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Zweites Blatt. WmMMMckuff WrM Mrn, Menlehn md dir ImlsbM für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mt. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pfg. — Einzelne Nummern 10 Psg. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittag 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. Sonnabend, den 27. Oktober No. SO 18S4. Aus Sachsens Chronik. Zum pietätvollen Gedächtnib -er Asnigr Johann, gestorben den 29. Oktober 1873. Gebet eines Greisen. (Das letzte Gedicht des Königs Johann.) Mein greises Haupt, geschmückt mit Silberhaare, Belastet mit der langen Reihe Jahre, Senkt sich getrost zu der ersehnten Bahre, Bleibst Du bei mir, Herr, da der Abend naht. Des Tages Hitze hab' ich, Herr, getragen; In heitern wie in freudeleeren Tagen Wandt' ich zu Dir die Blicke ohne Zagen. O, bleib' auch jetzt bei mir, der Abend naht. Du führtest sanft mich durch der Jugend Morgen Und vor des schwülen Lebensmittags Sorgen Hielt Deiner Allmacht Schatten mich verborgen; O, bleib' auch jetzt bei mir, der Abend naht. Bald — bald, ich fühl' es, wird mein Auge brechen; Zwar frei bin ich von blutigen Verbrechen, Doch frei nicht von des Staubgebornen Schwächen. D'rum bleibe, Herr, nun, da der Abend naht. Zwar steh' ich an des Todes dunklen Schwellen, Doch schimmern in des Abends Purpurquellen Die Strahlen, die ein bess'res Sein erhellen. Bleibst Du bei mir, Herr, da der Abend naht. Die Gegenstände rings um mich verschwinden Und dunkler wird's in diesen niedern Gründen. Doch Nacht und Tod sind leicht zu überwinden, Bleibst Du bei mir, Herr, da der Abend naht! Dem Hohen Entschlafenen. (Ein Nachruf an König Johann aus den Tagen seines Heimgangs.) Du, frommer Dulder, hast nun ausgelitten, Der bleiche Engel drückte seinen Kuß Auf Deine edle Stirn, und zum Genuß Der Himmelsseligkcit bist Du geschritten. Du hast der Treue Krone Dir erstritten; Das Halleluja tönt im Seraphsgruß Entgegen Dir, es wandelt nun Dein Fuß Auf Blumenpfaden in den ew'gen Hütten. Und sie die Deinen, die vvrangegangen, Die hier gewunden Dir der Liebe Kranz, Siehst wieder Du in der Verklärung Glanz. Dein Volk, durchdrungen von der Sehnsucht Bangen, In Freud' und Leid ergeben Dir so ganz, Es blickt Dir nach mit sehnendem Verlangen. » * Ja! wie Du treu geliebet all' die Deinen, So für des Landes Wohl Dein Herz auch schlug; Dein christlichmilder Sinn gern Hilfe trug Dorthin, wo Menschen Kummerthränen weinen. Zu Denen, die im Dichterhain sich einen, Schwang sicy Dein reicher Geist mit sich'rem Flug; Du warst der Wahrheit Freund und Feind dem Lug, Auch König da, wo keine Sterne scheinen. Was Du uns warst, ist tief in's Herz geschrieben, Das Dir in heißem Dankgefühle schlägt, Der Griffel Cliv's Deine Thaten trägt Zur Nachwelt hin, Dein Glauben und Dein Lieben. — Bon Hoffnung wird die Brust uns froh bewegt; Denn Du bist uns in Deinem Sohn geblieben. Die Villings. Original-Roman von Em. Heinrichs. (Nachdruck verboten.! (Schluß.) Mit einem Ruck stand er auf den Füßen, die mächtige Gestalt drohend emporreckend. Er nahm einen mächtigen Trunk Wasser, zog dann die goldene Uhr, welche man ihm noch ge lassen hatte, und sah im Mondlicht, daß eö schon stark auf elf Uhr ging. In zwei Schritten, geräuschlos wie die der Katze, stand er an der Mauer, welche das Fenster enthielt, daß er mit ausge streckten Arm erreichen konnte. Er rüttelte leise an den Stan gen, sie gaben nach, schienen nur noch lose in dem bröckelnden Stein zu sitzen. Jetzt schlich er nach der Thür, um mit allen Sinnen zu horchen, doch nichts rührte sich draußen. — Bah was that es auch! Ohne Säumen schleppte er die harte Matratze, welche ihm als Lager dienen sollte, ans Fenster, stellte sie aufrecht an die Wand und schwang sich leicht wie eine Feder mit wunder barer Gewandtheit hinauf. Es war eines jener echten Turner- Kunststücke, worin er sich schon seit Kindheit geübt hatte. Das lose Gitter herauszunehmen und das altersschwache Fenster dann zu öffnen, war jetzt kinderleicht. Noch einmal mußte er zurück in die Zelle, um die Stange geräuschlos hier nieder zu legen. Dann nur noch wenige furchtbare Minuten und es war Alles überwunden, wenn er'auch draußen in einen mit Schlamm und Wasser gefüllten Graben hinunterspringen und sich, durchnäßt und beschmutzt, erst wieder herausarbeiten mußte. , Wie ein Pfeil flog er jetzt auf einem schmalen Heckenweg dahin. Als er das Ende desselben erreichte, suchte er sich rasch zu orientiren und eilte dann einen Weg entlang, welcher seiner Berechnung nach direkt aus der Stadt hinausführte, wohin, war ihm augenblicklich gleichgültig, da man ihm nur die Waffe, sein Messer und seine Diamant-Nadel abzenommen, Uhr, Geld und Ringe aber ihm einstweilen gelassen hatte. Er war frei, das war genug, drum immer nur vorwärts, vorwärts! In Schweiß gebadet, schreckte er plötzlich zusammen und blieb stehen. Ein kühler Hauch hatte seine Stirne getroffen, vor ihm lag der Waldsee. „Memme, vorwärts!" murmelte er zwischen den zusammen gepreßten Zähnen und wieder trieb es seinen flüchtigen Fuß im wilden Haß dahin, während der blutunterlaufene scheue Blick den See zu seiner Rechten streifte, aus welchem sich drohende Schatten zu erheben schienen. Er erreichte das Berghäuschen und brach zusammen. — Alles schien sich mit ihm im Kreise zu drehen, sein Geist sich zu verwirren, — aus dem See schwebte ein Gespenst auf ihn zu, um ihn mit ausgestreckten Armen zu packen, mit sich hinab zu ziehen. „Gnade!" schrie er gellend auf. Conrad Müller, welcher nach diesem aufregenden Tage erst spät heimgekehrt war und soeben im Begriff stand, sich zur Ruhe zu begeben, hörte den Schrei. Rasch seinen Rock wieder überwerfend, eilte er hinaus. „Halloh!" rief er den am Strande kauernden Mann im ! Mondlicht betrachtend, „was wollt Ihr hier, guter Freund? — ! Herrgott, bin ich verrückt?" schrie er plötzlich, von Schrecken er- griffen, „ist das nicht der gefangene Billing? Wie konnte man ihn entfliehen lassen?" Er packte ibn mit kräftiger Faust am Kragen und schrie mit weithin tönender Stimme um Hülfe, da es ihm war, als ob er in der Ferne ein lautes Rufen vernommen. Billing stierte ihn wild an, schüttete ihn dann wie einen Federball ab und ergriff seinen Arm, indem er mit der Rechten über den See deutete: „Still!" flüsterte er mit wirren, angstvollem Blick, „viel- leicht entrinn' ich ihm doch. Siehst Du ihn dort auf dem See? Er winkt, er komm: heran, nun will er mich mit hinunter ziehen — Bruder — fort —" Er ließ den vor Entsetzen zurückweichenden Conrad, dem das Haar sich sträubte vor Grauen, los und taumelte einige ! Schritte vorwärts. Als Conrad sich ermannend, auf ihn zu- ! sprang, um ihn festzuhalten, da er jetzt schon deutlich sich im Laufe nähernde Schritte und Stimmen vernahm, schleuderte der riesenstacke Wahnsinnige, denn das war der Unselige, in diesem Augenblick ihn weit von sich, und stürzte sich dann mit hocher hobenen Armen und einem gellenden Aufschrei in den See. Weite Kreise zog das stille Wasser, welches an dieser Stelle sehr tief war, um das Grab des Brudermörders, den das Ge wissen, die gespenstische Macht der Schuld gerichtet hatte, und das bleiche Licht des Mondes überwob mit geisterhaften Irr lichtern die unheimliche Tiefe. Conrad Müller, welcher hingefallen war, erhob sich rasch, warf den Rock ab und machte Miene ihm nachzuspringen, als einige Polizei-Beamte erschienen, welche den Flüchtling zuerst nach den feuchten Spuren, die er hinterlassen, verfolgt und dann rasch die rechte Spur gefunden hatten. „Lassen Sie nur," wehrte der eine Schutzmann, „den fassen Sie doch nicht mehr lebendig. Sie würden Ihr Leben nur nutzlos aufs Spiel setzen. Der Kerl ist ein Riese, — aber gedacht hab' ich's mir m einem solchen Gefängniß." „Man hätte eine Wache bei ihm lassen sollen", sagte Conrad niedergeschlagen. „War ja auch geschehen, nämlich vor seiner Thür, — aber natürlich einer von den hiesigen, der es zuletzt langweilig gefunden, und sich fortgeschlichen hat, um beim Schließer einen auf die Lampe zu gießen." „Schöne Geschichte", murrte Conrad, seinen Rock wieder anziehend und auf den See hinausstarrend. „Aber — an'S Leben hätte man ihm doch nicht können, weil er hier total verrückt geworden, — es war fürchterlich, — na, der Bruder hat ihn richtig geholt." Er schüttelte sich vor Entsetzen, holte seinen Hut und verschloß das Häuschen, um die Beamten zurück in die Stadt zu begleiten und dort das Erlebte anzuzeigen. Die Flucht des Gefangenen, welche eine Viertelstunde später durch den Schließer, der ihn hatte wecken sollen, entdeckt worden war, hatte die größte Bestürzung erregt und besonders den Assessor ganz aus der Fassung gebracht. Man ordnete sofort die nöthige Verfolgung an, da er am Ende nicht weit kommen konnte, gerieth aber nach der Rückkehr der Beamten und bei Conrad Müller's Bericht in eine noch größere Be stürzung. Natürlich war in dieser Nacht an die Auffindung der Leiche nicht mehr zu denken, da der weite Umfang und die Tiefe des Sees dieselbe schon am Hellen Tage erschwerte. Am nächsten Morgen aber, als die Flucht und das Ende des Mörders bekannt wurde, schien eine kleine Revolution in Emmern ausbrechen zu wollen, da man der Polizeibehörde Schuld gab, nicht die nöthigen Sicherheitsmaßregeln ergriffen zu haben. Man rottete sich vor der Polizei sogar in drohender Haltung zusammen, was dem Assessor Erdmann denn doch über den Spaß ging. Er faßte soeben den Entschluß, sich hinaus zu begeben, als er den Phystkus Petri in der Menge erblickte, welcher mit ruhigem Ernste die Leute ermahnte, nach Hause zu gehen und sich mit der Thatsache zu beruhigen, daß die Polizei keine Schuld treffe, da es ihr für solche Verbrecher an einem sicheren Gefängniß gefehlt habe. „Uebrigens hätte es auch keine Hinrichtung gegeben, meine lieben Freunde!" setzte er ironisch hinzu, „weil der Mörder be reits, bevor er die Flucht ergriffen und in den Waldsee sich ge stürzt hat, wahnsinnig gewesen ist und deshalb unzweifelhaft einer Irrenanstalt überwiesen werden mutzte." Die aufgeregte Mange sah sich verblüfft an und verlief sich nach und nach, bis die Nachricht sich verbreitete, daß im Waldsee nach dem Mörder gesucht werde. Da strömte unhalt- sam hinaus, was nur immer abkommen konnte, so daß der Phystkus wieder seinen Hellen Aerger hatte. Aber erst am dritten Tage fand man die Leiche des Bru dermörders und zwar an derselben Stelle, wo sein Opfer ange schwemmt war, im Wolfswinkel. Das Volk nannte es „Gottes Hand", welche den Elenden gerade hier gerichtet hatte. Der Ertrunkene und sein Weib wurden auf ein Ersuchen der Universitäts-Anatomie dieser Provinz übersandt, um dort der Wissenschaft zu dienen und ein unbekanntes namenloses Grab zu finden. Herbst und Winter waren vergangen, der Lenz erschien in all' seiner Herrlichkeit.