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Erscheint ,j wöchentlich dreimal u. zwar Dienst tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis viertel), j Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen j Mk. 55 Pf. Einzelne Nummern jO Pf. ThmM, Nossen, Siedenlehn und die AMMden. Mtsblutt Inserate werden Montags, Mittwochs und freitags bis spätestens Mittags j2 Uhr angenommen. Insertionspreis s O Pf. pro dreige spaltene Lorpuszeile. für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 68. Dienstag, öerr 11. Juni 18SS. Die Lage inMesterreich. Die schöne Rosenzeit der'KoalitionsherrlichkeiGn Oester reich Woffenbar längst vorüber, mehr und mehr häufen sich die „dunkeln Punkte- amIHorizonte des Kabinets Windischgrätz. Dasselbe hatte eben eine ungemein schwierige Erbschaft von dem famosen „Versöhnungsministerium' des Grafen Taaffe über nommen, und gerade jetzt, da die Koalitionsregierung an die Erfüllung ihrer damals gegebenen Versprechungen geht, beginnen sich die Schwierigkeiten für sie in bedenklicher Weise zu mehren. Wenn schon von den Steuerreformprojrkten des Finanzministers v. Plener behauptet werden darf, daß sie noch lange nicht im sicheren Hafen find, so muß das erst recht von der Wahlreform gelten. Der kürzlich veröffentlichte neue Entwurf einer Wahl reform für Oesterreich hat in der öffentlichen Meinung des Kaiserstaates einen wahren Sturm der Entrüstung hervorgerufen, da das Elaborat des Unterkomitees des Wahlausschusses die widersprechendsten Bestimmungen enthält, in seltsamer Weise das direkte Wahlrecht mit dem indirekten verquickt und zugleich in seinen Kernpunkten eine Schädigung der Interessen des liberalen Deutschthums bedeutet. Infolge der ungünstigen Auf nahme der umgeänderten Wablreform-Vorlage seitens der Oeffent- lichkeit wie auch der Wiener parlamentarischen Kreise schwirrten bereits allerhand sensationelle Gerüchte durch die Luft. Hieß es doch sogar, Fürst Windischgrätz wolle mit seinem gesammten Kabinet zurücktreten, falls die Frage der Wahlresorm nicht einen den Wünschen der Regierung entsprechenden Verlauf nehmen sollte. Inzwischen ist allerdings wieder Oel auf die erregten Wogen gegossen worden. Offiziöse Stimmen versichern, Fürst Windischgrätz denke gar nicht daran, wegen der Wahlreform frage die Kabinetsfrage zu stellen, seine Regierung werde viel mehr allen etwaigen Veränderungen des Wahlreform-Entwurfes durch das Plenum zustimmen. Außerdem scheint die stärkste Partei innerhalb der Regierungsmehrheit des Abgeordneten hauses, die vereinigte Linke, gesonnen zu sein, der Regierung in der Wahlreformfrage auf das Möglichste entgegenzukommen. Unter Anderem hat Graf Kbuenburg im Wahlausschüsse er klärt, die Linke stimme einem Eintreten in die Spezialberathung des Entwurfes zu, freilich unter der Voraussetzung, daß aus letzterem eine Reihe von Verbesserungen im liberalen Sinne, welche Graf Khuenburg dann aufzählte, vorgenomwen würden. Wenn die Polen und der Hohenwart - Klub ebenfalls mit sich reden lassen, nachher kann es ja sein, daß die Wahlreformfrage ihr gefährliches Aussehen für die Regierung verliert und daß noch eine Verständigung erzielt wird. Aber selbst in letzterem Falle würde die heutige politische Lage in Oesterreich doch eine precäre bleiben, einfach, weil eben das ganze Koalitionssystem eigentlich doch ein gekünsteltes ist. Wenn sich damals, als das System Taaffe endlich in die Brüche ging, die Deutsch-Liberalen, die Klerikalen und die mit ihnen gehenden Gruppen der Südtyroler, Jstrianer. Kroaten und Elovenen, sowie die Polen 'zu einer die neue Koalitionsregie rung stützenden parlamentarischen Mebrheit zusammenschweißen ließen, so war dies zu jener Zeit geradezu eine staatliche Noth wendigkeit, sollte in Oesterreich nicht ein förmliches politisches Chaos Hereinbrechen. Diese Verbindung der heterogensten politischen und nationalen Elemente war jedoch von allem An fang an eine unnatürliche, und nur mit Mühe ist es der Kunst ihrer Führer gelungen, sie bis jetzt zusammenzuhalten. Speziell im buntscheckigen Hohenwart-Klub gährt und schäumt es jedoch schon lange, einerseits hat ein Theil der Konservativen, ander seits die slovenisch-kroatische Gruppe allerlei dringende Sonder wünsche, deren Erfüllung dem Weiterbestand der Koalition direkt in Frage stellen würde. Den heikelsten Punkt bildet in dieser Beziehung die Forderung der Slowenen nach Errichtung eines slowenischen Gymnasiums in der urdeutschen steiermärkischen Stadt Cilli. Das Ministerium Windischgrätz hat die Ent scheidung über den Cillier Fall noch immer zu verzögern gewußt, aber nächstens muß das Parlament doch einmal Stellung zu der politisch so bedeutsam gewordenen Frage der Errichtung eines slowenischen Gymnasiums in Cilli nehmen müssen, und hiermit wird sich ohne Zweifel die Koalitionsregierung wie die Koalition im Abgeordnetenhause vor die Frage: „Sein oder Nichtsein?" gestellt sehen. Tagesgeschichte. Der Kaiser hat in diesen Tagen anläßlich seines jüngsten Besuchs in Kiel die Vorbereitungen für die Einweihung des Nord-Ostsee-CanalS, sowie den Canal selbst einer letzten Besichtigung unterzogen. Am Montag früh gevachte der erlauchte Monarch von dem Kieler Ausflug wieder im Neuen Palais bei Potsdam einzutreffen, um daun den größeren Cavallerie- Besichtigungen und -Uebungen beizuwohnen, welche in den Tagen vom 10, bis mit 14. Juni auf dem Bornstedter und dem Tempelhofer Felde stattfinden. Hierbei wird auf Einladung des Kaisers auch Erzherzog Franz Salvator von Oesterreich zu gegen sein, dessen Ankunft im Neuen Palais noch im Laufe des Sonntag erwartet wurde. Die Kaiserin wird mit den Kindern einen Theil dieses Sommers in Saßnitz auf Rügen zubringen. Der Termin der Uebersiedclung nach Saßnitz ist noch nicht fest bestimmt, doch dürfte sie in den erstell Wochen des Juli erfolgen. Friedfertigkeit ist gewiß eine schöne Tugend, Bescheidenheit unter Umständen eine noch schönere, aber wenn die verbündeten Regierungen diese in diesem Maße zu bethätigen entschlossen wären, wie es ihnen hie und da sogar von mit dem Anscheine des Wohlunterrichtetseins auftretenden Stimmen angesonnen wird, so würde man das doch für wenig erfreulich halten müssen. Man hätte danach anzunehmen, daß unter den Regierungen Uebeceinstimmung darüber bestände, den Reichstag beileibe nicht wieder mit etwas Aehnlichem wie den Vorlagen zu belästigen, welche er in der letzten Session abzelehnt hat. Diese Vorlagen sind bei ihrer Einbringung als ein gebieterisches Bedürfniß be zeichnet worden, dessen Befriedigung nicht hinausgeschoben werden könne. Es ist unmöglich, daß in einer solchen Lage eine Re gierung sich durch die parlamentarische Ablehnung ihrer Vor lagen ihrer Verantwortlichkeit los und ledig glauben sollte. Ver zichtet sie wirklich auf jede Wiederaufnahme der entsprechenden Aktion, so würde sie entweder von sich selbst gestehen, die ge bieterischen Bedürfnisse der Situation sehr unzutreffend be- urtheilt zu haben, oder sie würde dem Reichstage gegenüber im Lichte eines Uebermaßes von Friedfertigkeit und Bescheiden heit erscheinen, was man ihr im Publikum selbstverständlich als Schwäche ausl^gen würde. In beiden Fällen würde das An sehen einer solchen Regierung zweifellos sinken. Daß die ver bündeten Regierungen sich in dieser Weise blosstellen könnten, halten wir einfach für ausgeschlossen. Insbesondere die Preis- gebung der Forderung der Finanzreform erscheint schlechterdings unmöglich. Ueber die Frag- neuer gesetzgeberischer Handhaben gegenüber der revolutionären Gefahr mag sich eher reden lassen. Man kann erklären, es zunächst noch einmal mit einer energischen Anwendung der in dem bestchmden Rechte, und zwar dem Reichs rechte wie dem Partikularrechte, vorhandenen Kampfmittel ver suchen zu wollen, obwohl wir der Meinung sind, daß die Er fahrung die Unzulänglichkeit des bestehenden Rechts hinreichend erwiesen habe. Ganz anders bei der Finanzreform. Stände hier lediglich zur Frage, ob und in welchem Betrage eine Ver mehrung der eigenen Einnahmen des R-ichs erforderlich sn so möchte sich nach den bei der Etatsberathung in den beiden letzten Jahren gemachten Erfahrungen der Vorschlag hören lassen, man wolle die Gestaltung der Finanzlage erst noch eine Weile ab warten. Aber der Kernpunkt ist doch jene Auseinandersetzung zwischen dem Reich und den Einzelstaaten, welche den letzteren Sicherheit gegen die wechselnden und unberechenbaren Rückgriffe des Reichs auf ihre Finanzen gewähren und ihnen endlich wieder eine streng geordnet- Finanzwirthschaft ermöglichen soll. Diese Auseinandersetzung wird seit Jahren oon sämmtlichen einzel- staatlichen Finanzministern als eine dringende Nothwendigkeit bezeichnet, und nun wollte man sich über diese dringende Noth wendigkeit auf mindestens drei Jahrehinaus vollständiges Schweigen aufcrlegen? Die nicht allein in den Kleinstaaten, sondern auch in dem großen Preußen sich nachgerade bis zur Unerträglichkeit steigernde Finanzbedrangniß würde dafür ein unübersteialiches Hinderniß sein. " Zur Handwerkerfrage. Um einen Anhalt da. für zu gewinnen wie dicht das Handwerk noch immer im Reiche sitzt, soll bekanntlich eine Enquete mittels Stichprobe veranstaltet werden. Wie wir hören, ist der Termin für diese Erhebung auf Mitte Juli festgesetzt. Die Einzelstaaten in denen eine Enquete borgenommen werden soll, sind Preußen, Bayern, Sachsen, Baden und Lübek. In Preußen sind die beiden Re gierungsbezirke Danzig und Aachen und außerdem vier Kreise ausgewählt, um eine Unterlage für die Erlangung einiger Klar heit darüber abzugeben, wo viel selbstständige Handwerker auch I-tzt noch m einem bestimmten Distrikte wehnen. Die Beant wortung dieser Frage ist einigermaßen wichtig für die Ent scheidung darüber, wie weit man bei der Zusammenfassung der Handwerker zur Herstellung der Elementarbildungen der er strebten Zwangs-Organisationen zu greifen habe. Je mehr aber die Auffassung mindestens innerhalb der preußischen Regierung an Loden und Konsistenz gewinnt, daß es vor allem darauf ankomme, um die Herstellung eines sicheren Unterbaues für die geplante Entwickelung der Handwerkerverhältnisse in der Zukunft durch obligatorische Zusammenfassung der Gewerbsgenossen vor nehmlich zunächst zum Zwecke der Hebung des Lehrlingswesens besorgt zu sein, um so näherliegend muß es erscheinen, mög lichst genaue Informationen über die Erfahrungen einzuziehen, welche in Oesterreich mit der zwangsweisen Organisirung des Handwerks wie nach der guten auch nach der minder guten Seite bereits gemacht worden sind. Um in dieser Beziehung sachver ständige Untersuchungen an Ort und Stelle zu veranstalten, werden sich gegen Ende der Woche die beiden hervorragendsten Dezernenten in dieser Frage, der Geh. Oberregierungsrath Dr. Sieffert aus dem Handelsministerium und der Geh. Oberre gierungsrath Dr. Wilhelmi aus dem Reichsamt des Innern, in Begleitung des Assessors Dr. Hoffmann aus dem Handels ministerium nach Oesterreich begeben, um unter der schon jetzt gesicherten Mitwirkung der dortigen Behörden die Einrichtungen durch Selbstüberzeugung kennen zu lernen, von deren Ein richtungen man sich in Deutschland, wenn auch vielleicht weniger im Süden als im Norden, mancherlei Vortheile verspricht. Wie wir hören, werden von den Herren in erster Linie die Städte Wien, Linz, Graz und Salzburg besucht werden. Die Studien reise ist auf mehrere Wochen berechnet. Kiel, 6. Juni. Welchen ungeheueren Umfang die Canal feier annehmen wird und welch ungeheurer Personenandrang zu erwarten ist, erhellt aus der Thatsache, daß bis zum 1. Juni bereits 122 Passagierdampfer angemcldet waren. Von diesen Dampfern stellen Kiel und Hamburg je 22, Stettin 11, Bremen 10. Vom Ausland sind 18 Passagierdampfer angemeldet, und zwar von England 6, Finland 2, Schweden 5, Dänemark 5. An Kriegsschiffen wird der Hafen 53 fremde und ebensoviel Deutsche aufweisen. Dazu kommen noch 200 Segel- und Dampf yachten, welche zur Theilnahme an den Regatten dann bereits eingetroffen sind. Im Kieler Hafen wird also eine ungeahnte Menge von Schiffen einen dichten Mastenwald bilden, da die Summe der oben angeführten Fahrzeuge bereits die Zahl 428 erreicht. Man wird wohl in der Annahme nicht fehl gehen, daß während der Tage der Canaleröffnung mehr denn 500 Schiffe im Kieler Hafen anwesend sein werden. Daß schon jetzt die Vorbereitungen getroffen werden, um solchen Verkehr gegen über gerüstet zu sein, ist selbstverständlich. Einer Aeußerung des preußischen Eisenbahnministers Dr. Thilen über die Rückfahrkarten mit zehntägiger Giltigkeit ist, wie aus Stuttgart berichtet wird, in einer der letzten Sitzungen der württembergischen Abgeordnetenkammer von dem Minister präsidenten v.Mittnacht widersprochen worden. DieAeuken.na des Freiherrn v. Mittnacht lautete: „Es ist im preussische! Abgeordnetenhaus im Februar dieses Jahres dm Wün chm gegenüber, du zehntägige Dauer auch in Preußen einzufübrm von maßgebender Seite erwidert worden, die Ersaht ä^mack? Württemberq mit dieser verlängerten Giltigkeüsdaucr sE Nicht ger^ ermuthigend. Ich kann diese bestätigen. Die Rückfahrkarten mit zehn- täg ger Glltigkeitsdauer haben positiv günstig auf die Einnahme aus dem Personenverkehre eingewirkt; sie sind sehr populär ge worden und würden sehr ungern vermißt werden. Mißbräuche, wie sie bezüglich der Fahrkartenbenutzung in Preußen vorge kommen sind, hat man bis jetzt in Württemberg nicht bemerkt. Wir haben auf unseren Bahnen wiederholt außerordentliche Fahrkartenrevisionen vornehmen lassen, aber durchaus keine un günstigen Erfahrungen gemacht. Von dem gemeldeten Wolkenbruch in Württemberg sind am schwersten die Gemeinden Balingen, Frommem, Laufen und Dürrwangen betroffen worden. Jnsgesammt sind 40 Per sonen ertrunken und 30 Häuser thcilö zerstört, theils beschädigt. Schwer betroffen sind auch die Gemeinden Thailfingen, Truchtel fingen und Meßstetten, weniger schwer die Gemeinden Laut lingen, Ebingen und Onstmettingen. Am Donnerstag Abend traf eine Abtheilung Ulmer Pioniere per Sonderzug in Balingen ein. Behufs Beseitigung der Trümmern mußten Nachdrücken gebaut werden. Der König telegraphirte an den Oberamtmann Filsen-Balingen folgendes: „Tieferschüttert durch die SchreckeuS- kunde, ersuche ich Sie, den so furchtbar heimgesvchten Ge meinden meine innigste Theilnahme kund zu geben mit der Versicherung, daß, was menschlich: Hilfe vermag, von staatlicher Seite, wie von mir, gern und schleunigst geschehen soll. Gott bewahre den Bezirk vor weiterem Unglück und stehe den Schwer betroffenen bei! Ich sehe Ihrem weiteren Bericht auch über die besondere Nothlage entgegen. Wilhelm." — Ein Telegramm des Präsidenten v. Leibbrand an den Staatsminister v. Pieschek giebt die Zahl der durch die Ueberschwemmung in Balingen und Umgegend ums Leben gekommenen Personen auf 50 an. Völlig zerstört sind 30 Häuser, teilweise zerstört sehr viel mehr. Sämmtliche Brücken mit Ausnahme einer einzigen sind wegge- rissen. — Der „Staatsanzeiger für Württemberg" berichtet über die Verheerungen, welche die Ueberschwemmung in Balingen und Umgegend angerichtet hat. Darnach sind die Wirkungen derUeber schwemmung furchtbare; die Gesammtzahl der bisher ermittelten Todten beläuft sich auf 37. 10 Personen werden noch vermißt.