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Marschall Canrobert, einer der Granden des militärischen Frankreich, ist in Paris gestorben. Mit ihm scheidet nun der letzte der namhaften Heerführer des zweiten Kaiserreiches aus dem Leben. London, 26. Januar. Ein durch die begleitenden Um stände schreckliches Unglück ereignete sich an der Küste bei Portreath, Cornwallis. Der Glasgower Dampfer „Escurial", von Cardiff nach Fiume mit einer Ladung Kohle unterwegs, war, wie schon drahtlich gemeldet wurde, auf den Felsen ge- rathen und leckte stark. Nachts um 2 Uhr bemerkte man seine Nothsignale. Das Rettungsboot von Hayles wurde über Land mit vieler Mühe herbeigeschafft, konnte aber bei dem herrschenden Sturm nicht ausfahren. Ein Versuch wurde gemacht, das Boot aber sofort wie ein leichter Kork mit der Breitseite hoch auf das Land Hinaufgetrieben. Bis zur Brust im Wasser stehend, arbeiteten die Rettungsmannschaften, um die über- Bord gespmngenen Seeleute ^es „Eskurial" zu retten. 8 Mann wurden auf diese Weise im äußerst erschöpften Zustande geborgen. Die 12 übrigen Mann der Besatzung, die nicht über Bord springen wollten, sah man bei Tagesanbruch im Takelwerk des bereits ganz unter Wasser befindlichen Schiffes hängen, bis einer nach dem andern von der Kälte, dem Wind und den Wellen erschöpft in die Fluth hinabstürzte und vor den Augen der ohnmächtig am Strande zuschauenden Menge ertrank. Zuletzt brach der Mast zusammen und riß die letzten fünf mit sich ins Meer hinab. Die vielen Stürme haben in diesem Winter ungemein zahlreiche Opfer an der englischen Küste gefordert. Vaterländisches. Wilsdruff, am 31. Januar. — Heute Donnerstag Abend 8 Uhr findet im „Hotel zum goldenen Löwen" ein Vortrag des Herrn Pastor Ficker über „Planeten, Cometen und die Sternenwelt mit Demonstra tion" statt. Der „Gemeinnützige Verein", welcher der Veran stalter des Vortragsabends ist, erläßt hierzu an alle Bewohner der Stadt und Umgegend freundliche Einladung. Der Besuch dieses Vortrages wird Jederuiann lohnen, indem schon das Thema ein äußerst anregendes und die Vortragsweise des ge ehrten Herrn Pastor Ficker bekanntlich eine hervorragende ist. Man siehe auch Inserat „Gemeinnütziger Verein" betreffend. — Bei der in den letzten Tagen in Markranstädt bei Leipzig stattgefundenen Verbands-Ausstellung für Geflügelzucht erhielt u. A. Herr Eduard Rost-Wilsdruff zwei l. Preise, einen Ehrenpreis, sowie einen II. Preis für ausgestellte Pom- mersche Gänse; Herr Julius Vogel-Wilsdruff erzielte auf Wyandotteshühner einen I. und einen Ehrenpreis. — Die Zahl der seit dem Jnkraftbestehen des Invalid!« tätS- und Altersversicherungsgesetzes bewilligten Invalidenrenten hatte nach dem neuesten Ausweise des Reichsversicherungsamtes am Ende des letztvergangenen Jahres bereits eine Höhe erreicht, welche nahezu der Hälfte der bewilligten Altersrenten entspricht. In den ersten Jahren überwog, wie dies nach den gesetzlichen Bestimmungen über die für die Invalidenrente einzuhaltende Wartezeit natürlich war, die Zahl der Altersrenten. Das letzt- verflossene Jahr hat ein Uebergewicht der Invalidenrenten über die Altersrenten um über 14,000 ergeben. Das Uebergewicht wird sich noch von Jahr zu Jahr steigern. Jedenfalls kommt jetzt schon in dieser Zahl klar zum Ausdruck, daß das Gesetz vom 22. Juni 1889 weit mehr Fürsorge trifft für diejenigen Versicherten, welche in Folge Invalidität erwerbsunfähig werden, als für die, welche durch Erreichung des 70. Lebensjahres einen Anspruch auf Rente erwerben. — Nossen, 28. Januar. Gestern Abend gegen 7 Uhr gewahrte man in westlicher Richtung einen mächtigen Feuer schein. Derselbe rührte von einem Brande her, der die dem Gutsbesitzer Ernst Beger in Maltitz gehörige Scheune nebst Seitengebäude in kurzer Zeit vernichtete. Der Verlust an Vor- räthen ist bedeutend. — Ein heiterer Vorgang spielte sich am 24. d. M. in Oberspaar bei Meißen ab. Ein noch ziemlich junger Bettler bewegte sich mühsam auf zwei Krücken von Haus zu Haus, erweckte natürlich durch seine traurige Körperbeschaffenheit großes Mitleid und empfing daher auch reiche Gaben. Als er den halben Ort „abgrklopst" hatte, kam er gerade wieder auf die Straße in dem Augenblicke, wo ein uniformirter Mann die Straße entlang schritt. Es war nur ein Soldat, aber der Bettler mochte einen Landesgendarm in ihm vermuthen, er nahm seine Krücken über die Schultern und rannte mit kerngesunden Beinen schleunigst davon. — Als der in Lengenfeld wohnhafte Webermeister Eißner in Reichenbach in diesen Tagen seine fertige Waare abgel'efert hatte, gesellte sich Nachmittags auf dem Nachhausewege in der Nähe des sogenannten „kalten Feldes" ein in den zwanziger Jahren stehender Monn, der aus dem Walde kam, zu ihm, knüptte mit ihm ein Gespräch an und erbot sich, den mit Garn beladenen Schlitten Eißner's mit schieben zu helfen, da er ja auch nach Lengenfeld gehe, um dort Arbeit zu suchen. Eißner war dies zufrieden. In der Nähe von Eißner's Wohnung in Lengenfeld sagte der Fremde, es friere ihn an die Füße und ob er sich bei Eißner nicht etwas wärmen könnte, was dieser auch zusagte. Eißner's Frau gab ihm auch Brod und Kaffee. Nach einiger Zeit entfernte sich der Fremde, kam aber bald wieder und veranlaßte Frau Eißner unter dem Vorgeben, ein kleines Kind sei auf der Straße gefallen, sie möchte doch Nach sehen, ob es ihr Kind sei, auf die Straße zu gehen. Der in der Stube zurückgebliebene Strolch überfiel nun den auf dem Sopha liegenden Eißner und würgte ihn mit beiden Händen am Halse. Als unterdessen die Frau wieder in die Stube trat, flüchtete der Fremde. Die auf der Straße befindlichen Paffanten ergriffen denselben und überlieferten ihn der Polizei. Er hatte die Absicht gehabt, den Eißner seines für die abge lieferte Waare erhaltenen Geldes zu berauben. Auf der Poli zeiwache ergab sich, daß man es mit einem gefährlichen Menschen zn thun hatte, welcher mehrere Jahre in der Besserungsanstalt Bräunsdorf war. Der Strolch war ein Handarbeiter aus Reichenbach und hatte bereits wegen Hausfriedensbruchs 1 Monat, wegen Schlägerei 4 Wochen und wegen Meuterei 6 Jahre Ge- fängniß (in der Landesstrafanstalt Zwickau) verbüßt; er hatte beim ü. Infanterieregiment Nr. 104 gedient, war aber aus dem Soldatenstande ausgestoßen worden. — Pirna, 27. Januar. Die silberne Rettungsmedaille empfing ein im 12. Lebensjahre stehender Schüler der hiesigen Realschule, der im vergangenen Sommer einen kleinen Knaben unter eigener Lebensgefahr aus dem Elbstrom errett^ hatte. Der kleine „brave Mann" ist der Sohn des hiesigen prak tischen Arztes Dr. Rose. Die Ueberreichung der Medaille er folgte in feierlicher Weise in der Realschule durch Bürgermeister Schneider. — Schandau. In der hiesigen und Sebnitzer Umgegend hat die Fabrikation künstlicher Blumen und Blumentheile, die noch bis vor Kurzem ziemlich ruhig gelegen hat, einen recht lebhaften Aufschwung genommen. Um die eingegangenen Be stellungen möglichst schnell erledigen zu können, ist die Frage nach Arbeitspersonal jetzt stark geworden. Speziell in Schandau und Umgegend trägt die Fabrikation lediglich den Charakter der Hausindustrie; in der Stadt selbst giebt es zur Zrit nur eine Blumenfabrik, daneben aber mehrere Aufkaufstellen, deren Leiter mit etwa 140 Ortschaften des Elbgebietes Fühlung haben, um die Arbeiten zu vertheilen und in Empfang zu nehmen. — Unfehlbares Mittel gegen erfrorene Glieder. Man läßt Tannennadeln zwei bis drei Stunden kochen, gießt diesen Thee vorsichtig ab und badet dann die wehen Gliedmaßen drei mal des Tages in dieser Flüssigkeit, die weder heiß noch kalt, sondern lauwarm sein muß. Zehn bis fünfzehn Minuten muß man das erfrorene Glied in dem Tannennadelbade lassen. — Eine rechte Thorbeit ist das Niedrigschraubm der Petroleumlampen aus Gründen der Sparsamkeil, sobald man nicht das volle Licht der Lampe braucht. Man nimmt dabei den Uebelstand mit in den Kauf, daß man die Luft des Raumes in dem die Petroleumflamme brennt, ganz erheblich verschlech tert. Durch das Niedrigschrauben der Flamme findet nämlich keine vollständige Verbrennung statt, und hierdurch steigen, ebenso wie bei der zu hoch gestellten Flamme, unoerbrannte, unangenehm riechende Gase durch den Cylmder empor. Durch das Niedrigschraubm der Flamme wird aber nicht einmal eine wesentliche Ersparniß an Petroleum erzielt. Hiervon kann man sich selbst leicht durch einen Versuch überzeugen, indem man einmal eine Petroleumlampe mit einer Hellen, dann mit einer niedrig geschraubten Flamme ausbrennen läßt und die beiden Brennzeiten vergleicht. Man wird dann finden, daß die nied rig geschraubte Flamme nur sehr wenig länger brennt, als die das volle Licht spendende. Berücksichtigt man noch den Uebel stand der Verschlechterung der Zimmerluft, so wird es wohl selbst Jeder rathsam finden, die Lampen nicht niedrig geschraubt brennen zu lassen. Verstoßen. Historische Erzählung von Ludwig Habicht. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) „Euer Erstgeborener wird Euch viel Kummer machen, hohe Frau, ja, ich sehe noch mehr, er wird mit seinem wilden Trotz seinen künftigen Geschwistern nach dem Leben trachten und über das burggräfliche Haus, wie über die reußlschen Lande viel Unheil bringen. Ihr werdet noch einwal bitter seufzen, daß es besser wäre wenn er nie geboren!" sprach Eoa hoch aufge richtet. „Was 'st das!?* fuhr die Burggräfin auf, „so sprach die Zigeunerin. Das waren ihre Worte, ihr Ton! Ich kenne sie noch zu gut, sie zellen mir im Ohr, als hätte ich sie erst gestern vernommen." „Ist nicht Alles buchstäblich eingetroffen, bin ich eine falsche Prophetin gewesen?" fragte Eoa. „Erhebt nicht Euer Erstgeborener die Hand wider seinen Bruder, zieht er nicht sengend und raubend durch die reußischen Lande!?" „Weil Du mich gehetzt, ihn dazu zu treiben!" rief die Burggräfin außer sich. „Du, Du entsetzliches Weib warst die Zigeunerin! Du hast dieses namenlose Elend über mich ge bracht! Wie kann eine Frauenseele solche Abgründe bergen! ?" „Wo ein Erdbeben blühende Gefilde verschüttet, da gähnen Untiefen und Abgründe," antwortete die Schloßherrin achsel zuckend. „Hattest Du kein Erbarmen mit dem Unschuldigen?" „Wer hatte Erbarmen mit mir? Und warum sollte mich eines Kindes jammern, dos seine Eltern verstießen?" „Mit blutendem Herzen, weil sie durch dieses Kind die anderen bedroht glaubten." Eva zuckte die Achseln. „Furchtbar, entsetzlich!" stöhnte die Burggräfin. „Wohl Dir mein Gemahl, daß Du in die Gruft sinken durftest, ohne diesen grausamen, unerhörten Betrug zu erfahren!" „Meinet Ihr wirklich, Frau Burggräfin, ich hätte mir so meine Rache entgehen lassen?" fragte Eva, ganz dicht an sie herantretend. „In seiner Todesstunde war ich bei ihm und enthüllte ihm, was ich Euch jetzt eben enthüllte. Grete führte mich durch einen geheimen Zugang zu seinem Gemach und hielt Wache, daß Niemand uns störte, so lange ich bei ihm war" Die Burggrästn stammelte fassungslos: „Der Streifen schwarzen Flors zwischen seinen erkalteten Fingern —" „War von meinem Schleier gerissen, an dem er mich zu halten versuchte," ergänzte Eoa. „Die Worte, welche sein erkaltender Mund stammelte—" „Waren Versuche, sein ungerechtes Testament umzustoßen," fiel die Unversöhnliche mit kalter Grausamkeit wiederum ein. „Ich hatte meine Zeit gut gewählt, es war zu spät. — Mit der schweren Last auf der Seele, unfähig, sie von sich zu wälzen, mußte er sterben." „Ich aber lebe noch!" rief die Burggrästn auffahrend, „und so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, will ich gut machen, was ich verschuldet." „Schwöret nicht, hohe Frau," versetzte die Andere mit eisigem Hohn, „füget keinen neuen Meineid zu denen, die Ihr bereits geleistet." „Was ich gelobe, das halte ich," versetzte Frau Barbara mit Würde. „Wenn Ihr es könntet; meinet Ihr, ich hätte Euch mein Geheimniß enthüllt, wenn ich nicht sicher wäre, daß Ihr es wahren müsset? Euer Mund ist ebenso kraftlos, es zu ver- rathen, Eure Hand ebenso ohnmächtig, das Geschehene abzu wenden, wie es die des Burggrafen war, aber während ihn der Tod erlöste, müßt ihr lebend das Unheil schauen, bas Ihr heraufbeschworen." „Wer will mir wehren —." „Das Verhängniß," war die dumpfe Antwort. „Ihr könnt nicht hinaustreten auf die Gaffe und verkünden, daß Ihr und Euer Gemahl gelogen und gefrevelt, und wenn Ihr es könntet, wer würde Euch glauben?! Meinet Ihr, Euer zweiter Sohn, den Euer Trug zum Burggrafen gemacht, werde die Wahrheit anerkennen und dem Verstoßenen das Feld räumen? Meinet Ihr, der, den Ihr wieder in seine Rechte einsetzt, werde Euch's danken? Aerger denn je würde der Bruderzwist entbrennen, fluchen würden Euch Eure beiden Söhne. Ihr könnet nicht reden, Eure Zunge ist gefesselt." „Und doch werde ich reden!" rief die Burggräfin. „Treffe mich Schmach und Tod, ich gebe der Wahrheit die Ehre. Meinen Erstgeborenen will ich aufsuchen, seine Knie will ich umklammern, ihm will ich mein Bekenntniß ablegen, er soll mein Richter sein. Genug des Unheils ist aus der Lügensaat aufgesproffen, geschehe mir, was da will, ich zerstöre sie." Frau Barbaras Gesicht war, indem sie diese Worte sprach, von überirdischem Glanze erfüllt; ohne ihre Feindin noch eines Blickes zu würdigen, eilte sie aus dem Gemach, und so hoheits voll war ihre Miene und Haltung, daß Eva verstummte und m sich zusammensank. „Sollte ich doch zuletzt noch das Spiel gegen sie ver lieren," murmelte Eva. „Unmöglich! Das Verhöngniß läßt sich nicht mehr aufhalten, es kann nur noch Den zermalmen, der in die Speichen des rollenden Rades zu greifen sich unterfängt." Wie von Furien gejagt eilte die Burggräfin die Treppe hinunter und befahl ihren sie erwartenden Leuten, sofort die Rosse wieder zu schirren. Während dies geschah, ging sie unruhig im Schloßhofe auf und ab. Es wäre ihr unmöglich gewesen, zwischen oen Mauern der Burg zu weilen, selbst im Schloßhof war es ihr, als müßten die ringsum dräuenden Felsen herabstürzen und sie begraben. Im Begriffe zu Pferde zu steigen, sah sie aus einer Seitenthür der Burg ein Weib hervorstürzen. Händeringend und mit aufgelöstem Haar warf es sich der Burggräfin zu Füßen. „Vergebung, Vergebung, hohe Frau," schluchzte sie und wand sich am Boden. „Ich weiß, Ihr habt Alles erfahren, verzeiht der unseligen Grete. Lange, lange schon habe ich be reut, was ich gegen Euch verschuldet." Mit einem Blick unsäglicher Verachtung schaute die Burg gräfin auf die Flehende nieder, ihr Fuß hob sich, sie fortzu stoßen, aber sie zog ihn zurück. „Der ungerechter Weise Verstoßene ist nicht ihr Kind," flüsterte sie; „wessen Schuld ist größer, die ihre oder die meine? Ziemt es der, unversöhnlich zu sein, die selbst so sehr der Ver zeihung bedarf?" — Diese Gedanken besänftigten sie. „Ich vergebe Dir," sagte sie laut, .möge Gott Dir und mir verzechen!" Eilig schwang sie sich auf ihr Pferd und verließ die Felsenburg, unbekümmert darum, daß seit dem Morgen kein Tropfen ihre Lippen genetzt und daß noch Stunden vergehen mußten, ehe sie wieder eine Herberge erreichte. Trotzdem Frau Barbara zum Tode erschöpft in Harten stein ankam, gönnte sie sich daselbst nur kurze Rast. Sie mußte ihren Erstgeborenen aufsuchen, und zwar ehe der Burg graf vielleicht nach Hartenstein zurückkehrte und sich ihrer Reise widersetzte. Ehe sie Heinrich nicht ihre Beichte abgelegt, durfte der jüngere Sohn von ihrem Vorhaben nichts erfahren. Diesmal aber war sie nicht allein, ihr Töchterchen Bat« hildis begleitete sie. 8. „Du weißt jetzt Alles, mein Sohn, thue was Dir gut däucht!" schloß die Burggrästn, nachdem sie Heinrich all' diese düsteren Vorgänge gebeichtet hatte. Sie lehnte sich erschöpft in die Kissen zurück, mit welchen Gertrud's Fürsorge sie, ohne daß sie es merkte, schon lange unterstützt hatte. Nicht in einem Zuge hatte Frau Barbora die Geschichte ihres unglückseligen Jrrthums zu erzählen vermocht, sie hatte oft innegehalten, oft Athem schöpfen müssen und vielleicht hätte sie die schwere Aufgabe nicht zu Ende geführt, wären nicht zwei jugendliche Geschöpfe gewesen, die, zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken sitzend, ihr ermuthigend in die Augen schauten und deren sanfter Händedruck und leise geflüstertes Trostwort sie von Neuem aufrichteten, wenn die Kraft und der Muth sie zu verlassen drohten. Nicht daß die Burggrästn sich zu schonen gewillt gewesen wäre, kein peinliches Gericht hätte gegen sie schärfere Anklagen zu erheben, kein ihr feindlich gesinnter Anwalt die Dinge feiner zuzuspitzen vermocht, als sie dies selbst that. Sie fand eine Art schmerzlicher Wollust darin, ihr Thun mit den schwärzesten Farben zu malen, nur bemüht, ihren verstorbenen Gemahl in möglichst mildem Lichte erscheinen zu lassen. Was ihr Be kenntniß ihr so unsäglich erschwerte, war die Haltung Des jenigen, dem sie es ablegte. Mit verschränkten Armen, düster zusammengczogenen Brauen, fest zusammengekniffenen Lippen saß Heinrich vor der Erzählerin. Sein Auge suchte den Boden, nur selten blickte er auf und wenn dies geschah, so war es, als irre sein Blick in weite Fernen, als habe er wenig zu schaffen mit dem, was sich da eben in seiner nächsten Umgebung vollzog. Und zum Theil war es auch so. Heinrich durchlebte in dieser Spanne Zeit noch einmal sein ganzes Leben . . . Eine einzige Kette von Kränkungen, Bedrückungen und Ungerechtigkeiten war dasselbe gewesen, selbst wer sich ihm hilf reich erwiesen, hatte das nur aus Nebenabsichten gethan; er wußte sehr wohl, was er auch von seinen jetzigen Gefährten und Bundesgenossen zu halten und zu erwarten habe. Nur ein einziges Wesen hatte ihn geliebt, hatte ihm Treue gehalten, das war seine Gert.ud, und was hatte sie um dieser Treue willen nicht gelitten, was lag noch vor ihr?! . . . Und dieses furchtbare, schier unglaubliche Loos war ihm bereitet worden, weil zwei tückische Weiber schon vor seiner Geburt böse Ränke gegen ihn geschmiedet. Als Opfer der Sünden von Vater und Großvater war er ausersehen worden, i nd seine eigene leibliche Mutter hatte nur allzu willig die Hand dazu geboten, sein Vater war schwach genug gewesen, ihren Einflüsterungen Gehör zu schenken und einen Frevel gegen ihn zu begehen, wie ihn ähnlich die Geschichte keines adeligen Hauses aufzuweisen hatte. War die alte gebeugte Frau, die vor ihm saß und in herzzerreißenden Worten ihre Schuld bekannte, wirklich seine Mutter? Konnte er ihrer Aussage denn jetzt Glauben schenken? War es nicht vielleicht wieder auf eine Täuschung abgesehen, durch welche sie seinen rächend erhobenen Arm zu entwaffnen gedachte?