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same, mutterlose Kindheit, das Traumbild der Liebe, die darauf folgende Enttäuschung und die Tage des Leides; sodann eine Stunde des Glückes, des reinsten, höchsten Glückes und nun wieder Trauer und Entsagung für immer. Jäh wurde ihr Gedankengang durch Herbert unter brochen, welcher mit allen Zeichen freudiger Erregung in's Zimmer gestürzt kam. „Haben wir Dich endlich wieder, Eva!" rief er jubelnd. „Du glaubst nicht, mit welcher Sehnsucht ich Deiner Rück kehr entgegensah, und wie trübe und öde mir die Stunden ohne Deine Nähe vergingen." Mit diesen Worten wollte er sich Eva in vertraulicher Weise nähern, ein Blick jedoch voll Hoheit und Würde wies ihn in die Schranken zu rück, welche er selbst gezogen hatte. Wie erbärmlich erschien dem jungen Mädchen jetzt der junge Mann, dessen Blick und Stimme einst ihr Herz höher schlagen machte; wie mußte sie sich zu sammennehmen, um nicht den ganzen Widerwillen zu ver raten, den sie bei seiner An näherung empfand! Die kalte Höflichkeit, mit der sie seine Begrüßung er widerte, schien Herbert zu ver letzen; denn mit gänzlich ver ändertem Tone sagte er: „Wenn Dir meine Gegen wart unangenehm ist, so kann ich Dir die erfreuliche Mit teilung machen, daß Du bald davon befreit sein wirst. Ich habe den Bau eines Provinzial gebäudes an der russischen Grenze übernommen." „An der russischen Grenze?" wiederholte Eva staunend. „Was sagt denn Oktavia zu dieser Uebersiedelung in die Fremde?" „Fräulein Brandenburg sagt gar nichts dazu," erwiderte Her bert mit eigentümlichem Lächeln, „unsere Verlobung habe ich auf gehoben." „Jst's möglich? O mein Gott!" rief Eva mit den Zeichen höchster Erregung. „Warum thatest Du das, Herbert?" „Weil ich einfah, daß ich mich in Oktavia getäuscht hatte, daß ich mit ihr nicht glücklich werden konnte," entgegnete Her bert, welcher die heftige Auf regung seiner Verwandten sich auf die schmeichelhafteste Weise deutete. „Daß ich Fräulein Brandenburg nicht liebte, wirst Du wohl am besten wißen," fügte er mit einem viel sagenden Blicke hinzu. „Mit Zuversicht hoffte ich allerdings, daß bei näherem Verkehr ein wärmeres Gefühl für sie in meinem Herzen aufkeimen werde. Ich sah mich leider darin betrogen. Die fortwährenden Liebkosungen, denen ich bei dem ungeliebten Mädchen ausgesetzt war, erregten schließlch einen wahren Abscheu in mir; als sie mir vor einigen Tagen noch obendrein erklärte, daß sie ihr ganzes Ver mögen verloren habe, da zerriß ich die drückenden Fesseln. Eine Frau, welche mit solchen Ansprüchen ausgewachsen und stets von solchem Luxus umgeben war, wie Oktavia, konnte ich mit meinem bescheidenen Einkommen unmöglich zufrieden stellen. Nun bin ich wieder frei, und wir beide können glücklich mit einander werden. In Deiner Macht liegt mein Schicksal," vollendete er, indem er lächelnd näher kam. Hoch aufgerichtet stand Eva ihm 'gegenüber; ihre blauen Augen sprühten Blitze. „Für Dein Anerbieten habe ich keine Worte," ent gegnete sie mit vor Entrüstung bebender Stimme, „in Deiner Brust ist das Gefühl der Ehre erloschen, wie jedes andere höhere Gefühl. Nicht genug, daß Du mit kalter Berechnung Deine Seele dem Mammon verkauftest und einem ungeliebten Mädchen Treue schwurst, mit eisiger Ueberlegung brachst Du den Schwur und stießest die Be trogene von Dir, als der Glorienschein des Geldes nicht mehr ihre Erscheinung umgab. Von Stufe zu Stufe bist Du gesunken." Herbert hatte, während sie sprach, scheu und verlegen zu Boden geblickt; so sehr er sich auch bemühte, den Eindruck zu verbergen, sein Antlitz zeigte zu deutlich die innere Vernich tung. Langsam näherte er sich der Thür. „Du urteilst zu scharf, liebe Eva," sagte er im Weggehen mit leisem Tone; „das Schick sal hat mich zu dem gemacht, was ich bin." Es war ein unendlich bitteres Lächeln, welches Evas Mund umspielte, als die Thür hinter ihm zugefallen war. „Der Elende," murmelte sie. „Möge Gott ihm verzeihen und ihn zur richtigen Erkenntnis seiner Schuld führen! — Was mag jetzt Oktavia empfinden!" Sie fühlte unbeschreibliches Mitleid mit dem armen Mäd chen; wenn der Abend nicht so weit vorangeschritten, so wäre sie noch in derselben Stunde zu ihr hingeeilt. Der folgende Morgen ver ging Eva unter Erledigung von großen und kleinen Haushal tungsangelegenheiten, welche sich während der Reie angehäuft hatten. Die alte Martha stattete Wirtschaftsbericht ab, ehe sie das Szepter wieder in die Hände ihrer geliebten jungen Herrin niederlegte; hunderterleiwichtige und unwichtige Fragen, welche an die Lenkerin des Hauswesens nach monatelanger Abwesenheit herantraten, nahmen Evas Zeit in Anspruch. Auf diese Weise war es ziemlich spät am Nachmittage geworden, ehe das junge Mädchen endlich vor dem Brandenburg'schen Hause stand und Einlaß begehrte. Die Dienerin, welche ihr öffnete, zeigte ein mürrisches Gesicht und wußte nicht recht, ob ihr Fräulein empfange. Jedenfalls wollte sie Fräulein Herold melden. Eva folgte dem Mädchen über den mit Kisten und Kasten angefüllten Flur die Marmortreppe hinan. Mit Staunen bemerkte sie, daß sämtliche Zimmer, Oktavias Boudoir nicht ausgenommen, an deren geöffneten Thüren sie vorbeischritten, vollständig ausgeräumt waren. „Sollte dies vielleicht im Zusammenhänge mit Oktavus Vermögensverlust stehen?" fragte sie sich erschreckt. Die Dienerin führte sie in eines der Prunkgemächer, welche Oktavia bis dahin benutzt hatte, und bat sie, hier ein wenig zu warten. Sie konnte indessen kaum ihre Meldung angebracht Wetrachtungen. „o bsvoxons.! Wenn ich bedenke, daß ich bei den Balle- teusen noch vor einem Jahre der „Patscholi-Baron hieß!"