühen, der Sozialdemokratie den Boden in der Arbeiterschaft zu untergraben und deren Anhänger in Massen zu sich herüberzuziehen, ist vorerst ebenso vergeblich geblieben, wie der Versuch der National- Sozialen ihre Reihen anch aus dem Lager der bürgerlichen Parteien zu verstärken. Wohl sind aus der Sozialdemo kratie einzelne Ueberläufer zn der neuen national-sozialen Richtung herübergestoßen und ebenso hat sie hier und da aus den alten bürgerlichen Parteien vereinzelter Zufluß gefunden, aber das war auch Alles. Wieder macht das Gros der sozialdemokratischen Wähler auch nur im Ge ringsten Miene, Fühlung mit den „Naumannianer" zu nehmen, noch zeigen die Anhänger der verschiedenen bür gerlichen Parteien irgendwelche Neigung in größerem Um fang ihren Uebertritt zur national-sozialen Gruppe zu vollziehen. Dafür ist im Schooße der noch so jungen Partei immer deutlicher ein Zersetzungsprozeß aufgetaucht, während sie zugleich mit wachsenden finanziellen Schwierig keiten zu kämpfen hat, so daß sich schließlich das offizielle Parteiorgan, die „Zeit", nicht länger mehr über Wasser zu halten vermochte. Jetzt sollte nun zu Erfurt auf dem Parteitage der National-Sozialeu nochmals der Versuch gemacht werden, den absterbendeu Parteikörper um zu beleben, aber gerade die Erfurter Verhandlungen haben erneut die scharfen Widersprüche m dieser Partei erkennen lassen. Sowohl über den Kreis der einzuleitenden sozialen Reformen und über deren Gestaltung als auch über die politische Taktik der Partei stießen die Gegensätze in Er furt heftig auf einander, und war es in letzterer Bezieh ung namentlich bemerkenswerth, daß die gemäßigteren Elemente eine entschiedene Bekämpfung der Sozialdemo kratie durch die National-Sozialen verlangten, während die Radikalen ihre Hinneigung zu-cher Umsturzpartei offen be kundeten und u. A. forderten, unter Umständen müsse bei Stichwahlen ein Sozialdemokrat z. B. gegen einen Kon servativen unterstützt werden. Nun, einstweilen haben die Erfurter Verhaudlungen der National-Sozialen trotzdem zu einer nochmaligen äußerlichen Verständigung zwischen deren beiden Flügeln geführt, speziell sind die sich gegenüberstehenden Gegensätze in der Frage der politischen Taktik, durch Vermittelungs auträge übertüncht worden. Aber der innere Zusammen halt der Naumann'schen Partei hat durch den Erfurter Kongreß gewiß nicht gewonnen, und spätestens bei den Reichstagsneuwahlen des nächsten Jahres dürfte sich ihr Zerfall vollziehen, es fehlen den National-Sozialen die Gemeinsamkeit eines einheitlichen Zieler und die Gemein samkeit der Methode, nnd so werden sie in dem kommen den Wahlkampfe zwischen dm einzelnen Parteien hin- und herschwanken, um zuletzt voraussichtlich zerrieben zu werden. Schatten der Vergangenheit. Roman von E. Heinrichs. (Nachdnick verboten.) Aebersetzungsrecht Vorbehalten.) (Fortsetzung.) „Soweit es das Einkommen seiner Frau anbetrifft", sagte der Freiherr mit Nachdruck, „den Erben darf er nicht berauben." „Ach, mein bester Erlinghausen, wie wenig kennen Sie diesen Udo Hallenberg. Vergessen Sie nicht, daß der den Vormund des jungen Grafen und nun als sein Stiefvater un- umschrenkter Gebieter auf Rotenheim geworden ist." Der Freiherr sah nachdenklich vor sich hin, auf seinem guten faltigen Gesicht prägten sich Sorge und Unruhe aus. „Sagen Sie mal, lieber Graf," begann er dann mit ge- 1897. dämpfter Stimme, „was halten Sie von der Abwesenheit des jungen Grafen Egbert?" „Hm, die gräfliche Mutter erzählte mir auf meine Frage, daß er seine längst geplante Ferienreise nach Schottland zu einem Studien-Genossen in Ausführung gebracht habe. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, obwohl er am Ende so viel kindliche Pietät ihr hätte erweisen müssen, die Vermählung abzuwarten." „Das meine ich ja eben," erwiderte der Freiherr leise, „diese Ungewißheit in Betreff seiner räthselhaften Abreise macht mir großen Kummer. Sehen Sie, bester Graf, sein verstorbener Vater war mein Busenfreund, ich gelobte ihm einst in einer vertraulichen Stunde falls der Tod ihn vor mir abrufen sollte, seines Sohnes Freund und Rathgeber zu sein, zumal wenn derselbe noch minderjährig sein sollte. Nun war ich leider in diesen beiden letzten Jahren noch immer leidend und deshalb die meiste Zeit in Südfrankreich und an der Riviera. Als ich endlich heimkehrte und meinen Besuch in Rotenheim machte, befand sich der junge Graf in einer auswärtigen Pension, be hufs Absolvirung des dortigen Gymnasiums." „Jedenfalls auf Betrieb seines Vormunds, schaltete Graf Westorf ein. , „Unzweifelhaft, da der junge Hallenberg ihn dorhin be gleitete, wahrscheinlich zu seiner Kontrole oder als Vorbild. Dec Sohn des Spielers soll, wie ich gehört habe, ein Muster mensch sein." „Nun ja," bemerkte der Graf ironisch, man hat das nicht selten im Leben. Abschreckende Beispiele wirken oft mehr als moralische Erziehungsmittel. Das ist ja wohl der famose junge Mann, der mit seiner Selbstoerletzung den jetzigen Stiefbruder zur Abreise veranlaßt hat?" „Wenigstens fiel derselbe mit seiner Verwundung merk würdig zusammen," erwiderte Baron Erlinghausen. „Was würde ich drum geben, einen Leitfaden aus diesem räthselhaften Dunkel zu finden!" „Vielleicht machen Sie sich unnöthige Sorge, lieberBaron!" meinte Graf Westorf. „Der Knabe Egbert wird vor der Hochzeit, die ihm sicherlich nicht angenehm gewesen, Reißaus genommen haben, aber auch früh genug in's alte Nest wieder heimkehren. Mein Himmel, es wäre doch auch zu dumm von dem guten Jungen, seinem Stiefpapa in solcher Weise freie Bahn zu schaffen." „Das wäre es allerdings, wenn jener Schuß hier im Park nicht gefallen wäre. — Und doch, was hilft's darüber nachzu grübeln, vielleicht erhalten wir mit der Zeit die Lösung des Räthsels. Noch eins, bester Freund, Sie sprachen vorhin von dem Vater der Gräfin oder vielmehr der, jetzigen Baronin Hallenberg, der als Selbstmörder aus dem Leben geschieden ist, sowie von seiner Frau und seinen Kindern. Besaß er denn mehr Kinder als unsere Baronin?" Noch einen Sohn, einen verbummelten Menschen, der zum Diplomaten bestimmt gewesen sein soll. Wo der nach dem Tode der Mutter, der bald erfolgte, geblieben ist, mag der Himmel wissen. Jedenfalls ist er längst gestorben und verdorben, weil er sich sonst wohl an seinen reichen Schwager gewandt haben würde." „Over er hat bis heute noch nichts von der reichen Heirath der Schwester erfahren." „Auch möglich," sprach Westorf lächelnd, „in diesem Falle käm er auch heute schon zu spät, falls er von ihrem Reich thum etwas profitiren wollte. Hallenberg glaubt nicht an das Bibelwort: Geben ist seliger als nehmen!" „Hallenberg hat in seinem Leben nur genommen oder ver loren, doch niemals etwas freiwillig gegeben. Na, ich glaube, daß die Jugendspiele beendigt sind und zur Tafel geblasen wird. Kommen Sie, lieber Freund, wir haben die Zeit ver plaudert und ich hatte mir vorgcnommen, den Mustersohn des Bräutigams bei diesen idyllischen Schäferspielen, die zur Ehre der Neuvermählten veranstaltet worden sind, um die Langeweile fernzuhalten, eingehend zu studiren." „Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerannt,' flüsterte Erlinghausen, „dort hoben wir den Musterknaben." Kurt v. Hallenberg kam rasch auf die beiden Herren zu. Er sah recht interessant aus, noch etwas bleich undangegriffen und trug den linken Arm in der Binde. „Meine Eltern vermissen ihre beiden ältesten Gäste," rief er mit gut gespielter Ehrfurcht, „sie lassen die Herren durch mich zur Tafel bitten."