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MMWMckH Erscheint wöchentlich dreimal u. zwar Diens tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis Viertels, s Alk. 30 Pf., durch die Post bezogen s Alk. 55 Pf. Einzelne Nummern s0 Pf. TharM Ucht«, Sikbelllkhn und die UmMndtlt. ImtsölM Inserate werden Alontags, Alittwochs oNd freitags bis spätestens Alitta-S s2 Uhr angenommen. Insertionspreis j 0 Pf. pro dreige spaltene Eorpuszeile. für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Ltadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Lorstrentamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firm« H A. Berger m Wilsdruff. — Verantwortlich für tue Redaktion H. A. Berger daselbst. Dienstag, den 19. November No. 137 1895. Donnerstag, den 21. ds. Mts., Nachmittags 6 Uhr, öffentliche Stadtgemeinderathssitznng. Wilsdruff, am 18. November 1895. Der Stadtgemeinderath. Dicker, Brgmstr. Butz- und Bettag. Das Kirchenjar neigt sich seinem Ende zu. Eine ernste Stimmung beherrscht in dieser Zeit ganz besonders das Innen leben der Christen. Die Evangelien der letzten Sonntage reden von den letzten Dingen und dem Ende des Zeitlichen; dazu mahnt das sich dem Schluffe zuneigendc Kirchenjahr zu einem Rückblick in der Stille und zu Selbsteinkehr. Und was kann eine solche Selbstprüfung dem Christen anders zeigen, als auf feiner Seite mancherlei Vergehen, Verfehlungen und Sünden. Die Erkenntniß der Sünde aber ist der Anfang der Buße; darum sind wir dankbar, daß der Bußtag in diese Zeit fällt, die ohnehin zur Buße mahnt. Freilich soll dieselbe nicht an einem Tage für ein ganzes Fahr abgemacht werden. Der Katechismus spricht vielmehr von täglicher Reue und Buße. Allein wenn wir auch in unseren Familien täglich Gott dienen, so sind uns doch bestimmte Tage zu besonderem Gottesdienst gesetzt, und wenn wir auch täglich Gott bitten: „Was geschehen, decke zu," so schließt das doch nicht aus, daß wir einen ganzen Tag der besonderen Bußübung weihen, einen Tag, an dem wir mit dem Schuldregister unseres Gewissens ganz besonders ernst rechnen, an dem uns unsere Unwürdigkeil mehr als an anderen Tagen fühlbar wird, und an dem neben der Reue auch Vorsätze der Besserung geboren werden, die nicht der nächste Tag schon wieder hinwegnimmt, sondern, die da bleiben und eine sichtbare Frucht schaffen. So bleibt es nicht bei dem: „Was geschehen, decke zu." „Was kommen will, regiere Du;" das verhilft .ihm erst zum rechten Schluß. Wer den Bußtag so feiert, der feiert ihn recht. Allein dieser Tag hat noch eine andere besondere Bedeut ung. Bußtage sind Volkstage; darauf deutet schon ihre Ent stehung. Dem bußfertigen Herzen eines frommen preußischen Königs entsprang einst dec Gedanke, sich an einem bestimmten Tage in Reue vor seinem Gott zu vereinigen mit seinem Volke. Wie einst ganz Israel mit seinem König David im Staube lag, wie einst Ninive vom König bis zum Bettler in sich ging, so sollte es auch unser deuljches Volk thun. Fürwahr, ein hoher herrlicher, ein wahrhaft königlicher Gedanke. O daß er doch den rechten Wiederhall fände in jedem Herzen der Unter- thanen. Die eigene Sünde gilt's zu bedenken und zu bereuen vor allem andern; aber neben dieser eigenen Sünde lastet noch eine andere Schuld schwer auf unseren Schultern, daß ist die Volkssünde, die Sünde, zu welcher ganze Stände, ganze Ge meinschaften sich einmüthig zusammenthun, als wäre sie ein gutes Werk, an deren Vollbringung sie arbeiten im Schweiße ihres Angesichts, als ob sie ihnen den schönsten Lohn cinbrächte. Von solchen Standes- und Gemeinschaftssünden kann sick niemand in unserem Volke freisprechen. Der geistliche Stand, der Adel, der Krieger-, der Kaufmanns-, der Arbeiterstand, ein jeder Stand hat seine Last, die ihn anklagt vor seinem Standcs- gewissen. Wenn heute der Mann vom Jordan aufträte, und mit seiner gewaltigen Stimme die einzelnen Stände zur Rechen schaft zöge, wie er es einst that; er würde mit demselben Urthei! schließen wie damals. Ja darin liegt es heute schlimmer, daß nur so wenige eine solche Bußpredigt zu Herzen nehmen wollen. Die Reichen verlangen: „predigt den Armen Buße," und die Armen sagen, „ja uns könnt ihr leicht schelten, aber den Reichen ihre Sünden vorzuhalten, da hütet ihr euch." Ein jeder Stand sieht deutlich auf das Unrecht der anderen und verlangt von ihnen Umkehr; aber von seinem Unrecht und seiner Reue will er nichts wissen. Damit beweist man aber das gerade Gegentheil von einem bußfertigen Sinn; und wenn das so weiter fortgeht, so steht alles andere eher bevor, als eine Besserung der Verhältnisse, mit denen heute niemand zu frieden ist. Darum nimm den Bußtag zu Herzen, du deutsches Volk; es ist hohe Zeit. Unser Volksleben befindet sich auf absteigender Ebene seit der Zeit der herrlichen Gottesthaten von 1870 und 1871. Wenn wir es genau daraufhin an sehen, so treten uns auf vielen Gebieten, z. B. in der Sitt lichkeit, den Verbrechen, dem Parlamentarismus, der Genuß sucht, Verhältnisse entgegen, daß wir glauben möchten, der alte Römer sollte auch bei uns recht behalten mit seinem Spruch „Die Sieger nehmen die Sitten der Besiegten an." Davor bewahre uns Gott und dazu segne er diesen Bußtag unserm teuren Volkei Tagesgeschichte. Der Besuch des Großfürsten Wladimir von Rußland beim deutschen Kaiser ist ein erneutes Anzeichen für die erfreuliche Thatsache, daß die Beziehungen zwischen den beiden Kaiserfamilien seit dem letzten russischen Thronwechsel wiederein herzliches und wahrhaft freundschaftliches Gepräge angenommen haben. Großfürst Wladimir, der älteste Oheim des jungen Zaren, der Gemahl einer mecklenburgischen Prinzessin, ist immer als deutschfreundlich bekannt gewesen und hat aus dieser seiner Gesinnung auch in den Zeiten kein Hehl gemacht, wo in St. Petersburg die deutschfeindliche Strömung die Oberhand ge wonnen hatte. Er blieb für seine Person, soweit dies dem auch für die Großfürsten allmächtigen Willen des Zaren gegenüber möglich war, redlich und erfolgreich bemüht, die alten Freund schaftsbande zwischen den Herrscherhäusern in Petersburg und Berlin nicht gänzlich abreißen zu lassen. Ihm war es zu danken, als selbst in jener Zeit, da Alexander III. unter Hintansetzung der üblichen höfischen Rücksichten den schuldigen Gegenbesuch beim deutschen Kaiser ungebührlich verzögerte, die berechtigte Mißstimmung hierüber in den Berliner Hof- und Regierungs kreisen nicht jene Schärfe und Nachhaltigkeit gewann, die sie vielleicht unter anderen Umständen angenommen hätte. Die Stellung des Großfürsten Wladimir wurde durch seine ausge sprochene Deutschfreundlichkeit unter der Regierung seines Bruders, der ihm übrigens stets ungemein zugethan war, zeitweise recht schwierig. Jetzt ist es dem treuen Träger der alten Freund schaft zwischen den Romanows und den Hohenzollern leich t ge macht, seine Gesinnung zu bethätigen. Er braucht sich deshalb nicht mit den Ansichten und Neigungen des Zaren selbst in Widerspruch zu setzen. Wenn an den erfreulichen Besuch des Großfürsten Wladimir weitergehende Erwartungen geknüpft wer den, so hat man es freilich nur mit Muthmaßungen zu thun, für die vorläufig Thatsachen schwerlich angeführt werden können. Insbesondere ist es lediglich eine bisher unbeglaubigte Ver- murhung, daß Großfürst Wladimir dem deutschen Kaiser ein Handschreiben des Zaren überbracht habe. Wenigstens fehlte« dafür an jeder Bestätigung von glaubwürdiger Seite. Von allen Seiten wird den kommenden Verhandlungen des Reichstags mit überaus geringen Erwartungen entgegen gesehen. Das führende Blatt der freisinnigen Partei giebt so gar geradezu die Parole aus: „Je weniger zustande kommt, umso besser!" Auf der anderen Seite stehen diejenigen, welche nach einer „durchgreifenden Sozialreform" rufen und schon jetzt wissen, daß alles, was die verbündeten Regierungen vorschlagen werden, bei weitem nicht genügen wird. Der Pessi mist, welcher der Ansicht ist, daß der Parlamentarismus nur noch die Aufgabe der Abwirthschaftung habe, könnte seine Freude an diesem Anblicke haben. Es kennzeichnet die unglaubliche Kurz sichtigkeit unserer Fraktionspolitiker, daß sie über den kleinen taktischen Erfolgen, die sic für sich davontragen, den ungeheuren Schaden nicht bemerken, welchen das Ansehen des Reichstags durch die trostlose Unfruchtbarkeit der Sessionen erleidet. Jene Politiker haben, wie die „Münchner Allg. Ztg." sehr zutreffend bemerkt, ja immer einen mehr oder weniger großen Haufen hinter sich, der Beifall klatscht, aber die Nation in ihrer Gesammtheit bleibt unbefriedigt, und früher oder später droht der Tag zu kommen, an welchem die Abwendung von dem „leeren Geschwätz", die man vereinzelt jetzt schon oft genug beobachten kann, eine allgemeine wird. Kein ernster Patriot kann im Zweifel sein, daß diese Gefahr verhütet, daß das Ansehen des Reichstags wieder auf die dem Geiste der Institution entsprechende Höhe emporgehoben werden muß. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die erste Vorbedingung, daß die so tief und leider auch so all gemein eingerissene demagogische Behandlung der Dinge aufge geben und wieder die Bahn Les ruhigen, sachlichen, ernsthaft auf positive Ergebnisse gerichteten Arbeitens eingeschlagen wird. Wie die Verhältnisse liegen, mag dies fast als eine übermensch liche Aufgabe erscheinen. Dennoch muß ihre Lösung unter nommen werden. Man sollte meinen, wenn sich im Reichstage alle, die guten Willens sind, zusammenthälen, um dem Dema gogenthum in jeder Form, sowohl demjenigen, welches alle po- siliven Maßnahmen als reaktionär, wie demjenigen, welches sie als ungenügend, unbrauchbar und von absichtlichem Uebelwollen eingegeben diskreditirt, den Krieg zu erklären, es müßte doch ein Umschwung zu erreichen sein. Aber freilich, wer die Dicke der Scheidewände kennt, mit denen sich die Fraktionen des Reichstags allmählich gegen einander abgeschlossen haben, der kann das darin liegende Hinderniß nicht unterschätzen. Und da zu kommt, daß keine Fraktion sich von der Ansteckung der de magogischen Methode ganz frei gehalten hat, daß also jede sich zunächst der schwierigsten aller Aufgaben, derjenigen der Selbst läuterung, würde unterziehen müssen. Ueber die Verhandlungen der Sachverständigen-Commission wegen der geplanten Revision der sozialpolitischen Ge setzgebung liegt endlich ein authentischer Bericht im „Reichs anzeiger" vor. Au« demselben seien im Folgenden die wesent lichsten Punkte wiedergegeben: Vie Conferenzverhandlungen be trafen zunächst die Frage der Zusammenlegung der verschiedenen Zweige der Arbeiterverstcherung, wobei allgemein die Verbesser ungsbedürftigkeit des Gesetzes vom 22. Juni 1889 anerkannt wurde. Die hierauf zielenden Abänderungsvorschläge, welche in dem der Commission vorgelegten RevistonSentwurfe des ReichS- amteö des Inneren enthalten sind, wurden zum größten Theile von der Versammlung gebilligt. Dagegen stießen die in den Fragen der Beseitigung des Markensystems und der organischen Vereinigung aller Zweige der staatlichen Rentenversicherung vor gebrachten Verbesscrungsvorschläge seitens der Mehrzahl der Conferenztheilnehmer auf verschiedene Bedenken. Speziell wendete man gegen die Vereinigungspläne des Dr. Bödikcr, Präsidenten des Reichsversicherungsamtes ein, daß dieselben die Schwierig keiten in der landwirthschaftlichen Unfallversicherung nicht ge nügend berücksichtigten. Im Nebligen wurde gegenüber den sämmtlichen Reformvorschlägen Lervorgehoben, daß sie noch nicht ausgereift seien. Schließlich hat es die Commission den zuständigen Behörden anheimgestellt, ob das Revisionswerk bis auf Weiteres auszusetzen sei oder ob zunächst mit der Revision der einzelnen sozialpolitischen Gesetze fortgefahren werden solle. Nach diesem Stande der Dinge zu urtheilen, erscheint es vor erst ziemlich zweifelhaft, ob der Reichstag bereits in seiner nächsten Seffion mit der Frage der Revision der sozialpolitischen Gesetze befaßt werden wird. Der Entwurf über die Errichtung von Handwerker- kammern und die in der vorigen Reichstagssession unerledigt gebliebene Novelle zu den Reichsjustizgesetzen sind vom Bundes- rathe nunmehr den zuständigen Ausschüssen zur Vorberathung überwiesen worden. Demnach kann bestimmt darauf gerechnet werden, daß der Reichstag diese beiden wichtigen Vorlagen entweder gleich bei seinem Zusammentritt vorfindet oder daß sie ihm wenigstens alsbald nach seiner Eröffnung zugehen. An gesichts des Interesses, welche sowohl der Entwurf über die Errichtung von Handwerkerkammern, als die Novelle zu den Reichsjustizgesctzen für weite Kreise der Bevölkerung besitzen, wäre es jedoch sehr wünschenswerth, wenn über den Inhalt dieser Vorlagen bald etwas Authentisches bekannt würde. Die bisherigen Angaben über den Inhalt des ersteren Entwurfes sind doch nur Vermuthungen, was aber die Justizgesetz-Novelle anbelangt, so soll sie gegenüber dem vorjährigen Entwürfe ver schiedene Abänderungen erfahren haben, über welche aber nech nichts Zuverlässiges verlautet. Bei Besprechungen der Meldung, daß die Heeresverwaltung zur Förderung der praktischen Ausbildung des Sanitäts personals für den Kriegsfall Stellen für Divisionsärzte schaffen und Assistenzärzte, sowie Stabsärzte zu Universitäts kliniken und Krankenhäusern kommandiren will, wird dem Bedauern Ausdruck gegeben, daß nicht auch die Aerzte des Be urlaubtenstandes in größerer Zahl zu Hebungen herangezogen werden. Wie die „B. P. N." hören, soll jauch nach ^dieser Richtung in der nächsten Zeit vorgegangen werden, und" zwar so, daß künftig eine beträchtlich größere Zahl von ? Assistenz ärzten und Unterärzten des Beurlaudtenstandes zu Uebungen eingezogen werden. Diese Uebungen dürften sich so gestalten, daß künftig jährlich 200 Assistenzärzte 1. Klasse auf 28 Tage und 500 Unterärzte auf 42 Tage eingezogen werden. Die dadurch bedingten Mehrausgaben werden wahrscheinlich schon im Etat für das nächste Johr gefordert werden. Man wird daraus ersehen, daß auch bei der direkten Ausbildung des Sa nitätspersonals des Beurlaubtenstandes alle möglichen Vor bereitungen getroffen werden, um im Mobilmachungsfalle durch aus brauchbare Kräfte zur Verfügung zu haben. Eine von etwa 1500 Handwerkern besuchte Versammlung in Berlin begrüßte die Regierungsvorlage, betreffend den un.