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WmM für Wkilff Tharandt, Kchkn, Sikbknltha nnd die Umgegendtn. Imtsölutt für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pfg. — Einzelne Nummern 10 Psg. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittag 12 Uhr angenommen. — Jnser tionspreis 10 Pfg. Pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 87. 1 Sonnabend, de« 2». Oktober 1894? Der „Bierkrieg" iu Berlin. Der große Interessen- und Prinzipienkampf, welcher schon vor Monaten zwischen der sozialistischen Parteileitung und den von ihr boykottirten Berliner Brauereien entbrannt war, ist plötzlich noch einmal mit alter Kraft emporgeflammt, nachdem er bereits seinem Ende nahe gewesen zu sein schien. Denn die cingeleiteten Verständigungsversuche zwischen den Vertretern der Brauereien und der sozialdemokratischen Boykott-Commission hatten durch Mäßigung und Versöhnlichkeit auf beiden Seiten schon verschiedene der vorhandenen hauptsächlichsten Differenz punkte beseitigt, so daß an einem Friedensschlüsse eigentlich kaum mehr zu zweifeln war. Aber diese Erwartung ist jäh vernichtet worden, die Weigerung der Brauereien, die Rädels führer der streikenden und in der Folge „ausgesperrten" Brau- ereiarbcitcr wieder anzunehmen, auf welcher Forderung die Wort führer der Boykott-Commission in der letzten Sitzung mit den Brauerei-Vertretern mit überraschender Schroffheit bestanden, zog den plötzlichen Abbruch der Verständigungsverhandlungen nach sich und so ist denn der „Bi-rkrieg" noch einmal in voller Schärfe entbrannt. Die Boykott-Commission hat in einem durch den „Vorwärts" veröffentlichten Aufruf an die Berliner Arbeiterschaft dieselbe zur energischen und zielbewußten Fort setzung des Kampfes aufgefordert und dementsprechend hat man in 27 großen Volksversammlungen, welche von den sozialdemo kratischen Führern am Dienstag Abend an verschiedenen Stellen der Reichshauptstadt einberufen worden waren, auch seine Be schlüsse gefaßt. Die überall gefaßten Resolutionen lauten mit Einstimmigkeit dahin, daß der Boykott gegen die Brauereien mit allem Nachdruck weiter zu führen sei und daß diejBerliner Arbeiter gehalten sein sollten, bis zur Beendigung des Boykotts keine Festlichkeiten in den gesperrten Sälen zu veranstalten. Aber auch ,die Gegenpartei hat entschlossen aufs Neue ihre Stellung in dem Streite genommen. Die vereinigten Brau ereien haben sich gegenseitig zum Ausharrcn verpflichtet und im Anschluß hieran ist von der Commission der Saalbesitzer ein- müthig beschlossen worden, an der Aufrechterhaltung der Saal sperre festzuhalten, den Kampf gegen die Sozialdemokratie energisch fortzusetzen und die gelammte Bürgerschaft Berlins um ihre materielle wie moralische Unterstützung zu bitten. So geht denn diese eigenartige Fehde, die einem ursprünglich rein winhschaftlichen Anlässe entsprungen, sich inzwiseben längst zu einem bedeutungsvollen politischen Streite, zu einer ernsten Krastprobe zwischen dem besitzenden Bürgerthume und der So zialdemokratie gestaltet hat, erbittert weiter. Noch läßt sich ihr AuSgang nicht mit Gewißheit übersehen, allgemein herrscht jedoch die Empfindung vor, daß Sieg oder Niederlage der einen oder der anderen Partei zugleich vorbildlich wirken müsse auf eine Reihe späterer Vorgänge, daß es von dem Ausfälle dieses Kampfes abhängcn wird, ob die tyrannische Anmaßung und die Sieges zuversicht der sozialdemokratischen Partei auf längere Zeit einen nachhaltigen Dämpfer erfährt, oder ob der bürgerliche Gedanke schließlich eine empfindliche Demüthigung verzeichnen muß. In den Reihen der kämpfenden Parteien empfindet man längst diese allgemeinere Bedeutung des Bierboykotts, deshalb spannt einerseits die sozialdemokratische Partei in Berlin die Kräfte aufS Aeußerste an, um die Siegespalme zu erringen, während anderseits auch die vereinigten Brauereien und Saalbefltzer sich noch fester zusammenschließen, um den Kampf mit voller Energie burchzufechlen. Gewiß bleibt es aber auf jeden Fall bedauerlich, daß dieser lange und opferreiche Streit nunmehr sich noch fernerhin aus- Ipinnt, denn weit über die Kreise der zunächst betheiligten Par- icien und Bevölkerungsschichten hinaus wird man seine schädigenden Wirkungen drückend genug empfinden. Um so dringender er hebt sich der Wunsch, in Zukunft derartige zerrüttende Kämpfe nach Möglichkeit einzuschränken, und hierbei ist wohl eine Haupt- beUngung, daß den Arbeitgebern auf gesetzlichem Wege ein Schutz gegen terroristische Vergewaltigung seitens der Arbeiter führer geschaffen wird. In der jüngsten Novelle zur Ge werbeordnung ist den Arbeitnehmern eine günstige Position ge-^ genüber Ausbcutungsversuchen u. s. w. durch die Arbeitgeber' errichtet worden, jetzt sollte endlich ernstlich die Frage aufge-! warfen werden, ob nicht auch die letzteren Anspruch auf Wahrung wichtiger und berechtigter Interessen ihres Standes durch die Gesetzgebung erheben könnten. ! Tagesgeschichte. Der jüngste Ausflug des Kaisers nach dem west lichen Deutschland, welcher zunächst einem Besuche bei der Kaiserin Friedrich in Schloß Friedrichshof und dann dem Gegenbesuche beim Großherzog von Hessen in Darmstadt galt, hat mit dem mehrstündigen Aufenthalte des kaiserlichen Herrn in Wiesbaden am Dienstag wieder seinen Abschluß erfahren. Der Kaiser wohnte daselbst unmittelbar nach seiner in der fünften Nachmittagsstunde erfolgten Ankunft der feierlichen Ent hüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmales bei und verweilte hier auf einige Zeit im königlichen Schlosse. Abends 6 Uhr erschien der erlauchte Gast zur Eröffnungsvorstellung im neuen Hof theater, um dann den weiteren Abend beim Jntentanten v. Hülsen zumbringen. Abends 11 Uhr trat dann der Kaiser die Rückreise nach Berlin an, woselbst er in der zehnten Vor mittagsstunde des Mittwoch wieder eintraf. Bald darauf fand in der Ruhmeshalle des Zeughauses die Nagelung der den vierten Bataillonen verliehenen Fahnen statt. Dem feierlichen Akte wohnten außer dem Kaiser und der Kaiserin und den königlichen Prinzen noch die Großherzöge von Baden und von Oldenburg, die Fürsten von Lippe, von Schaumburg-Lippe, von Waldeck und ron Reuß ältere Linie, sowie die Erbprinzen von Coburg und von Reuß jr. Linie bei. Am Mittwoch Abend fand in Potsdam, wohin sich der Kaiser mit seinen fürstlichen Gästen im Laufe des Nachmittag begeben hatte, der Empfang des Kaisers von Ser bien unter Enthaltung großen Ceremoniells statt. Berlin, 18. Oktober. Vor dem Denkmal Friedrichs des Großen Unter den Linden fand heute Vormittag die feier liche Weihe der 132 neuen Fahnen statt. Der Kaiser, begleitet vom Feldmarschall von Blumenthal, führte die Fahnen vom Zeughause vor den inmitten der Truppen aufgestellten Altar und begrüßte die deutschen Fürsten und die königlichen Prinzen. Der Militär-Oberpfarrer vr. Frommel segnete die Feldzeichen mit einer Weiherede unter Kanonensalut ein. Da rauf übergab der Kaiser dieselben den Regimentern mit einer Ansprache, worin er des heutigen Geburtstages des Kaisers Friedrich, der letzten großen Fahnenweihe von 1861 und der ruhmreichen Thaten des Heeres von 1871 gedachte und die Kommandeure aufforderte, unter den neuen Feldzeichen die rühm volle Tradition fortzupflegen, mit Hingebung zum Throne, mit unbedingtem Gehorsam zum obersten Kriegsherrn gegen die äußeren und inneren Feinde. „Möge der Segen des Aller höchsten, der das Heer bisher behütet, und die Blicke der Vor gänger auf den neuen Feldzeichen schützend ruhen. Mit Gott für König und Vaterland." Feldmarschall v. Blumenthal dankte Namens der Armee, versicherte dem Kaiser die unverbrüchliche Treue und brachte alsdann ein Hoch auf Se Majestät aus, wobei sich die Fahnen senkten. Bei dem anschließenden Parade marsch der Truppen waren die drei ältesten kaiserlichen Prinzen eingetröten. Die Kaiserin und der König von Serbien wohnten der Feier auf dem Balkon des Palais des alten Kaisers Wilhelm bei. Dem jungen König von Serbien, der jetztin Berlin weilt, widmet die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" einen Begrüßungs-Artikel, in welchem es heißt: „Den König hat seine Reise zuerst nach Pest geführt und die Blätter berichten nicht nur von dem herzlichem Empfang, der dem jugendlichen Monarchen von Seiten des Kaisers Franz Josef zu Theil wurde, sondern auch von den sympathischen Kundgebungen, mit welchen die Bevölkerung der ungarischen Hauptstadt den König des be nachbarten Landes begrüßte. In Wien hat König Alexander schon vor mehreren Jahren zum Besuche geweilt in demselben Monat, in dem er auch in Petersburg den Kaiser Alexander von Rußland persönlich begrüßte. Diesen Begegnungen mit den beiden Herrschern, zu denen das serbische Königreich und die Dynastie der Obrenowitsch in den nächsten Beziehungen steht, schloß sich vor Kurzem ein Besuch in Konstantinopel an, wo auch der Sultan dem König Alexander den ehrendsten Em pfang zu Theil werden ließ. Der Staat, zu dessen Regierung der König berufen ist, steht in der Reihe der europäischen König reiche als jüngstes Glied da. Um so mehr mochte sich der jugendliche Monarch gedrungen fühlen, durch Pflege persönlicher' Beziehungen mil den Beherrschern mächtiger, dem serbischen Lande und Volke freundlich gesinnter Staaten in erhöhtem Maße dazu beizutragen, bestehende gute und freundschaftliche Verhält nisse zu befestigen. Die herzliche Aufnahme, welche der hohe Gast am Hofe unseres kaiserlichen Herrn findet, wird bei König i Alexander die Ueberzeugung befestigen, daß für die Durchführung ! der schwierigen Aufgaben, welche das Schicksal auf seine Schultern gelegt hat, ihm in Deutschland die wärmsten Sympathien ent- gegengebracht werden. Nicht minder sind wir gewiß, daß, wo immer der König während seines Aufenthaltes mit den Kreisen unserer Bevölkerung in Berührung treten mag, jene freundlichen Eindrücke sich bestätigen und eine dauernde Erinnerung hinter lassen werden." Die im Verfolge der Reichsfinanzreform neuerdings wieder mehr in den Vordergrund getretenen Erörterungen wegen stärkerer steuerlicher Heranziehung des Tabaks haben alsbald zur Wieder holung der strikt ablehnenden Stellungnahme der direkt be- theiligtcn Jnteressenkreise geführt. Die „Berl. Polit. Nachr." bezeichnen diese Taktik weder als besonders glücklich, noch als besonders klug, und schreiben: „So begreiflich es auch vom allgemein menschlichen als insbesondere vom Standpunkte des Steuerzahlers erscheint, sich im Momente der erstmaligen Auf wallung gegen drohende steuerliche Mehrbelastungen in Positur zu setzen, so ist doch, sollte man denken, im Punkte des Tabaks durch die vorhergangenen allseitigen und tiefgreifenden Unter suchungen die Sachlage hinlänglich geklärt worden, sodaß bei ruhiger, leidenschaftsloser Abwägung des Für und Wider kaum ein urtheilsfähiger Bcurtheiler dürfte in Abrede stellen wollen, daß ein gedeihlicher Fortgang der Reichsfinanzreform ohne stärkere Heranzieyung des Tabaks einfach ausgeschloffen ist. Wenn man sieht, wie andere Objekte, welche noch in ungleich höherem Grade als der Tabak beanspruchen dürfen, nicht nur als Genußmittel, sondern als wesentlicher Bestandtheil der Massennährung, wie Zucker und Branntwein, zu gelten, steuer lich scharf erfaßt werden, wohingegen der Tabak zu einem ver- hälnißmäßiq kaum nennenswerthen Betrage auf der Steuer tafel erscheint, so verlangt schon der Grundsatz der ausgleichen den Gerechtigkeit, daß das bisher beim Tabak Versäumte in dem gebotenen Umfange nachgeholt werde; ein einziger anderer Weg kann ja auch zur Erreichung des Zieles der Reichsfinanz reform in Bezug auf Gangbarkeit mit der Tabakbesteuerung irgendwie in Konkurrenz treten. Wer ehrlich mit zur Gesundung der Reichsfinanzen beitragen will, wird sich der Verpflichtung, die Tabaksteuer auf neue Grundlagen stellen zu helfen, nicht entziehen dürfen." Bis zu welcher Rohheit sich die Sozialdemokraten durch den Boykott Hinreißen lassen, dafür liefert eine Gerichtsver handlung einen treffenden Beweis. Der „Genosse" Marks hat mit zwei anderen Genossen einen Schiffer, der sich gegen den Boykott ausgesprochen hatte, schwer verletzt und dann ins Wasser geworfen; zum Glück konnte der Mann schwimmen. Marks erhielt '/2I Jahre Gefängniß, die beiden anderen Genosse« find entflohen. Das Ergebniß der am vergangenen Sonntag vollzogenen belgischen Parlamentswahlen steht endlich fest. Es sind in die neue Deputirtenkammer gewählt 77 Clerikale, 7 Liberale und 12 Sozialisten, während 56 Stichwahlen vorzu nehmen sind, bei denen die Sozialisten zweifellos noch eine weitere Reihe von Mandaten erringen werden. Im Senat werden, abgesehen von 9 noch vorzunehmenden Stichwahlen, vor aussichtlich 54 Clerikale und 23 Liberale sitzen. Das hervor stehendste Charakteristikum der belgischen Wahlen ist also der Sieg der Sozialdemokraten, Dank dem neuen Wahlgesetz. Sie, die bisher noch überhaupt kein Mandat zur belgischen Volks vertretung besaßen, werden nunmehr in dieselbe gleich mindesten« 25 Mann stark einziehen, die verschiedenen Gruppen des Libe ralismus, der ja die Kosten des Wahlsieges der Rothen fast ausschließlich bestreiten muß, zusammen werden nur wenig Mann mehr zählen. Der belgische Liberalismus hat demnach eine Niederlage erhalten, an der er noch lange, lange zu kauen haben wird. Mit einem blauen Auge sind die Clerikalen davon ge kommen, da sie in beiden Häusern des Parlaments auch ferner hin über die Mehrheit verfügen werden, freilich kann dieselbe schon bei den nächsten Wahlen in die Brüche gehen. Unter den bevorstehenden Stichwahlen beanspruchen diejenigen in Brüssel das meiste Interesse. Hier stehen den 18 clerikalen Kandidaten 19 liberale und radicale Kandidaten entgegen, die Sozialdemo kraten geben den Ausschlag. Der Generalrath der Arbeiter partei hat die Parteigenossen aufgefordert, bei Stichwahlen zwischen Kandidaten der anderen Parteien für diejenigen Candidaten zu stimmen, welche sich schriftlich verpflichten, für das uneinge schränkte allgemeine Stimmrecht bei Communal- und Provinzial- rathswahlen zu stimmen, aber gegen Schutzzölle zu votiren.