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Ai läge zu Ao. 153 des Wochenblattes für Wilsdruff etc. Im Jrrenhanse. Roman von E. v. Linden. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Sehr wahr/ meinte oer Doktor, dessen Antlitz undurch dringlich blieb, „also auf einen Augenblick, Herr Professor!" Er verließ das Zimmer, und hätte Hermann draußen sein Gesicht sehen können, er wäre sicherlich nicht so ruhig und sieges gewiß geblieben. Es verging eine ziemliche Zeit und der Direktor ließ sich noch immer nicht sehen, ungeduldig schritt Hermann auf und nieder und konnte eine leise Besorgniß nicht unterdrücken, daß durch diese Verzögerung ihm eine anderweite Dazwischenkunft erwachsen und sein ganzes Werk vereiteln könne, zumal, wie ihm jetzt un ruhig einftel, der Direktor das wichtige Schriftstück mit sich ge nommen hatte. „So viel erfahren und noch immer nicht vorsichtig genug," murmelte er, sich verdrießlich vor die Stirn fchlagend. Was ahnt ein Vernünftiger von der unheimlichen Welt, welche die Mauern einer solchen Anstalt einschließt? Was von der seltsamen Praxis, welche dort herrscht und den Narren in jedem Menschen wittert, wie die Polizei den Verbrecher? Noch eine geraume Weile mußte Hermann warten, als sich endlich die Thür öffnete und ein Wärter erschien, der ihn höflich einlud, ihm zum Herrn Direktor zu folgen. Arglos kam Hermann dieser Aufforderung nach und folgte dem Manne, der ihn eine Treppe höher führte, durch ein La byrinth von Gängen und endlich in ein Zimmer treten ließ, mit der Versicherung, daß der Herr Direktor sogleich erscheinen werde. — Die Thür flog hinter ihm zu, er hörte, wie ein Riegel vor geschoben, em Schlüssel umgedreht wurde, und stieß einen Aus ruf des Schreckens, der furchtbarsten Entrüstung aus. Erst jetzt sah er ein, wie Gefährliches er unternommen und in welche Grube er sich selber gestürzt, obgleich er die Tragweite seiner schrecklichen Situation noch nicht zu begreifen vermochte. Wehe dem Unglücklichen, hinter welchem sich die Pforten des Irrenhauses geschloffen, sie öffnen sich ihm so leicht nicht wieder, da die Vernunft in diesen Schreckens-Räumen so schwer begriffen wird und sie selber oft für Wahnsinn gilt. Einige Minuten stand Hermann regungslos, als fühle er sich von einem unheimlichen Traume befangen, wie konnte denn auch dieses Echreckbild wahr sein? — Wie sollte man es wagen können — Wagen? — Er lächelte bitter, hatte man es nicht gewagt, eine gemißhandelte Gattin, eine Mutter in dieses Haus einzu sperren, die so vernünftig war, wie er selber? — WaS wird nicht Alles gewagt in dieser Welt, wo Reichthum und Ansehen Gewissen und Gesetz zur Marionette machen können? Er schritt jetzt zur Thür, um diese zu öffnen, sie war ver-, schlossen, er hatte sich nicht getäuscht. Gewaltsam suchte er seine Aufregung zu bemeistern, die gewöhnliche Kaltblütigkeit zurückzurufen, es gelang und mit prü fendem Blick musterte er das Zimmer. Es war nicht groß, mit vergitterten Fenstern, einem Bett, Tisch und Stuhl, mit einem Worte, die Zelle eines Gefangenen oder — Wahnsinnigen. Hermann schauderte bei diesem Gedanken zusammen, wie viel Jammer und Elend hatte dieser enge Raum wohl schon umfaßt, wie viel Entsetzliches gesehen. Es gehörte in der That der ganze Mannesmutb dazu, eine derartige Situation mit ruhiger Ueberlegung in's Auge zu fassen. Er war jetzt fest davon überzeugt, daß dieser Direktor der Mit schuldige des Verbrechens, welches an Mohrbachs Gattin verübt war, sein mußte; warum sonst dieses zweite Verbrechen? Jemehr er überlegte, desto klarer, aber auch desto entsetz licher erschien ihm seine Lage, denn er durfte wohl keinen Augen blick länger daran zweifeln, daß auch er zu dem Loose des Wahnsinns verurtheilt sei. Sollte er um Hilfe rufen, gegen die Thür toben? Würde man darauf hören, war man der gleichen ja in diesem Hause gewohnt, es könnte ihm höchstens uur die Zwangsjacke, dieses Folter-Instrument der armen Irren eintragen. Vielleicht rechnete der schlaue Direktor darauf, um den so natürlichen Effekt der Leidenschaft, den eine solche Behandlung bei jedem Menschen hervorbringen muß, als Tobsucht zu be handeln, wie man es bei der unglücklichen Louise gemacht, die in der Zwangsjacke ihren wilden, leidenschaftlichen Schmerz und Widerstand hatte büßen müssen. Hermann blieb deshalb ruhig, aufmerksam auf Alles horchend, wa- sich draußen zutrug, er fühlte es instinktartig, daß er beob achtet wurde, und ließ sich deshalb mit großer Ruhe auf den einzigen Stuhl nieder, der sich in dieser Zelle befand. Plötzlich hörte er draußen einen Wagen rollen, cs war jedenfalls der seine. Gefangen, wehrlos zum Wahnsinn ver- urthcilt! Er stützte den Kopf in die Hand und fuhr erschreckt empor, als ein dumpfes Geheul, wie von Raubthieren, zu ihm drang; cs schien über ihm zu sein, denn wildes Stampfen, als würde droben ein Kampf auf Leben und Tod geführt, gesellte sich entsetzenerregend zu dem Geheul. „Herr Gott, bewahre meinen Verstand!" murmelte Her mann, schwer athmcnd, „arme, — arme Louise!" Regungslos, wie in einem wüsten Traume, horchte er dem unheimlichen Lärme, der sonst so starke, charakterfeste Mann fühlte sich in diesen schrecklichen Räumen gelähmt, geistig und körperlich widerstandslos. Dreizehntes Kapitel. Würdige Genoffen. ES war in der That der Wagen des Professors, welcher iw raschen Trabe mit dem Direktor der Anstalt der Stadt zufuhr. Mit den Worten: „Der Herr Professor wird später meinen eigenen Wagen benutzen, da er länger verweilen wird, Sie können mich fahren, guter Freund," war Jener in den Wagen gestiegen, worauf der Kutscher arglos die Pferde angetrieben hatte. „Zum Herrn Doktor Motzrbach bei der Terrasse," rief der Direktor aus dem Wagen und rasch flog der Wagen über die Chaussee. In leicht erklärlicher Unruhe schritt Mohrbach in seinem Garten auf und nieder, auf jedes Geräusch von der Straße her horchend. War Bruno Walter vielleicht zu Hause ge blieben, aus Furcht vor der sicheren Hand des Professors, oder hatte er den Kürzeren gezogen? Diese Gedanken marterten ihn bis zum Wahnsinn. Da rollte ein Wagen auf der Straße, er hielt vor seinem Hause. In zwei Sätzen war er hinaus vor die Pforte. „Sie finds, lieber Herr Medizinalrath?" Es lag in dieser Begrüßung der Verdruß einer Ent täuschung. „Ich bin's, lieber Doktor, — habe Wichtiges mit Ihnen zu reden. Fahren Sie nur einstweilen nach Hause, guter Freund," wandte er sich an den Kutscher, „in einer halben Stunde können Sie wiederkommen — die armen Thiere mögen sich mittlerweile erholen." Der gute Direktor war Mitglied eines Lhierschutzvereins. Mohrbach führte ihn ins Haus und auf sein Zimmer. „Ist etwas mit meiner Frau passirt?" fragte er hastig. „Direkt nicht, doch sagen Sie mir um Gotteswillen, was haben Sie mit diesem Professor Hermann vorgehabt?" Mohrbach erblaßte. „Was wissen Eie davon, Herr Direktor", fragte er aus weichend. „Haben Sie diese famose, nein, verrückte Erklärung selber geschrieben, Doktor?" Mit diesen Worten reichte er ihm jenes Schriftstück hin. Wie ein Tiger entriß es ihm Mohrbach, entzündete mit zitternder Hand ein Streichhölzchen und ließ es daran ver kohlen. „So, jetzt kann ich wieder aufathmen, jetzt bin ich wieder ein Mann," sprach er triumphirend, „dieses Stück Papier hat mir eine schlaflose Nacht bereitet. Wie aber, um des Himmelswillen, lieber Medizinalrath, kommt cs in Ihre Hände, haben Sie cS gefunden?" „Das nicht, es ist mehr ein Raub," versetzte dieser lächelnd, „erklären Sie mir erst, in welchem Zustande Sie dergleichen niederschreiben konnten, vielleicht finde ich leichter den Schlüffe! zu diesem Räthsel." Soviel ihm gutdünkte, erzählte Mohrbach, was sich zwischen ihm und Professor Hermann zugetragen, nur mit einigen Ab änderungen hinsichtlich der Inspektorin und des Duells. Ruhig lächelnd hotte der Direktor zugehörig jetzt nahm