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WeMM fm MIÄrH Beilage zu Nr. 7. Dienstag, den 15. Januar 1901. Vaterländisches. Wilsdruff, 14. Januar 1901. — Die Frage der Mündelsicherheit von Dar lehen auf Grundstücke ist meiner kürzlich erschienenen beachtenswerthen Verordnung des Justizministeriums ge regelt worden. Bei allen Amtsgerichten sollen bis zu fünf eidlich verpflichtete Sachverständige ernannt werden- Von dem Verzeichniß der Sachve ständigen beim Amtsge richt Kenntnis; zu nehmen, ist jedem gestattet. Setzt die Schätzung einesGrundstückes besondere Fachkenntuiß voraus, so hat der um die Schätzung ersuchte Sachverständige einen fachmännischen Sachverständigen zuznziehen. Das auf die Bestellung von Sachverständigen gerichtete Ver fahren ist mit Einschluß der B.'kanntmachung kostenfrei. Die Schätzung ist auf den Verkaufswerth zu richten. Bei der Feststellung des Werthcs sind nur die dauernden Eigenschaften des Grundstücks und nur ein solcher Er trag zu berücksichtigen, den das Grundstück bei ordnungs mäßiger Wirthsckaft jedem Besitzer nachhaltig gewähren kann. Bei landwirthschaftlichen Grundstücken ist namentlich auf die Zahl der Steuereinheiten, die Bodenbeschaffung, den Kulturzustand und die Lage der Fluren, bei Haus grundstücken auf den Bodenwerih, den Werth der Bau- lichkeiten und den Nutzungswerth Rücksicht zu nehmen. Für ein Hans, das im Rohbau noch nicht vollendet ist, kommt nur der Bodenwerlh in Ansatz. Einer Schätzung bedarf es nicht, wenn bei landwirthschaftlichen Grund stücken die Steuereinheit nicht höher als mit 16°/, Mk. belieben werden soll, und bei Hausgrundstücken in Städten dann, wenn die beabsichtigte Beleihung die Hälfte der Brandversicherungssumme nicht übersteigt. — Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß Anmeldungen von neuen Fernsprechanschlüssen, welche im nächsten Frühjahrsbauabschnitt zur Ausführung kommen sollen, spätestens bis zum 15. Februar bei dem zuständigen Vcr- mittclungsamt zu bewirken sind. Sollen nach diesem Zeit punkt eingehende Anmeldungen noch berücksichtigt werden, so ist zur Deckung des Mehraufwandes ein entsprechender Kostenzuschuß zu entrichten. — Am 1. Januar 1901 gelangte das Hundertthe,l- iae Thermometer nach Celsius im ganzen deutschen Reiche allgemein zur Einführung. Obschon in der Wis senschaft feit Langem im Gebrauch, blieb die bekannte Skala nach Reaumur im gewöhnlichen Leben bei uns doch die vorherrschende. Jetzt, da sie gesetzlich verabschiedet wird, ist der lange Kampf zwischen Celsius und Reaumur zu Uugunsteu des Franzosen entschieden, der Schwede hat auf der ganzen Linie gesiegt. Vom 1. Januar ab sind alle mit Reaumur-Skaten versehenen Thermometer von der Prüfung ausgeschlossen. Durch jene Anordnung wird in absehbarer Zeit endgillig ein Zustand beseitigt werden, der vielfach zu Irrungen und Verwechselungen Anlaß gab. Es entbehrt auch nicht eines gewissen ko mischen Beigeschmackes, daß das erste brauchbare Ther mometer — im Jahre 1714 von dem Danziger Mecha niker Fahrenheit erfunden und mit 212 Graden versehen — in England und Amerika in Gebrauch ist, während man in Deutschland von dieser deutschen Erfindung nichts wissen wollte und nach dem Franzosen Reaumur die Temperaturen maß. Die Franzosen wiederum bevorzugten das 100theilige Thermometer des Schweben Celsius, und erst mit der allgemeinen Einführung des Dezimal systems fand dieses Instrument auch bei uns Eingang. Heldensseloi (ich Roman von B. Riedel-Arens. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Und wie hast Du Dir die Ausführung Deines großen Planes gedacht?" fragte Ruth, unter Thränen lächelnd, indem sie Vicky in das vor Begeisterung glühende Gesicht sah. „O, sehr einfach, und ich weiß im Voraus, daß er Deine bedingungslose Zustimmung finden wird. Also, wie bekannt ist, besitze ich aus der Hinterlassenschaft meiner Mutter ein kleines Vermögen, etwa dreißigtausend Mark, die vollkommen ausreichen. Gut: nächste Ostern gehe ich auf zwei Jahre nach Zürich, mache mein Doktorexamen, kehre hierher zurück und gründe mit Dir eine Pension größeren Stils für kränkliche Kinder, reiche sowohl wie arme, denn die ersteren müsse» wir haben, damit auch etwas Geld einkommt, weil die Anstalt hauptsächlich den ganz Unbemittelten zugute kommen soll. Wir übernehmen die geistige und körperliche Pflege der kleinen Verkommenen, ne sollen bei uns genesen, zu unserer eigenen Geuugthu- uug und ihrer Angehörigen Freude; gelegentlich behalten wir auch eins oder das andere für immer bei uns, um cs zu einem tüchtigen Menschen zu erziehen. Was sagst Du, Ruth, nicht wahr, das wäre so recht Dein Feld? Welch eine Fülle von frohem, segensreichem Schaffen ge währt uns diese Aussicht. Willst Du, Herz, dann schlage ein." Stumm bewegt legte Ruth ihre Hand iu Vickys aus- gestreckte Rechte. „Gewiß will ch; Du hast recht, Dein Plan ist vernünftig und ausführbar, und mit all meiner Kraft wirst Du mich ihm gewidmet sehen; finden wir doch Aus der Ze tung erfuhr sie die Ankunft Alexanders sowie das Hotel, wo er Wohnung genommen, und ohne zu Hause das geringste von ihrem Vorhaben verlauten zu lassen, begab sie sich gegen Abend entschlossenen Schrittes bleiben bis zum Ende." Nun wußte Vicky genug, und begann innerlich als> „Du grämst Dich, Ruth," sagte Vicky ernst. Der Sonnenstrahl eines halben Lächelns zuckte auf Ruths seelenvollen Augen. „Grämen ist wohl nicht das rechte Wort; ich bemühe mich zu vergesse», was hätte sein können, und das gelingt mir nicht — wenigstens wat so rasch." „Aber Du liebst ihn »och, nicht war, Ruth? Sei offen, was Du empfindest, ist ja so menschlich; Du brauchst deswegen nicht zu errölhen, wahrlich nicht." „Warum fragst Du, V.cky?" „Nun, ich will es eben wissen. Nenne es Neugierde, Theilnahme, Wissensdurst, gleichviel; alles, was Dich be trifft, erregt men. ganz besonderes Interesse. Gestehe es nur, Deiu Herz gehört noch ihm, und würde er Dich heute bitten, das Vorgefallene zu verzeihen, nachdem er seinen Jrrthum Ansehen gelernt, Du würdest dazu bereit sein, nicht?" — Ruth stützte den Kopf in die Hand und entgegnete leise: „Du selbst hast erfahrm, was es heißt: zu lieben; bedeutet das für uns Frauen nicht: sich selbst vergessen um des andern willen? Ward uns auch ewige Trennung zutheil — tief im Herzen wird meine Liebe ihm ewig im Stande war, auch nur die Feder zu diesem Zweck zu ergreifen. Zu Ihrem Tröste sei Ihnen jedoch gesagt, daß ick mit Ihrer Entscheidung Alexander gegenüber voll kommen einverstanden bin; nicht Sie tadle ich, liebe Ruth, sondern ihm allein werfe ich vor, das Wohl zweier Menschen, die so glücklich zusammen hätten werden können, von Grund aus zerstört zu haben, und zwar durch diese» unverständlichen Eigensinn, mit dem weder die Vernunft noch die liebevollsten Vorstellungen zu rechnen vermögen. Er fühlt sich nicht mehr wohl bei uns: das Klima, die Verhältnisse, alles mißfällt ihm. Deswegen habe ich auch kaum widersprochen, als er mir gestern mittheilte, binnen Kurzem nach St. Franzisko zurückreisen zu wollen; er wird Donnerstag m Hamburg eintreffen, um die Fahrt mit der „Bavaria" nach Nordamerika sortzusetzen. . Und damit, mein liebes Fräulein Ruth, komme ich zugleich auf den Hauptzweck meines heutigen Schreibens. Wie uns Vicky benachrichtigt, ist Frau Lonny v. Winkler wieder in Gnaden von ihrem Manne ausgenommen worden, wodurch Ihr Aufenthalt im Hause des Geheimraths zwei fellos nicht an Reiz gewonnen hat. Darum denke ich, würde es Ihnen nicht unangenehm sein, wenn ick Sie bitte, die nächsten Monate bei uns auf Friedensheim zu verbringen, von dem aller Frohsinn gewichen und düstere Sckwermuth eingezogen ist. Marianne kränkelt, und Leah gefällt mir gar nicht; zu meinem Befremden weickt das arme Kind mir aus, obgleich ich mich doch einst ihres Ver trauens rühmen durfte. Mit ihr geht etwas Ungewöhn liches vor, dem vielleicht nur noch das vertraute Schwestcrn- herz entgegenzmreten vermag. In dec festen Hoffnung meine Ihnen dringend an heimgegebene Bitte möglichst bald erfüllt zu sehen, zeichne, Sie freundlichst grüßend Gisela von Birken." „Diese Einladung kommt ja wie gerufen, Vicky; ich nehme sie an." „Selbstverständlich; und da Leah demnächst hcirathet, wird Frau v. Birken Dir später jedenfalls die Stellung als Gesellschafterin bei ihr anbieten, und besseres ließe sich für uns vorläufig garnicht erwarten; in Friedeusheim bist Du während der zwei Jahre bis zur Verwirklichung unseres Planes vorzüglich aufgehoben. Also Herr Ale xander trifft morgen hier in Hamburg ein?" fügte Vicky nach kurzem Ueberlegen hinzu. „Ja, so schreibt seine Mutter." „Beantworte mir eine Frage aufrichtig, meine Ruth. Nehmen wir an, er bereute sein Benehmen und käme, Dick um Verzeihung zu bitten, — würdest Du dazubereit sein?" „Dieser Fall ist ausgeschlossen, Vicky; er kommt nicht. Alexander v. Birken hat, wie es scheint, verlernt, einer anderen Regung zu gehorchen, als dem eigenen trotzigen Willen." „Bereust Du es heute, nicht nachgegeben zu haben, Ruth?" „Nein, bereuen im eigentlichen Sinne kann ich dies nicht; allerdings habe ich ihn sehr, sehr lieb gehabt — doch dem tyrannischen Machtgebot eines Mannes kann sich die Frau, wo sie nach ihrer heiligen Ueberzeugung im Rechte ist, nicht fügen, ohne ihre Würde und in der Ehe mit ihm die Entfaltung ihrer besten Eigenschaften zu be einträchtigen, denn die Ehe ist das Bündniß der Ein- tracht und Harmonie, die schwinden müssen, sobald der Maan den Gehorsam eines despotischen Begehrens ver langt." Vicky dachte nack, während ihre klugen Augen theil- nahmsvoll auf der Freundin ruhten, als suche sie in deren Zügen die Bestätigung eines verborgenen Gedankens zu lesen. Sie verriethcu einen heimlichen Schmerz, der an ihrem Lebensmarke nagte, ob sie auch bemüht war, heiter zu erscheinen. darin des Weioes erhabenste Bestimmung: den Bedürf tigen eine Hülfe und Stütze zu sein." „Gut, die Sache ist abgemacht und unser Bund für's Leben geschlossen; ick fürchte, die nächste Zeit wird uns viel Kummer bringen, aber den Blick fest auf unser schönes Ziel gerichtet, werden wir die Unannehmlichkeiten überwinden." 6. Kapitel. Vicky hatte recht, als sie vermuthete, die nächste Zeit werde eine leidensoolle für Beide sein; Lonny zeigte sich mit der Anwesenheit der früheren Hausdame, die sich die Zui eiguug des Geheimraths und seiner Kinder in so hohem Maße zu erwarben gewußt, durchaus nickt eiuver- stanoen und begann bald, Ruth ihren Aerger darüber auf so empftudliche Weise fühlen zu lassen, daß sie dieAbsia-t durchschaute und einsoh, der junge» Frau das Feld räumen zu müssen. Deshalb hatte sie auch schon beschlossen, wieder auf einige Monate nack Hohenfähr zur Frau Pastor Renneberg zu reisen, als dieses Vorhaben durch ein Schi eiben Frau Gisela v. Birkens eine Aenderung erlitt. Diese schrieb: Mein liebes Fräulein Ruth! nach dort. — Das Hotel war schon erleuchtet, als Vicky in die Vorhalle trar, wo sie einen vorübergehenden Kellner fragte, ob Herr v. Birken a wesend sei. „Der Herrist allerdings soeben nach Hause gekommen," antwortete der junge Mansch, sie etwas mißtrauisch musternd. „Sckön; ich wünsche ihn zu sprechen — sofort! Bitte, führen Sie mich zu ihm." „Verzeihung!" — Das Gesicht des Burschen verzog sich zu emcm fatalen Läch ln —, „aber ich müßte doch wohl erst fragen, ob es dem Herrn genehm " „Ist nicht nöthig," schnitt ihm Vicky kurz die Rede ab, „bestellen Sie einfach, eine junge Dame ersuche um eine Unterredung mit Herr» v. Birken; ich werde hier so lange waAen." Mit impertinenter Gangart schlenderte der blonde Jüngling davon, kam indesien bald mit einer Miene, in der Hohn, vermischt mit Unverschämtheit und Triumph zu lesen war, zurück. „Herr von Birken läßt bedauern, doch er empfinge keinen Betuch von ihm unb. kannten Damen," erklärte er wohlgefällig. „So! Der Herr scheint ja einen recht merkwürdigen Begriff von der Höflichkeit gegen Damen zu besitzen," er widerte Vicky, den Dreisten mit einem vernichtenden Zor- msblick strarend: „melden Sie also, wenn nur mein Name mir Einlaß bei dem Herrn zu verschaffen vermag: Student der Medizin v. Winkler, Tochter des Gehtim raths v. Winkler und überdies Nichte des Herrn Ulrich v. Birken, dem Bruder Ihres Gastes." Nack dieser Auseinandersetzung mußte der vielver sprechende junge Mann wohl ein recht verblüfftes Gesicht gezeigt baden; denn Vicky lächelte herablassend und folgte dem plötzlich außerordentlich höflich Gewordenen nach dem Zimmer Alexanders. Dieser saß auf dem Sopha und erhob sich beim Eintritt Vickys, die er namrlich nicht wieder erkannte, weil sie noch ein Kind gew<sen war, als er Deutschland verlassen hatte, und begrüßte sie mit bemessener Höflich keit; vermochte er doch dura aus nicht zu ergründen, was ihm die Ehre dieses Besuch's verschaffte. „Verzeihung, mein Herr," begann Vicky mit der un erschütterlichen Sicherheit der Großstädterin, die sich jeder Situation gewachsen fühlt, „daß ich mir die Freiheit nehme, Sie hier aufzusuchen; einestheils könnte jedoch meine Eigenschaft als Nickte Ihres Bruders Ulrich mir dazu Veranlassung gegeben haben, wenn nicht ein an derer, wichtigerer Grund mich zu Ihnen geführt hätte." Alexander verbeugte sich achtungsvoll, während er Vicky, durch eine Handbewegung einlud, ihm gegenüber auf dem Sessel Platz zu nehmen Sie gehorchte schweig end und mit der Absicht, dem Manne da vor ihr durch eine gewisse Hoheit, die ihrem Richteramte, das sie hier ausüben wollte, entsprech, zu imponiren — ein Ver such, der angesichts seiner ernsten Gelassenheit nicht voll ständig gelang. „Ich bin nach Ihrer Einleitung sehr gespannt, den Grund zu erfahren, dem ich das Vergnügen Ihrer lie benswürdigen Gegenwart vci danke, Fräulein v. Winkler." „Das solle» Sie, und zwar auf der Stelle," bemerkte Vicky die bis dahin vergebens auf den düster verschlossenen Zügen die Vorgänge seines Innern zu errathen ver sucht. „Ich komme hierher zu Ihnen, mein Herr, in erster Linie aus dem Grunde, der in dem Unreckt liegt, das Sie sich selbst zugefügt haben; Sie werden mir ent gegnen, daß dieser Umsta id mir höchst gleichgillig, sein könnte — sehr richtig, wenn dieses Unrecht nicht noch eine Reckt sorgenvolle Tage liegen hinter uns. Es wäre meine Pflicht gewesen, Ihnen gleich nach der Ankunft „ , „ meines Sohnes hier auf Friedensheim zu schreiben, aber § bald die Einzelheiten einer heroischen That, die sie aus der Schreck über die unerwartete Wendung der Dingel führen wollte, festzustellen. war so groß, mein Kummer so nachhaltig, daß ich nicht'