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„Wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten. Jetzt haben Sie das Uebergewicht, ein ander Mal —" Sie fiel ihm ins Wort. „Das andere Mal wird gar nicht eintreten." Rose war langsam um den Turm herumgegangen und hatte nur von Zeit zu Zeit schweigend nach einem besonders schönen Punkt mit der Hand gezeigt, während sie die kurzen Worte hervorgestoßen. Als sie nun jenseits ihres vorigen Beobachtungspostens stehen blieb, die Sonne ihr nicht mehr in das Gesicht strahlte, hob sie die wunder baren Augen offen zu ihm empor, der sie um Kopfeslänge überragte und schaute ihn prüfend an. Es war ihm, als wolle sie ihm bis auf den Grund seiner Seele schauen. Ihm wurde ganz eigen zu Mute unter diesem Blick der großen Augen. Was war es nur, das ihn so wider standslos zu ihr hinzog, ihr sein Herz im Sturm gewann? Und je länger er hineinschaute in die blauen Sterne, aus denen eine Welt von Unschuld und Herzensgüte strahlte, desto mehr wuchs die Liebe in seinen! Innern, sie schlug in mächtigen Flammen empor und ließ ihn begehren nach dem holden Geschöpf, das sich kaum des Eindrucks bewust ward, den es hervorgerufen. Seinem Empfinden und seinen verlangenden Gedanken folgend, sagte er scheinbar unvermittelt und doch war es nur eine Frage, die sein Herz gestellt: „Würde es Ihnen wohl schwer fallen, von diesem Orte zu scheiden?" Sie verstand ihn nicht. „Warum sollte ich von hier fort? Der Vater ist wohl alt und hinfällig, die Mutter längst tot. Er braucht mich und wenn auch Schmalhans oft Küchenmeister bei uns ist, so tauschte ich doch nicht mit mancher Gräfin, die in stolzer Karosse fährt. Freier, ungebundener wie ich, kann niemand sein, und ich sollte fort —?" Sie blickte ernst drein. „Dazu werde ich wohl nie Veranlassung finden," meinte sie dann nachdenklich, mit einem leisen Anflug von Bitterkeit. An diesen Worten erkannte er, der erfahrene Frauen kenner, daß sie von Grund ihrer Seele aus rein und unberührt war, daß nie ein unreiner Hauch diese Seele trübte, daß sie, ganz ahnungslos der Leidenschaften, die den Menschen verzehren können, hier aufwuchs, wie eine Blume an beschützter, schattiger Stelle des Waldes, wohin weder Sturm noch Regen, noch eine räuberische Hand gelangen konnten. Sie so zu behüten, so rein zu bewahren vor allen Gefahren, sie an sein Herz zu nehmen, zu hegen und zu pflegen als die seltenste, edelste Blüte seines Gartens, seines Besitztumes, das war sein innigster Wunsch. Ob sie wohl einwilligen würde? Er beschloß, sie zu fragen und doch, da er schon hierzu den Mund aufgethan, er ihren Namen genannt, den er vorher von ihrem Vater erfahren, als sie zu ihm aufschaute mit den unschuldigen Kinderaugen, da blieb ihm das Wort in der Kehle stecken. Sollte er ihren Seelenfrieden jetzt schon stören? Was war er, daß er es wagen durfte? Konnte er annehmen, daß sein nicht schönes Aeußeres, sein finsteres Aussehen, in ihrem Herzen gleiche Empfindungen geweckt, in ihrem Innern, das nur zu Frohsinn und Lust neigen sollte und würde? War es nicht ein Verbrechen, die Hände auszustrecken nach der unbe rührten Blume? Durste er sie aus dem Traume der Kindlichkeit, in dem sie noch zu schweben schien, zum rauhen Leben erwecken? Aber doch, wenn ein anderer — er er blaßte — der Gedanke allein trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn — sein sollte sie werden, nicht eines ihres Schlages, sein Haus sollte sie zieren, ihm die Tage ver schönen, die ihm noch vergönnt waren. Er lechzte darnach, durch sie ein solches Glück zu erfahren. Und so sagte er, nachdem er abermals ganz leise, wie überwältigt von der ihn erf Ulenden Liebe ihren Namen genannt: „Ihr Vater ist nicht mehr jung. Sie stehen allein. Was dann, wenn derselbe einmal abgerufen wird?" Die Worte waren noch kaum seinen Lippen entflohen, als er sie auch schon bereute, denn das Gesichtchen vor ihm ward blaß, die großen Augen füllten sich mit Thränen und abwehrend streckte Rose ihre Hände aus. „O, Herr!" Das war alles, was sie hervorbrachte. Er versuchte beruhigend ihre Hand zu erfaßen, aber sie entzog ihm dieselbe rasch und unwillig. „Ich meine es wirklich gut mit Ihnen, Fräuleiu Rose," versicherte er treuherzig und sein Gesicht zeigte, daß er nicht log. „Mein Vater?" stieß sie nun zitternd hervor. „Herr gott im Himmel da droben, du wirst mir das Einzige nicht rauben wollen, das mir gehört!" Es war wie ein Gebet und ihr himmelwärts ge wendeter Blick schien Gottes Angesicht zu suchen. Drüben aus der nahen Stadt verkündeten die Kirchen glocken, die bald klar und deutlich, bald verschwommen herüberklangen, den Beginn des Gottesdienstes. Rose faltete andächtig die Hände und lauschte. Waren die hehren Klänge die Antwort auf ihre inbrünstige Bitte? Ein Leuchten huschte über ihre Züge, wie es der Fremde noch nie gesehen. Das Vertrauen zum Vater im Himmel war in ihr Herz zurückgekehrt und unter dessen Einflüsse gelang es ihr, die Angst abzuschütteln. Es sah deshalb fast aus wie ein Lächeln, mit welchem sie dann sagte: „Sie wollten mich gewiß nur schrecken, ängstlich machen!" „Ich, Rose? Wie verkennen Sie mich! Ich dachte nur an das Zunächstliegende, dein Sie sich auch nicht verschließen dürfen. Sie stehen allein, sind unbeschützt —" Sie unterbrach ihn mit einem herben Auflachen. „Da geht's hinaus? Wollen Sie vielleicht mein Be schützer sein?" „Wenn Sie mir die Erlaubnis dazu geben wollten, mit Freuden, Rose!" „Das glaube ich, aber daraus wird nichts. Was wollen Sie denn eigentlich? Sie kommen daher, um vie Sonne aufgehen zu sehen, nun wohl, dieselbe ist schon recht hoch gestiegen. Ich dächte, Sie hätten genug davon. Ihre Zeit und auch die meine ist um. Vater wird meiner bedürfen — ich habe zu thun —" „Sie schicken mich fort wie einen Lästigen, mit dem man nicht viel Umstände macht," klagte er, ohne sich von der Stelle rühren. Sie hatte, um die Galerie verlassen zu können, an ihm vorübereilen, ihn fortschieben müssen, da zwei neben einander nicht gut stehen konnten, zu beidem fehlte ihr doch der Mut. Der vor ihr Stehende war so ganz anders wie die Männer, die sie bisher kennen gelernt und die ihr hier oben in der luftigen Höhe schön gethan. Alles, was er sagte, war durchdrungen von dem Tone der Wahr haftigkeit, dem sie sich nicht verschließen konnte. Und wenn sie in seine braunen Augen schaute, die so ehrlich und treu waren, die das ganze unschöne Gesicht belebten, vergessen ließen, daß die Nase zu groß, das Kinn etwas zu derb geraten waren, dann empfand sie Gefallen an ihm, Zu trauen und das Verlangen beschlich sie, so wie andere Mädchen ihres Alters, geliebt zu werden, wieder zu lieben. Sie erschrak fast vor ihren eignen Gedanken. Daran war ja gar nicht zu denken. Der vornehme Herr — sie fühlte, als sie in ihren Gedanken soweit gekommen war, unwillkürlich nach ihrer Tasche, wo sie die Karte des Fremden geborgen — Paul Lavinia, Graf von Merita stand darauf — ein Graf und sie, die Tochter des armen Taubenfranz, des halbverfallenen alten Turmes Hüter den man aus Gnade und Barmherzigkeit da belassen, damit er den die Stadt besuchenden Fremden den weit und breit berühmten Sonnenaufgang von seiner Höhe herab zeigen konnte. Fast hätte Rose über sich selbst